Kritische Edition des vertonten Textes KV 384       Diplomatische Übertragung der autographen Partitur 
Sechster Auftritt
 
Selim mit Gefolge, hernach Osmin, Belmonte, Konstanze und Wache.
 
Selim
 
(zu einem Offiziere)
 
Geht, unterrichtet euch, was der Lärm im Palast bedeutet; er hat uns im Schlaf aufgeschreckt, und lasst mir Osmin kommen.
 
(Der Offizier will abgehen, indem kommt Osmin zwar hastig, doch noch ein wenig schläfrig.)
 
Osmin
 
Herr! – Verzeih, dass ich es so früh wage – deine Ruhe zu stören.
 
Selim
 
Was gibt's, Osmin, was gibt's? Was bedeutet der Aufruhr?
 
Osmin
 
Herr, es ist die schändlichste Verräterei in deinem Palast –
 
Selim
 
Verräterei?
 
Osmin
 
Die niederträchtigen Christensklaven entführen uns – die Weiber. Der große Baumeister, den du gestern auf Zureden des Verräters Pedrillo aufnahmst, hat deine – schöne Konstanze entführt.
 
Selim
 
Konstanze? entführt? Ah, setzt ihnen nach!
 
Osmin
 
O 's ist schon dafür gesorgt! Meiner Wachsamkeit – hast du es zu danken, dass ich sie wieder beim Schopfe gekriegt habe. Auch mir selbst hatte der – spitzbübische Pedrillo eine gleiche Ehre zugedacht, und er hatte mein Blondchen schon beim Kopfe, um mit ihr – in alle Welt zu reisen. – Aber, Gift und Dolch! er soll mir's entgelten! – Sieh, da bringen sie sie!
 
(Belmonte und Konstanze werden von der Wache hereingeführt.)
 
Selim
 
Ah, Verräter! ist's möglich? – Ha, du heuchlerische Sirene! War das der Aufschub, den du begehrtest? Missbrauchtest du so die Nachsicht, die ich dir gab, um mich zu hintergehen?
 
Konstanze
 
Ich bin strafbar in deinen Augen, Herr, es ist wahr. Aber es ist mein Geliebter, mein einziger Geliebter, dem lang schon dieses Herz gehört. O nur für ihn, nur um seinetwillen fleht ich Aufschub. – O lass mich sterben! Gern, gern will ich den Tod erdulden: Aber schone nur sein Leben –
 
Selim
 
Und du wagst's, Unverschämte, für ihn zu bitten?
 
Konstanze
 
Noch mehr: für ihn zu sterben!
 
Belmonte
 
Ha, Bassa! Noch nie erniedrigte ich mich zu bitten, noch nie hat dieses Knie sich vor einem Menschen gebeugt: Aber sieh, hier lieg ich zu deinen Füßen und flehe dein Mitleid an. Ich bin von einer großen spanischen Familie, man wird alles für mich zahlen. Lass dich bewegen, bestimme ein Lösegeld für mich und Konstanze so hoch du willst. Mein Name ist Lostados.
 
Selim
 
(staunend)
 
Was hör ich! Der Kommendant von Oran, ist dir der bekannt?
 
Belmonte
 
Das ist mein Vater.
 
Selim
 
Dein Vater? Welcher glückliche Tag! den Sohn meines ärgsten Feindes in meiner Macht zu haben! Kann was Angenehmers sein! Wisse, Elender! dein Vater, dieser Barbar, ist schuld, dass ich mein Vaterland verlassen musste. Sein unbiegsamer Geiz entriss mir eine Geliebte, die ich höher als mein Leben schätzte. Er brachte mich um Ehrenstellen, Vermögen, um alles. Kurz, er zernichtete mein ganzes Glück. Und dieses Mannes einzigen Sohn habe ich nun in meiner Gewalt! Sage er: An meiner Stelle, was würde er tun?
 
Belmonte
 
(ganz niedergedrückt)
 
Mein Schicksal würde zu beklagen sein.
 
Selim
 
Das soll es auch sein. Wie er mit mir verfahren ist, will ich mit dir verfahren. Folge mir, Osmin, ich will dir Befehle zu ihren Martern geben. (zu der Wache) Bewacht sie hier.
 
Siebenter Auftritt
 
Belmonte und Konstanze.
 
