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R. No 5.
                      Angekomen d, 21t März 26.
1826
                                                                                                     
No 22
   Salzburg
Höchstgeehrter Herr,                                                                                  16 März
                                                                                                                 1826.
ich hatte einen langen Brief an Sie angefangen, als ich durch die Erscheinung einer Schrift
des Abts Stadler über die Echtheit des moz. Requiems note bewogen ward, die Endigung aufzu-
schieben, um Sie von einer Stelle, die mir aufgefallen ist, und deren Kenntnis, wie ich aus Ihrer
Ankündigung schließe, Ihnen wichtig wenigstens seyn könnte, auf das baldigste zu unter-
richten. Es kann seyn, daß ich mich in der soeben gemachten Aeusserung gänzlich irre. Vergeben
Sie mir, ich bitte, die gewissen Kosten, die ich Ihnen also hier zu ungewissem Nuzen mache: ich kann
an Sie nicht über die Gränze hinaus frankiren. In allen Fällen wird es Ihnen unmöglich
völlig werthlos seyn, eine solche Detaillirung des Gegenstandes einer Ihrer izigen Unterneh-
mungen note von diesem, wie man sieht, seit 1791 in hohem Grade unterrichteten und aufmerk-
samen Mann, so frühe als es thunlich ist, zu kennen. Ich sende daher diese Vertheidigung p.
gleich mit der Briefpost, weil sie, wie ich im Amte erfahre, nach 5 Tagen in Ihren Händen seyn muß.
     Aus Seite 13. ist ersichtlich, daß Jemand, wie es scheint, in Wien, die Originalpartitur des
Lacrimosa und des Domine besizt. note Sollten diese zwei Stükke aus meinen Händen gewesen seyn,
als ich Ihnen die ganze vereinigte Urpartitur leihen zu können glauben konnte, wie ich es, nach
Ihrer Angabe, einmal geglaubt haben muß? Sollte das Exemplar, wornach Sie herausgeben
wollen, und dessen an Sie geschehene Mittheilung ich vollkommen erinnere, dieselbe Lüke haben,
wie es dann wahrscheinlich wäre, da Sie nur sagen, daß Sie lezteres mit dem ersteren verglichen,
nicht, daß Sie es berichtigt haben? Ohne Zweifel muß meine Argwöhnung einer Unvollstän-
digkeit, wo immer, eitel seyn. Eine Unzahl von Gründen, von den wichtigsten Gründen,
bestreitet ihn. Von Ihrer Seite – von der Seite eines Musikgelehrten, der, wenn anders
die Zahl, wie ich glaube, bestimmt ist, weiß, aus wie vielen Stükken ein Requiem zu bestehen
hat, welche also in einem vereinigten Mozart-Süßmeyerschen Werke beisammen seyn
mußten. – der die Breitkopfsche, laut der davon erschienenen bekanntmachung, eben
nach einem Exemplar meiner Frau gemachte Ausgabe kennt – der selbst Herausgeber
desselben Requiems für das P. F. ist note – dem, etwas früher oder etwas später, auch
nicht die allergeringste Lüke hat entgehen können, und der, vollends gegenwärtig,
nicht unterlassen haben würde, Sich gleich bei mir, und, da dies vergebens gewesen wäre,
sofort anderwärts nach authentischer Ergänzung und Berichtigung, wenn er eine
oder die andere nöthig gefunden hätte, umzusehen.      Von der Seite des Abts,
der einst eine so ganz besondere Wichtigkeit in die Bezeichnung legte, einen solchen
Eifer dabei auswies, daß sein ganzes damaliges „Wesen” noch nach einem Viertel-
jahrhundert meinem in Sachen und Umständen, die nicht geeignet waren Eindrükke
hinterlassen zu müssen, sehr schwachen Gedächtnisse lebhaft vor Augen ist, läßt sich
nicht denken, daß er ein ungenaues, unvollständiges, Exemplar, wie er es so zu sagen
gethan hat, vidimirt
haben könne: ohne die größte Sorgfalt wäre seine Arbeit mehr
als zweklos, sie wäre zwekwiedrig gewesen. Ich sehe (und wer wol nicht mit mir?) das
von
q
ihm bezeichnete Exemplar, ein Exemplar, das von ihm und so ausgestattet, aus seinen
Händen unmittelbar in die meinigen, aus meinen Händen unmittelbar in die Ihrigen,
                                                                                                             gleichsam
q Herr Abt Stadler
