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                                  London dς 19. Martij
                                                            1765.

     Monsieur!

     Daß mein letztes kurzes Schreiben,
noch bevor Ausgang des Salzburglichen
FastenMarkts, folglich noch zur rechten
Zeit angelanget, will ich nicht zweifeln.
Mein Concert so ich den 15. des verflossenen
zu haben dachte, ward erst den 21. aufge=
führet, und wegen der Menge der Plaisirs
|: die hier zum Müde werden sind :| nicht
so starck als ich hoffte; doch waren es beÿ
130. guinées: und da die Unkösten da=
zu über 27. guinées sich erstrecken, bleibt
nicht viel mehr als 100. guinées rest.
Ich weis aber auch wo es fehlt, und warum
man uns nicht mit mehrer generesité
tracti
rt |: obwohl wir hier einige 100. guinées
seit unserm hier seÿn eingenommen :| – –
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ich habe eine mir gemachte proposition nicht
angenommen. Allein, was hilfts viel von
einer Sache zu sprechen, die ich, nach reiffer
Überlegung, und nach etlich schlafloosen
Nächten mit wohlbedacht gethann habe, und die
nun vorbeÿ ist, da ich meine Kinder an keinem
so gefährlichen Orte |: wo der meiste theil
der Menschen gar keine Religion hat, und
wo man nichts als böse Beÿspielle vor
Augen hat :| erziehen will. Sollten
sie die Kinder Zucht hier sehen, sie würden
erstaunen. Von übrigen Religions
Sachen ist gar nichts zu sprechen. – – –
Ich muß ihnen doch in der Geschwindigkeit
eine artige Geschichte erzehlen. Hier
ist der Gebrauch, daß wenn ein Kind ge=
tauft wird, so sind neben anderen gu=
ten Freunden die hauptpersonen 1. Gevat=
ter
und 2. Gevatterinnen. Man pflegt
allzeit zu Hause, und gemeiniglich viele
Täge und auch Wochen das Kind erst tau=
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fen zu lassen nach der Geburth. Ein
Musickhändler |: welche auch Instrumentς:
verkauffen :| ein Teutscher aus Hessen, des=
sen Frau eine Schweizerin ist, bath meine
Frau mit einem gewissen teutschen Herrn
und einer teutschen Jungfer beÿ der taufe
seines Kindes zu Gevatter zustehen. Wir
entschuldigten uns immer; bis endlich
der Teutsche Herr Gevatter ein Commissa=
rius
aus Braunschweig uns selbst an=
suchte. Die Tauffe war 4. Wochen nach
der Geburt Abends um 5. Uhr. Die
Merckwürdigkeit dieser Tauf bestehet
darinne, daß der Vatter des Kinds
gar keine Religion hat, und seine Grün=
de nur darinne bestehen, daß man
Gott anbethen, ihm und seinen Nebenmen=
schen lieben und ein ehrlicher Mann seÿn
müsse.
 Die Mutter, die gegenwärtig
war, ist eine Calvinistin, und hält ihre
Religion noch so zimmlich. Der Herr
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Gevatter ist Luterisch, und die Jungfrau
Gevatterinn Calvinisch, meine Frau als
die 2.te weibliche Gevatterin eine gut ca=
tholische Salzburgerin, und der Herr Pastor
|: der hier Minister genennet wird :| ist
englischer Religion. Wie gefällt ih=
nen diese Tauf compagnie? – – für uns
catholischen war beÿ der Tauf selbst nichts
ungewöhnliches; denn der Glaub in Gott,
und das Vatter unser, so hier gebethet wur=
de ist nach der englischen Kirche von Wort
zu Wort, wie beÿ uns. Aber die Lu=
theraner und Calvinistin musten etwas ih=
nen ungewöhnliches mitmachen, nämlich mit
uns allen niederknien, dann in der eng=
lischen Kirche wird kniend gebethet. war
es nicht schade, daß nicht auch noch ein
Jude, wenigst in der Compagnie ware?