N° 20 Recitativo e Duetto
 
20
Recitativo
 
//Recitativo://
Belmonte
 
Belmont
Welch ein Geschick! o Qual der Seele!
 
Welch ein Geschick! o qual der Seele!
Hat sich denn alles wider mich verschworen!
 
hat sich denn alles wieder mich verschworen!
Ach! Konstanze! durch mich bist du verloren!
 
ach! konstanze! durch mich bist du verlohren!
Welch eine Pein!
 
Welch' eine Pein!
Konstanze
 
konstanze
Lass, ach Geliebter! lass dich das nicht quälen!
 
laß, ach geliebter! laß dich das nicht quälen
Was ist der Tod? – Ein Übergang zur Ruh!
 
was ist der Tod? – ein übergang zur ruh!
Und dann, an deiner Seite,
 
und dann an deiner Seite
ist er Vorgeschmack der Seligkeit!
 
ist er vorgeschmack der Seeligkeit!
Belmonte
 
Belmont
Engelsseele,
 
Engels Seele
welch holde Güte!
 
Welch holde güte!
Du flößest Trost in mein erschüttert Herz.
 
du flössest trost in mein erschüttert herz.
Du linderst mir den Todesschmerz.
 
du linderst mir den todesschmerz.
Und ach! ich reiße dich ins Grab!
 
und ach! ich reisse dich ins grab!
Duetto
 
//Duetto//
Belmonte
 
Bellmont.
    Meinetwegen sollst du sterben!
 
Meinetwegen sollst du sterben!
Ach Konstanze! kann ich's wagen,
 
ach konstanze! kann ichs wagen
noch die Augen aufzuschlagen?
 
noch die augen aufzuschlagen?
Ich bereite dir den Tod!
 
ich bereite dir den tod!
Konstanze
 
konstanze
    Belmont! du stirbst meinetwegen!
 
belmont! du stirbst meinetwegen!
Ich nur zog dich ins Verderben,
 
ich nur zog dich ins verderben,
und ich soll nicht mit dir sterben!Schreibvariante in den Textwiederholungen:
und ich soll nicht mit dir sterben?
 
und ich soll nicht mit dir sterben!
Wonne ist mir dies Gebot!
 
Wonne ist mir dies geboth!
Beide
 
konstanze/Bellmont.
    Edle Seele! dir zu leben,
 
Edle Seele! dir zu leben
war mein Wunsch und all mein Streben!
 
war mein Wunsch und all mein streben
Ohne dich ist mir's nur Pein,
 
ohne dich ist mir's nur Pein
länger auf der Welt zu sein.
 
länger auf der Welt zu seÿn
Belmonte
 
Bellmont.
    Ich will alles gerne leiden,
 
Ich will alles gerne leiden,
Konstanze
 
konstanze
Ruhig sterb ich und mit Freuden,
 
ruhig sterb' ich, und mit freuden,
Beide
 
konstanze/Bellmont.
weil ich dir zur Seite bin.
 
weil ich dir zur Seite bin
Belmonte
 
Bellmont.
Um dich, Geliebte,
 
um dich geliebte,
Konstanze
 
konstanze
Um dich, Geliebter,
 
um dich geliebter,
Beide
 
konstanze/Bellmont.
geb ich gern mein Leben hin.
 
geb' ich gern mein leben hin
Beide
 
konstanze/Bellmont.
    O welche Seligkeit!
 
O welche Seeligkeit!
Mit dem|der Geliebten sterben,
 
mit dem|der geliebten sterben
ist seliges Entzücken!
 
ist Seeliges Entzücken!
Mit wonnevollen Blicken
 
mit Wonnevollen blicken
verlässt man da die Welt.
 
verläst man da die Welt.
Achter Auftritt
 
Pedrillo und Blonde werden von einem andern Teil der Wache hereingeführt, und die Vorigen.
 
Pedrillo
 
Ach Herr! wir sind hin! An Rettung ist nicht mehr zu denken. Man macht schon alle Zubereitungen, um uns aus der Welt zu schaffen. Es ist erschrecklich, was sie mit uns anfangen wollen! Ich, wie ich im Vorbeigehen gehört habe, soll in Öl gesotten und dann gespießt werden. Das ist ein sauber Traktament! Ach! Blondchen! Blondchen! was werden sie wohl mit dir anfangen?
 
