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[... (Brieftext von Constanze Nissen an Carl Thomas Mozart, an den sie den Brief weiterleitete.)]
Lemberg am 4t Mai 1826
Meine vielgeliebte
Mutter!
Mit welcher Ungeduld ich deinen Brief vom 19
t April

erwartete
ka
n ich dir nicht sagen! Wie sehr bedurfte ich auch dieses Trostes,
um wenigstens über deine Gesundheit beruhiget zu seÿn. Glaube
mir, theure Mutter, daß der unersetzliche Verlust

, den wir erlitten
für mich nicht weniger schmerzlich war, und i
mer bleiben wird,
als für dich. Ich fühle recht sehr, was Du an
Ihm verloren, aber auch
mich feßelten die Bande der Liebe, und der Dankbarkeit an
Ihn, de
n er war mein einziger und treuester Freund, und überdieß
noch mein Wohlthäter, mein Erzieher, und meine Stütze. Auf Ihn ko
nte
ich bauen, und war überzeugt, in allen möglichen Fällen, an Ihm
einen treuen Rathgeber und Helfer zu finden. Einige Tage frü=
her, als ich diese Trauerpost erhielt, hatte ich das Projekt gemacht
Euch, in diesem So
mer, auf einige Wochen zu besuchen, hatte mir
die Freude des Wiedersehens so schön ausgemalt! und nun ka
n ich
Ihn nie mehr sehen, ka
n Ihm nie mehr sagen, wie sehr ich ihn geliebt.
[... (Brieftext von Constanze Nissen an Carl Thomas Mozart, an den sie den Brief weiterleitete.)]
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Daß Du, wenig Freuden mehr, auf dieser Welt erwartest, begreife ich wohl,
aber eben so sehr bin ich auch von
der Wahrheit überzeugt,
dß es die
heiligste, und angenehmste Pflicht deiner
Söhne ist, dir so viele Freuden
als in unserer Macht steht zu bereiten. Und darum liebe
Mutter,
we
n Du es nicht über dich gewi
nen ka
nst zu mir zu ko
men, | obwohl ich, die
Hand aufs Herz gelegt, dich versichern ka
n, dß meine Verhältniße hier
nicht von der Art sind,
dß sie deine Grundsätze beleidigen kö
nten | möchte
ich dir rathen, nicht in Salzburg zu bleiben. Salzburg hat
zwar besonders itzt, mehr
anziehendes für dich, als jemahls, und
ich fühle recht wohl,
dß sowohl traurige
als fröhliche Rückeri
nerungen, uns einen Ort theuer machen kö
nen,
aber eben dieser schmerzlichen Eri
nerungen wegen, sähe ich es lieber,
du wähltest eine andere Stadt, und vorzüglich Wien, zu deinem künftigen
Aufenthalte. Du hast dort so viele Freunde,
u Verwandte, die
Hönigschen
würden dich wirklich mit kindlicher Liebe aufnehmen, ich kö
nte dich in jedem
Jahre besuchen, und überdieß sehe ich den Augenblick nicht so ferne, wo
ich mich für i
mer dort nieder zu lassen
denken. Auch habe ich Hoffnung
mit der Zeit meinen
Bruder, in unsere Vaterstadt übersetzt zu sehen

.
Ueberlege dieß alles wohl, und ich glaube mich nicht zu irren, we
n ich deinen Entschluß
nach meinem Wunsche auslege.
[S. 3]


We
n auch deine Geschäfte meine Anwesenheit nicht verlangen, so werde ich doch
deinem Wunsche zu Folge im Laufe dieses So
mers, dich auf einigen Wochen besu=
chen. Doch ka
n ich dieses nicht wohl vor halben
Julÿ thun, de
n erstens muß
ich, um die Reise so wenig kostspielig an Zeit und Geld, als möglich zu
machen, die Einrichtung des Eilwagens abwarten, die nächstens erfolgen
soll, und zweÿtens habe ich eben itzt einen Singverein gestiftet

, der
dari
n besteht,
dß wir jeden Montag Abends von 5–7 Uhr zusa
men
ko
men, um lauter klassische Werke
einzustieren. Jedes Mitglied
hat eine Einlage entrichtet, und zahlt überdieß einen monathlichen
Beytrag, und ich ka
n daher nicht wohl gleich anfangs Urlaub nehmen,
sondern muß das Geschäft doch wenigstens ein paar Monate geführt
haben, um die gewo
nenen Mitglieder nicht etwa für die Folge zu
verlieren, was für mich doppelt empfindlich wäre, da dieses Unter=
nehmen nicht nur in der Folge mir ökonomische Vortheile biethet,
sondern da es auch ehrenvoll für mich ist, und mir den Weg
zu einer zu hoffenden Anstellung in
Wien den Weg bahnen soll.
Ich bitte dich liebe gute
Mutter, mir so bald möglich zu schreiben, und dich in
allen zu verlassen, auf deinen dir gänzlich und zärtlichst ergebenen Sohn
Wolfgang
Meinen Handkuß an die
Tante, die
Oberfeninger, und
hς Metzger.
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[... (Brieftext von Constanze Nissen an Carl Thomas Mozart, an den sie den Brief weiterleitete.)]
A Madame
Madame Constance de Nissen
née de Weber
á
Salzbourg
LEMBERG
BA SALZBURG
13 MAI
Empfangen am
13. Maj
[... (Brieftext von Constanze Nissen an Carl Thomas Mozart, an den sie den Brief weiterleitete.)]
1826
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