SECHSTE SZENE
 
 
Agenor und der Vorige.
 
 
Rezitativ
 
 
Agenor
 
 
Und noch entschlossen
 
 
finde ich dich, o mein König?
 
 
Amintas
 
 
Nein.
 
 
Agenor
 
 
Hast du dich entschieden?
 
 
Amintas
 
 
Ja.
 
 
Agenor
 
 
Wie?
 
 
Amintas
 
 
Ich bin bereit,
 
 
meine Pflichten zu erfüllen.
 
 
Agenor
 
 
Du lehnst es also nicht mehr ab,
 
 
Alexander aufzusuchen?
 
 
Amintas
 
 
Zu ihm
 
 
bin ich bereits auf dem Weg.
 
 
Agenor
 
 
Dass Elisa und der Thron
 
 
nicht zu vereinen sind, siehst du.
 
 
Amintas
 
 
Es ist wahr.
 
 
Den wohltätigen Plänen eines Helden
 
 
soll sich nicht widersetzen, wer einen Thron von ihm erhält.
 
 
Agenor
 
 
O glücklicher Amintas! O welche Gefährtin
 
 
bestimmen dir die Sterne! Liebe sie: Sie ist
 
 
der Liebe eines Königs wert.
 
 
Amintas
 
 
Ich verstehe, Freund,
 
 
mein ganzes Glück. Du brauchst mir nicht zu sagen,
 
 
dass ich meine Gattin lieben soll. Schon liebe ich sie so,
 
 
dass mir der Thron ohne sie missfällt.
 
 
Nr. 10 Rondo
 
 
Amintas
 
     
 
    Ich werde sie lieben, ich werde treu sein:
 
 
Als treuer Gatte und treuer Geliebter
 
 
werde ich um sie allein seufzen.
 
     
 
    In einem so lieben und holden Wesen
 
 
werde ich meine Freude, meine Wonne,
 
 
meinen Frieden finden.
 
 
(Er geht ab.)
 
 
SIEBENTE SZENE
 
 
Agenor allein.
 
 
Rezitativ
 
 
Agenor
 
 
Kommt endlich hervor, kommt hervor,
 
 
unterdrückte Seufzer.
 
 
O Gott, schöne Tamiris, o Gott …
 
 
ACHTE SZENE
 
 
Elisa und der Vorige.
 
 
Elisa
 
 
Höre doch,
 
 
Agenor, welchen Unsinn
 
 
man erfindet, um mich zu quälen. Es geht das Gerücht,
 
 
dass Amintas noch heute Tamiris
 
 
die Hand als Gatte reichen wird.
 
 
Agenor
 
 
Erwache aus der Illusion. Niemand versucht dich zu täuschen.
 
 
Elisa
 
 
Bist auch du
 
 
so leichtgläubig?
 
 
Agenor
 
 
Ich wüsste nicht,
 
 
weshalb ich daran zweifeln sollte.
 
 
Elisa
 
 
Und so verlässt mich
 
 
also Amintas? …
 
 
Woher hast du
 
 
diese so liebenswürdige Nachricht?
 
 
Agenor
 
 
Von ihm.
 
 
Elisa
 
 
Von ihm?
 
 
Agenor
 
 
Ja, von Amintas selbst.
 
 
Elisa
 
 
Wo?
 
 
Agenor
 
 
Hier.
 
 
Elisa
 
 
Wann?
 
 
Agenor
 
 
Soeben.
 
 
Elisa
 
 
Und er sagte?
 
 
Agenor
 
 
Und er sagte,
 
 
dass sich dem Willen Alexanders
 
 
nicht widersetzen soll, wer einen Thron von ihm erhält.
 
 
Elisa
 
 
Heilige Götter im Himmel! Wie! Tamiris
 
 
reicht er seine Hand?
 
 
Agenor
 
 
die Hand und das Herz.
 
 
Elisa
 
 
Dass mich Amintas
 
 
so verraten könnte?
 
 
Agenor
 
 
Ach, ändere, Elisa,
 
 
auch du deine Meinung:
 
 
Ergebe dich dem Schicksal.
 
 
Elisa
 
 
Nein, das soll nie geschehen.
 
 
Agenor
 
 
Doch, wenn er dir nicht mehr gehört, was kannst du mit diesen Klagen
 
 
noch bewirken?
 
 
Elisa
 
 
Was ich bewirken kann? Von Alexander,
 
 
von den Menschen und Göttern werde ich Mitleid, Gnade und
 
 
Gerechtigkeit verlangen. Ich will, dass Amintas
 
 
es vor aller Welt bekennt,
 
 
dass er mir sein Herz geschenkt hat; und ich will,
 
 
wenn der Grausame verlangt, dass er es einer anderen überlässt,
 
 
vor Kummer sterben und dass er es sieht.
 
 
(Sie geht ab.)
 
 
NEUNTE SZENE
 
 
Agenor, dann Tamiris.
 
 
Rezitativ
 
 
Agenor
 
 
Arme Nymphe! Ich habe Mitleid mit dir und verstehe
 
 
in meiner Qual die deine.
 
