[S. 1]


No. 19
Hochgeehrter und lieber
Herr, Freund und –
Alliirter, Salzburg 28 Okt.
1825
erlauben Sie mir (und meinem Ihnen bekannten
Concipienten 
, der auch auf Ihre
gütigen Gesinnungen Anspruch zu machen wagt), einen freundschaftlichen Briefwechsel
mit Ihnen zu eröfnen, von welchem, wenn Ihre Zeit mich so gewiß als Ihre Neigung
begünstigt, freilich nur ich sichern Vortheil ziehe. Sie werden indessen in dem Verlauf
meines Schreibens vielleicht erkennen können, daß ich mich befleißige, zugleich Ihnen,
wo möglich, etwas Angenehmes zu erweisen. Und ich bitte Sie, mir zu glauben, daß
ich dieses bei jedem Anlasse thun würde, wenn ich auch keine Erwiederung zu
wünschen hätte.
Zu allererst mögte ich Sie ersuchen,
den 4 Exemplaren der
M'schen Werke, die Sie nach dem Originalmanuskript herausgeben,
eine andre Richtung zu geben, als wir übereingekommen sind. Ich bin seit 5 Jahren auf
Reisen und weiß nicht, wo und wann ich mich niederlasse. Sie haben nur versprochen,
die Sachen nach Hamburg oder Wien frei zu liefern, sind aber nicht angestanden, sie
mir, und zwar freiwillig, ohne daß ich Sie darum gebeten hatte, eine Zeitlang nach Kopenhagen
zu senden.

Diese Gefälligkeit, wofür ich Ihnen
dankbar war, erzeugt in mir den Muth,
Sie um eine andere zu bitten, für welche ich Ihnen noch dankbarer seyn werde:
daß Sie nämlich mit Ihren gelegentlichen Versendungen
2
Exemplare an
Meiners, oder wen Sie wollen, in Mailand mit der Adresse an meinen Sohn
Karl,
der dort Jedermann bekannt ist

, und
2
Exemplare an Ihren Korrespondenten in Lemberg oder an
Steiner und Kompagnie zu
Wien (freilich am liebsten den ersten Weg direkte) unter Adresse an meinen Sohn
Wolfgang
Amadeus Mozart in Lemberg

, der daselbst auch leicht gefunden ist,
abgehen lassen.
Es versteht sich, daß dieser mein Wunsch retroaktiv

ist und sich für izt
auch auf
das, was Sie herausgegeben
haben, seitdem ich in Kopenhagen Etwas
erhielt, ausdehnt.
Es ist zu fürchten, daß
Lose schon lange Etwas für mich hat, und daß für Sie die Ungelegenheit
entsteht, ihm zu schreiben, daß er solches
Ihnen zu verrechnen hat. Wahrscheinlich ist
hingegen schon Manches bei
Meiners wo ich
so wie hier bei Hacker,
allerhand gesehen
zu haben meine, vorräthig, über welches Sie ohne
mehrere Mühe disponiren können.
[S. 2]


Von nun an handelt es sich von neuen Interessen.
Almosen werde ich Ihnen begehren, denn
Ihre Gaben werden den Werth von Almosen haben, da Sie sie einer Dürftigen reichen.
Dürfte ich Sie um folgende
Geschenke bitten?
Ein Exemplar des von Ihnen publizirten
Mozartschen eigenhändigen thematischen Katalogs

,
oder gar, wenn Sie mich noch ausserordentlicher verpflichten wollten,
Zwei Exemplare desselben. Sie haben mir zu seiner Zeit willig gegeben Alles worum ich bat.
Gewiß hätten Sie mir, zwei, drei Exemplare oder mehr gerne gegeben. Ich bat Sie
aber nur um Eins. Das hat einer meiner
Söhne; der andere keins; ich selbst
keins. Sie begreifen, daß wir, alle, zu haben wünschen. Indessen werden die Exemplare wol
sehr selten geworden seyn. deswegen schränke ich meine ausdrükliche Bitte auf Eins ein.
Eine Abschrift Ihres
Katalogs über die frühern
M'schen Komposizionen,
welchen Sie dem sel.
Gerber, wie sein Lexikon bezeugt, geliehen hatten.

