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Monsieur
2. Febr. 78
mon trés cher Pére!
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Ich hätte unmöglich den gewöhnlichen samstag erwarten kö
nen, weil ich schon gar zu
lange das vergnügen nicht gehabt habe mich mit ihnen schriftlich zu untereden.
das erste ist daß ich ihnen schreibe, wie es mir und meinen werthen freünden in
kircheim=Poland ergangen ist. es war eine
Vacans=reise, und weiter nichts.
freÿtags morgens um 8 uhr fuhren wir von hier ab, nachde
m ich beÿ h
ς: weber
das frühstück eingeno
men hatte; wir hatten eine galante gedeckte viersitzige
kutsche: um 4 uhr ka
men wir schon in kircheim=Poland an. wir musten gleich
ins schloss einen zetul mit unsere Näme schicken. den andern tag frühe ka
m
schon der h
ς: Concert=meister Rothfischer zu uns, welcher mir schon zu Ma
nheim
als ein grundehrlicher Ma
n beschrieben würde; und ich fand ihn auch so.
Abends giengen wir nach hof, das war samstag; da sang die
Mad:selle Weber
3 arien. ich übergehe ihr singen – – mit einen wort vortreflich! – ich
habe ja im neülichen brief von ihren verdiensten geschrieben; doch werde
ich diesen brief nicht schliessen kö
nen, ohne noch mehr von ihr zu schreiben,
da ich sie izt erst recht ke
nen gelernt, und folglich ihre ganze stärcke
einsehe. wir musten hernach beÿ der
officier=tafel speisen. den andern tag
giengen wir ein ziemlich stück weege in die kirche, de
n die Katholische
ist ein bischen entfernt. das war so
ntag. zu mittage waren wir wieder
an der tafel. abends war keine
Musique, weil so
ntag war. darum
haben sie auch
nur 300 Musiquen das jahr. abends hätten wir doch beÿ
hofe speisen kö
nen, wir haben aber nicht gewollt, sondern sind lieber
unter uns zu hause geblieben. wir hätten
unanimiter von herzen gerne
das essen beÿ hofe hergeschenckt; da
n wir waren niemahl so vergnügt
als da wir allein beÿsa
m waren, allein wir haben ein wenig
œconomisch
gedacht – wir haben so genug zahlen müssen.
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1881
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den andern tag Montag war wieder
Musique, dienstag wieder, und mittwoch
wieder; die
Mad:selle Weber sang im allen 13 mahl, und spielte 2 mahl
Clavier, de
n sie spiellt gar nicht schlecht. was mich am meisten wundert
ist daß sie so gut Noten liest. stellen sie sich vor, sie hat meine schweren
sonaten,
langsam aber ohne eine Note zu fehlen
Prima vista ge=
spielt. ich will beÿ meiner Ehre meine
sonaten lieber von ihr als
vom vogler spiellen hören. ich hab im allen 12 mahl gespiellt,
und einmahl auf begehren in der lutherischen kirche auf der Orgel,
und habe der fürsti
n mit 4
sinfonien aufgewartet, und nicht mehr
sieben in Silbergeld
als
oflbln louis d'or NB: fn ofeblr Gled, beko
men, und meine
fünf
liebe arme weberin
fhni. das hätte ich mir wahrhaftig nicht vor=
gestellt. auf viel habe ich mir niemahl hofnung gemacht, aber
acht
auf das wenigste ein jedes
Mcut.
basta; wir haben nichts darbeÿ
verlohren; ich hab noch 42 fl:
Profitt, und das unausprechliche ver=
gnügen mit grund=Ehrlichen, gut katholischen und Christlichen leü=
ten in bekantschaft geko
men zu seÿn. mir ist leid genug daß ich
ich sie nicht schon lange ke
ne. Nun ko
mt etwas nothwendiges, wo
ich mir gleich eine antwort darauf bitte.
