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50.
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Paris den 12
tς Junÿ
Mein lieber Mann. 1778
deinen brief von 28
t Maÿ, haben mir Richtig den 9
tς Junÿ empfangen, und daraus
Eÿere gesundheit mit vergniegen ersehen, ich und der Wolfgang seind gott seÿ danck
gesund, göstern habe ich mir ader gelassen, werde also heunt nicht gar vill schreibς
können, der wolfgang ist nicht zu haus er speist mit den
Monsieur Raff beÿ den
graf Sickingen, wo sie alle wochen wenigsten ein mahl zu ihm ko
men, dan er
liebt den wolfgang über alles, und ist selbst ein grosser kenner von der
Music,
componiert auch selbst, der herr Raff komt fast alle dag zu uns, er heisset mich
frau Mutter, und hat uns gar lieb, bleibt offt 2 bis 3 stund beÿ uns, er ist
extra
zu mir ko
mς um mir zu singen, und hat mir 3
Arien gesungen welches mich recht
gefreÿet hat, so offt er zu uns komt, singt er mir alzeit was, ich bin vollig
verliebt in sein singς, er ist ein rechter ehren Mann, die aufrichtigkeit selbst,
du wurdest ihn, wan du ihn kenndest, von herzen lieben. du wilst wissen woe wür
logieren, suche nur erstlich die
Rue Montmartter, und darnach die
Rue Clerÿ
in diser
Rue Clerÿ ist es die erste gassen lincker hand, wan man von der
Rue Montmarter hinein gehet, es ist eine schöne gasse, und
logieren meist herr=
schafften darinς, ganz Rein lich, niht gar weith von
pulvar, und ein gesunder
luft, die haus leüth recht guth und redlich nicht
intreziert welches in
Paris seltsam
ist. vorgestern habe ich beÿ den herrn Haina gespeist, und nach disch in
luxenbourg
Gartten
pazieren gegangς, hernach in den Palast die schœne bilder
galerie gesehς
und erstaunlich müede nach haus ko
men, ich wahre allein dan der wolfgang
hat mit den Raff beÿm
Monsieur Grim gespeist, der herr heima hat mich
nach haus geführt, er komt offt zu uns, und seine frau ist auch schon 2 mahl
beÿ uns gewesen, mit ihrer dochter die schon verheurathet ist. du schreibst
nicht wie die
Serenata ist aus gefahlen, ob sie schöne gewesen ist, und der
Erzpischof darmit zu friden gewesen, was ist den das für ein
Colloredo der
pischof zu olmiz ist, ist er ein brueder oder Vötter zu unsern fürsten.
apropo was macht die
Mardinelli lenerl, wo ist sie hin ko
men, zu ihren
Vattern, oder zum
quardi leidnand, was die wetter leuter anbelangt,
kan ich hier nicht davon reden weill ich die sprache nicht kan, aber gesehen
habe ich keine, in Manheim aber war der
disCurs einmahl darvon, da
finden sie es nicht für guth, sie sagen sie ziehς die wetter an sich, das
offt kein wetter komete, und wan gar so vill stangen seind, so bleibt
das wetter an dem orth, und bleibt stehς, bis alles aus gebrochen ist, und
die früchten in feld alles erschlagt, es ist besser man last der Natur
seinen gang, als man zwingt es, gott kan einen doch finden, da hilft
kein wetter leüther. beÿ den Einfall des Capucinerberg ist wohl mehrer glick
gewesen, ein hätte können, ein grosses unglick geschehen, die berge seind
halt nicht gutt, wan die häuser so nahe darbeÿ stehen, es kan das Neue thor
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auch ein mahl einfahlen. hier haben wür den schönsten Sommer, recht angenehm,
gott seÿ danck, noch kein gewitter gehabt. ich und der wolfgang |: was er zu
haus speistet :| essen zu mit dag vor 15
Sols. auf die nacht aber um 4
Sols 4
Vergniegen, damit du aber weist was dis auf deutsch ist, es seind holehiper
die heissen auf franceschiß
plaisirs. bitte unsere Empfehlungς aus an alle gutte
freunde und freindinς, wür reden fast däglich von unsern Salzburger
freinden, und wünschten sie zu uns, ville wurden augen und maull auf=
Reissen was sie das sehetς was hier zu sehς ist. adio lebts beÿde gesund
ich Küsse euch vill 1000 mahl und verbleibe dein getreues weib Mozartin ich
mues schlüssen dan es thuet mir der arm, und die augen weh.

Nun muß ich ihnen doch auch von unsern
Raaff etwas schreiben. sie werden sich ohne zweifel
eri
nern, daß ich von Ma
nheim aus nicht gar zu gut von ihm geschrieben habe. daß ich mit
seinem singen nicht zufrieden war.
