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                                                                                                       Paris ce 7 aoust 1778
An den
                                Allerliebster freünd!
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                                            1
Abbé Bullinger,
Hofmeister im Hause des Grafen Arco in Salzburg.

Nun erlauben sie, daß ich vor allem mich beÿ ihnen auf das nachdrücklichste bedancke,
für das neüe freündschaft=stück so sie mir erwiesen, nemlich daß sie sich meines
liebsten vatters so sehr angenohmen, ihn so gut vorbereitet, und so freündschaftlich
getröstet haben; – sie haben ihre Rolle fortreflich gespiellt – dieß sind die
eigenen worte meines vatters; bester freünd! – wie kan ich ihnen genug dancken!
– sie haben mir meinen besten vattern erhalten! – ihnen hab ich – ihn zu
dancken; – Erlauben sie also, daß ich gänzlich davon ab=breche, und gar
nicht anfange mich zu bedancken, den ich fühle mich in der that zu schwach, zu
unvollkomen, – zu unthätig darzu – bester freünd! – ich bin so imer ihr
schuldner; – doch, gedult! – ich bin, beÿ meiner Ehre noch nicht im stande
ihnen das bewuste zu ersetzen – aber zweifeln sie nicht; gott wird mir
die gnade geben, daß ich mit thaten zeigen kan, was ich mit worten – nicht
auszudrücken im stande bin – ja, das hoffe ich! – unterdessen aber, bis
ich so glücklich werde, erlauben sie mir, daß ich sie um die fortsezung ihrer
schäzbaren und werthesten freündschaft bitten darf – und zugleich, daß
sie die meinige, neüerdings, und auf imer – anehmen; welche ich ihnen
auch mit ganz aufrichtigen – guten herzen auf Ewig zuschwöre; – sie
wird ihnen freÿlich nicht viell nutzen! – desto aufrichtiger, und dauer=
hafter wird sie aber seÿn – sie wissen wohl, die besten und wahrsten freünde
sind die arme – die Reiche wissen nichts von freündschaft! – besonders
die darinen gebohren werden; – und auch diejenigen, die das schicksaal darzu
macht, verlieren sich öfters in ihren glücks=umständen! – wen aber ein
Man, nicht durch ein blindes, sondern billiges glück, – durch verdienste in
vortheilhafte umstände gesezt wird, der in seinen Erstern misslichen umständen
seinen Muth niemalen fallen lassen, Religion, und vertrauen auf seinen
gott gehabt hat, ein guter Christ und Ehrlicher Man war, seine wahre
freünde zu schätzen gewust, mit einem wort, der ein besseres glück
wircklich verdient hat, – von so einem ist nichts übles zu förchten! – 
Nun will ich ihren brief beantworten; izt werden sie wohl alle wegen meiner
gesundheit ausser Sorge seÿn – den sie müssen unterdessen 3 briefe von
mir erhalten haben – der Erste von diesen, dessen inhalt in der trauerigen

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Nachricht des Tods meiner seeligen Mutter besteht, ist ihnen, bester freünd,
eingeschlossen worden; – ich weis es, sie entschuldigen mich auch, wen ich
von dieser ganzen sache schweige – meine gedancken sind doch imer dabeÿ;
– sie schreiben mir, ich soll izt nur auf meinen vatter dencken,
ihm aufrichtig meine gesinungen entdecken, und mein vertrauen
auf ihn setzen, – wie unglücklich wäre ich nicht, wen ich diese er=
rinerung nöthig hätte! – Es ist sehr nützlich für mich, daß
sie mir sie machten; – allein, ich bin vergnügt – | und sie sind es auch :|
daß ich sie nicht brauche; – in meinem lezten an meinen lieben vatter
habe schon so viell geschrieben, als ich bis dato selbst weis – und ihn
versichert, daß ich ihm allzeit alles umständlich berichten,
und meine meÿnung aufrichtig entdecken werde, weil ich mein ganzes
vertrauen auf ihn habe, und seiner vätterlichen sorge, liebe und wahren
güte gänzlich versichert bin – gewis wissend, daß er mir auch einmal
eine bitte, von welcher mein ganzes glück und vergnügen meines
übrigen lebens abhängt, und welche | wie er es auch von mir nicht anderst
erwarten kan | ganz gewis billig und vernünftig ist, nicht abschlagen
wird. liebster freünd! – lassen sie dieses meinem lieben vattern
nicht lesen; – sie kenen ihn; er würde sich allerleÿ gedancken
machen, – und zwar unnütz; – Nun von unserer Salzburger Historÿ!
sie wissen, bester freünd, wie mir Salzburg verhasst ist! – nicht
allein wegen den ungerechtigkeiten die mein lieber vatter und ich
aldort ausgestanden, welches schon genug wäre, um so ein ort ganz
zu vergessen, und ganz aus den gedancken zu vertilgen! – aber
lassen wir nun alles gut seÿn – es soll sich alles so schicken, daß
wir gut leben könen; – gut leben, und vergnügt leben, ist zweÿerleÿ,

