Kritische Edition des vertonten Textes der Münchner Fassung (München)   Wortgetreue Übersetzung des vertonten Textes München (Deutsch)  
SCENA VII
Szene VII
No 5 Coro
Nr. 5 Chor
Coro vicino
Naher Chor
175
    Pietà, numi, pietà!
Gnade, o Götter, Gnade!
Aiuto, o giusti numi!
Hilfe, o gerechte Götter,
A noi volgete i lumi…
wendet zu uns eure Blicke…
Coro lontano
Ferner Chor
    Pietà, numi, pietà!
Gnade, o Götter, Gnade!
Il ciel, il mare, il vento
Der Himmel, das Meer, der Wind
180
ci opprimon di spavento…
unterdrücken uns durch Schrecken…
Coro vicino
Naher Chor
    Pietà, numi, pietà!
Gnade, o Götter, Gnade!
In braccio a cruda morte
In die Arme des grausamen Todes
ci spinge l’empia sorte…
Stößt uns das verhängnisvolle Geschick…
Coro
Chor
    Pietà, pietà, pietà!|Pietà, numi, pietà!
Gnade, o Götter, Gnade!
SCENA VIII
Szene VIII
Pantomima
Pantomime
Nettuno comparisce sul mare. Fa cenno a’ venti di ritirarsi alle loro spelonche. Il mare a poco a poco si calma. Idomeneo, vedendo il dio del mare, implora la sua potenza. Nettuno riguardandolo con occhio torvo e minaccevole si tuffa nell’onde e sparisce.
[Neptun erscheint auf dem Meere. ][Er gibt den Winden ein Zeichen, sich in ihre Höhlen zurückzuziehen. Das Meer beruhigt sich nach und nach. Als IDOMENEO den Gott des Meeres erblickt, ruft er seine Macht an.][ Neptun wirft ihm finstere und drohende Blicke zu, taucht in die Wellen und verschwindet.]
Recitativo
Rezitativ
Idomeneo con seguito.
[Idomeneo mit Gefolge.]
Idomeneo
Idomeneo
(Al suo seguito.)
[zu seinem Gefolge.]
185
Eccoci salvi alfin. O voi, di Marte
Endlich sind wir gerettet. O ihr,
e di Nettuno all’ire,
beim Wüten von Mars und Neptun,
alle vittorie, ai stenti
bei Sieg und Not
fidi seguaci miei,
treue Gefährten,
lasciatemi per poco
lasst mich hier für eine Weile
190
qui solo respirar e al ciel natio
allein aufatmen und dem heimatlichen Himmel
confidar il passato affanno mio.
meine erlittene Mühsal anvertrauen.
SCENA IX
Szene IX
(Il seguito si ritira ed Idomeneo solo s’inoltra sul lido contemplando.)
[(Das Gefolge zieht sich zurück, und] Idomeneo [begibt sich nachdenklich] allein [zum Strand)].
Idomeneo
Tranquillo è il mar, aura soave spira
Still ist das Meer, liebliche Lüfte strömen
di dolce calma, e le cerulee sponde
süße Ruhe aus, und die himmelblauen Ufer
il biondo dio indora. Ovunque io miro,
vergoldet der blonde Gott. Wohin immer ich blicke,
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tutto di pace in sen riposa e gode.
alles ruht in Frieden und genießt.
Io sol, io sol su queste aride spiagge,
Ich allein, ich allein an diesen dürren Stränden,
d’affanno e da disagio estenuato,
von Mühen und Entbehrung entkräftet,
quella calma, o Nettuno, in me non provo
kann in mir, o Neptun, diese Ruhe nicht fühlen,
che al tuo regno impetrai.
die ich von deinem Reich erflehte.
200
In mezzo a flutti e scogli
Inmitten von Wogen und Klippen
dall’ira tua sedotto, a te lo scampo
durch deinen Zorn verführt, erbat ich Rettung von dir
dal naufragio chiedei, e in olocausto
vor dem Untergang, und voll Angst
il primo de’ mortali, che qui intorno
versprach ich deinen Altären
infelice s’aggiri, all’are tue
als Opfer den ersten Sterblichen,
205
pien di terror promisi.
der hier in der Nähe unglücklich umherirrt.
All’empio voto
Durch dieses grausame Gelübde
eccomi in salvo, sì, ma non in pace…
bin ich hier in Sicherheit, ja gewiss, aber ohne Frieden…
Ma son pur quelle, oh dio! le care mura
Doch sind wohl dies – o Gott! – die teuren Mauern,
dove la prima io trassi aura vitale?…
wo ich den ersten Hauch des Lebens einsog?