Wenn Herr Zunsen ein Jude und Com=
missaire
von Badeborn, der oft zu uns
kommt, nachricht gehabt hätte, so würde
                                                           er
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er wenigst zum Tauf Soupé gekommen
seÿn; Sie müssen aber wissen, daß
die herrlichen Juden keine Bärte, und samte=
ne Kleider und harbeutl Peroucken tragen;
daß, sonderlich die Portugesischen Juden mit
allem Aufputze, wie ein Franzos, in
ihre Synagoge gehen, und gahr nichts an
ihnen zu sehen ist, was einem Juden gleichet.
ja Sie müssen auch wissen, daß die
grossen und andere nach der Mode den=
kende Juden so wenig ihren Glauben hal=
ten, als der grosse Theil der französischen,
Englischen, Italiänischen und Portugesischen
Christen; da jene, wie diese wenn
der Dies Domini, das ist Sabath und
Sonntag kommt aus der Statt den Abend
zuvor fahren, und auf ihren Landgüttern
bleiben, bis dieser traurige Bett-Tag
vorbeÿ, weil an solchen Tagen weder
Comedie noch opera noch andere Lust=
barkeit in der Statt ist: und würden
den die gemeinen Leute in der
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Kirche Platz finden, wenn die grossen
und Reichen auch dahinn giengen? – –
Sie bleiben aus Complaisance weg.
Sehen Sie, wie eine Sache in die andere gehet;
wenn ich so fort schreibe, so wird es wieder
ein Brief werden, an dem Sie eine gute
halbe Stunde zu lesen haben. Allein
förchten sie sich nicht! Er wird nicht so
lang, und ich erspare ihnen mündlich zu
erzehlen, erstlich die Einrichtung der hie=
sigen Regierungs Art; die Macht und
Rechte des Königs und des Volckes; die ge=
gründeten, und auch falschen Meinungen
die auswärtige Nationen von den Engel=
ländern überhaupts haben. Ihre Art
zu richten und Urtheil zu fällen. Ihre
Sitten überhaupts und ins besondere. Ihre
Kleidertracht von Kopf bis zu den füssen,
sonderlich der Kinder, die durch die
Banck unserm teutschen bauern Buben
gleich sehen: da so gar die grossen Stu=
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denten in Oxford rund um abgeschnittne
Kurze Haare und ein kleines rundes
filzkäpchen auf dem Kopf tragen. – –
raison! Damit die Vielle der haare den
Waxthum der Vernunft nicht hinderlich
sind. Aus dieser nämlichen Ursache
schneiden sie den Pferden die Schwänze
ab; um dadurch, wie sie glauben, den
Kräften der Pferde zu Hilfe zu kommen:
weil die vielen Zweige einem Baume die
Kräfften oder vielmehr der Frucht des
Baumes die Kraft des Waxthums be=
nehmen p: – Ich erspare mir auch ihnen
mündlich zu sagen. Was für Unter=
schied der Esswaaren iede Jahrszeit so
wohl in Fischen, Fleisch p und sonderlich
in Obsspeissen mit sich bringt, die Gütte
derselben, und die unglaubliche grösse
des Viehes p: der Fische p. der Krepse. – –
Schildkrotten und Austern: dinge, die
vielen unglaubl: scheinen werden. – – –
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Ferner werde ihnen erzehlen die Art ihre
Todten zur Grabstätte zu bringen. – –
die nutzbarkeit ihrer Hospitäler zu
erziechung der Jugend, woraus die gröstς
Admirals entspringen. – – Die Art wie
man mit Leuten die schuldig sind verfährt. – –
Ihr Pferd rennen und Hahnen Gefecht. – –
Die Art der fuhrwägen und fuhrleuten,
die nicht neben ihrem Gütterwägen zu
Fusse gehen, sonderen auf einem Pferde
nebenbeÿ reitten, die Pferde nicht beÿm
Zaume halten, sonderen durch einen Schlag
einer an einer erstaunlichen langen Stan=
ge hängenden kleinen peitschenschnure und mit
zuruffung etlicher fürchterlichen Worte
regieren. – – – Ich werde ihnen den
Tower |: nämlich das Veste Schloss :| münd=
lich beschreiben, und ihnen sagen, wie
das Gebrüll der Löwen alda unsern hς:
Wolfgang in Ängsten gesetzet hat. Ich
                                                    werde
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werde ihnen St: Paul und Westmünster,
die Machine so das Temse Wasser in
die ganze Statt treibt, und gewisse künst=
liche bratenwender beschreiben p. Ich
werde ihnen die Schönheit des hiesigen Manns
und Frauen Volkes und ihre wohlgewachsne
grosse Leibesgestalt abmahlen; hingegen
werde ich sie zum Ärgerniss und grausen
bringen, wenn ich ihnen sage, daß sich
manchmals 2. Menschen auf offner Strasse
in ein Faustgefecht einlassen: aber ganz
abscheulich! im Augenblicke ziehen sie die
Händer über den Kopf weg; dann stos=
sen sie sich mit fäusten oder einen Aug
aus dem Kopfe oder die Zähne in Hals,
oder eine Rippe entzweÿ. 2. Schmied=
knechte unternahmen so gar dieses Gefecht
mit gewissen schmaalen Eÿsen, mit denen
man hier das Feuer schieret, die sie glüend
machten, und in Gegenwart mancher 10000.
