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No 73

                                                    Fiume den 18 Aprill 1855.

     Mein theuerer, geliebter Freund!

Dein leztes freundschaftliches Schreiben, obwohl unzähligemale gelesen,
kann ich erst jezt beantworten. – Warum müssen auch Menschen,
die wirklich gleichgestimmte Seelen haben, die kurze Spanne Zeit
des armseeligen Lebens getrennt sein ? – ! Leiden wir nicht
genug, um den hohen Werth, der im Umgange eines wahren
Freundes liegt, zu verdienen? Wie aufrichtend wäre für mich
jezt Deine liebende Freundessprache, jezt, wo ich so niederge=
drückt bin durch die gefährliche Krankheit meines innigstge=
liebten Wolthäters! Du, der Du einen tiefen Blick in
mein Innerstes gethan wirst meinen Worten jene Bedeutung
zu geben wissen wie selbe in Dir selber lebt. Ja mein
Freund, ich habe dem guten edlen Majoren Viel, sehr viel
zu danken, und wäre überglücklich ihn noch lange als Rath=
geber und Führer meines Lebens begrüssen zu können.
Für Deine innige Theilnahme sagen wir Dir unsern aufrichtigsten
Dank. Wenn der Gute sich etwas erträglich fühlen wird sey
so gut und besuche ihn öfters, denn Du warst ihm stets
ein herzlicher schätzbarer Freund! Schreibe mir doch Deine
Ansicht über seine Krankheit. Ich habe mein Leben von
so einem Furunkel nicht gehört. Könnt’ ich doch bei Euch
sein! Liesse sich im Stabilimento Riccordi nichts für mich
finden? Als Arangeur beliebter Opern für Piano, oder ande=
re Instrumente? Und zugleich als Componist für Tanz=
Musik und ernsten Styl. –
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Zu diesem Behufe wäre es freilich am Besten, ich käme
selbst nach Mailand um persönlich mit Ricordi zu sprechen.
Diesen Herbst so Gott will sehn wir uns gewiß.
Da will ich dann in Mailand sondiren und Alles auf=
biethen um mir dort eine Stellung gründen zu
können. In einer kleinen Stadt, und namentlich
wo ein solcher Krämergeist herrscht wie hier,
kann ich unmöglich meine Kunst esthätisch verwerthen.
Und selbst in materiellem Gewinne ist es hier
eine wahre Hunzerey. Kaum zum Leben hin=
länglich. Von Ersparnissen keine Rede.
Kurz der Künstler wird hier weder geehrt noch be=
zahlt, und Francalucci ist vielleicht mehr in seinen
Verhälltnissen niedergebeugt denn ich, so zwar, daß
er froh wäre Fiume nie gesehn zu haben. Er
so wie seine Frau erwiedern Deine herzlichen
Grüsse aufs freundlichste. Seine Frau sang die
Lucrezia, mißfiel aber gänzlich, so zwar daß die
hübsche Oper nur an zwei Abenden gegeben wurde. –
Außer dieser ist Verdis Trovatore, der, ausser zwei, drey
wirklich schönen Nummern aus lauter Gassenhauern und Reminiszenzen besteht,
dann Buzzis verworrener Saul auf den Brettern,
in denen die Sopr: Marziali, Contr: Corvetti, Tenore Negri, Bariton
Steller
nach Kräften brüllen und wüthen. Die Beste
ist die Corvetti, und sie wäre gut zu nennen, ließe sie
sich von den aufgeregten dramatischen Momenten nicht so
hinreißen, daß sie oft schauderhaft distonirt.
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Da ist denn nun Alles gesagt was in der Kunst
Dich interessiren könnte. Jezt probiren wir Merca=
dantes Vestale
. Am meisten gefällt hier ein
kleines Balletcorps wegen der unverschämten
Anzüge und den frivolen Atitüden der Tänze=
rinnen. – Deine Ansicht wegen Don Juan und
den Profeten theile ich für Mailand vollkomen.
Sänger die nur Verdisch brüllen und heulen, und Don
Juan
singen! – Welch ein Verhälltniß. Selbst der
moderne Profet wird miserable Matadores unter den
Italiänern finden, und es ist kein gelungenes Ensemble
dieses Riesenwerkes in Italien denkbar. Wo ist da ein
Orchester, der Träger des Ganzen, ein Chor für diese imen=
sen Schwierigkeiten zu finden? Selbst Solosänger
würd ich noch zu finden glauben, aber die artistische
Ausdauer, dieses Selbstverläugnen für diese anstr[en=]
genden Orchester u. Chorparttien, fürcht ich sind
beim Italiäner fruchtlos zu suchen. Und wenn der
Profet nicht mit aller nur möglichen Aufmerksamkeit
und Rundung zur Aufführung kommt, so ist dieß
ein Teufelsspektakel und keine Musik mehr.
Im Profeten muß der lezte Chorist wie der Pauker
ein vortreffliches Rad der künstlichen Maschinen
sein, sonst stockt das Ganze und verursacht Statt
Bewunderung, Mißbehagen und Unwohlsein.
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Doch Du, der tiefgebildete Musiker, und Sohn des größten Tonschöpfers, brauchst
keinen Comentar, und wirst dich selbst in der Scala zur Genüge
überzeugen. Gott erhalte Dich! Grüsse mir Deinen Diener
so wie Deine Dienerinn, und wenn der Moretto meinen
Gruß freundlich aufnimt auch ihn aufs Herzlichste.
Von meiner Familie Tausend Grüsse an Dich. Wie stets
Dein Dich von ganzer Seele liebender Freund
Fiume den 20 Aprill 1855.                      VHZawertal

Fiume
Al Pregiatiss: Signore il S:
Carlo Mozart, I: R: impiegato
funzionato, abitante in Contrada
Cavalchina N:o 1418, Casa Brioschi
Porta Nuova
a
Milano.

MILANO
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