Szene II
 
 
Idomeneo, Ilia.
 
 
Rezitativ
 
 
Ilia
 
 
Wenn je am Horizont
 
 
von Argos prunkvoll der Gott von Delos erschien,
 
 
so an diesem Tage, o Herr, an welchem
 
 
deine erlauchte Gegenwart deine geliebten
 
 
Untertanen ins Leben zurückruft und ihre Augen,
 
 
die dich als Toten beweinten, nun wieder erhellt.
 
 
Idomeneo
 
 
Edle Prinzessin, die schöne Heiterkeit
 
 
möge nun auch in deine Augen zurückkehren,
 
 
möge der lange Schmerz aufhören.
 
 
Ilia
 
 
Ich weinte, es ist wahr,
 
 
und vergeblich benetzte ich deine Altäre,
 
 
o meergrüne Göttin.
 
 
Hekuba, Mutter, ach, du weißt es!
 
 
Ich weinte, als ich meinen alten
 
 
Vater Priamos unter der schweren Last
 
 
der Waffen sah, bei seinem Abschied, bei der traurigen
 
 
Nachricht von seinem Tode, und ich weinte dann
 
 
beim Anblick der Waffen und des Feuers im Tempel,
 
 
des zerstörten Vaterlandes, und als ich mich,
 
 
in so zartem Alter geraubt,
 
 
unter Feinden und Stürmen als Gefangene
 
 
unter fremdem Himmel sah…
 
 
Idomeneo
 
 
Viel hast du gelitten!…
 
 
doch jede traurige Erinnerung sei nun verbannt.
 
 
Ilia
 
 
Da dein liebenswerter Sohn
 
 
mir die Freiheit schenkte, mich mit Gunst und Ehren
 
 
überhäufte, fühle ich alle Freuden der Deinen
 
 
in mir vereint. Sieh mich hier, nimm
 
 
als meine Huldigung und als Tribut
 
 
mein nicht mehr unglückliches,
 
 
sondern glückliches Herz,
 
 
das dem Sohn und dem Vater dankbar und ergeben ist.
 
 
Herr, auch wenn das Geschenk bescheiden ist, ist ehrlich der Wunsch.
 
 
Idomeneo
 
 
Als mein Sohn Idamantes
 
 
dir die Freiheit schenkte, war er nur
 
 
der glückliche Vollbringer
 
 
des väterlichen Willens. Wenn er mir zuvorkam,
 
 
so bestätige ich alles, was er zu deinem Gunsten tat.
 
 
Über mich, über meine Schätze
 
 
verfüge, Ilia, und ich werde dafür sorgen,
 
 
dir deutliche Beweise
 
 
meiner Freundschaft zu geben.
 
 
Ilia
 
 
Ich bin sicher, und ein Zweifel würde mich schuldig machen.
 
 
Günstige Sterne! Welch gütiger Einfluss
 
 
änderte mein Schicksal? Wo ich
 
 
Qual und Tod zu begegnen fürchtete, werde ich heiter wieder geboren,
 
 
ich ernte, wo ich alles mir feindselig glaubte,
 
 
die süße Frucht meiner bitteren Leiden.
 
 
Nr. 11 Arie
 
 
Ilia
 
 
Da ich den Vater verlor,
 
 
die Heimat, die Ruhe,
 
 
[zu Idomeneo.]
 
 
bist du mir jetzt Vater,
 
 
geliebte Heimat
 
 
ist Kreta für mich.
 
 
Jetzt erinnere ich mich nicht mehr
 
 
an Sorgen und Kummer,
 
 
da Freude und Friede
 
 
als Entschädigung für mein Leiden
 
 
der Himmel mir gab.
 
 
[geht ab.]
 
 
Szene III
 
 
Idomeneo allein.
 
 
Rezitativ
 
 
Idomeneo
 
 
Wie verwirrt mir die Sinne
 
 
die zweideutige Rede?
 
 
Welch unerwartete Freude zeigt doch plötzlich trotz ihrer Lage
 
 
die phrygische Prinzessin?…
 
 
Die zarten Gefühle, die sie für den Prinzen hegt,
 
 
wären vielleicht… weh mir…
 
 
Liebesgefühle, Hoffnungsfreude?…
 
 
Ich irre mich nicht: wechselseitig ist die Liebe;
 
 
zu eilig, Idamantes, warst du bereit,
 
 
diese Fesseln zu lösen… Das also ist das Unrecht,
 
 
das der Himmel an dir straft… Ja, ja, für Neptun
 
 
werden der Sohn, der Vater und Ilia
 
 
drei Opfer auf demselben Altar sein,
 
 
vom gleichen Schmerz geplagt,
 
 
eines durch das Schwert und zwei vom Schmerze durchbohrt.
 