Menschen auf offnen Platze ein ander die
nakenden Leiber verbrandten. Könnte
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ich nun alles dieses nebst dem schönen Lande,
den schönsten und fruchtbaresten Gegenden p.
hier beschreiben? – – – Nein! ich will es
ihnen lieber erzehlen. Dieser brieff
soll mich an alles erinneren.
     Nun muß ich sie bitten mir auf diesen
Brief, so bald sie können, zu antworten.
Dann ich muss Antwort haben, zu Ende des
Aprilis
es möchte geschechen, daß ich zu An=
fange des Maij von hier abreisete. Sie
schreiben von einem Scarlatin zu einem
Mantl: allein ich kann kein Tuch mit neh=
men, weil man in Franckreich genau vi=
siti
ert wird. Und im kleinen, das ist ehlen=
weis, ist auch nichts wohlfeiles zu kauffen.
Es wäre denn das man ein ganzes Stuck
Tuch kauffete und über Holland sendete.
Schreiben Sie mir: ob die Tracht von Frank=
furt bis Salzburg theuer ist.
Ich gedencke,
ja ich bin fast gezwungen etwas meiner
Bagage über Holland nach Franckfurth zu
schicken: denn obwohl ich viel Bagage, und
die kostbahresten Sachen in Paris habe, so
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sich auf 300 Louvis d'or belauft; so ist
meine Bagage hier wieder sehr angewach=
sen. Es ist mir nur um die schönen Klei=
der leÿd! Denn mein Schwarz sametnes
Kleid und das ganz reiche Kleid, wovon
der Grund mit Silber und Gold Blett ein=
getragen ist, wird auf Reisen nicht besser,
wenn man es noch so genau in acht nimt.
Dieses letzte Kleid hat 59. Louis d'or in Paris
gekostet, und ich habe es par Hazard, NB:
Neu, nicht 2. mahl getragner, von einem Ca=
vaglier
, der mein guter Freund schon in
Franckfurt ware, durch einen wunderlichen
Zufall bekommen. – – –
     Der Preis der Goldenen Uhren ist hier
von 12 guineés fort und fort, so hoch sie
nur immer hinauf wollen. Was über
25, und 30 guinées ist, kommt schon auf die
kostbare façon und ausarbeitungen des
äusserlichen an. Der gemeinste Kauf
schöner und guter Uhren ist von 14. – – bis
etlich und 20. guinées. um 14 bis 20 gui=
nées
kann man treffliche Goldene Uhrς
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kauffen. Nun kommt es darauf an ob
man glatte arbeit oder verzihrte Ar=
beit liebt. Sachen! die zum innern Werth
einer Uhre nichts beÿtragen. das sage
ich ihnen zum voraus, daß der gütte
nach die Engelländer den Vorzug behaup=
ten, dem gusto nach aber mir die Fran=
zosen besser gefahlen, und hier mehr gross
als kleine Uhren geliebt werden. NB:
fragen sie die Uhrmacher in Salzburg: ob
sie wissen was eine Horizontal Uhr ist;

Es ist eine neue Erfindung; das Werck
hat um ein Rad weniger, und ein haupt=
rad lauft Horizontal. Ich förchte wenn
ich eine solche Uhre hätte, und es würde im
Fall etwas fahlen, daß es beÿ uns nicht
mehr könnte in Ordnung gebracht werden.