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– und das lezte würde ich | ohne hexereÿ | nicht könen; es müste wahr=
haftig nicht natürlich zugehen! – und das ist nun nicht möglich, den beÿ
iezigen zeiten giebt es keine hexen mehr; – doch, mir fällt etwas
ein; es giebt so gewisse leüte in Salzburg – die da gebürtig sind,
und die stadt davon wimelt – man darf diesen leüten nur den
Ersten buchstaben ihres wahren Namens verwechseln, so könen
sie mir behülflich seÿn; – Nun, es mag geschehen was will, – mir
wird es allzeit das gröste vergnügen seÿn, meinen liebsten vatter
und liebste schwester zu umarmen, und zwar je ehender je lieber;
aber das kan ich doch nicht läügnen, das mein vergnügen und
meine freüde dopelt seÿn würde – wens wo anderst geschehe –
– weil ich überall mehr hofnung habe vergnügt und glücklich
leben zu könen! – sie werden mich vielleicht unrecht verstehen, und
glauben Salzburg seÿe mir zu klein? – da würden sie sich sehr be=
trügen; – ich habe meinem vattern schon einige ursachen darüber ge=
schrieben; unterdessen begnügen sie sich auch mit dieser, daß Salzburg
kein ort für mein Talent ist! – Erstens sind die leüte von der Musick
in keinen ansehen, und zweÿtens hört man nichts; es ist kein Theater
da, keine opera! – wen man auch wircklich eine spiellen wollte, wer
würde den singen? – seit 5 gegen 6 jahre war die Salzburgerische
Musick noch imer Reich am unützlichen, – unothwendigen – aber sehr
arm am nothwendigen, und des unentberlichsten gänzlich
beraubt; wie nun wircklich der fall ist! – die grausamen fran=
zosen sind nun ursache daß die Musique ohne kapellmeister ist! –
izt wird nun, wie ich dessen gewis versichert bin, Ruhe und ordnung beÿ
der Musick herschen! – ja, so geht es, wen man nicht vorbauet! – Man
muß allzeit ein halb duzend kapellmeister bereit haben, daß, wen einer
fehlt, man gleich einen andern einsetzen kan – wo izt einen hernehmen? –
– und die gefahr ist doch dringend! – Man kan die ordnung, Ruhe,

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und das gute vernehmen beÿ der Musique nicht überhand nehmen lassen! –
– sonst reisst das übel imer weiter – und auf die lezt ist gar nicht mehr
zu helfen; sollte es den gar keine Eselohrn=Perücke – keinen lauskopf
mehr geben, der die sache wieder im vorigen hinkenden gang bringen
nte? – ich werde gewis auch mein möglichstes dabeÿ thun; – Morgen
gleich nehme ich eine Remise auf den ganzen tag, und fahre in alle
spittäller und Siechenhäüser, und sehe ob ich keinen auftreiben kan;
warum war man doch so unvorsichtig und ließ den Misliwetceck so
weg=wischen? – und war so nahe da; das wäre so ein Pissen gewesen;
so einen bekomt man nicht so leicht wieder – der just frisch aus den
Herzog=Clementischen Conservatorio 
#
heraus kömt! – und das wäre
ein Man gewesen der die ganze hofmusick durch seine gegenwart in
schröcken würde gesezt haben; Nu, mir darf just nicht so bang seÿn;
wo geld ist, bekomt man leüte genug! – meine Meÿnung ist nur, daß
man es nicht zu lange sollte anstehen lassen, nicht aus närrischer forcht
man möchte etwa keinen bekomen, den da weis ich nur gar zu wohl,
daß alle diese herrn schon so begierig und hofnungs=voll darauf warten,
wie die juden auf den Messias – allein, weil es nicht in diesen umständen
auszuhalten ist – und folglich nothwendiger und nützlicher wäre, daß
man sich um einen kapellmeister, wo nun wircklich keiner da ist, umsehe,
als daß man, | wie mir geschrieben worden | überall hinschreibt, um eine gute
sängerin zu bekomen; ich kan es aber ohnmöglich glauben! – eine Sängerin!
wo wir derer so vielle haben! – und lauter fortrefliche; Einen Tenor,
obwohl wir diesen auch nicht brauchen, wollte ich doch noch ehender zugeben;
aber eine Sängerin, eine Prima dona! – wo wir izt einen Castraten
haben; – es ist wahr, die haÿdin ist kräncklich; – sie hat ihre strenge lebens=
art gar zu sehr übertrieben; es giebt aber wenig so! – mich wundert daß
sie durch ihr beständiges geiseln, Peitschen, Cilicia=Tragen, übernatürliches
fasten, nächtliches betten – ihre stime nicht schon längst verlohren hat! –
– sie wird sie auch noch lange behalten – und sie wird auch anstatt schlechter
imer besser werden; – sollte aber Endlich gott sie unter die zahl seiner
heilige setzen, – so haben wir noch imer 5, wo jede der andern den vorzug
streittig machen kan! – Nun da sehen sie, wie unothwendig das es ist! –
ich will es nun aber aufs eüsserste bringen! – setzen wir den fall, daß
wir nach der weinenden Magdalena keine mehr hätten, welches doch
# Dies ist ein Spottausdruck. Er meint damit das herzogliche Clementische Spital in München,
und spielt an auf Misliwetcek, der daselbst in venerischer Krankheit gewesen war.

