Kritische Edition des vertonten Textes KV 384 (Partiturtext KV 384)   Kritische Edition der Libretto-Vorlage (Vorlage)  
Achter Auftritt
Pedrillo und Blonde werden von einem andern Teil der Wache hereingeführt, und die Vorigen.
(Die Wache bringt Pedrillo und Blonden ebenfalls gefesselt.)
Pedrillo
(dem Bassa zu Füßen)
Großer Bassa! Vergib, wenn's möglich ist, dass wir's wagten, ohne Abschied davonzugehen. Die Liebe ist an der ganzen Affäre schuld. Das liebe Mädchen hier ist eine alte Bekanntschaft aus Spanien: Unsere Ehe war so gut als richtig; und wenn wir glücklich dazumal nach Cadix gekommen wären, wir wären längst Mann und Frau. Das Heimweh kam ihr und mir in Kopf; der alte Griesgram quälte sie Tag und Nacht –
Selim
Schweig, Verräter, und reize meinen Zorn nicht noch mehr! – Osmin! Man erdrossle sie zugleich!
Osmin
O mit tausend Freuden!
(Einige Türken mit seidenen Stricken nähern sich ihnen.)
Pedrillo
Ach liebes Mädchen! wer hätte das gedacht!
Blonde
Unglücklicher Tag! unglückliches Mädchen!
(einander im Arm)
Pedrillo
Ach Herr! wir sind hin! An Rettung ist nicht mehr zu denken. Man macht schon alle Zubereitungen, um uns aus der Welt zu schaffen. Es ist erschrecklich, was sie mit uns anfangen wollen! Ich, wie ich im Vorbeigehen gehört habe, soll in Öl gesotten und dann gespießt werden. Das ist ein sauber Traktament! Ach! Blondchen! Blondchen! was werden sie wohl mit dir anfangen?
Blonde
Das gilt mir nun ganz gleich. Da es einmal gestorben sein muss, ist mir alles recht.
Pedrillo
Welche Standhaftigkeit! Ich bin doch von gutem altchristlichen Geschlecht aus Spanien, aber so gleichgültig kann ich beim Tode nicht sein! – – Weiß der Teufel… Gott sei bei mir! Wie kann mir auch itzt der Teufel auf die Zunge kommen?
Belmonte
Ach, meine Konstanze!
Konstanze
O mein Belmonte!
Selim
Belmonte sagst du? – Ist das dein Name?
Belmonte
O dass er's nicht wäre!
Selim
Belmonte! Belmonte?
Belmonte
Der unglückliche Belmonte! Ein Ball des Unglücks von Jugend auf. – Ohne Vater, ohne Freund –
Selim
(für sich)
Gott! wär es möglich? (laut) Sag, sag, junger Mann, wie heißt deine Vaterstadt?
Belmonte
Toledo.
Selim
Und wer war dein Vater?
Belmonte
Don Carlos Belmonte, der mich als ein Kind von vier Jahren in das Kloster St. Sebastian überbrachte –
Selim
Ach Gott, er ist's! Mein Sohn, mein Sohn! Du bist mein Sohn; ich! bin dein Vater.
Belmonte
Mein Vater? mein Vater?
Selim
Dein unglücklicher Vater! Komm in meine Arme! Wie viele vergebliche Nachforschungen hab ich deinetwegen angestellt, wie viele Tränen um dich vergossen! – O dass mich ein unbesonnener Augenblick zu dem Schritte verleitete – Doch jetzt nichts hiervon; jetzt bin ich bloß der glückliche Vater.
Belmonte
O mein Vater, mein Vater! Wie soll ich's der Vorsehung danken – In dem schrecklichsten Augenblick meines Lebens, am Rande des Todes – und nun so glücklich! O Konstanze, Konstanze! lass uns seine Knie umfassen –
(Sie werfen sich nieder.)
Konstanze
Darf ich's wagen? Wollen Sie auch mein Vater sein?
Selim
Steh auf! steh auf, gutes Mädchen, er ist dein! Seid meine Kinder!
Konstanze, Belmonte
(ihm die Hände küssend)
O wie glücklich!
