VIERTE SZENE
 
 
Tamiris in Schäferkleidung und Agenor.
 
 
Rezitativ
 
 
Tamiris
 
 
Agenor? Halt.
 
 
Höre …
 
 
Agenor
 
 
Verzeihe,
 
 
anmutige Hirtin: Ich muss Alexanders
 
 
Schritten folgen … (O Götter! Tamiris ist es.)
 
 
Prinzessin …
 
 
Tamiris
 
 
Ach, mein Liebster!
 
 
Agenor
 
 
Bist du es?
 
 
Tamiris
 
 
Ich bin's.
 
 
Agenor
 
 
Du hier? Du in diesen Kleidern?
 
 
Tamiris
 
 
Ihnen verdanke ich
 
 
das einzige Gut, das mir geblieben ist,
 
 
das heißt meine Freiheit, da Alexander
 
 
mir den Vater und das Reich genommen hat.
 
 
Agenor
 
 
Oh, wie habe ich
 
 
um dich geweint und dich gesucht! Aber wo hast du
 
 
dich bisher verborgen gehalten?
 
 
Tamiris
 
 
Die schöne Elisa
 
 
nahm mich als Flüchtling auf.
 
 
Agenor
 
 
Und welche Absicht …
 
 
Ach, mich erwartete Alexander.
 
 
Lebe wohl: Ich komme wieder.
 
 
Tamiris
 
 
Höre. Du musst mir einen Weg zur Flucht
 
 
verschaffen, mein Liebster:
 
 
Woanders kann ich dann wenigstens in Sicherheit weinen.
 
 
Agenor
 
 
Willst du, Prinzessin,
 
 
einem weiseren Rat folgen? Zu Alexander
 
 
komm mit mir.
 
 
Tamiris
 
 
Zum Mörder meines Vaters!
 
 
Agenor
 
 
Straton hat sich selbst getötet: Er kam damit der Gnade
 
 
des Siegers zuvor.
 
 
Tamiris
 
 
Ich selbst soll meine Hand
 
 
in Bande legen? Ich soll mich
 
 
den Beleidigungen der griechischen Weiber aussetzen?
 
 
Agenor
 
 
Du täuschst dich:
 
 
Du kennst Alexander nicht. Und ich kann
 
 
dich jetzt nicht aufklären.
 
 
(Er will weggehen.)
 
 
Lebewohl. Bald
 
 
komme ich zu dir.
 
 
Tamiris
 
 
Sieh: Elisas Haus
 
 
dort …
 
 
Agenor
 
 
(wie zuvor)
 
 
Es ist mir schon bekannt.
 
 
Tamiris
 
 
Höre.
 
 
Agenor
 
 
Was willst du?
 
 
Tamiris
 
 
Welchen Platz habe ich in deinem Herzen?
 
 
Agenor
 
 
Ach, siehst du es nicht?
 
 
Frag deine schönen Augen, Prinzessin.
 
 
Nr. 5 Arie
 
 
Agenor
 
     
 
    Gebt mir Antwort,
 
 
schöne Sterne der Liebe:
 
 
Wenn ihr es nicht wisst,
 
 
wer sollte es dann wissen?
 
     
 
    Ihr habt alle Wege
 
 
meines Herzens erkundet,
 
 
als ihr den Sieg
 
 
über meine Freiheit errungen habt.
 
 
(Er geht ab.)
 
 
FÜNFTE SZENE
 
 
Tamiris allein.
 
 
Rezitativ
 
 
Tamiris
 
 
Nein, ihr seid nicht, o Götter,
 
 
so unbarmherzig mit mir,
 
 
wie ich bisher glaubte. Gewiss, ihr habt
 
 
meinen Thron in eine Hütte verwandelt, in ein grobes Fell
 
 
das königliche Gewand; aber ich habe
 
 
meinen Liebsten weiterhin treu gefunden:
 
 
Barmherzige Götter, ihr habt mir viel gelassen.
 
 
Nr. 6 Arie
 
 
Tamiris
 
     
 
    All die vielen Stürme
 
 
hat diese Seele nun vergessen,
 
 
ihre Ruhe hat sie
 
 
in des Geliebten Blick wiedergefunden.
 