Blonde
 
Das gilt mir nun ganz gleich. Da es einmal gestorben sein muss, ist mir alles recht.
 
Pedrillo
 
Welche Standhaftigkeit! Ich bin doch von gutem altchristlichen Geschlecht aus Spanien, aber so gleichgültig kann ich beim Tode nicht sein! – – Weiß der Teufel… Gott sei bei mir! Wie kann mir auch itzt der Teufel auf die Zunge kommen?
 
Letzter Auftritt
 
Die Vorigen, Bassa Selim, Osmin (voll Freuden) und Gefolge.
 
Selim
 
Nun, Sklave! elender Sklave! zitterst du? Erwartest du dein Urteil?
 
Belmonte
 
Ja, Bassa, mit so vieler Kaltblütigkeit als Hitze du es aussprechen kannst. Kühle deine Rache an mir, tilge das Unrecht, so mein Vater dir angetan; – – ich erwarte alles und tadle dich nicht.
 
Selim
 
Es muss also wohl deinem Geschlechte ganz eigen sein, Ungerechtigkeiten zu begehen, weil du das für so ausgemacht annimmst? Du betrügst dich. Ich habe deinen Vater viel zu sehr verabscheut, als dass ich je in seine Fußtapfen treten könnte. Nimm deine Freiheit, nimm Konstanzen, segle in dein Vaterland, sage deinem Vater, dass du in meiner Gewalt warst, dass ich dich freigelassen, um ihm sagen zu können, es wäre ein weit größer Vergnügen, eine erlittene Ungerechtigkeit durch Wohltaten zu vergelten, als Laster mit Lastern tilgen.
 
Belmonte
 
Herr!… du setzest mich in Erstaunen…
 
Selim
 
(ihn verächtlich ansehend)
 
Das glaub ich. Zieh damit hin und werde du wenigstens menschlicher als dein Vater, so ist meine Handlung belohnt.
 
Konstanze
 
Herr! vergib! Ich schätzte bisher deine edle Seele, aber nun bewundre ich…
 
Selim
 
Still! Ich wünsche für die Falschheit, so Sie an mir begangen, dass Sie es nie bereuen möchten, mein Herz ausgeschlagen zu haben.
 
(im Begriff abzugehen)
 
Pedrillo
 
(tritt ihm in Weg und fällt ihm zu Füßen)
 
Herr! dürfen wir beide Unglückliche es auch wagen, um Gnade zu flehen? – – Ich war von Jugend auf ein treuer Diener meines Herrn…
 
Osmin
 
Herr! beim Allah! lass dich ja nicht von dem verwünschten Schmarotzer hintergehn! Keine Gnade! Er hat schon hundertmal den Tod verdient.
 
Selim
 
Er mag ihn also in seinem Vaterlande suchen. (zur Wache) Man begleite alle viere an das Schiff. (gibt Belmonte ein Papier) Hier ist Euer Passport.
 
Osmin
 
Wie! meine Blonde soll er auch mitnehmen?
 
Selim
 
(scherzhaft)
 
Alter! sind dir deine Augen nicht lieb? – Ich sorge besser für dich, als du denkst.
 
Osmin
 
Gift und Dolch! Ich möchte bersten!
 
Selim
 
Beruhige dich. Wen man durch Wohltun nicht für sich gewinnen kann, den muss man sich vom Halse schaffen.
 
N° 21a Vaudeville
 
N: 21 //Vaudeville//
Belmonte
 
belmont
    Nie werd ich deine Huld verkennen,
 
    Nie werd' ich deine Huld verkennen
mein Dank bleibt ewig dir geweiht;
 
mein dank bleibt Ewig dir geweiht;
an jedem Ort, zu jeder Zeit
 
an Jedem ort, zu Jeder zeit
werd ich dich groß und edel nennen.
 
werd' ich dich groß und Edel nennen.
Wer so viel Huld vergessen kann,
 
wer so viel Huld vergessen kann
den seh man mit Verachtung an.
 
den seh' man mit verachtung an.
Konstanze, Blonde, Belmonte, Pedrillo, Osmin
 
konstanze/Blonde/belmont/Pedrillo/Osmin.
    Wer so viel Huld vergessen kann,
 
wer so viel huld vergessen kann
den seh man mit Verachtung an.
 