 
(Er will weggehen.)
 
 
Am besten fliehe
 
 
ich Tamiris, in meiner Schwachheit kann ich sonst keinen
 
 
anderen Ausweg hoffen.
 
 
Tamiris
 
 
Agenor, bleibe hier.
 
 
Agenor
 
 
(O Götter, steht mir bei!)
 
 
Tamiris
 
 
(ironisch)
 
 
Einen Thron verdankt
 
 
Tamiris also
 
 
ihrem so großmütigen Geliebten?
 
 
Agenor
 
 
Der Thron ist Dank schuldig.
 
 
Tamiris
 
 
(ironisch)
 
 
Warum hast du diese überaus wichtige Nachricht
 
 
mir nicht selbst gebracht?
 
 
Agenor
 
 
Es ist wahr, aber vielleicht
 
 
wäre der Begriff von meiner Pflicht
 
 
dir gegenüber … Schöne Königin, lebe wohl.
 
 
Tamiris
 
 
Hör mich an. Wohin läufst du?
 
 
Agenor
 
 
Mich zu erinnern,
 
 
dass du meine Herrin bist.
 
 
Tamiris
 
 
Bei meiner Hochzeit
 
 
will ich dich dabei haben.
 
 
Agenor
 
 
Ach nein, verzeih:
 
 
Das ist das letzte Lebewohl.
 
 
Tamiris
 
 
Gehorsam verlange ich
 
 
von einem treuen Untertanen.
 
 
Agenor
 
 
(O Gott!)
 
 
Tamiris
 
 
Hast du mich gehört?
 
 
Agenor
 
 
Ich werde gehorchen, Grausame.
 
 
Nr. 11 Arie
 
 
Tamiris
 
     
 
    Wenn du mich verschenkst,
 
 
wenn du es willst, dass ich einem anderen gehöre,
 
 
wieso liegt die Schuld dann bei mir?
 
 
Weshalb bin ich grausam?
 
     
 
    Meine Sanftmut soll dein Beispiel sein.
 
 
Ich bin die Verlassene,
 
 
und ich beleidige dich nicht dreist,
 
 
indem ich behaupte, dass du untreu bist.
 
 
(Sie geht ab.)
 
 
ZEHNTE SZENE
 
 
Agenor allein.
 
 
Rezitativ
 
 
Agenor
 
 
Elendes Herz! Du hast geglaubt,
 
 
alle Qualen der Liebe
 
 
schon durchlitten zu haben. Ach, es ist nicht wahr:
 
 
Die schlimmste,
 
 
armes Herz, musst du noch erdulden.
 
 
Nr. 12 Arie
 
 
Agenor
 
     
 
    Wie sich in dieser Lage
 
 
ein Liebender fühlt,
 
 
das kann nur ein unglücklich Liebender sagen,
 
 
der das so wie ich erlebt hat.
 
     
 
    Ich fühle eine Qual
 
 
grausamer als jeder andere Schmerz,
 
 
Es ist eine Qual voll Verzweiflung,
 
 
die nicht zu ertragen ist.
 
 
(Er geht ab.)
 
 


Tempel des tyrischen Herkules.
 
 
ELFTE SZENE
 
 
Unter der lauten Musik einer Militärkapelle tritt Alexander mit Gefolge heraus. Dann Tamiris, schließlich Agenor.
 
 
Nr. 13 Arie
 
 
Alexander
 
     
 
    Ihr, die ihr stets glückverheißend
 
 
neuen Lorbeer für mich sprießen lasst,
 
 
gütige Götter, steht
 
 
auch den Regungen meines Herzens bei.
 
 
Rezitativ
 
 
Alexander
 
 
Nun, weshalb säumt man noch? Die Sonne sinkt:
 
 
Warum ist der König nicht zu sehen?
 
 
Wo ist Tamiris?
 
 
Tamiris
 
 
Sie liegt Alexander zu Füßen.
 
 
Alexander
 
 
Bist du die Prinzessin?
 
 
Tamiris
 
 
Ich bin's.
 
 
Agenor
 
 
Herr, zweifle nicht daran: Sie ist es.
 
 
Tamiris
 
 
Höre. Agenor, mein Geliebter,
 
 
stellt meinen Rang über seine Liebe.
 
 
Ob ich nun meinen Rang höher schätzen soll
 
 
als diese treue Seele,
 
 
mag Alexander prüfen und entscheiden.
 
 
Alexander
 
 
Götter! Welche Tugend! Welche Treue!
 
 
ZWÖLFTE SZENE
 
 
Elisa und die Vorigen.
 
 
Elisa
 
 
Ach, Gerechtigkeit, Herr, Mitleid und Erbarmen!
 
 
Alexander
 
 
Wer bist du? Was begehrst du?
 
 
Elisa
 
 
Ich bin Elisa. Ich flehe
 
 
um die Hilfe Alexanders
 
 
zugunsten eines Herzens, das zu Unrecht unterdrückt wird.
 
 
Alexander
 
 
Gegen wen denn?
 
 
Elisa
 
 
Gegen Alexander selbst.
 