Meine Mama und ich haben uns unteredet, und sind überein
ko
men, daß uns das wendlingische leben gar nicht gefählt.
der wendling ist ein grund Ehrlicher und sehr guter Ma
n, aber
leider ohne alle
Religion, und so das ganze haus. Es ist ja genug
Mätresse
gesagt daß seine tochter
amftrlool war. der
Ram ist ein brafer
Mensch, aber ein
libertin. ich ke
ne mich, ich weis daß ich so viell
Religion habe, daß ich gewis niemahl etwas thun werde, was
ich nicht im stande wäre vor der ganzen welt zu thun; aber Nur
der gedancke, nur
allein auf der Reise, mit leüten in gesellschaft
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zu
seÿn, deren denckungs=art so sehr von der meinigen | und aller
ehrlichen leüte ihrer | unterschieden ist, schreckt mich. übrigens können
sie thun was sie wollen. ich habe das herz nicht mit ihnen zu reisen,
ich hätte keine vergnügte stunde; ich wüste nicht was ich reden sollte.
de
n, mit einen wort, ich habe kein rechtes vertrauen auf sie.
freünde die keine
Religion haben, sind von keiner Dauer.
ich hab ihnen schon so einen kleinen
Prægusto gegeben. ich habe
gesagt, daß seit meiner abwesenheit 3 briefe geko
men sind,
daraus ich ihnen weiter nichts sagen ka
n, als daß ich schwerlich mit
ihnen nach
Paris reisen werde. vielleicht werde ich nachko
men. viel=
leicht gehe ich aber wo anders hin. sie sollen sich auf mich nicht ver=
lassen. Mein gedancke ist dieser.
Ich mache hier ganz
Comode vollends die
Musique für den
de jean.
da beko
me ich meine 200
fl: hier kan ich bleiben so lange ich nur
will. weder kost weder
logis kost mir etwas. unter dieser zeit
wird sich herr weber bemühen sich wo auf
Concerts mit mir zu
Engagiren. da wollen wir mit einander Reisen. we
n ich
mit ihm reise so ist es just so viell als we
n ich mit ihnen
Reisete. deswegen habe ich ihn gar so lieb, weil er, das äüsser=
liche ausgeno
men, ganz ihnen gleicht, und ganz ihren
Caractére
und denckunsart hat. Meine Mutter, we
n sie nicht, wie sie wissen,
zum schreiben zu
faul Comode wäre, so würde sie ihnen das
nämliche schreiben. Ich muß beke
nen daß ich recht gern mit
ihnen gereist bin. wir waren vergnügt und lustig. ich hörte
einen Ma
n sprechen wie sie. ich durfte mich um nichts bekü
mern.
was zerrissen war fand ich geflickt; mit einem wort ich war be=
dient wie ein fürst.
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ich habe diese bedruckte
famille so lieb, daß ich nichts mehr
wünsche, als daß
ich sie glücklich machen kö
nte; und vielleicht ka
n
ich es auch. mein rath ist daß sie nach
Italien gehen sollten.
da wollte ich sie also bitten, daß sie, je ehender je lieber, an un=
sern guten freünd
Lugiati schreiben möchten, und sich erkundigen
wie viell, und was das meiste ist was man einer
Prima dona
in
verona giebt? – je mehr je besser, herab ka
n man al=
lzeit – – vielleicht kö
nte man auch die
Ascenza in
venedig
beko
men. für ihr singen stehe ich mit meinen leben, daß sie
mir gewis Ehre macht. sie hat schon die kurze zeit von mir
viell
Profittirt, und was wird sie erst bis dahin
Profittirn? –
wegen der
action ist mir auch nicht bang. we
n das geschieht,
so werden wir,
M:r Weber, seine 2 töchter und ich die Ehre
haben meinen lieben Papa und meine liebe schwester im durch=
reisen auf 14 täge zu besuchen. meine schwester wird an
der
Mad:selle Weber eine freündin und
Cameradin finden, de
n
sie steht hier im Ruf, wie meine schwester in
Salzburg wegen
ihrer guten auführung, der vatter wie meiner, und
die ganze
famille wie die Mozartische. es giebt freÿlich
neider, wie beÿ uns, aber we
n es darzu ko
mt, so müssen
sie halt doch die wahrheit sagen. redlich wehrt am längsten.
Ich ka
n sagen das ich mich völlig freüe, we
n ich mit ihnen nach
Salzbourg ko
men sollte, nur damit sie sie hören. meine
Arien
von der
de amicis, so wohl die
bravura aria, als
Parto, m'affretto,
und
dalla sponda tenebrosa, singt sie
superb. Ich bitte sie machen
sie ihr mögliches das wir nach
italien ko
men. sie wissen mein
gröstes anliegen –
opern zu schreiben.
