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[... (Schluss der Abschrift des Briefes vom 13. August 1763)]
                               N. 16.
                      Frankfurt den 20. augς: 1763.

     Vor 3. Tägen ist hier eine Geld-deval=
vations=Tabell
 affigiret worden. Es wäre
zu Umständlich alles hier anzusetzen. Ge=
nug, alle 12 Xr: Stücke, wenige Churbajrische,
die nach 1752. geprägt worden, ausgenommen,
sind auf 10 Xr. gesetzet. Die Carolin 11 f.
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die Louis d'or 11 f: die Ducaten 5 f. Alle
Conventions Thaller 2 f: 24 Xr: Die grossen Tha=
ller 2 f: 45 Xr: pp. unsre 2 Xr: Stücke haben
unter der kleinen Münz die Ehre, auf 6. Pfen=
ing gesetzt zu seÿn. Gewisse batzen sind
auf 3. Xr:, gewisse 6:er auf 5. Xr: abgewir=
diget. Eine Menge Kreuzer gelten 2. Pfening,
einige gar nichts.
     Der Churfürst von Maÿnz war vor
3. Tägen wircklich hier Tod gesagt. Gestern
und heunt habe ich aber Briefe vom Hς: Cammer=
diener Urspringer, und Hς:n Canonico Starck er=
halten, die mir schreiben, daß der Churfürst
3. Täge in wirckl: Todtgefahr ware; seit dem
17. aber hat sich die Kranckheit so gebrochen,
daß der Churfürst, Gott Lob, um viel besser ist.
     Vor 2. tägen hat ein Jud den Anfang gemacht,
und ist wegen dem Holländischen falliment aus=
getretten
. In Berlin sind 2. der grösten
Häuser gefallen. Mit einem Worte: kein
Mensch traut hier dem anderen, bis die Sache
mehr ins klare kommt.
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     Seit 4. bis 5. Tägen haben wir hier eine
unausprechliche Hitze, so daß man die gan=
ze Nacht s: v: im Schweiss liegt, ob man gleich
alle Fenster offen lässt. Es ist aber auch
nothwendig, den mit dem Weine sahe es noch
sehr schlecht aus. Man kiehlt sich hier mit
den Sauerwassern ab. Schon zu Geissling=
en findet man eine Art sauerwasser, und
man findet verschiedene Quellen bis Stuttgard.
jedermann trinckt solche unter dem Weine,
weil die brunnenwasser meistens Schlecht,
matt, stinckend, oder trieb sind. Zu Mann=
heim, Maÿnz, Franckfurth p wird nichts als
Schwalbacher und Selzerwasser getruncken.
Ich wässere meinen Wein meist mit Selzer
Wasser. Liebster Herr Hagenauer! nun
sehe ich den Unterschied unter den Rheinweinen.
Es ist kein Wein in der Welt, von dem es
mehr Gattungen giebt. Er ist auch nichts we=
niger als Wohlfeil, indem die Maas, wenn
sie ein wenig gut ist, 40 Xr: kostet, und
dieß ist unser Dischwein. so dann bekom=
men sie die Maas zu 1 f: 2. 3. 4. auch zu
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5 f:, welches erstaunlich ist. Die Maas zu 36 Xr:
ist auch ein ehrlich glas Wein: Allein wenn
man nur einmal die Naße in das Glaß
gestecket hat, wo Weine ist die Maaß nur
für 1 f: so glaubt man der 40 Xr: Wein
seÿe kein Rheinwein mehr. Die hiesige Maaß
wird Salzburgς:e 5. Mässel betragen. Nun
weil wir vom Wein reden, so muß ich ihnen
eine besondere Geschichte erzehlen. Lachen sie!
Gestern Vormittage kam in unser Wirts=
haus ein Wagen. Darinne saß ein Frauen=
zimmer amazonisch gekleidet oder in einer so
genannten Cassacken, und ein Camermädl,
und auf den Sitz ein Bedienter. Beÿm
aussteigen glaubte man die Madame ware
krum, Lahm, oder sonst kranck; Allein
es zeigte sich gleich, daß sie etwas weniges be=
truncken
ware. Sie speiste allein in ihrem
Zimmer, und der Postillion erzehlte, daß sie,
ihr Cammermädl, der Bediente, und er der
Postillion theils in der fruhe, theils auf den
Weege, wo sie sehr oft, sonderheitlich im
Walde, halt gemacht, und den grossen Flaschen=
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keller heimsuchten, 12. Maas Wein vor lau=
ter Hitze nach und nach hineingetröpfelt
hätten. Und in der That, der Flaschenkeller
war rein ausgeleheret; Die Madame, und
das Kamermädl muste man über die Stiege
führen. Sie assen sehr wenig; die Ma=
dame
 erzehlte mit einer unausgesetzten
Beredsamkeit alle ihre Heÿraths Umstände
&c: &c: &c: – – Und nachdem sie aber=
mahlen, nämlich die Madame, das Mädl,
der Bediente, und der neue Postillion, der
dazu eingeladen ware, 4. und eine 12 Maas
Weine ausgestochen, und den Flaschenkeller
auf den Vesper-Trunck füllen lassen; sind
sie alle Stern Hagl voll in den Wagen ge=
führet worden: so daß es ein wunder ist, wenn
sie der Postillion, der auch besoffen war,
nicht einige mahl umschmeist. Die Ma=
dame
ist eine junge Person, die viel Geld hat:
Ein Mann von 70. Jahren hat sie wegen ih=
ren
 Gelde, und wegen ihrer Jugend gehaÿ=
ratet. Sie reiset, ihre Freunde in Bam=
berg zu besuchen. Hilf Himel! wie
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vielle maas Wein wird diese edle Gesell=
schaft noch verschlingen, bis sie zu den ihrigen
kommt. Schade, und immer Schade, daß
Sie nicht nach Salzburg kommt um der Ma=
dame
Zahlmeisterinn Gesellschaft zu leisten.
