[S. 1]


Vienne ce 22
d'Août 1781
Mon trés cher Pére!
Wegen der
adresse meiner neuen Wohnung ka
n ich ihnen Ja noch nichts schreiben, weil
ich noch keine habe; doch bin ich mit zweÿerleÿ im Preiszank, wovon eines ganz ge=
wis geno
men wird, weil ich künftiges Monath nicht mehr hier wohnen kö
nte, fol=
glich ausziehen muß. – es scheint, h
ς: v: Auerha
mer hätte ihnen geschrieben –
– und geschrieben daß ich schon wirklich eine Wohnung habe! – ich habe auch
wirklich schon eine gehabt; aber, was für eine! – für Ratzen und Mäuse
aber nicht für Menschen. – die stiege müste man Mittags um 12 uhr mit
einer laterne suchen. das zi
mer ko
nte man eine kleine ka
mer ne
nen.
durch die küche ka
m man in mein zi
mer, und da war an meiner ka
mer=
thure ein fensterchen; man versicherte mich zwar man würde ein fürhängerle
vormachen, doch bat man mich zugleich daß, so bald ich angezogen wäre,
ich es wieder aufmachen sollte, de
n sonst sähen sie nichts so wohl in der küche
als in den anstossenden andern zi
mer. – die frau selbst ne
nte das haus
das Ratzen=Nest; mit einem wort, es war fürchterlich anzusehen. –
das wäre mir eine Noble Wohnung gewesen, wo doch unterschiedliche leute
von Ansehen zu mir ko
men. – der gute Ma
n hat halt auf nichts als
auf sich selbst und seine Tochter gedacht, welche die gröste
Seccatrice ist,
die ich ke
ne. – weil ich in ihren lezten schreiben eine graf Daunische
Eloge
von diesem hause gelesen, so muß ich ihnen doch auch etwas davon schreiben;
ich hätte dies alles was sie lesen werden mit stillschweigen übergangen, und als
etwas das nicht kalt und nicht warm macht, weil es nur eine
privat seccatur
für mich allein ist, betrachtet. – da ich aber aus ihren schreiben ein ver=
trauen auf dieses haus entdecke, so sehe ich mich gezwungen ihnen sowohl das
gute als üble davon aufrichtig zu sagen. – Er ist der beste Ma
n von der
Welt – Nur gar zu gut; de
n, seine frau, die du
mste und Närrischte schwätze=
rin von der Welt, hat die hosen. so, daß we
n sie spricht, er sich kein
Wort zu sagen trauet; er hat mich, da wir öfters zusa
m spatzieren gegangen
DOM=
MUSICK=VEREIN
U.
MOZARTEUM
INTERNATIONALE
STIFTUNG:
„MOZARTEUM”
1881
[S. 2]


gebeten, ich möchte in seiner frauen Gegenwart nichts sagen, daß wir einen
fiacre geno
men, oder Bier getrunken haben. – Nun, zu so einem Ma
n
ka
n ich ohnmöglich vertrauen haben; er ist mir in betracht seiner haus=
haltung zu unbedeutend. – er ist ganz brav, und ein guter freund von
mir; ich kö
nte öfters beÿ ihm zu Mittage speisen, ich pflege mir aber
meine
Gefälligkeiten niemalen bezahlen zu lassen. – sie wären freÿlich mit einer
Mittag Supe nicht bezahlt – doch glauben solche leute was sie damit thun. –
Ich bin nicht wegen meinem Nutzen in ihren hauß, sondern wegen
dem ihrigen.
Ich sehe dabeÿ gar keinen Nutzen für mich; – und habe noch keine einzige
Person dort angetrofen, die so viel Werth wäre, daß ich sie auf dieses
Papier hersetzte. – übrigens gute leute, und sonst weiter nichts; –
leute die vernunft genug haben einzusehen wie nützlich ihnen meine be=
kantschaft für die tochter ist, welche, wie alle leute die sie vorher gehört
haben sagen, seit der zeit da ich zu ihr gehe, sich ganz verändert hat. –
von der Mutter will ich gar keine beschreibung machen. genug, daß man
über tisch genug zu thun hat, um das lachen zu halten;
basta; sie
kö
nen die frau Adlgasserin; und dieses
meuble ist noch ärger; de
n sie
ist dabeÿ
Medisante. also du
m und boshaft. von der Tochter also;
we
n ein Maler den Teufel recht natürlich Malen wollte, so müste er zu
ihrem gesicht zuflucht nehmen. – sie ist dick wie eine bauerdirne; schwizt
also daß man speien möchte; und geht so bloß – daß man ordentlich
lesen ka
n. –
ich bitte euch schauet hier her; das ist wahr, zu sehen ist
genug; daß man blind werden möchte; aber – man ist auf den ganzen
tag gestraft genug we
n sich unglückseeligerweise die augen darauf wen=
den – da braucht man Weinstein! – so abscheulig, schmutzig, und
grauslich! – pfui Teufel! – Nun, ich habe ihnen geschrieben, wie sie cla=
vier spiellt. – ich habe ihnen geschrieben warum sie mich gebeten, ihr
beÿzustehen. – mit viellen vergnügen thue ich leuten gefälligkeiten, aber
INTERNATIONALE
STIFTUNG:
„MOZARTEUM”
1881
[S. 3]