 
Nr. 12a/b Arie
 
 
Idomeneo
 
 
Aus dem Meer heraus, hab ich ein Meer im Busen,
 
 
Das unheilvoller ist als jenes.
 
 
Und Neptun hört auch
 
 
niemals auf, darin zu toben.
 
 
Grausamer Gott! Sag mir wenigstens:
 
 
Wenn mein Herz dem Schiffbruch so nahe ist,
 
 
welches grausame Schicksal verbietet
 
 
ihm jetzt den Untergang?
 
 
Rezitativ
 
 
Idomeneo
 
 
Eilig und fröhlich
 
 
naht Elektra. Man höre.
 
 
Szene IV
 
 
Idomeneo, Elektra.
 
 
Elektra
 
 
König, von Arbaces erfuhr ich,
 
 
wie sehr sich deine Huld
 
 
meiner annimmt; schon bis ins Unendliche
 
 
reicht deine Güte, meine Verpflichtung.
 
 
Jetzt erweckt deine Gnade in mir die Hoffnung,
 
 
den törichten Stolz der Rebellen
 
 
bald gebrochen zu sehen.
 
 
Und wie werde ich so viel Liebe
 
 
vergelten können?
 
 
Idomeneo
 
 
Idamantes hat den Auftrag,
 
 
dich zu beschützen, ich gehe zu ihm,
 
 
werde bestimmen, dass er sogleich meiner Absicht,
 
 
seiner Pflicht nachkomme und deinen Wunsch erfülle.
 
 
[geht ab.]
 
 
Elektra
 
 
Wer fühlte je süßere Wonne als die meine!
 
 
Szene V
 
 
Elektra allein.
 
 
Ich scheide, und das einzige Wesen,
 
 
das ich liebe und verehre – o Götter! –
 
 
geht mit mir? Ach, allzu
 
 
eng ist mein Herz für so viel Freude.
 
 
Fern von der Rivalin
 
 
werde ich es mit Liebkosen und Schmeicheleien erreichen,
 
 
dass das Feuer, das ich früher
 
 
nicht löschen konnte,
 
 
für jene Augen erlösche und sich für die meinen entzünde.
 
 
Nr. 13 Arie
 
 
Elektra
 
 
Mein Geliebter, wenn
 
 
eine andere Geliebte Dich mir Widerspenstigen zurückgibt,
 
 
so beleidigt mich
 
 
strenge
 
 
Liebe doch nicht, eher noch reizt sie mich.
 
 
Die nahe Glut wird
 
 
die ferne Glut dir aus der Brust treiben:
 
 
Die Hand
 
 
kann mehr Liebe reichen,
 
 
wenn das liebende Herz nah ist.
 
 
[Man hört von weitem einen wohlklingenden Marsch.]
 
 
Nr. 14 Marsch
 
 
Elektra
 
 
Ich höre von weitem einen wohlklingenden Ton,
 
 
der auf das Schiff mich ruft… Auf, gehen wir.
 
 
[geht rasch ab.]
 
 
[Man hört den Marsch, während die Szene wechselt, immer näher kommen.]
 
 
Der Hafen von Kydonia mit Befestigungen längs des Ufers.
 
 
Szene VI
 
 
Elektra, Krieger aus Argos und Kreta, Schiffsleute.
 
 
Rezitativ
 
 
Elektra
 
 
Kydonias Ufer! O Ihr,
 
 
für mich harte Stätte der Tränen, des Schmerzes und der feindlichen Liebe,
 
 
jetzt, da ein gnädigerer Stern
 
 
von euch mich entführt, verzeihe ich euch und verlasse euch in Frieden
 
 
bei meiner fröhlichen Abreise
 
 
und sage das letzte Lebewohl.
 
 
Nr. 15 Chor
 
 
Chor
 
 
Still ist das Meer, gehen wir;
 
 
alles beruhigt uns.
 
 
Glücklich wird unser Los sein,
 
 
auf, auf, lasst uns jetzt scheiden.
 
 
Elektra
 
 
Liebliche Zephire,
 
 
weht alleine,
 
 
besänftigt den Zorn
 
 
des kalten Nordwindes,
 
 
gebt
 
 
eine angenehme Luft frei,
 
 
wenn sich durch euch
 
 
die Liebe über alles breitet.
 
 
Szene VII
 
 
Idomeneo, Idamantes, Elektra. Gefolge des Königs.
 
