Sechster Auftritt
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Selim mit Gefolge, hernach Osmin, Belmonte, Konstanze, Pedrillo, Blonde und Wache.
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Selim
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(zu einem seiner Offiziere)
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Geht, unterrichtet euch, was der Lärm im Palast bedeutet; er hat uns im Schlaf aufgeschreckt, und lasst mir Osmin kommen.
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(Der Offizier will abgehen, indem kommt Osmin zwar hastig, doch noch ein wenig schläfrig.)
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Osmin
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Herr! – Verzeih, dass ich es so früh wage – deine Ruhe zu stören.
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Selim
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Was gibt's, Osmin, was gibt's? Was bedeutet der Aufruhr?
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Osmin
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Herr, es ist die schändlichste Verräterei in deinem Palast –
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Selim
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Verräterei?
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Osmin
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Die niederträchtigen Christensklaven entführen uns – die Weiber. Der große Baumeister, den du gestern auf Zureden des Verräters Pedrillo aufnahmst, hat deine – schöne Konstanze entführt.
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Selim
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Konstanze? entführt? Ah, setzt ihnen nach!
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Osmin
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O 's ist schon dafür gesorgt! Meiner Wachsamkeit – hast du es zu danken, dass ich sie wieder beim Schopfe gekriegt habe. Auch mir selbst hatte der – spitzbübische Pedrillo eine gleiche Ehre zugedacht, und er hatte mein Blondgen schon beim Kopfe, um mit ihr – in alle Welt zu reisen – Aber, Gift und Dolch! er soll mir's entgelten! – Sieh, da bringen sie sie!
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(Belmonte und Konstanze werden von der Wache hereingeführt.)
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Selim
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Ah, Verräter! Wagt ihr's, vor meine Augen zu kommen? – Ha, du heuchlerische Sirene? War das der Aufschub, den du begehrtest? Missbrauchtest du so die Nachsicht, die ich dir gab, um mich zu hintergehen?
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Konstanze
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Ich bin strafbar in deinen Augen, Herr, es ist wahr. Aber es ist mein Geliebter, mein einziger Geliebter, dem lang schon dieses Herz gehört. O nur für ihn, nur um seinetwillen fleht ich Aufschub. – O lass mich sterben! Gern, gern will ich den Tod erdulden: Aber schone nur sein Leben –
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Selim
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Und du wagst's, Unverschämte, für ihn zu bitten?
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Konstanze
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Noch mehr: für ihn zu sterben!
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Belmonte
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Ha, Bassa! Noch nie erniedrigte ich mich zum Bitten, noch nie hat dieses Knie sich vor einem Menschen gebeugt: Aber sieh, hier lieg ich zu deinen Füßen; und gerne will ich sterben, nur schone Konstanzen!
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Konstanze
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Nein, hör ihn nicht, Bassa, hör ihn nicht: Die Liebe macht ihn blind; er weiß nicht, was er spricht. Mich allein lass deinen Zorn empfinden, mich allein sterben.
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Belmonte
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Nein, Konstanze, nein! Nur ich habe den Tod verdient; nur ich sterbe –
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Selim
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Schweigt, Unglückliche, schweigt! ihr sollt beide sterben.
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Konstanze
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O wie glücklich! – O mein Geliebter! man will uns nicht trennen. Ach, in deinen Armen zu sterben, welche Wonne!
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Duett
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Konstanze, Belmonte
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Ach, von deinem Arm umschlungen,
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Todesengel, sei willkommen!
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Lächelnd sink ich in das Grab.
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Konstanze
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O wie selig!
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Belmonte
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O wie glücklich!
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Konstanze
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Am elysischen Gestade,
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Belmonte
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auf dem nie betretnen Pfade
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Beide
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mich mit dir vereint zu sehn!
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Konstanze
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Welche Freude!
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Belmonte
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Welche Wonne!
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Konstanze
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An dem ruhevollen Strande,
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Belmonte
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in dem unbekannten Lande
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Beide
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mich an deiner Hand zu sehn!
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(zugleich)
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Konstanze
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O wie selig!
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Belmonte
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O wie glücklich!
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Konstanze
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Mein Geliebter!
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Belmonte
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Ach, Geliebte!
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Beide
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Lächelnd sink ich in das Grab!
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Selim
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(beiseite)
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Fast rührt mich so viel Liebe, so viel Beständigkeit.
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Osmin
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Ach, Herr! kannst du das sehen? zugeben, dass sie da vor deinen Augen – Ha, Gift und Dolch! Die Wut lässt mich nicht reden. – Ah! da kommt auch das zärtliche Pärchen, das auch mir so einen Streich gespielt hat. – Ach, könnt ich dich mit den Augen töten, heimtückscher Verräter!
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(Die Wache bringt Pedrillo und Blonden ebenfalls gefesselt.)
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Pedrillo
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(dem Bassa zu Füßen)
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Großer Bassa! Vergib, wenn's möglich ist, dass wir's wagten, ohne Abschied davonzugehen. Die Liebe ist an der ganzen Affäre schuld. Das liebe Mädchen hier ist eine alte Bekanntschaft aus Spanien: Unsere Ehe war so gut als richtig; und wenn wir glücklich dazumal nach Cadix gekommen wären, wir wären längst Mann und Frau. Das Heimweh kam ihr und mir in Kopf; der alte Griesgram quälte sie Tag und Nacht –
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Selim
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Schweig, Verräter, und reize meinen Zorn nicht noch mehr! – Osmin! Man erdrossle sie zugleich!