 
Alexander
 
 
Was hat Alexander dir getan?
 
 
Elisa
 
 
Er hat mir
 
 
allen Frieden, alles Glück genommen: Vor Kummer
 
 
will er mich noch sterben sehen.
 
 
Für Amintas lebe ich: Amintas raubt er mir.
 
 
Alexander
 
 
Amintas! Welches Recht
 
 
hast du auf ihn?
 
 
Elisa
 
 
Welches? Von Kindheit an
 
 
besaß ich sein Herz als Geschenk.
 
 
Alexander
 
 
Der dir sein Herz gab, holde Nymphe,
 
 
war der Hirte Amintas: Doch niemals
 
 
gab dir Abdolonimus, der König, sein Herz.
 
 
DREIZEHNTE SZENE
 
 
Amintas im Hirtengewand, gefolgt von einigen Personen, die in zwei Schalen die Königsgewänder bringen, und die Vorigen.
 
 
Amintas
 
 
Herr, ich bin Amintas und bin Hirte.
 
 
Alexander
 
 
Wie!
 
 
Amintas
 
 
(Die Schalen werden Alexander zu Füßen gelegt.)
 
 
Das Gewand des Königs
 
 
hier zu deinen Füßen: In meinem wollenen Gewand
 
 
kehre ich zu meiner Herde und zu meinem Frieden zurück.
 
 
Alexander
 
 
Und Tamiris ist nicht …
 
 
Amintas
 
 
Tamiris ist
 
 
dem Herzen eines Königs würdig, Elisa verdient es aber nicht,
 
 
dass ich ihr die Treue breche.
 
 
Herrschen möge der,
 
 
der sich darauf versteht:
 
 
Wenn mir Elisa bleibt, bin ich zufrieden.
 
 
Agenor
 
 
Was höre ich!
 
 
Alexander
 
 
Wo bin ich!
 
 
Elisa
 
 
Agenor, ich habe dir es gesagt: Amintas ist mein.
 
 
Alexander
 
 
So treue Liebende
 
 
trennt Alexander nicht. Hier, Amintas,
 
 
nimm die schöne Elisa. Hier, Tamiris, nimm deinen
 
 
treuen Agenor.
 
 
(zu Amintas und Elisa)
 
 
Über Sidon seid ihr
 
 
nun Herrscher,
 
 
(zu Agenor und Tamiris)
 
 
und ihr sollt nicht Untertanen
 
 
bleiben. Mein Glück setze ich daran,
 
 
euch einen Thron zu errichten,
 
 
und für soviel Tugend wird sich ein Reich finden.
 
 
Elisa, Amintas, Tamiris, Agenor
 
 
O Großer!
 
 
O Gerechter!
 
 
Alexander
 
 
Ach, Sidon soll
 
 
seinen König endlich gekrönt sehen.
 
 
Amintas
 
 
In diesen Hüllen aber …
 
 
Alexander
 
 
In diesen Hüllen führte dich der Himmel
 
 
nicht aus Zufall her. Damit will der Himmel
 
 
vielleicht deinem Reich
 
 
eine sehr glückliche Zukunft verheißen.
 
 
Schönes Los für ein Reich ist ein Hirte als König.
 
 
Nr. 14 Chor
 
 
Alle
 
     
 
    Hoch lebe der unbesiegte Herrscher,
 
 
hoch lebe des Himmels Gabe,
 
 
die unserem Herzen am wertvollsten ist.
 
 
Elisa, Amintas
 
     
 
    Unter guten Vorzeichen
 
 
sollen heute die Sterne
 
 
noch schöner am Himmel strahlen,
 
 
die Liebe soll noch fröhlicher lachen.
 
 
Alle
 
     
 
    Hoch lebe des Himmels Gabe,
 
 
die unserem Herzen am wertvollsten ist.
 
 
Elisa
 
     
 
    Wenn ich dich zu jeder Stunde verehre,
 
 
Geliebter, wird mein Herz
 
 
der Liebe Glück erkennen.
 
 
Amintas
 
     
 
    Liebt mich dein Herz,
 
 
Geliebte,
 
 
gibt es keine süßere Glut, als die, welche die Liebe gibt.
 
 
Alexander
 
     
 
    Das ist Freude für mich.
 
 
Agenor
 
 
Freude fühle ich in meinem Herzen.
 
 
Elisa, Amintas, Tamiris, Agenor
 
 
Nein, der Liebe kann kein Herz
 
 
widerstehen.
 
 
Elisa
 
     
 
    Strahlende Augen, mein Liebster.
 
 
Amintas
 
 
Süße Worte meiner Liebsten.
 
 
Beide
 
 
Wenn ich dich sehe,
 
 
so muss ich süß seufzen.
 
 
Alexander, Tamiris
 
     
 
    Frohe Seelen, liebe Seelen,
 
 
ja, genießt der Liebe Glück.
 
 
Alle
 
     
 
    Hoch lebe der unbesiegte Herrscher,
 
 
hoch lebe des Himmels Gabe,
 
 
die unserem Herzen am wertvollsten ist.
 
 

Ende des Dramas.