Lungi da sì gran tempo, ah con qual core
Fern seit so langer Zeit, ach, mit welchen Gefühlen
210
ora vi rivedrò, se, appena in seno
werde ich euch jetzt wiedersehen, da ich, kaum in euerem Schoß
da voi accolto, un misero innocente
empfangen, einen armen Unschuldigen
dovrò svenar…
werde töten müssen…
Oh voto insano, atroce!
O törichtes, grässliches Gelübde!
Giuramento crudel! Ah qual de’ numi
Grausamer Schwur! Ach, welcher der Götter
mi serba ancor in vita,
erhält mich noch am Leben,
215
o qual di voi mi porge almen aita?
oder welcher von euch bietet mir wenigstens Hilfe dar?
No 6 Aria
Nr. 6 Arie
Idomeneo
Idomeneo
    Vedrommi intorno
Mich wird er umschweben
l’ombra dolente
der traurige Schatten,
che notte e giorno:
der mir nachts und tags:
"sono innocente"
"Ich bin unschuldig"
220
m’accennerà.
andeuten wird.
    Nel sen trafitto,
In der durchbohrten Brust,
nel corpo esangue
im verbluteten Körper
il mio delitto,
wird er mir mein Verbrechen,
lo sparso sangue
das vergossene Blut
225
m’additerà.
mit dem Finger zeigen.
    Qual spavento!
Welch ein Schrecken!
Qual dolore!
Was für Schmerzen!
Di tormento
Vor Qualen
questo core
dieses Herz,
230
quante volte
wie oft
morirà!
wird es sterben!
(Vede un uomo che s’avvicina.)
[erblickt einen Mann, der sich nähert.]
Recitativo
Rezitativ
Idomeneo
Idomeneo
Cieli! Che veggo? Ecco, la sventurata
Himmel! Was sehe ich? Da, das unglückliche
vittima, ahimè! s’appressa…
Opfer – weh mir! – es naht…
Oh qual dolore
Ach, welchen Schmerz
mostra quel ciglio! Mi si gela il sangue…
zeigt dieses Antlitz! Mein Blut erstarrt…
235
Fremo d’orror… E vi fia grata, o numi,
ich bebe vor Entsetzen… Und es wäre euch willkommen, o Götter,
legittima vi sembra
erscheint euch gerecht
ostia umana innocente?…
ein unschuldiges, menschliches Opfer?…
E queste mani
Und diese Hände
le ministre saran?… Mani esecrande!
werden die Vollstrecker sein?… Verwünschte Hände!
Barbari, ingiusti numi! Are nefande!
Grausame, ungerechte Götter! Abscheuliche Altäre!
SCENA X
Szene X
Idamante, Idomeneo in disparte.
Idomeneo, Idamantes abseits.
Idamante
Idamantes
240
Spiagge romite e voi scoscese rupi,
Einsame Ufer und ihr, steile Felsen,
testimoni al mio duol siate e cortesi
seid Zeugen meines Schmerzes und gewähret
di questo vostro albergo
euren Unterschlupf
a un agitato cor… Quanto spiegate
einem erregten Herz… wie spiegelt ihr, einsames Grauen,
di mia sorte il rigor, solinghi orrori!…
die Härte meines Schicksals wider!…
245
Vedo fra quegli avanzi
Ich sehe zwischen den Resten
di fracassate navi su quel lido
zertrümmerter Schiffe an diesem Strande
sconosciuto guerrier… Voglio ascoltarlo,
einen unbekannten Krieger… Ich will ihn anhören,
vuo’ confortarlo e voglio
will ihn trösten und will
in letizia cangiar quel suo cordoglio.
in Freude seinen Schmerz verwandeln.
(S’appressa e parla a Idomeneo.)
[nähert sich Idomeneo und spricht zu ihm.]
250
Sgombra, o guerrier, qual tu ti sia, il timore:
Fürchte dich nicht, o Krieger, wer du auch seist.
eccoti pronto a tuo soccorso quello
Sieh hier zu deiner Hilfe einen bereit,
che in questo clima offrir tel può.
der sie dir in dieser Gegend anbieten kann.
Idomeneo
Idomeneo
(Più il guardo,
(Je mehr ich ihn ansehe,
più mi strugge il dolor.)
um so mehr verzehrt mich der Schmerz.)
(A Idamante.)
[zu Idamantes.]
De’ giorni miei
Den Rest meiner Tage
il resto a te dovrò. Tu quale avrai
schulde ich dir. Welchen Lohn
255
premio da me?
wirst du von mir empfangen?
