↗ XML
[S. 1] increment_line_height_2decrement_line_height_2
                    An Mozart
Gedicht von Langbein, gesprochen vom Verfasser bey
Gelegenheit der am 5. Dezember 1824 in Berlin abge=
haltenen Todtenfeier Mozart’s.

In Salzburg war ein Wunderknabe,
Dem seine Muse früh’ erschien,
Beschenkt mit ihrer Himmelsgabe
Schwand jedes Spielwerks Reitz für ihn.
Mit kühner Dichtung süßer Töne
Beflügelt er sich seine Zeit,
Vorahnend, daß dereinst ihn kröne
Der Lorbeer der Unsterblichkeit.
Fünf’ Lenze blühten erst dem Kleinen,
Da war er am Klavier ein Held,
Jetzt sollt’ er als ein Stern erscheinen
Sein Vater führt ihn in die Welt.
Umstaunt beherrscht’ er, wie ein Meister
Von Land zu Land das Saitenspiel,
Doch war der Jubel roher Geister
Kein Ehrenlohn, der ihm gefiel.
Er sagte kühn: „was kann mir frommen
Der Layen wüstes Lobgeschrei?
Den größten Meister laßt mir komen,
Und was ich gelte, sag er frei.
Kam nun ein Fürst der Kunst und lauschte
Und sprach ein Wörtchen, mild und hold,
Das hob sein Herz, und er vertauschte
Des Kenners Beifall nicht um Gold.

INTERNATIONALE
STIFTUNG:
„MOZARTEUM”
1881
[S. 2] increment_line_height_2decrement_line_height_2
In Wälschland hört’ er einst, daß leise
Bey seinem Spiel die Rede ging;
„Der Deutsche zwingt’s geheimerweise
Durch seinen mächtigen Zauberring.”
So raunten kunstbefliß’ne Jünger
Von Neid befangen, sich in’s Ohr,
Er aber zog den Reif vom Finger
Und spielte schöner als zuvor.
Die Jahre stärkten ihm die Schwingen,
Und leicht und kräftig flog der Aar
Der Bühne manchen Schatz zu bringen,
Voll Urgeist, aber sonnenklar.
Wie glänzt die goldne Liederkette,
Die er dem span’schen Wüstling schuf!
Dieß Wunderwerk der Tonkunst hätte
Allein verewigt seinen Ruf.
Der Kummer floh’ von jeder Wange,
Und das Gemüth war frei von Schmerz,
Betrat er nur mit einem Klange
Die Brücke zwischen Ohr und Herz.
Der König war von ihm erheitert,
Das Hirtenmädchen sang sein Lied.
So hatte Keiner noch erweitert
Der Edlen Tonkunst Machtgeboth.
[S. 3] increment_line_height_2decrement_line_height_2
Doch schwankend neigte sich zur Erde
Des großen Geistes enges Haus,
Und daß es bald zerfallen werde,
Sprach ahnendes Gefühl ihm aus.
Es flog ihn an, als in sein Zimmer
Einsmals ein Unbekannter trat,
Und dringend mit des Goldes Schimmer
Um eine Seelenmesse bat.
Der Künstler lenksam zum Gewähren,
Gelobte sie, der Fremde schied,
Und jener sprach mit leisen Zähren:
„Ich dichte Mir mein Todtenlied”
Und noch vom alten Geist durchdrungen,
Der Ruhm und Herzen ihm erwarb,
Ward schier das Schwanenlied gesungen,
Da neigt er sanft sein Haupt und starb.
In diesen Stunden sank er nieder
Auf seiner halben Erdenbahn,
Und Schaaren seelenvoller Lieder,
Sie flogen mit ihm himmelan.
Wer seiner Töne Zauber hörte,
Beklagt, daß sein Geschick ihm rief,
Und eine heitere Welt zerstörte,
Die noch in seinem Busen schlief.
[S. 4] increment_line_height_2decrement_line_height_2
Ihm prangt kein Denkmahl, starr bewundert,
Ihn zeigt kein Standbild hoch und hehr,
Doch von Jahrhundert zu Jahrhundert
Lebt er unsterblich wie Homer.
Wenn Tausend gleichen Flug auch wagen,
Sie holen seinen Flug nicht ein.
Er wird, so lange Herzen schlagen,
Der Liebling jedes Herzens sein.