     
 
    Wenn es unter dem Zorn der Sterne
 
 
auch vor Schreck gebebt hat,
 
 
so bebt nun das Herz vor Freude
 
 
in der Brust.
 
 
(Sie geht ab.)
 
 


Garten.
 
 
SECHSTE SZENE
 
 
Elisa äußerst heiter und eilig, dann Amintas.
 
 
Rezitativ
 
 
Elisa
 
 
O froher Tag! Ach ich Glückliche! O mein lieber
 
 
Vater! Aber … wo ist er hingegangen?
 
 
Hier habe ich ihn doch vorher
 
 
zurückgelassen. Er wird drinnen sein. Amintas!
 
 
Amintas! … Oh, ich Törichte! Nun fällt mir ein: Es ist die Stunde,
 
 
die Herde zu tränken. An der Quelle
 
 
und nicht hier muss ich ihn suchen.
 
 
Amintas
 
 
Wohin eilst du, Elisa?
 
 
Elisa
 
 
Ach, du bist endlich zurück! Gehen wir.
 
 
Amintas
 
 
Und wohin?
 
 
Elisa
 
 
Zum Vater.
 
 
Amintas
 
 
Also stimmt er zu …
 
 
Elisa
 
 
Das Herz
 
 
hat mich nicht getäuscht. Du wirst mein Gatte sein, und zwar noch ehe
 
 
die Sonne sinkt. Der Vater ist ungeduldig
 
 
so wie wir. Stolz und glücklich
 
 
über einen so liebenswerten Sohn … Er wird es dir sagen. Du wirst es
 
 
an seinem Empfang merken … Komm.
 
 
Amintas
 
 
Ach, meine Liebe,
 
 
lass mich doch zu Atem kommen! Hab Mitleid mit einem Herzen,
 
 
das in seinem höchsten Glück …
 
 
Elisa
 
 
(will weggehen.)
 
 
Ach, zaudern wir nicht: Zu Atem können wir gemeinsam kommen.
 
 
SIEBENTE SZENE
 
 
Agenor, gefolgt von königlichen Wachen, die in Goldschalen die Insignien des Königs tragen; die Vorigen.
 
 
Rezitativ
 
 
Agenor
 
 
Vom treuesten Vasallen
 
 
empfange, erhabener König, diese erste Huldigung.
 
 
Elisa
 
 
(zu Amintas)
 
 
Was sagt er?
 
 
Amintas
 
 
(zu Agenor)
 
 
Zu wem sprichst du?
 
 
Agenor
 
 
Zu dir, mein Herr.
 
 
Amintas
 
 
(mit verächtlichem Gesichtsausdruck)
 
 
Lass mich in Ruhe und treibe
 
 
mit anderen deinen Spott. Ich bin frei geboren,
 
 
auch wenn ich kein König bin;
 
 
(mit wachsendem Groll)
 
 
und wenn ich auch keine Huldigungen verdiene,
 
 
so habe ich doch ein Herz, das keine Beleidigungen duldet.
 
 
Agenor
 
 
Der edle Zorn
 
 
zeigt, wer du bist, und entschuldigt mich. Höre mich an und lass
 
 
meine Worte dir offenbaren, wer du bist.
 
 
Elisa
 
 
(zu Agenor)
 
 
Wie! Ist er nicht Amintas?
 
 
Agenor
 
 
Nein.
 
 
Amintas
 
 
Und wer bin ich?
 
 
Agenor
 
 
Du bist Abdolonimus: der einzige Erbe
 
 
des Thrones von Sidon.
 
 
Amintas
 
 
Ich!
 
 
Agenor
 
 
Ja. Verjagt
 
 
vom perfiden Straton, übergab dich dein Vater als Kind
 
 
dem meinen. Dieser vertraute dich im Sterben
 
 
mir an,
 
 
dein Geheimnis und auch die Beweise.
 
 
Elisa
 
 
Und der alte Alceos …
 
 
Agenor
 
 
… zog dich unerkannt auf.
 
 
Amintas
 
 
Und du hast bisher ...
 