Er wird ohne Zweifel die auf vielen
Komposizionen angezeigten Jahrszahlen und Ortsbenennungen
(und so weiter) enthalten, wann und
wo
p. sie verfertigt worden sind
p. Gerber hat den summarischen Inhalt der Welt
mitgetheilt: ich gebe Ihnen mein Wort, daß er
durch mich nicht im Detail oder gar nicht
unter die Leute kömmt, je nachdem Sie mir es vorschreiben.
Ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß ich betrübt seyn würde, wenn Sie in dem Falle wären,
zu meinen, daß Sie mir diesen Gefallen nicht zugestehen könnten.
Eine Abschrift der ganzen
Mozartschen Lebensnachrichten in der Numer 1. der im J. 1792.
zu Speyer erschienen
en musikalischen Korrespondenz, auch sonst, glaube ich, boßlersche
Realzeitung genannt.

– Vergebens habe ich mir sehr viele Mühe gemacht, diese
Abschrift zu erhalten oder das Blatt zu Gesicht zu bekommen: ich hoffe, daß es
Ihnen
minder schwer seyn wird.
Sie kennen nun das Ganze meiner Wünsche. Ungeachtet ich vollkommen empfinde, daß
ich keinerlei Recht habe, Ihnen diese vielen Ungelegenheiten zu machen, so will ich doch,
nachdem ich Ihnen einmal ausgedrükt habe,
wie sehr ich mich verpflichtet fühlen würde,
keine Worte mehr darüber machen: ich müßte fürchten, Ihre Delikatesse zu belei-
digen und den ungerechten Schein auf mich zu werfen, als wenn ich nicht
alles
Vertrauen in Sie sezte, wie ich gewiß thue, in so ferne Zeit und Umstände Ihnen keinen Zwang auflegen.
[S. 3]


Jeder Ihnen bequeme Weg zur Zusendung ist mir recht, der liebste freilich der – mindest
kostspielige. Und dieses wäre ja wol in einem Ihrer Ballen an
Hacker oder
Mayr hier,
oder an einen Buch- oder Musikhändler in der Nähe, München, Regensburg, Linz
Landshut oder dergl. Die Adresse wäre an mich oder
meinen Mann; und Ihre Auslagen
für Kopirung und Versendung und die Unterwegstransportkosten werde ich entrichten,
wo es mir von Ihnen oder Andern angezeigt wird. Entweder bekäme Ihr Münchner,
Regensburger u.s.w. Korrespondent den Auftrag, gelegentlich in seinem Ballen an
Mayr oder
Hacker zu senden; oder Sie beliebten nur mir zu melden, an wen Sie in meiner
Nähe versandt haben, damit ich das Nöthige dort selbst veranstalte. Diese Mel-
dung, und was Sie mir sonst mitzutheilen hätten, rathe ich Ihnen, nur in ein Paar Zeilen zu
fassen: es ist billig, daß Ihre Geschäfte nur wenig unterbrochen werden, nachdem mein langer
Brief Ihnen ungebührlich viele Zeit raubt. Darf ich noch so frei seyn, mir von meinem
unbescheidenen
Mann diktiren zu lassen, daß
Bis dat qui cito dat 
? Doch bescheidet er sich
auch, daß Alles ganz natürlich demjenigen, was eine eigene Wichtigkeit für Sie hat, untergeordnet ist.
Das Wenige, was ich die Freude haben kann Ihnen anzubieten, besteht in Folgendem.
Ich habe hoffen dürfen, bei meiner
Schwägerinn und in der Geburtsstadt meines sel
Mannes Allerhand zu finden. Die unermüdetsten Nachforschungen haben mir
Nichts weiter eingetragen.
In Abschrift. Ein Wiegenlied in 3 Strophen:
Schlafe, mein Prinzchen p Andante F Dur. Ganz allerlieb[st],
mehrfach
kenntlich Mozartisch, naiv, launig. Ich muß hinzusezen, daß die
Schwester von dem Liede
Nichts weiß. Aber hier passirt es
lange Jahre für
M.s Arbeit, Jedermann sonst nimmt es
dafür an, und namentlich
Hς. Schinn in München, der hier vor geraumer Zeit gelebt hat, bezeugt
die Aechtheit. Es muß aus seinen Jünglingsjahren seyn, weil er es nicht in Wien gemacht
hat. Aber
Nichts darin zeigt die
Jugend des Komponisten an.
In Abschrift.
Aria buffa:
Dentro il mio petto p. im ganzen Takt
D dur Allegro maestoso. Einiges
von Vorstehendem paßt auf diese. Sie hat das Gepräge: aber die
Schwägerinn und ich kannten sie nicht.
Behauptet wird hier die Aechtheit.
In Abschrift, aber nur wenige Bruchstükke eines
Concerto a 3 Cembali in F. Das Werk
ist von
M. geschrieben
gewesen. Er schreibt davon in Briefen an seinen
Vater, und unter andern, daß er es in Augsburg gespielt hat.