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zu
Verona will ich gern die
opera um 50
Zechini schreiben; nur damit
sie sich ruhm macht; de
n we
n ich nicht schreibe so förchte ich wird sie
sacrificirt. bis dahin werde ich mir schon durch andere reisen, die
wir miteinander machen wollen, so viell geld machen, daß es
mir nicht zu wehe thut. Ich glaube wir werden in die schweiz
gehen, vielleicht auch nach holland. schreiben sie mir nur bald
darüber. we
n wir uns wo lange aufhalten, so taugt uns die
andere tochter, welche die älteste ist, gar zu gut, de
n wir kö
nen
eigene hauswirthschaft führen, weil sie auch kocht.
apropós, sie
müssen sich nicht zu viell verwundern, daß mir von 77 fl nicht
mehr als 42 übrig geblieben sind. das ist aus lauter freüde
geschehen, daß einmahl wieder Ehrliche und gleichdenckende leüte
zusa
men ko
men sind. ich habe es nicht anderst gethan, ich habe halben
theil gezahlt, das geschieht aber nicht auf andern Reisen, das
habe ich schon gesagt, da zahl ich nur für
mich. hernach sind wir
5 täge zu wormbs geblieben. dort hat der weber einen schwager,
nämlich der dechant von stift.
NB: der fürcht des h
ς: webers spizige
feder. da waren wir lustig. haben alle tage Mittags und Nachts
beÿm h
ς. Dechant gespeist. das ka
n ich sagen, diese kleine Reise
war ein rechts
Exercitium für mich auf dem
Clavier. der h
ς: Dechant
ist ein rechter braver vernünftiger Ma
n. Nun ist es zeit das ich schliesse,
we
n ich alles schreiben wollte was ich dencke, so würde mir das
Papier nicht klecken. geben sie mir bald antwort daß bitte ich sie;
vergessen sie meinen wunsch nicht
opern zu schreiben. ich bin einen
jedem neidig der eine schreibt. ich möchte ordentlich für verdruß
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weinen, we
n ich eine
aria höre oder sehe. aber
italienisch,
nicht teütsch,
serios nicht
Buffa. den Brief von heüfeld hätten
sie mir nicht schicken därfen, er hat mir mehr verdruß als
freüde gemacht. der Narr meint ich werde eine ko
mische
oper
schreiben; und so gerad auf ungewis, auf glück und dreck.
ich glaub auch daß er seiner Edlereÿ keine schande angethan
hätte, we
n er der h
ς: sohn, und nicht ihr sohn geschrieben
hätte. Nu, er ist halt ein wiener li
mel; oder er glaubt
die Menschen bleiben i
mer 12 jahr alt. Nun habe ich alles
geschrieben, wie es mir ums herz izt. Meine Mutter ist mit
meiner denckunsart ganz zufrieden. ich ka
n ohnmöglich mit
leüte reisen, mit einem Ma
n der ein leben führt, dessen sich
der jüngste Mensch schämen müste; und der gedancke, einer
armen
famille, ohne sich schaden zu thun, aufzuhelfen,
vergnügt mich in der ganzen seele; ich küsse ihnen 1000mahl
die hände und bin bis in tod
dero
Ma
nheim den 4:
ten feb: gehorsamster sohn
1778 wolfgang Amadé Mozart
mp
an alle gute freünde und freündienen
meine Empfehlung: absonderlich an meinem
besten freünd h
ς: Bullinger.
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den 5
tς
Mein lieber Man aus disen brief wirst du ersehen haben
das wan der Wolfgang eine Neue bekandschaft machet er gleich
gueth und blueth für solche leuthe gebς wolte, es ist wahr sie
singt unvergleichlich, allein man mues seinς eigenς Guzς niemals
Wendling
auf die seite sezς, es ist mir die geselschafft mit den
Wlndefng
Ramm
und den
Rma nie mals recht gewesen, alleinig ich hette keine
einwendung machς derffen, und mir ist niemals geglaubet wordς
Weberischen
so bald er aber mit den
wlblrfoculn ist bekant wordς, so hat er
gleich seinς Sinn geändert, mit einς worth beÿ andern leuthς ist
er lieber als beÿ mir, ich mache ihm in einς und andern was mir
nicht gefählt einwendungς, und das ist
ihm nicht recht, du wirst
es also beÿ dir selbst über legς was zu thuen ist, die Reise mit
den Wendling nach paris finde ich gar nicht vor Rathsam
ich wolte ihm lieber späther selbst bekleithς, mit den postwagς
würde es so vill nicht kostς, villeicht bekomst du von h
ς von grim
noch eine andworth, under dessen verliehren wür hier nichts
ich schreibe dises in der grestς geheinn, weill er beÿm essen ist
und in eille damit ich nicht über fahlς werde. adio ich verbleibe
dein getreues weib Marianna Mozartin
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