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gleichsam jungfräulich, übergieng, für authentischer, also sicher – vollständiger und ge-
nauer an, als irgend ein andres, als selbst ein Original, das, 10 Jahre alt, zu Hause und
auf Reisen von Vielen durchblättert, wer weiß ob nicht gar auf Stündchen, und wenn auch etwa
nur von einem Zimmer in das nächste, ausgeliehen? Schiksale gehabt haben kann, immer
Zufällen unterworfen gewesen ist, deren Wirklichkeit von den Eigenthümern der früher
zwei und der spätern vier Hände, in denen es übrigens ruhte, vermöge ihrer Ungelehrsam-
keit, es sei denn durch in die Augen springende Verstümmelung, nicht leichtlich oder gar
nicht zu entdekken war: zum öffentlichen Gebrauche war die durch Erfahrung geprüfte
Musik in Stimmen vorräthig. Ich erinnere in der That keine Ihnen geschehene Mittheilung
(wie Sie sagen, zur Vergleichung, wozu sie freilich Statt gehabt hätte) ausser der Mittheilung
des bezeichneten Exemplars. Aber das ist ja gleichgültig. Sie wissen, daß ich Ihnen die
vereinigte Urpartitur geliehen habe. Das genügt Ihnen, es genügt mir; und wem
sollte es nicht genügen? Sie haben dieselbe „Schule” wie der Abt Stadler gemacht: Sie
kennen die Mozartsche Handschrift so vollkommen wie er; ich darf sagen, noch vollkommener;
wenn der Superlativ Vollkommen noch einen Komparativ haben kann.
Was ich weiß, ist, daß Sie kein gebieterisches Interesse hatten, von Vollständigkeit oder
Genauigkeit überzeugt zu seyn, weil Sie vermöge der von Ihnen angeführten „Geheim-
nisse”, die ich immerwährend in Kraft lassen konnte, nicht daran werden gedacht
haben, einen, geschweige den auf die izt vorhabende interessante Art öffentlichen Ge-
brauch eines Ihnen von mir gewordenen Exemplars zu machen. Mein Interesse war
das der Lebensart, der freundschaftlichen Bekanntschaft: Ihnen zu dienen, so
gut ich es wußte und vermogte. Sicher bin ich, mich gefreut zu haben, als ich Ihnen
– ich weiß nicht mehr, ob nach Ihrem Wunsch oder durch meine Zuvorkommenheit –
ein Exemplar so ausgestattet zustellen, so ausgestattet lassen konnte, wie nach
meiner Kenntnis keins es früher oder später geworden, als, wenn mich mein Gedächtnis
nicht gänzlich täuscht, in welchem Falle es in acht Tagen selbst enttäuscht werden
wird, mein gedruktes Exemplar, Breitkopfscher Ausgabe, und von derselben ehrenwerthen
Hand. Ich überließ Ihnen also eine köstliche Seltenheit, ein fast einziges Exemplar,
ein fast zweites Original, ohne irgend eine Verpflichtung als diejenige, die mir
meine Gesinnungen für Sie auflegen konnten. So wie Ihnen die schriftliche
Kopie eines Werks, dessen Herausgabe im Sept. 1799. nach einer Kopie meiner Frau
angekündigt war, nur aus Liebhaberei, weil sie Ihnen aus dem Hause, von dem
Orte zukäme, werth seyn konnte, so konnte, mußte mir der Ort die Genauigkeit
eines jeden Exemplars, das ich fände, zu beweisen scheinen. Auch vermogte ich als
Laye Nichts als etwa den Anschein eines Anfangs und eines Endes und die Ueber-
schrift zu untersuchen, und konnte – da ich mich übrigens auf Andere hätte ver-
lassen müssen – selbst nichts weiter verbürgen; und mit welchem Original
                                                                                                     wäre
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wäre ein Original zu vergleichen gewesen? Hätten Sie jemals den leisesten Wunsch einer
so gut als möglich wirklichen Vidimirung irgend eines Exemplars geäussert, wie würde
ich, bei unsern gleich anfänglich freundschaftlichen und sich in 25 Jahren gleichgebliebenen
Verhältnissen, fähig gewesen seyn, Ihrem Wunsch nicht nach meinem beßten Vermögen
zu entsprechen? Ich, der ich, wozu ich wol sonst zu Gar-Niemands Gunsten eingewil-
ligt hätte, zufolge Ihrer Erklärung, welche ich, meinem Gedächtnisse zum Troz, und
selbst mit Vergnügen, annehmen will, eine von Jedermann wie einen Schaz hochge-
haltene einzige Urkunde für Sie eine so weite Hin- und Rükreise machen ließ.
