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Paris den 4.ten Martij 1764.
Es bleibt dabeÿ die Franzosen können
sehr wohl die Kälte
ertagen. den 29.
tς feb
ς:,
1. 2, und 3.
tς Martij warf es auf einmahl
hier einen grossen Schnee, und die Kälte
wuchs stündlich. Sie scheinet mir eintring=
licher, weil es nur in der Fruhe eine wenige
Zeit einfrühret, dann aber immer erstaun=
lich nass-kalt ist. Alle
Boutiquen blei=
ben wie sonst offen. das mus den Unter=
schied machen, daß man hoffen kann, daß
es nicht lange dauert.
Dero Zuschrift
habe den 3.tς dieß erhalten. Vor allen
muß ich ihnen sagen, daß die Nachricht
von der Reiß des H
ς: Adlgasser mir das
gröste vergnügen gemacht hat.
Es lebe
unser allergnädigster Fürst! Gott Lob und
Danck! mich kann nichts mehrers rühren
als wenn ich sehe, daß ein grosser Fürst,
dem Gott die Mittel und Kräften dazu
in die Hände gegeben hat, denen
Talenten
forthilft, die Gott aus einer besonderen Gnade,
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in manche ehrliche Seele gepflantzet hat.
Nun wünsche ich nur das die
Mdsl:e Fese=
maÿerin, oder sogenannte Hofstaller
Nannerl auch noch ein Jahr in Venedig
zu verbleiben hat, so wird Salzburg,
wenn ich nur
einen einzigen Wunsch
seiner Zeit dabeÿ erfüllet sehen
kunte,
ein Hof seÿn, der mit seinen eigenen
Leuten ein erstaunliches aufsehen in
Teutschland machen wird. Die
Neuigkeiten von
Accessisten höre ich
nicht gerne, denn in solchem falle
versetzet oft ein elendes
Subjectum,
dem allerbesten, so gählings zum
Vorscheine kommt, den Platz. Und
wer leidet darunter? – – der Fürst!
man mus nicht auf die Menge, son=
dern auf die
Gütte und brauchbarkeit
sehen. Die ietzige
Music und ihre
production erfordert ganz andere Leu=
te. Mein Gott! Dieß sind Leute,
die man seiner Zeit für
ein Calcanten
brauchen kann, und die, wenn man
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eine
opera mit Ehre aufführen will, gahr
nicht mitspielen können, und keine Note
treffen. Wenn ich Fürst wäre, müste ieder
nicht allein sich mit einen
Concert beÿ der
Tafel
produciren, sondern ganz allein
das erste
Violin zu einer
Aria, die man
ihm
1.a Vista auflegt, beÿ der Tafel
accom=
pagniren. Dieß würde unserm Fürsten
anfänglich Gelegenheit zum lachen geben,
nach der Zeit aber würde es alle, die
minus
habentes sind, abhalten etwas zu verlangen,
dem sie nicht gewachsen sind. Ausser=
dem unterstehen sich Leute ein so grossen
Fürsten zu bedienen, und um Musick Dienste
anzuhalten, die nicht nur ein gemeiner Pre=
lat für seinen Bedienten, ja die nicht
einmahl der Thurnermeister beÿ seinen
Hochzeit fiedlereÿen gebrauchen will
Verzeichen sie, der Eÿfer für die Ehre
unsers gnädigsten Fürsten, und für sein
In=
teresse hat mich völlig hingerissen.
Hς: Neu=
gebauer ist ein gutes Subiectum. Den 3.
tς
ist
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ist unser Bedienter
Sebastian Winter
von hier mit der Landkutschen über
Strassburg nach
Donaueschingen abge=
gangen. Er ist als
Friseur in die
Dienste des t
ς: d
ς: Herrn Fürsten von Für=
stenberg getretten, und ich habe einen an=
deren
Friseur nahmens
Jean Pierre Potivin
aufgenommen, er spricht auch gut Teutsch und
Französisch, denn er ist in Elsass
Zabern
gebohren. Nun muß ihn kleiden lassen,
wiederum eine grosse Ausgaabe! – –
T
ς: Herr Graf
Van Eyck befindet sich wieder
etwas schlechter, ich war eben beÿ ihm; ich wer=
de ihn aber so bald nicht mehr besuchen,
dann ich sehe, daß ihm meine Gegenwahrt
eine Schmerzhafte Erinnerung seiner seel:
Frau Gräfin machet, dann er fieng an
erstaunlich zu weinen. Er gefällt mir
gar nicht; er hat wenig, ia fast keinen
Schlaf; er wird immer mehr mager; er
hat einen abscheulichen Auswurff und die
beständige Abänderung vom Besseren
ins schlimmere Verspricht wenig Gutes.