Konstanze
Ich kann mich kaum fassen! Ist's ein Traum, oder ist's Wahrheit? – – O das Herz wallt mir vor Freude, vor Entzücken!
    Ah, mit freudigem Entzücken
strömt mein feuriger Gesang;
und hinauf zu jenen Höhen
steigt des Herzens Wonnedank.
Schon umgab mich Todesschrecken;
ach! ich fühlte mich nicht mehr,
und in höhern Regionen
flatterte mein Geist umher.
V. A.Von Anfang
Letzter Auftritt
Die Vorigen, Bassa Selim, Osmin (voll Freuden) und Gefolge.
Selim
Nun, Sklave! elender Sklave! zitterst du? Erwartest du dein Urteil?
Belmonte
Ja, Bassa, mit so vieler Kaltblütigkeit als Hitze du es aussprechen kannst. Kühle deine Rache an mir, tilge das Unrecht, so mein Vater dir angetan; – – ich erwarte alles und tadle dich nicht.
Selim
Es muss also wohl deinem Geschlechte ganz eigen sein, Ungerechtigkeiten zu begehen, weil du das für so ausgemacht annimmst? Du betrügst dich. Ich habe deinen Vater viel zu sehr verabscheut, als dass ich je in seine Fußtapfen treten könnte. Nimm deine Freiheit, nimm Konstanzen, segle in dein Vaterland, sage deinem Vater, dass du in meiner Gewalt warst, dass ich dich freigelassen, um ihm sagen zu können, es wäre ein weit größer Vergnügen, eine erlittene Ungerechtigkeit durch Wohltaten zu vergelten, als Laster mit Lastern tilgen.
Belmonte
Herr!… du setzest mich in Erstaunen…
Selim
(ihn verächtlich ansehend)
Das glaub ich. Zieh damit hin und werde du wenigstens menschlicher als dein Vater, so ist meine Handlung belohnt.
Konstanze
Herr! vergib! Ich schätzte bisher deine edle Seele, aber nun bewundre ich…
Selim
Still! Ich wünsche für die Falschheit, so Sie an mir begangen, dass Sie es nie bereuen möchten, mein Herz ausgeschlagen zu haben.
(im Begriff abzugehen)
Pedrillo
Pedrillo
(tritt ihm in Weg und fällt ihm zu Füßen)
(mit Blonden dem Bassa zu Füßen)
Herr! dürfen wir beide Unglückliche es auch wagen, um Gnade zu flehen? – – Ich war von Jugend auf ein treuer Diener meines Herrn…
Herr, dürfen wir beide Unglückliche es auch wagen, um Gnade zu flehen? – Ein alter getreuer Diener deines Sohnes –
Belmonte
Auch ich bitte für ihn! Ohne ihn wär ich nicht hier –
Osmin
Osmin
Herr! beim Allah! lass dich ja nicht von dem verwünschten Schmarotzer hintergehn! Keine Gnade! Er hat schon hundertmal den Tod verdient.
Ah, Herr, lass dich ja nicht von dem verwünschten Schmarotzer hintergehen! Keine Gnade! keine Gnade! Er hat den Tod hundertmal verdient.
Selim
Selim
Er mag ihn also in seinem Vaterlande suchen. (zur Wache) Man begleite alle viere an das Schiff. (gibt Belmonte ein Papier) Hier ist Euer Passport.
Schweig! – Steht auf und seid frei! Wer könnte an so einem glücklichen Tage Unglückliche um sich sehen?
Pedrillo
O tausend Dank, großer Bassa! Juchhe! Nun spring ich mit gleichen Füßen wieder ins Leben hinein!
Osmin
Osmin
Wie! meine Blonde soll er auch mitnehmen?
Gift und Dolch! Ich möchte bersten! – Aber, Herr! meine Sklavin Blonde muss er wieder herausgeben?
Pedrillo
(bittend)
Meine alte verlobte Braut, mein liebes Blondchen! –
Selim
Ist dein, und ist frei!
Blonde
Wie glücklich!
Pedrillo
Es lebe der große Bassa Selim!