 
Rezitativ
 
 
Idomeneo
 
 
Geh weg, Prinz.
 
 
Idamantes
 
 
O Himmel!
 
 
Idomeneo
 
 
Zu lange verweilst du.
 
 
Reise ab, und ein unfehlbarer Ruf
 
 
tausender Heldentaten komme deiner Rückkehr
 
 
zuvor. Wenn du die Kunst zu regieren
 
 
erlernen willst, so beginne jetzt,
 
 
den Elenden eine Stütze zu sein,
 
 
immer würdiger des Vaters und deiner selbst.
 
 
Nr. 16 Terzett
 
 
Idamantes
 
 
Ehe ich scheide – o Gott! –,
 
 
dulde, dass ich einen Kuss
 
 
auf die väterliche Hand drücke.
 
 
Elektra
 
 
Dulde, dass das Herz
 
 
durch diese Lippen ein dankbares Lebewohl sagt:
 
 
Lebe wohl, würdiger Herrscher!
 
 
Idomeneo
 
 
[zu Elektra.]
 
 
Geh jetzt, du wirst glücklich sein.
 
 
 
 
Sohn, dies ist dein Schicksal.
 
 
Sei den Wünschen gewogen, o Himmel!
 
 
Elektra, Idamantes, Idomeneo
 
 
Sei den Wünschen gewogen, o Himmel!
 
 
Elektra
 
 
Wie viel darf ich hoffen!
 
 
Idamantes
 
 
Ich gehe,
 
 
 
 
(und mein Herz bleibt hier.)
 
 
Idomeneo
 
 
Leb wohl.
 
 
Idamantes
 
 
Leb wohl.
 
 
Elektra
 
 
Leb wohl.
 
 
Elektra, Idamantes, Idomeneo
 
 
Leb wohl.
 
 
Idamantes, Idomeneo
 
 
[jeder für sich.]
 
 
 
 
(Grausames Schicksal!)
 
 
 
 
Idamantes
 
 
 
 
(O llia!)
 
 
Idomeneo
 
 
 
 
(O Sohn!)
 
 
Idamantes
 
 
O Vater! O Abschied!
 
 
Elektra
 
 
O Götter! Was wird nun?
 
 
Elektra, Idamantes, Idomeneo
 
 
 
 
Ach, es ende das Durcheinander;
 
 
die Gnade des Himmels
 
 
wird ihre Hand reichen.
 
 
 
 
[gehen zu den Schiffen.]
 
 
[Während sie gehen, um sich einzuschiffen, erhebt sich plötzlich ein Sturm. Das Volk singt den folgenden Chor.]
 
 
Nr. 17 Chor
 
 
Chor
 
 
Welch neues Entsetzen,
 
 
welch rauhes Gebrüll!
 
 
Das Zürnen der Götter
 
 
hat das Meer aufgebracht.
 
 
Neptun, Erbarmen!
 
 
[Der Sturm nimmt zu, das Meer schwillt an, der Himmel donnert und blitzt, und die zahlreichen Blitze entzünden die Schiffe. Ein furchtbares Ungeheuer entsteigt den Wellen. Das Volk singt den folgenden Chor.]
 
 
Welchen Hass, welchen Zorn
 
 
zeigt uns Neptun!
 
 
Wenn der Himmel zürnt,
 
 
was ist unsere Schuld?
 
 
Der Schuldige, wer ist es?
 
 
Rezitativ
 
 
Idomeneo
 
 
Sieh in mir den Schuldigen, grausamer Gott!
 
 
Ich allein irrte, mich allein strafe,
 
 
und dein Zorn treffe mich. Mein Tod
 
 
möge dich endlich befriedigen; begehrst du aber ein anderes
 
 
Opfer an meiner statt, ein unschuldiges
 
 
kann ich dir nicht geben,
 
 
und wenn du es auch willst,
 
 
bist du ungerecht: Fordern darfst du es nicht.
 
 
[Das Unwetter dauert an. Die Kreter fliehen entsetzt, und im folgenden Chor drücken sie mit Gesang und Pantomime ihr Entsetzen aus; was alles eine entsprechende Handlung bildet und den Akt mit dem üblichen Divertimento abschließt.]
 
 
Nr. 18 Chor
 
 
Chor
 
 
Lasst uns laufen, entfliehen
 
 
dem grausamen Untier.
 
 
Lasst uns laufen, entfliehen,
 
 
ach, schon sind wir seine Beute!
 
 
Wer, tückisches Schicksal,
 
 
ist grausamer als du?
 
 
 
 
[Ende des zweiten Aktes.]