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Salzburg
Höchstgeehrter lieber
Freund meines seligen
Mannes 16. Febr
und der meinige gute, 1826
Sie sollen Sich nicht lange wundern, diesen Eingang nicht mit der Unterschrift zu
vereinigen zu wissen: ich eile, Sie zu unterrichten, daß es
Mozarts Witwe
ist, die sich das Vergnügen giebt, Ihnen zu schreiben.
Ich hoffe, daß Sie Sich meiner, wenn auch nur als eines Appendix's von Ihrem
herzlichen Freunde, noch ein wenig erinnern. Ich erinnere mich recht sehr
Ihrer als eines talent- und genievollen heitern und gefälligen Mannes,
als welchen Sie Sich auch zulezt in München gegen mich bewiesen haben

; und
es wird mir bestätigt, daß Sie nicht aufgehört haben, Ihrem liebenswürdigen
Charakter treu zu bleiben. Gewiß würden Sie mir also erlauben, daraus Vortheil
zu ziehen und Ihre Eigenschaften und Gesinnungen wieder in Anspruch zu nehmen,
wenn es auch nicht der Fall wäre, daß ich, wie izt, gewiß seyn darf, daß mein Zweck
an sich so viel Anziehendes für Sie Selbst hat, daß Sie mir am Ende gar dankbar
seyn werden, Ihnen Gelegenheit zu geben, Ihre Empfindungen für
M. wiederholt
auszusprechen und zu seiner Ehre öffentlich noch mehr beizutragen, als Sie
es bisher schon gethan haben.
Mich nicht mit den lückenvollen Skeletts von Lebensbeschreibungen meines
seligen Mannes begnügend, beschäftige ich mich, in Vereinigung mit meinem izigen
Lebensgefährten, alle Hülfsmittel zu einer umfassendern zu sammeln.

Die
meisten seiner Zeitgenossen, die mir deren reichen könnten, sind dahin: Einige sind
träge; Andere, nicht Beobachter gewesen. Ich sehe Sie für denjenigen an, der mir
besser und befriedigender
wie irgend Jemand beistehen kann. Ich muß mich daher
an Sie wenden. Sie verbinden das Vermögen mit reinem Willen. Ich wüßte durchaus
Niemanden, der in einer solchen Vertraulichkeit und so viel mit ihm gelebt hat,
Niemanden, der ihn mehr gekannt oder dem er sich mehr hingegeben hätte, als
Sie, und das namentlich in seinen wichtigsten lezten Jahren bis an seinen Tod,
und während des Aufenthalts just in Wien, von welchem wunderbarer Weise die
Biographen fast nur die Namen einiger seiner Werke, Nichts von dem Menschen selbst, zu berichten
gewußt haben. Die größte der Lücken in seinen Biographien betrift wirklich Wien.
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Wenn ich mich nur nicht verleiten lasse, zu viel von Ihnen zu wünschen! Mein Wunsch geht
weit: er geht dahin, daß Sie belieben mögten, Sich vorzustellen, Sie hätten einen Busenfreund,
der
Nichts von
M. wüßte und
Alles zu wissen begierig wäre, und dem Sie die Neigung hätten
Alles mitzutheilen, was Sie Selbst mit ihm erlebt, was Sie an ihm bemerkt, und
was Sie durch Andere erfahren hätten, nicht allein in musikalischer Hinsicht, sondern auch
überhaupt, beides was den Menschen insbesondere und was den Künstler betraf,
alles Charakteristische, kleine und große Ereignisse, Anekdoten, kurz was immer die
Geschichte seiner Person, seines Umganges,
seiner häufigste[n und] liebsten Gespräche, seines Charakters, und die Geschichte seiner Werke
im mindesten berührt, seine Art zu seyn in Ernst und Munterkeit usw usw; und
daß Sie dieses niederschrieben, sei es in zwang- und müheloser, die wenigste Zeit Ihnen
kostender, Briefform, oder wie Sie es in freundschaftlichem Gespräch ungezwungen, je
nachdem es Ihnen eben in den Sinn fiele, ohne mindeste Anstrengung erzählen würden.
Alles, auch geringfügig Scheinendes, schäze ich, weil Alles charakteristisch ist, und weil
Manches, was geringfügig scheint, oft dient, Anderes zu erläutern.
Wie kömmt Ihnen diese Bitte vor? Nehme ich mir nicht zu viele Freiheit? Begehe ich
keinen Misbrauch? Würde dieses nicht Ihrer wenigen Muße zu großen Eintrag thun?
Ich sage, Ihrer wenigen Muße; denn wie ist daran zu zweifeln, daß ein Mann von
so seltenen Talenten und so ungemeiner Thätigkeit, von welcher
Gerber und
Lipowsky
mir das Detail aufs neue in das Gedächtnis gerufen haben