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nicht ist; aber gesezt eine köme gähe in kinds=nöthen, eine köme
ins zuchthaus, die 3:te würde etwa ausgepeitscht, die 4:te allenfals
geköpft, und die fünfte – hollte etwa der T– ,? – was wäre es? –
nichts! – wir haben ja einen Castraten; – sie wissen ja was das für ein thier
ist? – der kan ja hoch singen, mithin ganz fortreflich ein frauenzimer
abgeben; – freÿlich würde sich das kapitl darein legen; allein, darein
legen ist doch imer besser als darauf legen – und man wird diesen herrn
nichts besonders machen; lassen wir unterdessen imer den hς: Ceccarelli bald
weibs= bald Mans=person seÿn; Endlich, weil ich weis daß man beÿ uns
die abwechslungen, veränderungen, und neüerungen liebt, so sehe
ich ein weites feld vor meiner, dessen aus=führung Epoche machen kan;
Meine schwester und ich haben schon als kinder ein wenig daran gearbeitet,
was werden nicht grosse leüte liefern? – O, wen man genereux ist, kan
man alles haben; – mir ist gar nicht bang, | und ich will es über mich
nehmen | daß man den Metastasio von wien komen lassen kan, oder ihm
wenigstens den antrag macht, daß er etliche Tuzend opern verfertiget,
alwo der Primo uomo, und die prima dona niemahlen zusamen komen.
auf diese art kann der Castrat den liebhaber und die liebhaberin zugleich
machen, und das stück wird dadurch interressanter, indem man die tugend
der beÿden liebenden bewundert, die so weit gehet, daß sie mit allem fleiß
die gelegenheit vermeiden sich in Publico zu sprechen; – da haben sie
nun die meinung eines wahren Patrioten! – machen sie ihr möglichstes,
daß die Musick bald einen arsch bekomt – den das ist das nothwendigste;
einen kopf hat sie izt – das ist eben das unglück! – bevor nicht
in diesen stück eine veränderung geschieht, kome ich nicht nach Salzbourg;
alsdan aber will ich komen, und will umkehren, so oft V: S: steht;
– Nun etwas vom krieg; so viell ich höre werden wir in Teütschland auch
bald frieden haben; dem herrn könig von Preüssen ist halt ein wenig bang.
in zeitungen habe ich gelesen, daß die Preüssen ein kaiserliches Dettachement
überfallen haben, aber die Croaten und 2 Regimenter Cuirassier die in der nähe
warn, und den lermen gehört haben, kamen den augenblick zu hülfe,
attaquirten den Preüssen, brachten ihn zwischen 2 feüer, und nahmen ihm
5 Canonen; der weg, den der Preüss nach böhmen genomen hat, ist
nun ganz verhauet und verhackt, daß er nicht mehr zurück

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kan; die böhmischen bauern thun den Preüssen auch gewaltigen
schaden; und beÿ den Preüssen ist ein beständiges Desertiren –
das sind aber sachen, die sie längst schon, und besser wissen als wir
hier; Nun will ich ihnen aber was hiesiges schreiben. die franzosen haben
die Engeländer zum weichen gebracht; es ist aber nicht gar zu hitzig her=
gangen – das merckwürdigste ist das in allem, freünd und feind 100
Man geblieben sind; ohngeacht dessen ist doch ein entsezlicher jubel hier,
und man hört von nichts anders reden; man sagt izt auch, daß wir hier
bald frieden haben werden; – mir ist es einerleÿ, was das hiesige be=
trift; in Teütschland ist es mir aber sehr lieb, wen bald friede wird,
aus viellen ursachen; – Nun leben sie recht wohl liebster freünd!
verzeÿhen sie mir die schlechte schrift, allein die feder ist nichts nutz;
Machen sie mein Compliment an ganz Salzburg, besonders machen
sie meinen Respect an ihren hς: grafen, meine Empfehlung den graf
Leopold, und der lieben Salerl ein langes langes Compliment in
versen – und meinem lieben vattern, und lieben schwester sagen
sie alles – was ein sohn und ein bruder sagen würde, wen er das
glück hätte, sie selbst sprechen zu könen; adieu; ich bitte
sie um ihre schätzbare freündschaft, und versichere sie, daß ich Ewig
seÿn werde, dero

                                              wahre freünd und verbundenester diener
                                                                  wolfgang Romatz.

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