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Osmin
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O mit tausend Freuden!
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(Einige Türken mit seidenen Stricken nähern sich ihnen.)
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Pedrillo
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Ach liebes Mädchen! wer hätte das gedacht!
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Blonde
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Unglücklicher Tag! unglückliches Mädchen!
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(einander im Arm)
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Belmonte
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Ach, meine Konstanze!
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Konstanze
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O mein Belmonte!
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Selim
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Belmonte sagst du? – Ist das dein Name?
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Belmonte
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O dass er's nicht wäre!
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Selim
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Belmonte! Belmonte?
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Belmonte
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Der unglückliche Belmonte! Ein Ball des Unglücks von Jugend auf. – Ohne Vater, ohne Freund –
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Selim
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(für sich)
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Gott! wär es möglich? (laut) Sag, sag, junger Mann, wie heißt deine Vaterstadt?
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Belmonte
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Toledo.
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Selim
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Und wer war dein Vater?
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Belmonte
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Don Carlos Belmonte, der mich als ein Kind von vier Jahren in das Kloster St. Sebastian überbrachte –
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Selim
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Ach Gott, er ist's! Mein Sohn, mein Sohn! Du bist mein Sohn; ich! bin dein Vater.
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Belmonte
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Mein Vater? mein Vater?
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Selim
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Dein unglücklicher Vater! Komm in meine Arme! Wie viele vergebliche Nachforschungen hab ich deinetwegen angestellt, wie viele Tränen um dich vergossen! – O dass mich ein unbesonnener Augenblick zu dem Schritte verleitete – Doch jetzt nichts hiervon; jetzt bin ich bloß der glückliche Vater.
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Belmonte
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O mein Vater, mein Vater! Wie soll ich's der Vorsehung danken – In dem schrecklichsten Augenblick meines Lebens, am Rande des Todes – und nun so glücklich! O Konstanze, Konstanze! lass uns seine Knie umfassen –
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(Sie werfen sich nieder.)
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Konstanze
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Darf ich's wagen? Wollen Sie auch mein Vater sein?
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Selim
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Steh auf! steh auf, gutes Mädchen, er ist dein! Seid meine Kinder!
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Konstanze, Belmonte
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(ihm die Hände küssend)
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O wie glücklich!
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Konstanze
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Ich kann mich kaum fassen! Ist's ein Traum, oder ist's Wahrheit? – – O das Herz wallt mir vor Freude, vor Entzücken!
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Ah, mit freudigem Entzücken
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strömt mein feuriger Gesang;
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und hinauf zu jenen Höhen
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steigt des Herzens Wonnedank.
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Schon umgab mich Todesschrecken;
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ach! ich fühlte mich nicht mehr,
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und in höhern Regionen
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flatterte mein Geist umher.
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V. A.Von Anfang
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Pedrillo
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(mit Blonden dem Bassa zu Füßen)
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Herr, dürfen wir beide Unglückliche es auch wagen, um Gnade zu flehen? – Ein alter getreuer Diener deines Sohnes –
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Belmonte
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Auch ich bitte für ihn! Ohne ihn wär ich nicht hier –
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Osmin
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Ah, Herr, lass dich ja nicht von dem verwünschten Schmarotzer hintergehen! Keine Gnade! keine Gnade! Er hat den Tod hundertmal verdient.
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Selim
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Schweig! – Steht auf und seid frei! Wer könnte an so einem glücklichen Tage Unglückliche um sich sehen?
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Pedrillo
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O tausend Dank, großer Bassa! Juchhe! Nun spring ich mit gleichen Füßen wieder ins Leben hinein!
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Osmin
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Gift und Dolch! Ich möchte bersten! – Aber, Herr! meine Sklavin Blonde muss er wieder herausgeben?
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Pedrillo
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(bittend)
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Meine alte verlobte Braut, mein liebes Blondchen! –
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Selim
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Ist dein, und ist frei!
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Blonde
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Wie glücklich!
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Pedrillo
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Es lebe der große Bassa Selim!
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Osmin
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Ha! das ist zum rasend werden!
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Pedrillo
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Komm, guter Alter, lass uns Freunde sein. Hier biet ich dir die Hand. –
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Osmin
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Freund mit dir? – Ah! mit dem Teufel lieber Freundschaft als mit dir, Verräter.
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(geht drohend ab)
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Blonde
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Lass ihn laufen, Pedrillo, lass ihn laufen. Dem Himmel sei Dank, dass ich aus seinen Klauen erlöset bin!
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Pedrillo
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Jawohl, liebes Blondchen; jetzt mag er schlafen oder wachen, ich lache dazu.
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Belmonte
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Ach, meine Konstanze! Endlich sind wir vereint.
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Konstanze
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Mein Einziger, mein verlorner Geliebter!
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Blonde
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Nun, mein Fräulein? Sagt ich nicht immer: Hoffnung lässt nicht zu Schanden werden?
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Chor
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Oft wölkt stürmisch sich der Himmel,
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Nacht und grausendes Getümmel
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zeigt sich schrecklich unserm Blick:
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Doch ein Strahl der milden Sonne
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kehrt den Jammer schnell in Wonne,
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bringt die Freuden bald zurück.
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Ende.
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