, sich nie der Ruhe hingebe?
Aüsserst glüklich würde es für mein Unternehmen seyn, wenn Umstände Ihnen verstatteten
bald
Hand an das Werk zu legen, und mich von Zeit zu Zeit mit halben oder ganzen Bogen,
gleich nachdem sie beschrieben wären, durch die Briefpost zu beschenken.
Ich fühle die Größe der Probe, auf welche mein Zutrauen Sie stellt; Sie werden sie aber
bestehen, in so ferne es thunlich ist, denn, wie mein Mann spricht,
ultra posse nemo obligatur 
.
Sie werden die beiden Namen, die in gedrukten Schriften und auch noch immer im Munde
Vieler vereinigt sind, auch fernerhin und dauernder zu vereinigen einwilligen, in
so ferne es Ihnen thunlich ist. Habe ich aber in meiner Bitte diese Gränze überschritten,
so wählen Sie unter Einzelnheiten, theilen mir isolirte Vorfälle und Bemerkungen
mit, Anekdoten, und was Ihnen etwa die werthesten Erinnerungen sind. Alles und
Jedes, auch noch so Wenige, auch noch so kleine Almosen werde ich mit Erkenntlichkeit empfangen.
Haben Sie keine
Briefe, Briefchen, Billete oder irgend andere Handschrift (ausser in
Ihren Partituren) von M.? In Ermangelung der Originale für meinen Besiz würden mich auch die
bloßen
Abschriften verpflichten. –
wissen Sie sonst Jemand, der einen Papierstriemel
hat?
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– Von einem so großen als allgemeinen Interesse wird seyn, was Sie etwa von
M.s Paar Komposi-
zionen in Ihren Opern anführen können. –
Erinnern Sie wol noch, welche Bücher über Musik
(nicht Partituren, diese nennt
Lipowsky)
M. Ihnen lieh? 
Das mögte ich auch gar gerne wissen.
Einer vollständigen Biographie W.A.M.'
s müßte, dünkt mich, die seines
Vaters und Ausbilders
vorhergehen, und ich habe auch dazu zu sammeln gesucht. dieses braven Mannes Bekannt-
schaft haben Sie auch gehabt

:
was würde Ihr imaginärer Freund über ihn von Ihnen
erfahren? Ich werfe mir vor, daß es mir hier erst einfällt, Ihnen zu melden, was mich
zu meinem Unternehmen ermuntert hat. Erfahren Sie es izt. Meine
Schwägerinn, die in ihrem
75
st Jahre seit kurzem leider! in gänzlicher Blindheit, lebt, hat uns vor ein Paar
Jahren mit ungefähr 400 Briefen beschenkt, die die vieljährige, aber nur bis 1781. gehende Kor-
respondenz zwischen
Vater und
Sohn ausmachen, und um die keiner der bisherigen Biographen das
Geringste gewußt hat. Sie macht dem
Leopold M. ausserordentliche Ehre.

[Nicht] auch in
allem Gedrukten suche (nicht nur was
ex professo 
von
M. handelt, seinen Namen
vo[r der] Stirne trägt, sondern auch wo er im Vorbeigehen genannt wird, oder wo ich auch nur
[denke]n
kann, daß er genannt wird), sind vielfache unermüdete Versuche, mir folgende Büch-
lein zu verschaffen, vergeblich geblieben. das erste scheint gar der Verfasser nicht mehr zu
haben. Von dem zweiten sind bei dem Verleger alle Exemplare vergriffen: man müßte
also glauben, es sei von einigem Werth; und doch weiß ich Niemanden, der es gelesen hat,
auch kann ich den Namen des Verfassers nicht erfahren:
O könnten
Sie mir beide zu weisen?
1. Wiener Theateralmanach für 1794; von
Sonnleithner junior, der in denselben
„Mozarts Leben” liefert.

2 Mozarts Biographie in musikalischer Hinsicht, von N
xx br. Prag (bei Wiedman) 1797.

– Wenn ich nun nur noch hinzufüge, daß meine Wohnung auf der hiesigen Post bekannt
ist und daß ich Sie um
die Angabe der Ihrigen ersuche, damit ich Ihnen direkter schreiben
kann und unser Briefwechsel schneller gehe, so kömmt es mir zu, zu endigen und
Sie für die Länge meiner Zuschrift um Vergebung zu bitten. Ungeduldig bin ich
auf die Antwort, mit der Sie mich erfreuen werden. Sie wird mich belehren, in-
wieferne ich Hofnung habe, einen Briefwechsel mit Ihnen von Zeit zu Zeit unterhalten
und, nach meinem jeweiligen Bedarf, Mozart und seine werke betreffende fragen
Ihnen stellen zu dürfen. Mein erster Mann war ja Ihr Kollega in Apoll und zuweilen
Ihr Mitarbeiter; mein zweiter weiß, daß er nicht solche Ansprüche zu machen
hat. demüthigen Sie ihn daher nicht noch mehr, sondern bleiben Sie unser, also auch sein,
Mitarbeiter. Es gebührt Ihnen so schon in Mozarts Lebensbeschreibung ein eigenes
recht interessantes Kapitel. Mit gar Niemanden scheint M. in solchem Grade, wie mit Ihnen,
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intim gewesen zu seyn. Ich vertraue, daß Sie uns in den Stand sezen werden, auch in
dieser Rüksicht, Ihnen so volle als öffentliche Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, und,
wie gesagt, die Vereinigung Ihrer Beider Namen zu erhalten.
Meinem Skribenten

gebe ich noch den Befehl, die kleinern Gegenstände, die ich Ihnen an das
Herz gelegt habe, zu unterstreichen, damit Sie sie nicht lange zu suchen haben, wann
Sie
Sie so gütig seyn wollen Sich damit zu beschäftigen.
Ich bin mit aufrichtiger Freundschaft und gleicher Hochachtung Ihre ergebenste
Constance Nissen
Ich gebe mir die Ehre, dem
Herrn Schack mich auch selbst zu empfehlen, und
den Wunsch auszudrükken, daß Ihre Freundschaft für meinen Vorfahrer
im heiligen Ehebette seinem Nachfolger einigen Anspruch auf ähnliche
Gesinnung für ihn geben möge.
Nissen
Der Aufschrift Ihres erwarteten geehrten
Schreibens wegen, muß ich wol hinzusezen: Ritter, königlich dänischer wirklicher
Etatsrath.
Herrn
Herrn Benedikt Schack,
königlichen Hofsänger.
der Güte des Herrn Organisten
Keller empfohlen. München.