afin daß er mir halt gar nicht gefallen hat. das war
aber die ursache weil ich ihn zu Ma
nheim so zu sagen gar nicht gehört hatte. ich hörte
ihn das erstemahl in der Probe von holzbauers Günther. da war er nun in seinen
eigenen kleidern, den hut auf den kopf, und einen stock in der hand. we
n er
nicht sang so stund er da wie das kind beÿm D–. wie er das erste
Recit:
zu singen anfieng, so giengs ganz
Passable. aber da
n und wa
n that er einen
schreÿ – der mir nicht gefiell; die
arien sang er so gewis faul – und oft einige
Töne mit zu viell geist – das war meine sache nicht. das ist eine
gewohnheit die er allzeit gehabt hat – die vielleicht die
Pernachische
schule mit sich bringt. de
n er ist ein schüller von
Bernachi. beÿ hof hat
er allzeit
arien gesungen, die ihm meiner Meinung nach gar nicht ange=
standen, weil er mir gar nicht gefahlen hat. hier endlich als er in
Concert
Spirituell debutierte, sang er die
scene von bach,
non sò d'onde viene, welchs
ohnedem meine
favorit sache ist, und da hab ich ihn das erstemahl singen
gehört – er hat mir gefahlen – das ist, in dieser art zu singen – aber
die art an sich selbst – die
Bernachische schule – die ist nicht nach meinen
gusto. er macht mir zu viell ins
Cantabile. ich lasse zu, daß es, als er
jünger, und in seinen
flor war, seinen
Effect wird gemacht haben, das
er wird
surpreniert haben – mir gefällts auch, aber mir ists zu viell, mir
kö
mts oft lächerlich vor. was mir an ihm gefällt, ist we
n er so kleine sachen
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singt, so gewisse
andantino – wie er auch so gewisse
arien hat, da hat er so
seine eigene art. jeder an seinem ort. ich stelle mir vor daß seine haupt
force war, die
Bravura – welches man auch noch an ihn bemerckt, so wie es
sein alter zuläst; eine gute brust und langen othem, und da
n – diese
Andantino. seine stime ist schön und sehr angenehm. we
n ich so die augen zu
mache, we
n ich ihn höre – so finde ich an ihn viell gleiches mit den Meissner,
nur daß mir
Raffs sti
m noch angenehmer vorkö
mt – ich rede von izt,
de
n ich habe beÿde nicht in ihrer guten Zeit gehört – ich kan also von
nichts als von der art oder
Methode zu singen reden, da
n diese bleibt,
beÿ den sängern. Meissner hat wie sie wissen, die üble gewohnheit, daß er oft
mit fleiss mir der sti
me zittert – ganze viertl – ja oft gar achtl in aus=
haltender Note
marquirt – und das habe ich an ihm nie leiden kö
nen.
das ist auch wircklich abscheülich. das ist völlig ganz wieder die Natur zu
singen. die Menschensti
me zittert schon selbst – aber so – in einem solchen
grade, daß es schön ist – daß ist die Natur der sti
me. man macht ihrs
auch nicht allein auf den blas=
instrumenten, sondern auch auf den geigen
instrumenten nach – ja so gar auf den
Claviern – so bald man aber
über die schrancken geht, so ist es nicht mehr schön – weil es wieder die
Natur ist. da kömts mir just vor wie auf der orgl, we
n der blasbalk
stost. – Nun, das hat der
Raff nicht, das ka
n er
auch nicht leiden. was aber
das rechte
Cantabile anbelangt, so gefällt mir der Meissner | obwohl er
mir auch nicht ganz gefällt, de
n er macht mir auch zu viell | aber doch
besser als der
Raff. was aber die
bravura, die
Passagen und
Rouladen betrift,
da ist der
Raff meister – und da
n seine gute, und deütliche aus=sprach –
das ist schön. und da
n, wie ich oben gesagt habe,
Andantino, oder kleine
Canzonetti – er hat vier teütsche lieder gemacht die sind recht herzig.
er hat mich sehr lieb. wir sind sehr gute freünde zusa
men. er ko
mt fast
alle täge zu uns. ich habe nun schon gewis 6 mahl beÿ graf Sücküngen,
Pfälzischen gesandten gespeist – da bleibt man allezeit von 1 uhr bis 10.
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die zeit geht aber beÿ ihm so geschwind herum, daß man es gar nicht merckt.
er hat mich sehr lieb. ich bin aber auch sehr gerne beÿ ihm – das ist ein so
freündlicher und vernünftiger herr, und der so eine gesunde vernunft –
und
so eine wahre einsicht in die Mu
sick hat; heüte war ich abermal mit
Raff dort;
ich brachte ihm, weil er mich darum gebeten hat, | schon längst | etliche sachen
von mir hin. heit na
m ich die Neüe
Sinfonie mit, die ich just fertig hatte,
und durch welche am frohnleichnams=tag das
Conert spirituell wird er=
öfnet werden. diese hat allen beeden überaus wohl gefallen. ich bin
auch sehr wohl damit zu frieden. ob es aber gefällt, das weis ich nicht –
und die wahrheit zu sagen, liegt mir sehr wenig daran. de
n, wem wird
sie nicht gefallen? – den
wenigen gescheiden franzosen die da sind,
stehe ich gut dafür daß sie gefällt; den du
men – da sehe ich kein
grosses unglück we
n sie ihnen nicht gefällt – ich habe aber doch hoffnung daß
die Esel auch etwas dari
n finden, daß ihnen gefallen ka
n; und da
n
habe ich ja den
Premier Coup d'archet nicht verfehlt! – und das ist ja
genug. da machen die ochsen hier ein weesen daraus! – was teüfel!
ich mercke keinen unterschied – sie fangen halt auch zu gleich an – wie
in andern orten. das ist zum lachen.
Raff hat mir eine histori von
Abaco
darüber erzehlt – er ist von einen franzosen in München oder wo befragt
worden –
M:r, vous avés etè à Paris? – oui; est-ce que vous étiés au Concert
spirituel? – oui; que dites vous du Premier Coup d'archet? – avés vous
entendu le premier Coup d'archet? – oui; j'ai entendu le premier et
le dernier – coment le dernier? – que veut dire cela? – mais oui, le
premier et le dernier – et le dernier même m'a donè plus de plaisir.
– Nun muß ich schliessen. ich bitte meine Empfehlung an alle gute freünde
und freündinen, besonders an h
ς: Bullinger. ich küsse ihnen Tausendmal
die hände, und meine liebe schwester umarme ich von ganzen herzen, und
bin dero gehorsamster sohn wolfgang Amadè Mozart mp
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