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Sie haben doch auch die nämlichen Gedanken
gehabt, die ich hatte; indem mir alsogleich der
Todt des seel: Herrn
von Robini lebhaft
vor Augen stunde. Die Frau Gräfin
ist den 6.
tς Febr
ς: Montags Abends gegen
7. Uhr gestorben, und |:
wohlgemerckt meine
liebe Frau Hagenauerin :| den 7.
tς als den
Dienstag darauf um 11. Uhr in die Truche
gelegt, eingenagelt, und um 7
1⁄2 Abends
begraben worden, ohne das sich iemand
die Mühe genommen hätte, sie in die
Fußsohlen zu stechen, und zu versuchen, ob
sie wohl würcklich Todt ist; Nun
wende ich mich an die Frau Hagenauerin,
und sage:
Madame!
Die Herrn Franzosen lieben nichts als
was
Plaisir macht! ein Todter Leichnam
in einem Hause verursacht nicht als Trau=
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riges Angedencken des Todes; und wie
bald könnte es geschechen, daß mancher
sich erinnerte, daß er auch diesen Weg
betretten muß, und folglich zu einer an=
deren LebensArt verleitet würde. Hinweg
demnach mit allem demienigen was
dem Vergnügen einhalt thut. Fort mit
allem was kein
plaisir macht. Etwas
anders dafür was die niedergeschlagenen
Geister ermuntert. Sie haben recht, daß
Paris ihnen nicht anständig ware. Mei=
ne Frau empfehlet sich ihnen. Es hat ihr
die Französische Lebensart vom Anfange
bis diese Stunde nicht gefahlen; und mit
der französischen Kost, ist sie gar nicht zu
frieden. Die Fasttäge sind gar zum er=
krancken, denn keine Mehlspeise sieht man
nicht; man braucht hier 4mahl mehr haar=
buder als Mehl, die Fische sind theuer,
und da man keine eigene Hauswürth=
schaft hat, und vom
Traitteur die Speisen
nehmen muß; so hat man wenig andere
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Hofnung als
crepirte fische zu essen. Diess
ist auch unser gröster Verdruss den wir hier
haben. Wir müssen manchen Fasttag
eine Fleisch Suppe essen, theils weil der
Tra=
teur keine Fasten Suppe schikht, theils weil meine
Frau nichts anders mit den Kindern
essen kann: denn hier sind sie nicht zum
Fasten eingericht. Wenn der 8.
te Theil
in Paris Freÿtags Fastenspeis isset, so habe
ich schon viel gesagt; und sie können nicht
einmahl eine rechte Fasten Suppe machen.
Ich bin gar kein
Scrupulant, das wissen
sie; allein ich wünschte dennoch, daß ich
eine
Dispensation hätte, dann ich will halt
dennoch ein ruhiges Gewissen haben, es möchte
mir seiner Zeit in dem
Processu meiner
Heiligsprechung einige Hindernisse machen,
da wir im übrigen, Gott Lob, uns kei=
nen Vorwurf zu machen haben. Sie
werden vielleicht glauben, wir werden ganz
ausserordentlichen Faschings-Lustbarkeiten beÿ=
wohnen?
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wohnen? Ò weit gefehlt! Es fiehl mir gar
nichts beÿ einem
Ball, der erst nach mit=
ternacht anfängt, beÿzuwohnen. Hier
sind in allen Eggen
Balls; aber sie müs=
sen wissen, daß hier
Balls zu 30, 40 Per=
sonen sind, wo ein oder 2. Höchstens 3.
Violinen,
ohne Bass, die
Menuet spielen;
und was für
Menuet? – – –
Menuets, die
zur Zeit
Heinrich des 4.
ten schon sind ge=
tanzet worden, und in der ganzen Stadt
sind etwa 2. oder 3.
favorit Menuet, die
immer müssen gespiellet werden, weil die
Personen keinen anderen danzen können,
ausser den ienigen
Menuet, beÿ dessen Ab=
spiellung sie das danzen gelehrnet haben.
Am meisten aber werden
Contra dances,
oder die beÿ uns so genannten englischen
Tänze getantzet! alles dieses weis ich
aus der Erzehlung,
dann ich habe noch
nichts gesehen.