nur nicht
Secchiren. – sie ist nicht zufrieden we
n ich 2 stunde alle tage mit
ihr zubringe; ich soll den ganzen tage dort sitzen. – und da will sie die ar=
tige machen! – aber wohl noch mehr; sie ist
serieusement in mich verliebt –
ich hielte es für spass, aber nun weis ich es gewis; – als ich es merkte – de
n,
sie na
m sich freÿheiten heraus – zum beÿspielle. – mir zärtliche vorwürfe zu
machen, we
n ich etwas spätter ka
m als gewöhnlich, oder mich nicht lange aufhalten
ko
nte, und dergleichen sachen mehr, – ich sahe mich also gezwungen um sie nicht
zum Narren zu haben, ihr mit höflichkeit die wahrheit zu sagen. – das half
aber nichts. sie wurde noch i
mer verliebter; endlich begegnet ich ihr allzeit
sehr höflich, ausgeno
men sie ka
me mit ihren Possen, da
n wurd ich grob –
da na
m sie mich aber beÿ der hand, und sagte;
lieber Mozart; seÿen sie doch
nicht so böse – sie mögen sagen was sie wollen, ich hab sie halt doch
gern. – in der ganzen stadt sagt man das wir uns heÿrathen, und
man verwundert sich nur über mich, daß ich so ein gesicht nehmen mag.
sie sagte mir daß we
n so was zu ihr gesagt würde, sie allzeit dazu gelacht
habe; ich weis aber von einer gewissen Person daß sie es bejahet
habe, mit dem zusatz, daß wir alsda
n zusa
m Reisen werden. –
das hat mich aufgebracht. – ich sagte ihr also lezthin die Meÿnung
wacker; und sie möchte meine Güte nicht misbrauchen. – und noch
ko
me ich nicht mehr alle tage, sondern nur alle anderte tage zu ihr,
und so wird es nach und nach abnehmen. – sie ist nichts als eine verliebte
Närrin; – de
n bevor sie mich geka
nt, hat sie in theater als sie mich ge=
hört, gesagt: Morgen ko
mt er zu mir, und da werde ich ihm seine
Va=
riationen mit den nemlichen
gusto vorspiellen. – aus dieser ursache
bin ich nicht hingegangen. weil das eine stolze rede war – und weil sie ge=
logen hat. de
n, ich wuste kein wort davon, daß ich den andern Tag hingehen
sollte. – Nun
adieu, das Papier ist voll. der erste ackt von der
opera ist nun fertig. ich küsse ihn 1000mal die hände und meine liebe
schwester umarme ich von herzen und bin Ewig dero
geh: Sohn
W: A: Mozart
mp
DOM=
MUSICK=VEREIN
U.
MOZARTEUM
INTERNATIONALE
STIFTUNG:
„MOZARTEUM”
1881
[S. 4]


N. 27
À
Monsieur
Monsieur Leopold Mozart
Maitre de la Chapelle à
Salzbourg
INTERNATIONALE
STIFTUNG:
„MOZARTEUM”
1881