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Hochverehrtester!
               Seyfried, Ignaz von
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     Mit inigsten Dank stelle ich das anvertraute Manuscript zurück, welches mir ein großes,
gewissermassen verjüngendes Vergnügen gewährte, u: jedem Kunstfreunde ein historisches Inte=
resse bereiten muß. – Ihrem Wunsche gemäß erlaube ich mir, noch folgende Bemerkungen, welche ich
notarisch zu verbürgen im Stande bin. – Schikaneders persönliche Bekantschaft mit Mozart, so
wie auch jene spätere mit Zitterbarth, – datirt sich aus einer FreymaurerLoge her, – freylich
nicht jene hochberühmte Born'sche, welche Wien's erste Dignitäten, u: die Elite der damaligen litera=
rischen Kaste unter ihre Mitglieder gezählt haben soll, – sondern schlechtweg eine sogenante Winkel=
oder Freß=Loge, woselbst man sich in den wöchentlichen Abendzusamenkünften mit Spiel, Musik,
u: den vielen Freuden einer wohlbesetzten Tafel beschäftigte, wie Gieseke mir oftmals erzählte, der
auch Sch: Wieland's Dschinistan mittheilte, woraus Derselbe den Stoff zu mehreren seiner Opern ent=
lehnte. Sehr wahrscheinlich begann die Composition der Zauberflöte erst im Frühjahr 791, weil M:
nie lange an dem nehmlichen Werke, u: überhaupt schnell arbeitete. Meistens schrieb er in Gerl's
Wohnung, oder in Sch:s Garten, nur wenige Schritte am Theater; ich selbst war oft Gast an
demselben Tische, u: hielt viele Proben im nehmlichen Salon, oder auf deutsch: Holzhütte. Der Souffleur
Haselbeck mußte Sch's prosaische Entwürfe versifizi[r]en; manches möchte auch wohl aus eigener Fa=
brik herstamen, wie solche Reime: „schön Mädchen jung u: fein - viel weißer noch als Kreide,” zum vorherge=
henden: „Aha! hier seh ich Leute, – gewagt, ich geh hinein!” – Das Textbuch war bis zum ersten Finale vol=
lendet, als in der Leopoldstadt: „Die Zauberzither,” oder: „Kaspar der Fagottist” erschien. Perinet hatte eben=
falls dasselbe Wieland'sche Märchen benützt, war aber, den lokalen Zuschnitt abgerechnet, dem Originale

INTERNATIONALE
STIFTUNG:
„MOZARTEUM”
1881
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treu gefolgt. Das genirte wohl etwas weniges unsern Emanuel; doch wußte er bald Rath dafür, durch Herumdrehen
des ganzen Plan; zum Heil u: Glück des Ganzen, weil uns sonst M: schwerlich in seinem dramatischen Schwanengesang ein
also wunderherrliches, poetisch romantisches Vorbild hätte hinterlassen könen. – Die Frankfurter=Krönung besuchte M:
auf eigene Speculation, um durch Concerte ein Löchlein in den zerrütteten Finanzen zu stopfen; als er, der Einladung
der böhmischen Stände entsprechend, die Prager=Reise antrat, waren bereits alle Ensemblestücke, bis zum letzten
Finale, der Zauberflöte fertig, versteht sich: Singstimen, Grundbaß, nebst angemerkten Hauptmotiven; aus
welchen Particello mein Gevatter Heneberg inzwischen fleißig einstudierte. Nach Mozart's Rückkunft – 10t oder
12t Sept: – gieng es rasch zum instrumentiren, u: nachholen der fehlenden kleineren Pieçen; am 28ten entfloß erst,
wie der eigenhändige thematς: Katalog ausweißt, der Priestermarsch u: die Ouvertüre seiner Feder; letztere kam
sogar noch in nassen Auflagparten zur Generalprobe. – Meines Wissens veranlaßte Guardasoni in Prag
die italienische Uebersetzung, im Winter 793. Ich selbst ließ mich in der ersten Vorstellung, dieser flauto
magico, vom filzigen Impressar bezüglich des ungewohnten Kostenaufwands an Scenerie, Decorationen u:
Vestiariums imer la maledetta Zauberflut gescholten, – tüchtig zusamenquetschen, u: erinere mich noch
recht lebhaft, wie der Tenor Benedetti heraustrippelte, u: die schneckenartig sich nachwindende Schlange
apostrophirte mit seinem Lamentabild: Ajuto! ajuto! ò sono perduto!” – Trefflich war Bassi als
Papageno; die Danzi eine bezaubernde Pamina; – die Campi eine Nachtköniginn par excellence, –
deren Gemahl Gaetano jedoch der pitoyabelste Sarastro, so jemals mir vorgekomen; eine carrikir=
te Parodie. – Am Abend des 4ten Dec: lag M: schon in Fantasien, u: wähnte im Wiednertheater
der Zauberflöte beizuwohnen; fast die letzten, seiner Frau zugeflüsterten Worte waren: „Still! still!
jetzt nimt die Hofer das hohe F; – jetzt singt die Schwägerinn ihre zweyte Arie: „Der Hölle Rache;”
wie kräftig sie das B anschlagt, u: aushält: „Hört! hört! hört! der Mutter Schwur!” –
     Den 2ten Theil: „Das Labyrinth,” oder: „Der Kampf mit den Elementen” schrieb Winter ganz al=
lein. – Die gemeinschaftlich mit Gallus componirte Oper hieß: „Babylons Pyramiden.”