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München den 18 September.
Hochverehrtester
Herr!
1842
Ein Ihnen wohl gänzlich unbekannter, aber innigster
Verehrer Ihres unsterblichen Herrn
Vaters ni
mt sich
die Freiheit, Ihnen, nachträglich zur stattgehabten Feÿer

,
eine neue schwache Danklegung seiner Empfindungen und
Gefühle zu übersenden. Denn wie sollte ich Worte finden,
sie in der Art auszudrücken, wie sie vor meiner Seele
stehen.
Ich glaubte es nicht wagen zu dürfen, beÿ dem
Zusa
menströ
men aller musikalischen Notabilitäten
Deutschlands zur Verherrlichung dieses wahrhaft nazion=
alen Festes mit dieser Kleinigkeit
zu erscheinen: – sie soll
daher nur Ihnen, und Ihrem
Herrn Bruder in Mailand,
dessen Bekanntschaft
meine Frau alldort nebst jener
des biedern und verdienstvollen
Doktors Lichtenthal machte,
gewidmet seÿn, und ich bin überzeugt, daß Sie diese ob=
gleich unbedeutende Gabe in Güte aufnehmen, und mit
Nachsicht beurtheilen werden.
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Ich hatte vor nahe an 30 Jahren für eine damalige Hoffeÿer=
lichkeit eine Cantate

gedichtet, welche unserm verdienstvollen
Capellmeister
Winter zur Composition übertragen wurde;
die Musick ist effektreich, und schien mir für diese Gelegen=
heit passend, ich wollte sie der Vergessenheit ǀ: dem gewöhn=
lichen Schicksal aller nur für ähnliche Veranlassungen be=
sti
mten Compositionen :ǀ entreißen, und sezte beiliegenden
Text

darunter, welcher, außer wenigen erforderlichen kleinen
Punktationen sich wohl unter die Musick fügen dürfte.
Es ist i
mer eine schwere Aufgabe, unter eine für
einen ganz andern Zweck besti
mte Composition einen
Text unterzulegen, der für den Charakter des musikali=
schen Gedankens nicht fremdartig erscheint, und eben diese
Gebundenheit hindert die Dichtung an freier Bewegung.
Bereits in meinem 73 Lebensjahre, seit
einem Dezenium meines Gehörvermögens gänzlich ver=
lustig kann ich nur in der Eri
nerung noch mich der
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herrlichen Genüße erfreuen, welche mir sein bisher noch
unerreichter Compositions Geist in frühern Jahren gewährten;
noch schweben die unsterblichen Schöpfungen Ihres unver=
geßlichen Herrn
Vaters lebhaft vor meinem Gedächtniß.
Eben so unvergesslich ist mir jene glanzvolle Periode,
wo durch
Ihn die Tonkunst ihren Höhepunkt erreicht zu
haben schien, um, wie die große Malerschule Italiens,
sich wieder in manirierte Effekthaschereÿ zu verlieren.
Sein Genius musste Ihn erst der Welt entrücken,
um das wahrhaft Große, das Erhabene, den Ethos seiner
Tondichtungen verstehen und würdigen zu lernen.
Er theilte das Loos aller großen Geister, von
der Mitwelt nicht begriffen worden zu seÿn. –
Indem ich Ihnen zu dem für Sie so ruhm, und
ehrenvoll statt gehabte Ereigniß der Gedächtniß
Feÿer Ihres seeligen Herrn Vaters meinen aufrich=
tigsten, und herzlichsten Glückswunsch darbringe
verbleibe ich mit ausgezeichnetster Verehrung
Ihr
ganz ergebenster Diener
Karl Reger quieszirter

königl: Baÿrischer Legations
Secretär
Lerchenstraße N 20 15/1
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