Idamante
Idamantes
Premio al mio cor sarà
Lohn für mein Herz wird es sein,
l’esser pago d’averti
dich gerettet,
sollevato, difeso; ahi, troppo, amico,
beschützt zu haben: Ach, allzu sehr, Freund,
dalle miserie mie instrutto io fui
hat mich mein Unglück gelehrt,
a intenerirmi alle miserie altrui!
mit dem Unglück anderer Mitleid zu haben.
Idomeneo
Idomeneo
260
(Qual voce, qual pietà il mio sen trafigge!)
(Was für eine Stimme, welch Mitleid durchbohrt meine Brust!)
(A Idamante.)
[zu Idamantes.]
Misero tu? Che dici?… Ti son conte
Unglücklich du? Was sagst du?… Kennst du
le tue sventure appien?
dein Unglück in seiner ganzen Tragweite?
Idamante
Idamantes
Dell’amor mio,
Der teuerste Gegenstand meiner Liebe
cielo! il più caro oggetto
– o Himmel! –
di Cocito
l’onde varcò. Quel re sì chiaro in armi,
überquerte die Welle des Kokytos. Der in Kriegsdingen so berühmte König,
265
de’ nemici il flagel, della sua corte
die Geißel seiner Feinde, der Abgott
quell’idolo adorato,
seines Hofes,
il terror e l’amor dell’universo,
der Schrecken und die Liebe der ganzen Welt,
da iniqui dèi perseguitato, oppresso
von ungerechten Göttern verfolgt, unterdrückt
– or vedi tu se giusto è il mio dolore –
– und siehe nun, ob mein Schmerz gerecht ist –
270
dalla furia dell’onde…
von der Wut der Wellen…
Idomeneo
Idomeneo
(Piange e sospira.)
[weint und seufzt.]
Oh fiero caso!
Ah, grausamer Zufall!
Idamante
Idamantes
In quegli abissi spinto
In diese Abgründe gestoßen,
giace l’eroe Idomeneo estinto.
ruht der tote Held Idomeneo.
Ma tu sospiri e piangi?
Aber du seufzt und weinst?
T’è noto Idomeneo?
Ist dir Idomeneo bekannt?
Idomeneo
Idomeneo
Uom più di questo
Es gibt keinen
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deplorabil non v’è, non v’è chi plachi
bedauernswerteren Menschen als ihn, niemand vermag
il fato suo austero.
sein schweres Schicksal zu lindern.
Idamante
Idamantes
Che favelli?
Was redest du?
Vive egli ancor?
Lebt er noch?
(Oh dèi! Torno a sperar.)
(O Götter! Ich hoffe wieder.)
(A Idomeneo.)
Ah dimmi, amico, dimmi:
Ah, sage mir, Freund, sage mir:
dov’è? Dove quel dolce aspetto
Wo ist er? Wo wird sein süßer Anblick
280
vita mi renderà?
das Leben mir wiedergeben?
Idomeneo
Idomeneo
Ma d’onde nasce
Aber woher kommt
questa che per lui nutri
diese Zartheit der Liebe,
tenerezza d’amor?
die du für ihn hegst?
Idamante
Idamantes
Potessi almeno
Könnte ich wenigstens
a lui stesso gl’affetti miei spiegare!
ihm selbst meine Gefühle zeigen!
Quelle famose imprese, onde la Grecia
Die berühmten Taten, dank derer Griechenland sich
285
a quell’augusto nome
vor jenem erlauchten Namen
reverente s’inchina,
mit Ehrfurcht beugt,
sproni furo al mio cor.
waren Ansporn für mein Herz.
Là ne’ campi troiani,
Ah, warum konnte ich nicht, trotz Todesgefahr, dort auf den trojanischen Feldern,
allor ch’egli cogliea lauri e trofei,
als er Lorbeeren und Trophäen sammelte,
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ah ch’io non potei di morte a scherno,
se testimonio fui del suo valore,
da ich schon Zeuge seiner Tapferkeit gewesen bin,
essere a parte ancor del grand’onore?
auch seines großen Ruhmes teilhaftig werden?
Idomeneo
Idomeneo
Nobile ardir! Oh vita
Edler Mut. O Leben,
degna che il ciel coroni
das würdig ist, dass es der Himmel
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di gloria e splendor!
mit Ruhm und Glanz krönt!
(Pur quel sembiante
Doch dieses Antlitz
non m’è tutto stranier: un non so che
ist mir nicht ganz fremd; irgend etwas
ravviso in quel…)
erkenne ich an diesem…
Idamante
Idamantes
(Pensoso il mesto sguardo
(Nachdenklich heftet er den traurigen Blick
in me egli fissa… E pur a quella voce,
auf mich… und doch durch diese Stimme,
a quel ciglio, a quel gesto uom mi rassembra
dieses Antlitz und diese Bewegung erinnert mich der Mann
300
o in corte o in campo a me noto ed amico.)
an einen, der mir entweder am Hofe oder im Felde bekannt und befreundet war.)