Nun bin ich sehr begierig, wie dann
die Fasten hier aussiehet. Vom Rorate weis
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man nichts. Vielleicht haben wir wieder eine
besondere Andacht wie die Andacht von
Weinachten bis Liechtmeß ware, da ganz
Paris die ganzen 6. Wochen am Samsta=
ge fleisch isset zu Ehren der 6. Wochen lang=
en Kindtbette unser lieben Frauen.
Madame! Diese Andacht wird genau
und mit grosser Andacht gehalten. Ein
gewisser sehr andächtiger Gebrauch der die=
se heilige Fasten sein wird, ist mir schon
erzehlet worden. nämlich in der Mitte der
fastenzeit sind gewisse
Ball erlaubt,
die man
die Jungfernfaßnacht heist. Also zwar das
es eins ist, wann ich spreche
à la moitié
du Carême oder au Carneval des puccelles.
beÿdes
heist die hälfte der Fastenzeit.
Sehr wohl! schlüssen sie hieraus auf die hoch=
schätzung für die Jungfern: und stellen sie
sich vor was für eine Völle, und was für
ein Gedräng auf diesem Keuschen
Ballen
seÿn wird. Wie viele artige Kinder
werden sich nicht in rechten FaßnachtsFest in
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die Wälder verbergen und in die entlegne=
sten Winckel verkriechen, um nur den
Car=
neval des puccelles nicht zu verschertzen.
Was glauben sie? – – – Ich glaub – – –
Was in der faßnacht nicht zeit gehabt hat
sich
NB lustig zu machen, daß mus noch in
der fasten,
NB noch vor der Passions-woche
zu ende gebracht werden; Dann wie viele
sind dort beschäftiget ihre Herrschaften zu be=
dienen. Diese armen Mädel müssen
auch einen lustigen Abend haben. – – – Viel=
leicht werden sie aber nun sagen
Madame,
in der heiligen Fastenzeit sollte man lieber
statt des
Danzes in den heiligen Rosenkranz
gehen. Ja wohl Rosenkranz. Hier weis
man nichts was ein Rosenkranz ist. Ich
habe schon in
Brüssel niemand als ein paar
alte Frauen mit einem Rosenkranz ge=
sehen. Hier sehen sie nicht nur keinen
Rosenkranz, sondern sie würden alle Leute
in der Kirche an ihrer Andacht hindern, wenn
sie einen Rosenkranz in der Hand hätten.
Dermahl gehet es noch gut, wir können den
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Rosenkranz in dem Schliefer haben, ohne die
Leute dadurch in eine vorwitzige Verwun=
derung zu bringen, und ihre grosse Andacht
zu stören. – Kurz, ich muß alle diese Sa=
chen, und sonderheitlich die Art des Gottes=
Dienstes und der geistlichen Verrichtungen ihnen
seiner Zeit mündlich erzehlen, wie auch der
Geistlichen Kirchen
Klaidung, und viele der=
leÿ Sachen, die sehr von unseren Unterschie=
den sind. Überhaupts gehet nur alles hier
auf das weltliche; sehr wenig schöne Kirchen,
aber eine desto grössere Menge der schönsten
Hôtels, oder Palläste, an deren inneren
Ausziehrung keine Unkosten gesparet sind,
und in deren ieden sie was besonderes und
überhaupts alles finden, was ein Mensch
zur Bequemlichkeit seines Leibes und zu Er=
getzung seiner
Sünnen nur immer erden=
cken kann. Eines so ich dem Herrn Ha=
genauer zu sehen wünschte, sind die verschiedene
Art der schönsten
Carossen. das ist wahr, daß
ist alles, was man schönes sehen kann. Stellen
sie
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sie sich nur einmahl die schönste
Tabattiere
von
Lac Martin vor, die sie in ihrem Leben
gesehen haben; so sind alle Wägen gemahlet
und
laquirt; sie finden Mahlereÿen auf
denen Wägen, die in den ersten Mahlereÿ
Gallerien stehen könnten; und die meisten
Clavier sind so. Ich werde, um wenigst den
unverbesserlichen Geschmack aller Arten der
Französischen Wägen zu zeigen, und ihre ganze
Bauarth in Salzburg
ς: bekannt zu machen,
alles in Kupfer, vielleicht bald nach Salzburg
abschicken: da ich nämlich um mich, wegen
gewissen Ursachen, leichter zu machen, etwas
