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                                  Verehrtester Herr!

Wen ich auch nicht das Vergnügen habe, von Ihnen persönlich gekant zu seÿn, so
veranlaßt mich doch, der große und wohlverdiente Ruf, der Sie als einen so aus=
gezeichneten und geachteten Künstler überall begleitet, dem ich auch von Herzen bey=
pflichte, und die allgemeine Anerkenung Ihres vortrefflichen Charakters, mich in einer
Angelegenheit an Sie zu wenden, die nicht nur für mich, sondern für jeden Künst=
ler, von großen Intereße ist. Ich schmeichle mir, auch Sie, verehrter Herr!
mich von keiner nachtheiligen Seite kenen, und daher in meinem Unterneh=
men keinen andern Beweggrund finden werden, als den Wunsch, meinem
alten Freunde nützlich zu seÿn; und so wende ich mich den, mit vollen
Vertrauen an Sie.
Es lebt hier, seit einem Zeitraume von ungefähr 20 Jahren der rühmlichst
bekante Componist: Johan Mederitsch genant Gallus. Ich zweifle nicht, seine
klassische Musik zu Schackspears Trauerspiele: Macbeth, Ihnen bekant seÿn
wird; dieses herrliche Tonstück machte überall großes Aufsehen. Auf eine
beÿspiellose Art, um den Lohn seiner Arbeit, durch einen treulosen Freund
betrogen, dem er diese Partitur nach England mitgab, und der diese auch
wirklich dort um eine bedeutende Sume verkaufte, ohne dem Verfasser
auch nur einen Heller abzugeben, verlor er den Muth zu ähnlichen
Unternehmungen. Nun ist dieser 73jährige Greis, der sich aber noch einer
sehr festen Gesundheit erfreut, und dessen Geist noch eben so heiter und
lebhaft, als der eines jungen Manes ist, durch eine Reihe widriger und
unverschuldeter Ereigniße, in eine so traurige Lage versetzt,
Er, vielleicht der größte Contrapunktist unseres Zeitalters, mit der
größten Dürftigkeit zu kämpfen hat, und was ihn nicht minder darnieder
beugen muß, ist das Gefühl, in seinem hohen Alter so ganz verwaist
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da zu stehn, den vor mehrern Jahren, hatte er auch noch den Schmerz, eine
geliebte Frau, und seine einzige Tochter note, die schon verheÿrathet war zu
verlieren. – Diesem, meinem väterlichen Freunde, nach Kräften zu
helfen, ist mein angelegentlichster Wunsch; und dieß glaube ich nicht
besser bezwecken zu könen, als wen ich mich an Sie, verehrter
Herr wende, und Ihre Güte und Theilnahme als Künstler, Mensch
und Landsman in Anspruch nehme. – Gallus – der von meinem Un=
ternehmen nichts weiß – ist viel zu stolz und edeldenkend, als er
ein Almosen anehmen würde, doch die hochherzigen Engländer, die auf
eine so lieberale als delicate Weise, unserm großen Beethoven Trost
und Hülfe bothen note, bedürfen wohl nur eines Impulses um Ihre Groß=
muth, auf eine ähnliche Art, an einem nicht minder würdigen Mane
zu beweisen. Und von wem könte ihnen dieser Impuls willkomner
seyn, als von Ihnen, den sie alle schätzen und lieben, von dem
allgemein gefeÿerten Künstler, der durch die Gewalt der Töne, un=
widerstehlich auf ihre Herzen und Gemüthe wirkt. Gallus hat dreÿ
Messen ganz fertig, von denen die zweÿ größern, als Meisterwerke
angesehen werden könen, fast durchgängig im doppelten Contrapunkte
gearbeitet. Der kleinern, kömt das Epithet klein, nur der geringern
Bogenzahl wegen, und weil sie nur für Sop: Alt u Bass geschrieben ist, zu,
den auch diese ist ein, des Meisters würdiges Werk. Da Messen
zum anglikanischen Gottesdienste nicht anwendbar sind, so wären
diese Compositionen vielleicht mit unterlegten englischen Texte, für
Liebhaber ernster Musik denoch brauchbar. Ferner hat er ein
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gar schönes vierstimiges Stabat mater ganz im gebundnen Style, und
an 20 Quartetten für Streichinstrumente, und endlich hat er
beÿnahe alle Materalien zu den Entreacts und Chören für die Schakespearischen
Stücke: der Sturm und Hamlet , welche zu beenden, er wenig Zeit
bedürfen würde. – Meine Bitte geht dahin, ob Sie verehrter Herr
es dahin bringen wollten, von den edlen Engländern, diese herrlichen
Tonstücke gekauft, u die noch nicht fertigen bestellt werden, und
dem guten, alten Meister eine Darangabe hieher gesendet werde.
Ich glaube beÿnahe, er macht sich mit seiner Musik, selbst nach
England auf, den seit Jahren war dieses seÿn Lieblingsplan,
den er der Kosten wegen leider nicht ausführen konte.
Indem ich Ihnen nochmahls meine Bitte recht sehr ans
Herz lege, füge ich noch die zweÿte beÿ, mich recht bald mit
einer Antwort beehren zu wollen. Empfangen Sie
die Versicherung meiner ausgezeichnesten Hochachtung
                          und Verehrung, mit der ich mich zeichne
                                       Euer Wohlgeboren
                                       ergebenster WA Mozart mp
Lemberg in östereichisch Galizien
am 25t Xbris 1827

Unser erstes Handelshaus hier und in Brodÿ heißt: Hausner und
Violland
. – Briefe an mich bedürfen aber keiner andern Adresse, als
meines Nahmens u in Lemberg in österς Galizien.
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Mozarts Brief
Leopol
A Monsieur
Monsieur Ignace Moscheles
Professeur en Musique célébre
Artiste et Compositeur, et
mêmbre de plusieures socie=
tés philharmoniques
a
Londres.
Durch Otto Hatwig, in Wien.