 
Agenor
 
 
Und ich habe schweigend
 
 
dem Gebot des Vaters gehorcht. Das Reden war mir verboten,
 
 
bis dir die Hilfe der Götter irgendeinen Weg zum Thron
 
 
eröffnen sollte. Ich suchte Hilfe
 
 
im großmütigen Herzen Alexanders, und ich fand sie.
 
 
Elisa
 
 
O Jubel! O Freude!
 
 
Mein Liebster ist mein König!
 
 
Amintas
 
 
(zu Agenor)
 
 
Alexander also …
 
 
Agenor
 
 
… erwartet dich und will mit eigner Hand
 
 
dein Haupt krönen. Das ist das königliche Gewand,
 
 
das er dir schickt. Jene, die du siehst,
 
 
sind deine Diener und Wachen. Ach, komm endlich;
 
 
ach, lange habe ich diesen Tag herbeigesehnt!
 
 
(Er geht ab.)
 
 
ACHTE SZENE
 
 
Elisa heiter, Amintas erstaunt.
 
 
Rezitativ
 
 
Amintas
 
 
Elisa!
 
 
Elisa
 
 
Amintas!
 
 
Amintas
 
 
Träume ich?
 
 
Elisa
 
 
Ach nein!
 
 
Amintas
 
 
Du glaubst
 
 
also …
 
 
Elisa
 
 
Ja. Für mich ist diese Wendung
 
 
nicht seltsam, wenn auch unvermutet.
 
 
Ein königliches Herz habe ich in deinem Antlitz stets gesehen.
 
 
Amintas
 
 
Mag sein. Doch jetzt lass uns
 
 
zu deinem Vater gehen.
 
 
(Er macht sich auf den Weg.)
 
 
Elisa
 
 
(Sie hält ihn auf.)
 
 
Nein, höhere Pflichten verlangen die Götter
 
 
nun von dir. Geh, herrsche, und dann …
 
 
Amintas
 
 
Wie? Du drängst mich, dich zu verlassen? Denkst du nicht,
 
 
dass der Vater, der Vater, o Götter!
 
 
dem du dein Glück verdankst,
 
 
und ich das meine, an dieser neuen
 
 
unvermuteten Freude gleich teilhaben soll?
 
 
Verzeihe, Elisa, ich kann dir nicht gehorchen;
 
 
das verbieten mir die Liebe zu dir, die große Freude,
 
 
der Respekt, die Pflicht.
 
 
Ach, ehe er es von anderen erfährt,
 
 
soll er aus meinem Munde die frohe Kunde hören,
 
 
dann werde ich zu Alexander gehen und den Thron besteigen;
 
 
darauf wird dein treuer Hirte
 
 
bald als König zu dir zurückkommen.
 
 
Dulde, dass ich gehe … Ach, wenn du nur wüsstest,
 
 
meine Liebste, wie ein einziger Augenblick fern von dir
 
 
mein liebendes Herz betrübt!
 
 
Elisa
 
 
Ach, wenn du nur sehen könntest,
 
 
wie es diesem Herzen geht! Vor Freude jubelt es.
 
 
Und doch … Nein, nein, so schweigt,
 
 
ihr lästigen Ängste. Nun soll man an nichts anderes denken,
 
 
als dass Amintas König ist. Ach geh:
 
 
Alexander könnte zürnen.
 
 
Amintas
 
 
Gütige Götter,
 
 
ich bin für eure Gabe dankbar;
 
 
doch allzu hoch ist dieser Preis für einen Thron.
 
 
Nr. 7 Duett
 
 
Elisa
 
     
 
    Gehe hin und herrsche, mein Geliebter;
 
 
bewahre aber in deinem Herzen, wenn du
 
 
kannst, Treue für die, die dich anbetet.
 
 
Amintas
 
     
 
    Wenn ich herrschen muss, meine Geliebte,
 
 
werde ich auch auf dem Thron
 
 
dein treuer Hirte sein.
 
 
Elisa
 
     
 
    Ach, dass du mein König bist!
 
 
Amintas
 
 
Ach, was für grausame Ängste!
 
 
Beide
 
     
 
    Ach, schützt, o Götter,
 
 
diese unschuldige Liebe.
 
 

Ende des ersten Aufzugs.