meiner
Bagage nach Salzburg abzuschicken,
und dan ein und anderes beÿ dieser Gelegen=
heit nach Hause zu bringen gedencke, was
mir auf der Reise möchte gestohlen oder
verlohren, oder auch zerbrochen werden; wo
man nämlich so oft aus und einpacken
muß. noch eins! – – haben sie einmahl et=
was von einem englischen
S: V: Abtritte ge=
höret? – – das findet man hier fast in allen
Hôtels. Auf beÿden Seÿten sind wasser=
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pippen, die man nach der
Execution umdräh=
en kann; eine Macht das wasser Abwerts
die andere das Wasser,
das auch warm seÿn
kann, aufwerts spritzen. Ich weis nicht
wie ich es ihnen mit höflichen und anständi=
gen Worten mehr erklären kann, das
übrige müssen sie sich einbilden, oder mich
seiner Zeit fragen. Diese
Cabinette sind
übrigens die allerschönsten, die man sich vor=
stellen kann. Gemeiniglich sind die Wände
und auch der Fuß boden von
Meolica, auf
Holländisch; auf einigen dazu errichteten
Stellen, die oder
laquirt, oder von weissen
Marmor oder gar von
allabaster sind stehen
die
Pots de chambre von dem schönst ge=
mahlten und an dem Ranfte
vergolten
Porcellain, auf andern solchen stellen einige
Glässer mit wohlriechenden Wässern, dann
auch grosse
Porcellainene Töpfe mit wohl=
riechenden
Kreutern gefüllet. dabeÿ findet
sich gemeiniglich ein hüpsches
canapè, ich glau=
be für eine gähe Ohnmacht. ich muß schlüs=
sen; der Platz wird immer kleiner;
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Es wären noch 1000 Sachen zu sagen. Ich
hatte diesen brief schon lange schlüssen sol=
len, allein die Beschäftigungen die ich ei=
nige Täge hatte und bis den 10.
tς dieß
noch haben werde, um zu machen, daß
ich den 10. Abends von 6. bis 9. Uhr 75.
Louis
d'or in meinen Händen sehe, hat es billigst
gehindert. Den nächsten Brief, den ich
die Ehre haben werde zu erhalten Bitte
nicht in das
Van-Eÿck Hôtel zu
addres=
siren, sonderen,
chez Mr. Grimm Secreta=
ire de S: A: Monsgr Le Duc d’Orelans, Rue
neuve du Luxembourg. ich möchte eben nicht
in
Paris seÿn. Machen sie meine
Empfehlung von Herzen an alle gute Freun=
de und Freundinen, und ich bin dero.
Paris den 9.tς Martij.
P: S:
Der Platz
la Greve ist hier der Ort,
wo man die Missethätter in die andere Welt
schicket. Wer ein Liebhaber von diesen
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Executionen ist, der hat fast alle Tage etwas
zu sehen. Letzlich sind eine Cam=
merjungfer, die Köchin und der Gutscher
neben einander
en compagnie gehencket wor=
den. Sie dieneten einer blinden reichen
Wittwe, welcher sie beÿ 30000
Louvis d'or
entwendet haben, Da sie eben ihr
capital
nach Haus bezahlt bekommen. Die Frau hat
es zu frühe gemerckt, und die 3. vereinigten
Diebe waren zu ungeschickt. Man macht,
wie ich höre nicht viel Weesens, und wenn
ein HausBedienter 15.
Sols stihlt, so ist er
gehenckt. Das muß auch hier seÿn, sonst
wäre niemand sicher. Dass aber alle die=
nerschaft hier, wann sie etwas kauffen, auf
die waare schlägt, ist etwas allgemeines;
das heist der
Profit, und das ist nicht ge=
stohlen. In der vorigen Woche ward ein
Notarius publicus vom
Chatelet, ein Mann
von 70. Jahren in
Effigie gehenckt, welcher,
da er sehr im
credit stand, und folglich viele
Pupillen und andere Gelder
p zu besorgen
und
placiren hatte, eine
Defraudation
und
falliment von einer unzahlbahren
Suma
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Summa gelds gemacht hat. Es war
würcklich Schade, daß er nicht selbst in
Persona da ware; Sie hencken aber
auch hier keinen, wenn sie ihn nicht ha=
ben.
Meine Frau und Kinder, die alle, Gott
Lob, wohl auf sind, empfehlen sich samt
ihren Vater.
[S. 17]


[vacat]