Hier ist der Ort, Ihnen auch zu gestehen, daß mein Gedächtnis mir einbilden will,
Sie hätten das bezeichnete Exemplar in Wien selbst von mir erhalten. Es mag mich
auch hierin trügen, und es kömmt wieder darauf Nichts an. Das Faktum,
die von mir geschehene Mittheilung, ist eine Sache, worauf es ankömmt; und wir
wissen Beide, daß sie Bestand hat.      Daß ich mich fortwährend von der Vollstän-
digkeit und Genauigkeit dieses bezeichneten Exemplars überzeugt gehalten habe, beweist
die Idee zur Herausgabe, die ich Ihnen vor Kurzem gab, und bei welcher ich nur auf
dieses Exemplar Rüksicht nehmen konnte. Ungeachtet diese Idee Sie zu Nichts
anhalten konnte, Sie Selbst Alles zu untersuchen und zu überlegen, allein anzu-
nehmen oder zu verwerfen hatten, ungeachtet also meine Persönlichkeit der Aus-
führung fremd ist, bleibt es doch, weil ich die Idee gewekt habe oder vielmehr
erwekt habe, meinem Gefühle angelegen, was der Herausgabe Eintrag machen
könnte, abgewandt zu wissen. Dies ist der Sinn meines Briefes, dies der Zwek der
Uebersendung der Drukschrift.
Sollte das, was ich für möglich anzusehen bewogen worden bin, von Ihnen
wirklich befunden werden, so sind Sie der Mann, der von Niemanden einen Rath
braucht. Ich darf mich nur freuen, vorauszusehen, daß ein Verehrer Mozarts,
dessen Anonymität, wenn er es wünscht, durch die Vermittelung des Abts,
dessen Bekanntschaft Sie gewiß zu seiner Zeit gemacht haben, ungeachtet der
von ihm zu erwartenden Gefälligkeitshandlung, erhalten werden kann, sich
nie entschlagen wird, sich vielmehr freuen wird, Ihrer so einzigen als allgemein-
anziehenden Unternehmung durch Mittheilung einer nach anerkannter Vidi-
mirung über allen Einwurf erhabenen Kopiatur, wenn Sie diese Mittheilung
wünschen mögten, Vorschub zu leisten; einen Vorschub, welcher den Titel Ihrer
Ausgabe in der vollsten Kraft läßt. – Ihnen wünsche ich in mancher Rüksicht
Glük, daß künftig schwerlich irgend ein andres Drukexemplar als nach Ihrer
Ausgabe gesucht werden wird.
                                                                                     – – Es muß
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– – Es muß Ihnen sonderbar vorkommen, daß nach meinem heutigen Briefe, in welchem ge-
wiß an den meisten Orten, wo Sie meine Frau genannt erwarteten, ich mich, nur
mich, nenne, meine Frau, an diesen Orten, scheinen kann, aufgehört
zu haben, zu seyn, ja gar gewesen zu seynnote Die Erklärung dieser höchst-
gegründeten Neuerung werden Sie, so bald ich nur dazu kommen kann, gleich
in dem obenerwähnten angefangenen Briefe finden. Ich werde damit stets,
wo ich es nur nicht vergesse, fortfahren; es ist in allem Betracht eine
Pflichterfüllung gegen Selbst Sie, wie gegen meine Frau; und ich klage
mich einer langen Unterlassung an.
     Schließlich wünsche ich, daß Sie die Zeit nicht bedauern, um die ich Sie hier
gebracht habe, und erneuere die Bezeugung der vollkommensten Hochachtung,
mit welcher ich die Ehre habe zu seyn
                                                                              Ew. Wohlgebohrnen
                                                                              ergebenster Diener
An den Herrn Hofrath André zu Offenbach am Mayn.                        Nissen