den seh' man mit verachtung an.
Konstanze
 
konstanze
    Nie werd ich im Genuss der Liebe
 
Nie werd' ich im genuß der liebe
vergessen, was der Dank gebeut;
 
vergessen was der Dank gebeut;
mein Herz, der Liebe nun geweiht,
 
mein herz der liebe nun geweiht
hegt auch dem Dank geweihte Triebe.
 
hegt auch dem dank geweihte Triebe
Wer so viel Huld vergessen kann,
 
wer so viel huld vergessen kann
den seh man mit Verachtung an.
 
den seh' man mit verachtung an.
Konstanze, Blonde, Belmonte, Pedrillo, Osmin
 
konstanze/Blonde/belmont/Pedrillo/Osmin.
    Wer so viel Huld vergessen kann,
 
wer so viel huld vergessen kann,
den seh man mit Verachtung an.
 
den seh' man mit verachtung an.
Pedrillo
 
Pedrillo
    Wenn ich es je vergessen könnte,
 
wenn ich es Je vergessen könnte
wie nah ich am Erdrosseln war
 
wie nah ich am erdrosseln war,
und all der anderen Gefahr;
 
und all der anderen Gefahr;
ich lief', als ob der Kopf mir brennte.
 
ich lief als ob der kopf mir brennte.
Wer so viel Huld vergessen kann,
 
wer so viel huld vergessen kann,
den seh man mit Verachtung an.
 
den seh' man mit verachtung an.
Konstanze, Blonde, Belmonte, Pedrillo, Osmin
 
konstanze/Blonde/belmont/Pedrillo/Osmin.
    Wer so viel Huld vergessen kann,
 
wer so viel huld vergessen kann,
den seh man mit Verachtung an.
 
den seh' man mit verachtung an
Blonde
 
Blonde
    Herr Bassa, ich sag recht mit Freuden
 
Herr Bassa Ich sag recht mit freuden
viel Dank für Kost und Lagerstroh.
 
viel dank für kost und lager Stroh.
Doch bin ich recht von Herzen froh,
 
doch bin ich recht von herzen froh
dass er mich lässt von hinnen scheiden.
 
daß er mich lässt von hinnen scheiden.
(auf Osmin zeigend)
 
(auf osmin zeigend)
Denn seh er nur das Tier dort an,
 
denn seh' er nur das thier dort an,
ob man so was ertragen kann.
 
ob man so was ertragen kann
Osmin
 
Osmin.
    Verbrennen sollte man die Hunde,
 
verbrennen sollte man die hunde
die uns so schändlich hintergehn;
 
die uns so schändlich hintergehn;
es ist nicht länger auszustehn,
 
Es ist nicht länger auszustehn
mir starrt die
 
mir starrt die
Zunge fast im Munde,
 
zunge fast im Munde
um ihren Lohn zu ordnen an:
 
um ihren lohn zu ordnen an:
    Erst geköpft,
 
    Erst geköpft,
dann gehangen,
 
dann gehangen,
dann gespießt
 
dann gespiest,
auf heiße Stangen,
 
auf heisse stangen,
dann verbrannt,
 
dann verbrannt,
dann gebunden
 
dann gebunden,
und getaucht,
 
und getaucht,
zuletzt geschunden.
 
zulezt geschunden;
(lauft wütend ab)
 
(lauft wüthend ab.)
Konstanze, Blonde, Belmonte, Pedrillo
 
konstanze/Blonde/belmont/Pedrillo
    Nichts ist so hässlich als die Rache;
 
Nichts ist so hässlich als die Rache,
hingegen menschlich gütig sein
 
hingegen menschlich gütig seÿn
und ohne Eigennutz verzeihn,
 
und ohne Eigennutz verzeÿhn
ist nur der großen Seelen Sache.
 
ist nur der grossen Seelen Sache
Wer dieses nicht erkennen kann,
 
wer dieses nicht erkennen kann,
den seh man mit Verachtung an.
 
den seh' man mit verachtung an.
N° 21b Chor der Janitscharen
 
Chor der Janitscharen
Chor
 
Chor.
    Bassa Selim lebe lange!
 
Bassa Selim lebe lange!
Ehre sei sein Eigentum!
 
Ehre seÿ sein Eigenthum!
Seine holde Scheitel prange
 
seine holde scheitel Prange
voll vom Jubel, voll von Ruhm.
 
voll vom Jubel voll von Rum
Ende des Singspiels.