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Mon trés cher Pére! 57
kaÿsersheim den 18:
ten Dec:bre
1778
so
ntags den 13:
ten bin ich gott lob und danck glücklich mit der schönsten gelegenheit
von der welt hier angelangt, und habe gleich das unbeschreibliche vergnügen gehabt
einen brief von ihnen zu finden; – warum ich ihnen nicht gleich geantwortet, ist
die ursache, weil ich ihnen die sicherste und gewisseste nachricht meiner abreise von hier
melden wollte, und ich aber es selbst noch nicht wuste – mich aber endlich entschlossen,
weil der h
ς: Prälat den 26:
ten oder 27:
ten dieses nach München reiset, ihm wieder
gesellschaft zu leisten – doch muß ich ihnen melden, daß er nicht über augsburg
geht – ich verliere nichts dabeÿ, doch we
n sie etwas vielleicht zu bestellen, oder
zu betreiben haben, wo meine gegenwart etwa nothwendig seÿn sollte, so ka
n
ich, we
n sie befehlen, allzeit von münchen, weil es sehr nahe, eine kleine
spazierfahrt hin machen; – meine reise von Ma
nheim bis hieher war,
für einen Ma
n, der mit leichtem herzen von einer stadt weg=reiset, gewis
eine der angenehmsten – der h
ς: Prälat und sein herr kanzler, ein recht
Ehrlicher, braver und liebenswürdiger Ma
n fuhren allein in einer
chaise –
der h
ς: kellermeister
P: Daniel, bruder
Anton, h
ς: secretaire und ich
fuhren allzeit eine halbe – bisweilen auch eine stunde voraus; – allein
für mich, dem niemal etwas schmerzhafter gefallen ist, als diese abreise,
war folglich diese reise nur halb=angenehm – sie wäre mir gar nicht
angenehm, ja gar
Ennuiante gewesen, we
n ich nicht von jugend auf
schon so sehr gewohnt wäre, leüte, länder und städte zu verlassen, und
nicht grosse hofnung hätte, diese meine zurückgelassene gute freünde wieder,
und bald wieder zu sehen – unterdessen ka
n ich nicht läügnen, sondern
muß ihnen aufrichtig gestehen, daß nicht nur allein ich, sondern alle meine
gute freünde, besonders aber das
Canabichische hauß, die lezten täge,
da nun endlich der tag meiner trauerigen abreise besti
mt war, in
den bedauerns=würdigsten umständen war; – wir glaubten es seÿe nicht
möglich daß wir scheiden sollten; – ich gieng erst morgens um halbe 9 uhr ab,
und
Mad:me Canabich stunde doch nicht auf – sie wollte – und ko
nte nicht
abschied nehmen; – ich wollte ihr das herz auch nicht schwer machen, reisete also
ab, ohne mich beÿ ihr sehen zu lassen – allerliebster vatter! – ich versichere sie,
daß dies vielleicht eine meiner besten und wahren freündinen ist – de
n ich ne
ne
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nur freünd und freündin eine Perso
n die es in allen
situationen ist – die
tag und nacht auf nichts si
net, als das beste ihres freündes zu besorgen –
alle vermögende freünde anspa
net, selbst arbeitet, ihn glücklich zu machen; –
sehen sie, dies ist das wahre
Portrait der
Mad:me Canabich – es ist freÿlich
interesse auch dabeÿ; allein, wo geschieht etwas, ja, wie ka
n ma
n etwas
thun auf dieser welt, ohne
interesse? – und was mir beÿ der
Mad:me
Canabich gar wohl gefällt, ist, daß sie es auch gar nicht läügnet; –
ich will es ihnen schon mündlich sagen, auf was für art sie es mir gesagt
hat; – de
n, we
n wir alleine beÿsa
m sind, welches sich leider sehr selten
ereignet, so reden wir ganz vertraut; – von allen guten freünden, die
ihr haus
frequentiren, bin ich der einzige der ihr ganzes vertrauen hat, der
alle ihre haus=
famillien=verdruß, anliegen, geheimnüsse und umstände
weis; – ich versichere sie, |: wir haben es auch zu uns selbst gesagt :| daß wir
uns das erstemal nicht so gut geke
nt haben – wir haben uns nicht recht
verstanden; – aber we
n man in hauß wohnt, so hat man mehr gelegen=
heit einander ke
nen zu lernen; – und schon in
Paris fieng ich an, die
wahre freündschaft von
Canabichischen hauß recht einzusehen, inde
m ich von
guten händen wuste, wie er und sie sich um mich a
nahmen;
ich sparre mir vielle sachen mündlich ihnen zu sagen und zu entdecken –
de
n seit meiner zurückunft von
Paris hat sich die scene um ein
merckliches verändert – aber noch nicht ganz; –
Nun etwas von meinen klosterleben; – das kloster an sich selbst hat
keinen grossen eindruck auf mich gemacht, de
n we
n man einmal kremsmünster
gesehen hat, so – ich rede von äüsserlichen, und von den was man hier
Hof heist – das kostbareste muß ich erst sehen; – was mir am lächerlichsten
vorkö
mt, ist das
grausame militaire – möchte doch wissen zu was? –
nachts höre ich allzeit schreÿen: wer da? – gieb aber allzeit fleissig
antwort; schmecks! – daß der h
ς: Prälat ein recht liebenswürdiger
Ma
n ist, wissen sie; – daß ich mich aber unter die
classe seiner
favoriten
zählen darf, wissen sie nicht; – es wird mich aber weder in glück noch un=