hätte ich so viel geld hier gemacht, als es
anfangs das Ansehen hatte, so wurde ich
auf viele Curiositäten etwas angewendet
haben; Allein quod differtur non auffer=
tur
, ich habe, und werde allzeit meine cor=
respondenz
in London haben. Nun muß
                                                ich
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ich das Geld in acht nehmen, ich mag mich
rechts oder Lincks wenden, so muß ich Geld
haben, und habe ein grossen Weeg vor
mir, der so muß ausgedacht seÿn, daß
andere das Raisegeld bezahlen müssen.
Leben Sie mit allen den lieben ihrigen wohl
auf. Meine Frau und Kinder empfehlen
sich ihnen und dero Frau Liebsten und samt=
lich angehörigen, und ich bin der alte.

Die Königinn hat unserm Wolfgango
für die Dedication der Sonaten 50 Gui=
nées præsent
gemacht.

P: S:
     Hier ist der Seconde p. – – Ich bitte
geben sie mir bald Antwort, und vor allen
dingen Bitte von uns allen der M:me de
Robinj
unser gehorsamstes Compliment
abzulegen, und ihr zu melden, daß ich
recht beängstiget bin, daß in dem Londoner
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Lärmen mir die Aufmercksamkeit ent=
wischet ist, und ich erst wuste mich ihres Nam=
menstags zu erinneren, da er schon vor
der Thüre war, ich bin von ihrer Gütte
versicheret, daß Sie es mir vergeben wird,
da ich alle complimenten beÿseits, ihr wah=
rer Diener und aufrichtiger gehorsamster
Knecht bin. Sie wehrtester Herr Hagen=
auer, werden ferner die Gütte haben, das=
ienige was ich ihnen in Betreff der golde=
nen Uhren gemeldet, der gütte haben,
dasienige was ich ihnen in betreff der
goldenen Uhren gemeldet der
 M:me von
Robini zu communiciren, und Sie zu
bitten |: da sie mir zu melden beliebet,
daß ich die Ehre haben sollte ihr eine
Uhr mit zu bringen :| Daß sie mir
nur einigen Finger Zeig geben möchte,
wie hoch ich mich in circa einlassen dörf=
te: daß ich etwas gutes einkauffen wer=
de, ist nicht zu zweifeln; da ich vermög=
liche, ansehnliche und redliche Leute an Han=
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den habe, die es verstehen und mir das
beste auszuwehlen sich eine Ehre machen
werden. Das ist einmahl ganz gewiß,
daß der meiste Theil von Uhren für
englische in Teutschland verkauft werden,
die London nie gesehen haben. – – –
Ferner lasse unsern lieben herrn Spize=
der um Verzeichung bitten, daß ich ihm
auf seine uns angenehme Briefe nie
geantwortet. Er ist so vernünftig
und weiß, was ein Mensch zu thun hat,
der mit einer ganzen Familie in einer
solchen Statt lebet, wo man 300. Pfς:
Sterling jährlich mit der genauesten haus=
haltung verzehret und noch etwas erspar=
ren soll. Ist herr Adelgasser noch
nicht in Salzburg? – – mein compli=
ment
und von uns allen. Wir kennen
halt ja M:r Bach! ich muss schlüssen es ist
zeit, die Post geht bald ab.
Bitte baldt antworten!
     Bitte inngleichen 3. heilige Messen lesen
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zu lassen: 1. zu Loreto beÿ den heiligen
Kindl 1. beÿ den P: P: Franciscanς: auf
den Hochaltar, und 1. im Nunberg.

[... (Beginn der Abschrift des Briefes vom 18. April 1765)]