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                         Mozart
Gedichtet für die Mozart=Soire des Herrn Haslinger
                      von Mosenthal.
Es war am längsten Tag. In weiter Ferne
Zerfloß die Nacht in lichte Wolken schon.
Da samelten sich all die goldnen Sterne
Im Himel vor des ew’gen Vaters=Thron.
So standen sie gereiht im weitem Kreise
Und feÿerten den Herrn mit Jubelschall
Er trat hinzu und küßte jeden leise
Und neues Leben strömte durch das All.
Da trat ein Stern hervor vor allen andern
Im Auge einer Thräne Silberschein.
„O Vater! laß mich hin zur Erde wandern
Laß mich einmal ein Mensch mit Menschen sein.
„Sie rühren mich! sie sind so reich an Leiden
Und so genügsam mit dem kargen Glük
Ich möchte Ihnen einen Trost bereiten:
O laß mich ziehen, ich kehre bald zurük.”
Es sei gewährt! versetzt der Herr der Erden,
Zieh hin mein Stern, und werde Mensch wie sie!
Willst Du ein Trost den Staubgebornen werden
So lehre sie die heil’ge Harmonie!

INTERNATIONALE
STIFTUNG:
„MOZARTEUM”
1881
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Wie liebend Stern sich hier um Sterne dreht
Wie nicht der Mond die schönre Sonne haßt
Wie nur ein Wohllaut durch die Sphären wehet
Wie liebend ein Accord die Welt umfaßt.
Zieh hin mein Stern! und heile und versöhne
Durch deine Töne jener Erde Pein
Du bist der Auserwählte meiner Söhne
Drum soll dein Name – Amadeus sein!
Zieh hin und trage mit der Erde Leiden
Doch wenn der Schmerz gewaltig Dich durchglüht
Dann greife mächtiger in deine Saiten
Denn nur aus Schmerzen blüht das wahre Lied.
Zieh hin! und fühle mit der Erde Wonnen
Doch wenn vor Freude Dir der Busen schwillt
Dann laß ihn fließen den geweihten Bronnen
Der leidend aus des Herzens Tiefen quillt.
Und weinen wird der Schmerz mit deinen Tönen
Und jubeln wird mit deinem Lied die Lust
Ach Alles was die Menschen sich ersehnen
Ach Alles fließt aus eines Sängers Brust.
Zieh hin! mein Stern! nach kurzem Erdenleben
Wirst Du für jene Erde untergeh’n,
Um in den Himel wieder Dich zu heben;
Denn dort vergehn heißt hier auferstehn.
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Und hörst du’s rufen dann in lauten Chören
Und rauschen Aeolsharfen durch die Luft:
Das sind die Brüder, welche Dein begehren,
Das ist des Vaters Stime die Dich ruft.
So sprach der Herr; und still in sich verloren
Versank der Stern am blauen Himelszelt.
Da ward auf unserm Stern ein Mensch geboren,
Und Amadeus nannte ihn die Welt.
Hört ihr den Ton der mächtig zu uns dringet,
Der wie der Sturmwind durch die Lüfte rauscht?
Das ist das Lied das Amadeus singet
Dem Zug der Wolken hat er’s abgelauscht.
Und hört Ihr klagen jetzt so schmelzend leise
Die Gluth der Liebe, heimlich angefacht?
Ach das ist uns’res Mozarts Zauberweise
So flüstert Stern mit Stern in stiller Nacht.
Und wie so harmlos kann der Sänger kosen
Und wie so heiter kann sein Liedchen sein!
So spielen dort die Engellein mit Rosen
Und hüpfen heiter goldnen Wölkchen drein.
Doch wenn der Schwelger der Vergeltung Strafe
Im Taumel seiner Sinne schnöd verhöhnt;
Da donnert ihn die Tuba aus dem Schlafe
Und mahnt ihn – daß der Grund der Erde dröhnt.
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So hat der Meister treulich fortgestrebet
den kurzen Tag, den man das Leben heißt,
Viel tausend Herzen hat er neu belebet
Und mit sich selbst versöhnet manchen Geist
Er hat genoßen, was die Erde bietet
Die reichen Leiden, und das karge Glük
Jetzt hat das Menschenleben ihn ermüdet
Nach seiner Heimath sehnt er sich zurük.
Er hebt den Blik sehnsüchtig in die Weiten
Wo freundlich Sternlein neben Sternlein glüht –
Da greift er einmal noch in seine Saiten
Und dichtet sich sein eignes Schlumerlied,
Sein Requiem. Er hebt mit stillen Zähren
Den Blik zum lichten Vaterhaus empor.
Da glaubt er selbst sein eignes Lied zu hören
Bekannte Klänge schlagen an sein Ohr.
Und imer lauter rauscht es durch die Sphären,
Wie Orgelton, der durch die Lüfte zieht
Sie singen ihm in tausendstimigen Chören
Sein Requiem – sein Schlumerlied.
Da scheint des Sängers Blik sich zu verklären
An seine Stirne spielt ein Kranz von Licht
„Das sind die Brüder, welche mein Begehren!”
So ruft der Meister, und sein Auge bricht! –
Sie trugen ihn empor zu jenen Fernen
Wo mildre Töne durch die Lüfte weh’n.
Ihr sucht sein Grab? – o sucht es bei den Sternen! –
Denn hier vergeh’n heißt droben auferstehn!