Szene X
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Idomeneo, Idamantes abseits.
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Idamantes
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Einsame Ufer und ihr, steile Felsen,
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seid Zeugen meines Schmerzes und gewähret
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euren Unterschlupf
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einem erregten Herz… wie spiegelt ihr, einsames Grauen,
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die Härte meines Schicksals wider!…
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Ich sehe zwischen den Resten
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zertrümmerter Schiffe an diesem Strande
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einen unbekannten Krieger… Ich will ihn anhören,
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will ihn trösten und will
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in Freude seinen Schmerz verwandeln.
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[nähert sich Idomeneo und spricht zu ihm.]
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Fürchte dich nicht, o Krieger, wer du auch seist.
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Sieh hier zu deiner Hilfe einen bereit,
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der sie dir in dieser Gegend anbieten kann.
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Idomeneo
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(Je mehr ich ihn ansehe,
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um so mehr verzehrt mich der Schmerz.)
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[zu Idamantes.]
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Den Rest meiner Tage
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schulde ich dir. Welchen Lohn
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wirst du von mir empfangen?
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Idamantes
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Lohn für mein Herz wird es sein,
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dich gerettet,
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beschützt zu haben: Ach, allzu sehr, Freund,
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hat mich mein Unglück gelehrt,
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mit dem Unglück anderer Mitleid zu haben.
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Idomeneo
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(Was für eine Stimme, welch Mitleid durchbohrt meine Brust!)
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[zu Idamantes.]
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Unglücklich du? Was sagst du?… Kennst du
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dein Unglück in seiner ganzen Tragweite?
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Idamantes
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Der teuerste Gegenstand meiner Liebe
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– o Himmel! –
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überquerte die Welle des Kokytos. Der in Kriegsdingen so berühmte König,
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die Geißel seiner Feinde, der Abgott
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seines Hofes,
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der Schrecken und die Liebe der ganzen Welt,
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von ungerechten Göttern verfolgt, unterdrückt
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– und siehe nun, ob mein Schmerz gerecht ist –
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von der Wut der Wellen…
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Idomeneo
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[weint und seufzt.]
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Ah, grausamer Zufall!
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Idamantes
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In diese Abgründe gestoßen,
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ruht der tote Held Idomeneo.
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Aber du seufzt und weinst?
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Ist dir Idomeneo bekannt?
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Idomeneo
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Es gibt keinen
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bedauernswerteren Menschen als ihn, niemand vermag
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sein schweres Schicksal zu lindern.
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Idamantes
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Was redest du?
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Lebt er noch?
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(O Götter! Ich hoffe wieder.)
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Ah, sage mir, Freund, sage mir:
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Wo ist er? Wo wird sein süßer Anblick
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das Leben mir wiedergeben?
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Idomeneo
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Aber woher kommt
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diese Zartheit der Liebe,
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die du für ihn hegst?
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Idamantes
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Könnte ich wenigstens
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ihm selbst meine Gefühle zeigen!
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Die berühmten Taten, dank derer Griechenland sich
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vor jenem erlauchten Namen
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mit Ehrfurcht beugt,
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waren Ansporn für mein Herz.
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Ah, warum konnte ich nicht, trotz Todesgefahr, dort auf den trojanischen Feldern,
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als er Lorbeeren und Trophäen sammelte,
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da ich schon Zeuge seiner Tapferkeit gewesen bin,
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auch seines großen Ruhmes teilhaftig werden?
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Idomeneo
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Edler Mut. O Leben,
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das würdig ist, dass es der Himmel
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mit Ruhm und Glanz krönt!
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Doch dieses Antlitz
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ist mir nicht ganz fremd; irgend etwas
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erkenne ich an diesem…
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Idamantes
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(Nachdenklich heftet er den traurigen Blick
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auf mich… und doch durch diese Stimme,
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dieses Antlitz und diese Bewegung erinnert mich der Mann
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an einen, der mir entweder am Hofe oder im Felde bekannt und befreundet war.)
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Idomeneo
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Du überlegst?
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Idamantes
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Du betrachtest mich und schweigst.
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Idomeneo
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Warum verwirrt mich dein Reden so?
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Idamantes
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Und was für eine Verwirrung fühle auch ich
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in meiner Seele?… Ach, ich kann
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die Tränen nicht mehr zurückhalten…
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[weint.]
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Idomeneo
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Aber sage: Welcher Quelle
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entspringen solche Tränen? Und dieser so bittere Schmerz,
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der dich um Idomeneo so trauern lässt…
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Idamantes
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[mit Nachdruck.]
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Ah, er ist doch der Vater…
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Idomeneo
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[unterbricht ihn ungeduldig.]
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(O Gott!)
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Sprich: Wessen Vater ist er?
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Idamantes
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[mit schwacher Stimme.]
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Er ist mein Vater!
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Idomeneo
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Erbarmungslose Götter!…
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Idamantes
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Mit mir beweinst du
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das Schicksal meines Vaters?…
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Idomeneo
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[schmerzlich.]
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Ah, Sohn!…
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Idamantes
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[sehr heiter.]
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Ah, Vater! Ah, Götter!
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Wo bin ich? Oh, welche Wonne!… Dulde es,
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geliebter Vater, dass an deiner Brust…
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[will ihn umarmen.]
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und eine Umarmung…
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[Der Vater wendet sich verstört ab.]
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Weh mir! Warum zürnst du?…
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Fliehst mich verzweifelt?… Ach wohin, ach wohin?
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Idomeneo
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Folge mir nicht, ich verbiete es dir:
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Für dich wäre es besser, du hättest mich
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jetzt hier nicht erblickt.
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Fürchte es, mich wiederzusehen.
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[geht eilends ab.]
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Idamantes
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Ah, welch eisiger Schrecken trübt meine Sinne!…
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Kaum erblicke ich ihn, erkenne ihn,
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da entflieht er im Nu meinen zärtlichen Worten.
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Ich Armer! Womit habe ich ihn beleidigt und wieso
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verdiente ich diesen Zorn, diese Drohungen?…
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Ich will ihm folgen und sehen – o hartes Schicksal! –
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was für ein noch größeres Unheil mir bevorsteht.
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Nr. 7 Arie
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Idamantes
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Den geliebten Vater
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finde ich wieder und verliere ihn.
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Er flieht mich erzürnt,
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schaudernd vor Entsetzen.
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Ich meinte zu sterben
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vor Freude und Liebe:
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Jetzt – grausame Götter! –
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tötet mich der Schmerz.
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[geht schmerzerfüllt ab.]
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[Ende des ersten Aktes.]
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