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                                                                                               II
                                               Wien am 12t Juni 1820

                   Lieber Freund!

Aus den Augen, aus dem Sine: und noch andere dergleichen lieb=
liche Sprüchleins, werden Sie wohl schon öfters, auf mich angewendet
haben, wen, wie ich so gerne glaube, in Ihrem freundlichen Kreise
meiner erwähnt wurde. Daß das Sprüchlein bey mir nicht zutrift,
beweist aber dieser Brief, der freylich ein wenig früher hätte
komen könen, und sollen, und wohl auch gekomen wäre, wen ich
nicht auf Ihre Nachsicht gehofft hätte. Sie wissen, wie es einem
reisendem, und besonders einem reisendem, oder besser zu sagen,
fazierenden note Künstler zu gehen pflegt. Jeden Morgen nimt man sich
die schönsten Dinge von der Welt vor, die man am Abende doch
nicht ausführen konte, und auf den andern Morgen verlegt. Dazu
mt noch, ich nach beynahe zwölf Jahren, zum ersten mahle wieder
die Vaterstädtische | nicht die angenehmste | Luft einathmete, und folglich
nebst den gewöhnlichen ConcertAngelegenheiten, eine Menge alter Bekant=
schaften erneuern, alle Veränderungen, in der Stadt, und den Umge=
bungen besehen mußte. Dieß zu meiner Entschuldigung. –
Nach einer ziemlich langweiligen Reise note, kam ich, von der wohlthäti=
gen Hand, Ihres Bruders gut eingepflastert, nicht einbalsamiert, glücklich
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hier an, und war auch, bis ein paar Tage vor meinem Concerte note,
recht wohl. Aber stellen Sie sich meinen Verdruß vor, als
ich gerade zwey Tage, vor dem Concerte, mit einer abscheulich
geschwollnen Wange erwachte. Was war zu thun? Alle Anstalten wa=
ren getroffen, an Aufschub war, Humels Anwesenheit wegen, nicht
zu denken. Ich mußte mich also entschließen, aller Eitelkeit zum Trotze,
meine Schönheit zur Schau zu tragen. Wie es ausgefallen, wer=
den Sie in den öffentlichen Blättern schon gelesen haben. Ich
war wirklich sehr glücklich. Besonders machte das Andante meines
Concertes das ich erst hier componierte note vielen Eindruck. Meine
dieser Spielart, ganz entwöhnten Landsleute, waren so gerührt,
sie mich es kaum enden ließen, sondern mitten hinein applau=
dirten
; eine Ehre, die einem Cemballisten, beym Andante wohl
selten geschieht. – Nach mir gab Humel zwey Concerte, in denen
er die Zuhörer, wie nicht anders seyn kan, entzückte. Er ist der
König der Klavierspieler, und wohl auch der Komponisten für sein In=
strument. – In einigen Tagen gehe ich über Grätz, Laybach, nach Ita=
lien note, und denke dan durch Deutschland zurückzu komen. Meinen
Plan über München zu gehn, habe ich ändern müßen, weil ich
mich hier zu lange aufgehalten, und also den Hof dort nicht mehr
finden würde. Auf dem Rückwege kan ich ja noch imer mein Glück
bey Sr. bayrischen Majestät versuchen. – Und somit leben Sie recht
wohl, mein lieber guter Freund, empfehlen Sie mich bestens Ihrer
Frau, Schwiegermutter, Bruder, und Ihren lieben Kindern, und
schreiben Sie mir, wen Sie Zeit haben, zu Deutsch: recht bald. Der Ihre
                                                                                 Mozart mp
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Add: A Messieurs: Crampagna Kern et Comp á Trieste.

Dürfte ich Sie wohl ersuchen, gelegentlich bey Herrn Lämel nachfragen
zu lassen, ob er meinen Coffre schon abgeschickt?

Meine Empfehlung Hς Tomek.
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Sr Wohlgeboren
Herrn Herrn Anton note
Jungh

Doktor der Medizin
Auf dem              in
Alt=städter–Ring      Prag

Herr von Ott, ist diese Nacht
gestorben.

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DE BRUXELLES
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