Es muß ungefähr vom J. 1777. seyn.
In Abschrift die allerältesten Komposizionen des Kindes
M., von (Jan.) 1762.
u. 1763., von seinem
Vater in ein eignes
büchlein geschrieben, aus wenigen Reihen bestehend, doch ein Paar aus Brüssel und Paris schon beträchtlich größer
Unter diesen sind.
im Original 2 aus wenigen Reihen, die etwas neuer als von 1763 seyn werden.
[S. 4]


in Original. Ein
Vorspiel oder Präludie, für die
Schwester in spätern, wenngleich nicht spätesten Jahren gemacht. Das
Stük kann eine kleine (in 4 Seiten) Fantasie genannt werden.
C dur. Es fängt an mit
Allegretto C c dur, geht
dann über in ein
Capriccio, Andantino, Cantabile u. macht den Schluß mit einem
Capriccio allegro assai.
in Abschrift hat die
Schwester, wie sie behauptet, noch eine für sie gemachte
Präludie. Die arme 75jährige ist aber blind.
Was Original ist, giebt sie nicht her, es müßte gewartet werden. Abschriften von den Abschriften lasse ich Ihnen gerne
machen und sende sie, wohin Sie wollen, wie auch Abschrift des Originalvorspiels, das ich eben nannte.
Hier ist
Nichts mehr, es mögten denn Ihnen unbeka
nte
ältere Kirchensachen
seyn.
Über Alle diese macht ein hiesiger Chor-
regent
Jähndel ein vollständiges Verzeichnis und sucht auch auswärts. Wenn es Sie interessiren kann, will er sich mit
Vergnügen darüber und über ähnliche Sachen in Korrespondenz sezen. Er ist ein gar lieber Mann. Es fällt
mir hiebei ein, Ihnen mitzutheilen, daß in Wiederspruch mit dem, was die Leipz. A. M. Z.

, auch andre Schriften wider
die ältern Kirchenstükke enthalten, noch am 15 Okt.
1825. zwei große
Vespern, die bis dahin in Wien ganz unbekannt
waren, daselbst in der Domkirche und in der Hofkapelle aufgeführt worden sind; erstere auf des dortigen Kapellmeister
[Gä]nsbachers Veranstaltung, welche beide, wie G. mir schreibt

, ganz das Gepräge des
M'schen Genius tragen. Sie sind beide
aus der Tonart C für 4 concertirende Singstimmen, 2 Violinen, Trompeten, Pauken, Orgel u. Violon.
Schluß. Vergeben Sie meine Weitschweifigkeit! Sie werden gefälligst antworten, worauf und was Ihnen
beliebt. Vergönnen Sie mir zu hoffen, daß Sie es
bei erster Muße thun. Wo Sie nicht glauben, mir
gewähren zu können, werde ich mich überzeugt halten, daß Sie es nicht können. Doch, mehr in Hofnung
auf Ihre Freundschaft als in Furcht vor Ihr Unvermögen, und mit alter Hochachtung und
Attachement
habe ich die Ehre zu seyn Ihre ergebenste Dienerinn
Constance Nissen 
Als Concipient, Gatte, folglich Vormund,
und als Ihr hochachtungsvoller ergebenster Diener
Nissen
An den Herrn
Herrn André
Musikverleger
in
Frei bis an Offenbach
die Gränze am Mayn