glück bringen, glaube ich; – doch ist es i
mer gut einen freünd mehr in
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der welt zu haben; – ich ke
ne weder
Mad:selle Ballon, noch h
ς: Heigl und
seine frau – was die
monodrame oder
Duodrame betrift, so ist eine sti
me zum
singen gar nicht nothwendig, inde
me keine Note darin gesungen wird – es wird nur
geredet – mit einem wort, es is[t e]in
Recitativ mit
instrumenten – Nur daß der
acteur seine worte spricht, und nicht singet; – we
n sie es nur einmal an
clavier
hören werden, so wird es ihnen schon gefallen; – hören sie es aber einmal in der
Execution, so werden sie ganz hi
ngerissen, da stehe ich ihnen gut dafür; – allein
einen guten
acteur oder gute
actrice erfordert es; – Nun schä
me ich mich in der
that, we
n ich nach München ko
me ohne meine
sonaten – ich begreife es nicht; –
das war wohl ein du
mer streich vom Gri
m – ich habe es ihm auch geschrieben,
daß er nun einsehen wird, daß es eine kleine übereilung von ihm war; –
mich hat noch nichts so geärgert, als dieses; – überlegen sie es; – ich weis,
daß meine
sonaten heraus sind seit anfangs
Novembre – und ich als
author
habe sie nicht – und ka
n sie der Churfürstin, der sie
dedicirt sind, nicht über=
reichen; – ich habe unterdessen anstalten gemacht, daß sie mir nicht fehlen
kö
nen; – ich hoffe daß sie meine baase in augsburg nun erhalten hat, oder
daß sie beÿ
joseph Killian alda liegen – und hab schon geschrieben, daß
sie mir sie gleich schicken soll; – Nun bis ich selbst ko
me empfehle ich ihnen
bestens einen
organisten – zugleich auch guten
clavieristen – h
ς: demler in
augsburg; – ich dachte gar nicht mehr an ihn, und war sehr froh als man
hier von ihm sprach – das ist ein sehr gutes
genie – die salzburgerischen
dienste kö
nten ihm zu seinen fernern glück sehr nützlich seÿn – de
n es
fehlt ihm nichts als ein guter wegweiser in der Musick – und da wüste ich
ihm keinen bessern
Conducteur als sie mein liebster vatter – und es wäre,
währlich schade, we
n er auf abwege gerathen sollte! –
Nun wird zu München die trauerige
Alceste vom schweizer aufgeführt! – –
das beste |:
nebst einigen anfängen, mittel
passagen, und schlüsse einiger
arien |
ist der anfang des
Recitativ:
O jugendzeit! – und dieß hat erst der
Raaff
gut gemacht; er hat es dem hartig |: der die Rolle des
admet spiellt :|
Punctirt,
und dadurch die wahre
Expression hineingebracht; – das schlechteste aber,
|: nebst den stärckesten theil der
opera :| ist ganz gewis die
ouverture;
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wegen den kleinigkeiten die im kuffer abgegangen, ist es ganz natürlich, daß
beÿ dergleichen umstände leicht etwas verloren, ja auch gestohlen wird; –
das kleine
amadistene Ringl, habe ich der
garde geben müssen, die beÿ meiner
mutter seel
ς: gewacht hat, weil sie sonst den brautring behalten hätte; –
das dintenfas ist zu voll, und ich bin zu hitzig im einduncken, das
sehen sie ganz klar – wegen der uhr haben sie es errathen, die hat studirt;
habe aber nicht mehr als 5
louisd'or dafür beko
men kö
nen, und das in an=
sehung des wercks, welches gut war – denn die
façon wissen sie von selbst,
daß sie alt war, und izt gar ganz aus der
mode; – weil wir just von uhren
reden, so will ich ihnen sagen daß ich mir eine uhr mitbringe – eine wahre
Pariserin; – sie wissen was an meiner steinerl=uhr war? – wie schlecht die
steinerl waren, wie Plump und ungeschickt die
façon – doch das würde
ich alles noch nicht achten, we
n ich nur nicht so viell unnützes geld für
repa=
riren und richten hätte ausgeben müssen! – und doch gieng die uhr einen
tag eine stunde auch 2 zu frühe, den andern tag so viell zu spätt; –
die von kuhrfürsten machte es just auch so, und war aber noch dabeÿ
so schlecht und gebrechlich gearbeitet, daß ich es ihnen nicht sagen ka
n –
diese meine 2 uhren habe mit sa
mt den ketten für eine
Pariserin von
20
louisd'or hergeben – Nun weis ich doch einmal wie viell uhr das
es ist? – so weit hab ich es mit sa
mt meinen 5 uhren nicht gebracht;
Nun habe ich doch unter vier, eine, wo ich mich darauf verlassen ka
n; –
izt leben sie recht wohl, allerliebster vatter; so bald ich in München
seÿn werde, werde ich ihnen meine anckunft benachrichtigen; – unterdessen
küsse ich ihnen 1000mahl die hände, und meine liebe schwester umarme ich
von ganzem herzen und bin dero
meine Empfehlung an alle gute freünde
besonders aber an unsern lieben h
ς: Bullinger –
die
adresse an heÿna ist;
à Monsieur
Monsieur Heina, rue de Seine gehorsamster sohn
feauxbourg st: Germain, à l'hôtel de Lille wolfgang Amadè Mozart mp
à
Paris.
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