Die würde ihrem Manne gar bald ein Raths=
titl an den Hals sauffen.
     Hier speist unter andern der Churtrieri=
sche Gesannte
, ein Braunschweigischer Husaren=
Rittmeister, und ein Preissς: Hauptmann,
und der bekannte labati mit uns, der von
französischen Desserteurs ein Regiment aufge=
richt
, das aber wieder ihn revoltirt, und
auf einmahl durchgegangen ist.
     Nun haben sie einen langen Brief, und
zwar in der ordentlichen Unordnung. ich
Schreibe wie es mir gefällt. So gehet es, wen
man reiset. Eine Menge Sachen kom=
men vor, die ich ihnen sagen möchte, allein
ich muste ganze Tage schreiben.
     Den 18. war unser Concert. Es
war gut.
am 22. wird es wieder seÿn,
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und auch am 25. oder 26. Der Kayserl:e
Gesandte Graf von Pergen und seine Dame p
waren auch da. Alles gerieth in Erstaunen!
Gott giebt uns die Gnade, daß wir, Gott
Lob, gesund sind, und aller Orten bewundert
werden. Der Wolfangς: ist ganz ausseror=
dentlich lustig, aber auch schlimm. Die Nan=
nerl
leidet nun durch den Buben nichts mehr,
indem sie so spielt, daß alles von ihr spricht,
und ihre Fertigkeit bewundert. Ich habe ein
artiges Clavierl vom Hς: Stein in Aug=
spurg gekauft, welches uns wegen dem Exercitio
auf der Reise grosse Dienste thut. Das
Geld dafür habe beÿ Hς: Calligari angewie=
sen; Dann Hς: Stein hat es beÿ einem guten
Freund in Augspurg weggenommen, der eben
nicht in Augspurg ware. Und er wuste mir
selbst nicht zu sagen, wie viel ihm der Freund
dafür bezahlt hatte. Einmahl seit dem wir
auf der Reise sind, ich glaube es war zu
Augspurg, fieng der Wolfgangς: da er mor=
gens erwachte an zu weinen. Ich fragte wa=
rum: er sagte es ware ihm Leid, daß er
den Hς: Hagenauer, hς. Wenzl, Spizeder,
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Deibl, Leitgeb, Vogt, Caietan, Nazerl p.
und andere gute Freunde nicht sehe. Wir
empfehlen uns demnach alle ihnen, allen den
ihrigen, allem im Hause, und so viellen mei=
nen guten Freundinen, und Freunden, daß
es besonders zu benennen nicht möglich ware.
Leben sie gesund. Und wenn sie schreiben,
so schreiben sie nach Maÿnz im Gasthof zum
König v Engelland, oder nach Coblenz. Auf
der Post liegen zu Lassen. Addio.

P: S: Die Nanerl trägt zum spazieren gehen
einen Englischen Hut, wie es in diesen gegenden beÿ
Frauenzimmern mode ist. Wenn wir so zu Salz=
burgς: durch die Strassen giengen, lieffe es alles
zusam, als wenn der Rinoceros komte. Sie be=
kam ihn in Maÿnz, samt einen gallanterie fla=
schenkellerς: zum præsent. Der Hut kost 1. Dugaten.
das eau Sens pareill: flaschenkellerς: 3. Ducaten.
     Wollen sie etwas von einer neuen Mode wissen?
3. Engellender speissen mit uns en compagnie. Die
Taille von ihrer Kleidung ist so hoch bis unter die
Achseln; und so dann hängt der Rock bis auf
die helfte dς waden hinunter: und dazu kommen
noch die alten engen Stifl-Ermel; so,
                                                        daß
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daß es abscheulich anzusehen ist. Und das ist
wircklich ihre letzte mode. Einer von ihnen
gehet wenigst alle zweÿte Täge vor Tische hin=
aus vor die Statt, und Badet sich im Meÿn:
und kommt dann, wie eine taufte Mauße
zum Speisen. O wie viel hätte ich zu schrei=
ben! – – – Der Wolfgς: hat auch ein
Tabattiere von Porcellan zum præsent be=
kommen. Die Nannerl eine von Lac Mar=
tin
und ein garnitur pallatinς: p.
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