Selim
(scherzhaft)
Alter! sind dir deine Augen nicht lieb? – Ich sorge besser für dich, als du denkst.
Osmin
Osmin
Gift und Dolch! Ich möchte bersten!
Ha! das ist zum rasend werden!
Pedrillo
Komm, guter Alter, lass uns Freunde sein. Hier biet ich dir die Hand. –
Osmin
Freund mit dir? – Ah! mit dem Teufel lieber Freundschaft als mit dir, Verräter.
Selim
Beruhige dich. Wen man durch Wohltun nicht für sich gewinnen kann, den muss man sich vom Halse schaffen.
(geht drohend ab)
Blonde
Lass ihn laufen, Pedrillo, lass ihn laufen. Dem Himmel sei Dank, dass ich aus seinen Klauen erlöset bin!
Pedrillo
Jawohl, liebes Blondchen; jetzt mag er schlafen oder wachen, ich lache dazu.
Belmonte
Ach, meine Konstanze! Endlich sind wir vereint.
Konstanze
Mein Einziger, mein verlorner Geliebter!
Blonde
Nun, mein Fräulein? Sagt ich nicht immer: Hoffnung lässt nicht zu Schanden werden?
Chor
    Oft wölkt stürmisch sich der Himmel,
Nacht und grausendes Getümmel
zeigt sich schrecklich unserm Blick:
Doch ein Strahl der milden Sonne
kehrt den Jammer schnell in Wonne,
bringt die Freuden bald zurück.
N° 21a Vaudeville
Belmonte
    Nie werd ich deine Huld verkennen,
mein Dank bleibt ewig dir geweiht;
an jedem Ort, zu jeder Zeit
werd ich dich groß und edel nennen.
Wer so viel Huld vergessen kann,
den seh man mit Verachtung an.
Konstanze, Blonde, Belmonte, Pedrillo, Osmin
    Wer so viel Huld vergessen kann,
den seh man mit Verachtung an.
Konstanze
    Nie werd ich im Genuss der Liebe
vergessen, was der Dank gebeut;
mein Herz, der Liebe nun geweiht,
hegt auch dem Dank geweihte Triebe.
Wer so viel Huld vergessen kann,
den seh man mit Verachtung an.
Konstanze, Blonde, Belmonte, Pedrillo, Osmin
    Wer so viel Huld vergessen kann,
den seh man mit Verachtung an.
Pedrillo
    Wenn ich es je vergessen könnte,
wie nah ich am Erdrosseln war
und all der anderen Gefahr;
ich lief', als ob der Kopf mir brennte.
Wer so viel Huld vergessen kann,
den seh man mit Verachtung an.
Konstanze, Blonde, Belmonte, Pedrillo, Osmin
    Wer so viel Huld vergessen kann,
den seh man mit Verachtung an.
Blonde
    Herr Bassa, ich sag recht mit Freuden
viel Dank für Kost und Lagerstroh.
Doch bin ich recht von Herzen froh,
dass er mich lässt von hinnen scheiden.
(auf Osmin zeigend)
Denn seh er nur das Tier dort an,
ob man so was ertragen kann.
Osmin
    Verbrennen sollte man die Hunde,
die uns so schändlich hintergehn;
es ist nicht länger auszustehn,
mir starrt die
Zunge fast im Munde,
um ihren Lohn zu ordnen an:
    Erst geköpft,
dann gehangen,
dann gespießt
auf heiße Stangen,
dann verbrannt,
dann gebunden
und getaucht,
zuletzt geschunden.
(lauft wütend ab)
Konstanze, Blonde, Belmonte, Pedrillo
    Nichts ist so hässlich als die Rache;
hingegen menschlich gütig sein
und ohne Eigennutz verzeihn,
ist nur der großen Seelen Sache.
Wer dieses nicht erkennen kann,
den seh man mit Verachtung an.
N° 21b Chor der Janitscharen
Chor
    Bassa Selim lebe lange!
Ehre sei sein Eigentum!
Seine holde Scheitel prange
voll vom Jubel, voll von Ruhm.
Ende des Singspiels.
Ende.