Idomeneo
Idomeneo
Tu mediti.
Du überlegst?
Idamante
Idamantes
Tu mi contempli e taci.
Du betrachtest mich und schweigst.
Idomeneo
Idomeneo
Perché quel tuo parlar sì mi conturba?
Warum verwirrt mich dein Reden so?
Idamante
Idamantes
E qual mi sento anch’io
Und was für eine Verwirrung fühle auch ich
turbamento nell’alma?… Ah più non posso
in meiner Seele?… Ach, ich kann
305
il pianto ritener…
die Tränen nicht mehr zurückhalten…
(Piange.)
[weint.]
Idomeneo
Idomeneo
Ma di’: qual fonte
Aber sage: Welcher Quelle
sgorga quel pianto? E quel sì acerbo duol
entspringen solche Tränen? Und dieser so bittere Schmerz,
che per Idomeneo tanto t’affligge…
der dich um Idomeneo so trauern lässt…
Idamante
Idamantes
(Con enfasi.)
[mit Nachdruck.]
Ah ch’egli è il padre…
Ah, er ist doch der Vater…
Idomeneo
Idomeneo
(Interrompendolo impaziente.)
[unterbricht ihn ungeduldig.]
(Oh dio!)
(O Gott!)
Parla: di chi è egli il padre?
Sprich: Wessen Vater ist er?
Idamante
Idamantes
(Con voce fiacca.)
[mit schwacher Stimme.]
È il padre mio.
Er ist mein Vater!
Idomeneo
Idomeneo
310
(Spietatissimi dèi!…)
Erbarmungslose Götter!…
Idamante
Idamantes
Meco compiangi
Mit mir beweinst du
del padre mio il destin?…
das Schicksal meines Vaters?…
Idomeneo
Idomeneo
(Dolente.)
[schmerzlich.]
Ah figlio!…
Ah, Sohn!…
Idamante
Idamantes
(Tutto giulivo.)
[sehr heiter.]
Ah padre! Ah numi!
Ah, Vater! Ah, Götter!
Dove son io?… Oh qual trasporto!… Soffri,
Wo bin ich? Oh, welche Wonne!… Dulde es,
genitor adorato, che al tuo seno…
geliebter Vater, dass an deiner Brust…
(Vuole abbracciarlo.)
[will ihn umarmen.]
315
e che un amplesso…
und eine Umarmung…
(Il padre si ritira turbato.)
[Der Vater wendet sich verstört ab.]
Ahimè! Perché ti sdegni?…
Weh mir! Warum zürnst du?…
Disperato mi fuggi?… Ah dove, ah dove?
Fliehst mich verzweifelt?… Ach wohin, ach wohin?
Idomeneo
Idomeneo
Non mi seguir, tel vieto:
Folge mir nicht, ich verbiete es dir:
meglio per te saria il non avermi
Für dich wäre es besser, du hättest mich
veduto or qui.
jetzt hier nicht erblickt.
Paventa il rivedermi.
Fürchte es, mich wiederzusehen.
(Parte in fretta.)
[geht eilends ab.]
Idamante
Idamantes
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Ah qual gelido orror m’ingombra i sensi!…
Ah, welch eisiger Schrecken trübt meine Sinne!…
Lo vedo appena, il riconosco, e a’ miei
Kaum erblicke ich ihn, erkenne ihn,
teneri accenti in un balen s’invola.
da entflieht er im Nu meinen zärtlichen Worten.
Misero! In che l’offesi, e come mai
Ich Armer! Womit habe ich ihn beleidigt und wieso
quel sdegno io meritai, quelle minacce?…
verdiente ich diesen Zorn, diese Drohungen?…
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Vuo’ seguirlo e veder, oh sorte dura!
Ich will ihm folgen und sehen – o hartes Schicksal! –
qual mi sovrasti ancor più rea sventura.
was für ein noch größeres Unheil mir bevorsteht.
No 7 Aria
Nr. 7 Arie
Idamante
Idamantes
    Il padre adorato
Den geliebten Vater
ritrovo, e lo perdo:
finde ich wieder und verliere ihn.
mi fugge sdegnato
Er flieht mich erzürnt,
330
fremendo d’orror.
schaudernd vor Entsetzen.
    Morire credei
Ich meinte zu sterben
di gioia e d’amore:
vor Freude und Liebe:
or, barbari dèi!
Jetzt – grausame Götter! –
m’uccide il dolor.
tötet mich der Schmerz.
(Parte addolorato.)
[geht schmerzerfüllt ab.]
Fine dell’atto primo.
[Ende des ersten Aktes.]