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No 34
        Mein lieber Carl,                                                                       Wien 13. Jun. 1810.
da nun die Zeit unsrer Abreise, die Sie recht schön eine neue Trennung nennen, sich mit starken Schritten
nähert, so will ich nicht den lezten Augenblik, in welchem sich so leicht etwas vergessen oder versäumen
läßt und da man leicht durch die Nothwendigkeit verhindert seyn kann, abwarten, um Ihnen Aller-
hand zu sagen, was Sie zu wissen haben. Ich ergreife die Feder heute den 11tn Mai, wiewohl noch
weder der Tag noch sogar die Woche bestimmt ist, da wir Oesterreich ein ewiges Lebewohl geben.
Sie wissen, daß Ihr großer Vater kein Vermögen, sondern Schulden, und ein unbedeutendes Mo-
biliar hinterließ, welches leztere bey weitem nicht so viel betrug als Ihrer Mutter im Heiraths-
contracte zugesagt war. Indessen wurde es taxirt, und Ihrer Mutter dagegen überlassen, daß
sie nach dessen Verhältniß ihren Kindern eine Summe bestimmte und deponirte. Diese Summe
war für jedes 200. fl. Nach der hiesigen sehr guten Einrichtung müssen die Pupillargelder in
öffentlichen Fonds angelegt werden. Dem zufolge ward eine Oberkammeramtsobligation No.
9234. vom 7. Febr. 1793. auf 400. fl. gekauft und im magistratischen Depositenamt nieder-
gelegt, wofür Ihr Vormund und Onkel, der Regisseur Mayer bey dem k. k. Theater an
der Wien, einen amtlichen Schein in Händen hat. Die Obligation ist zu 4. pC. und Ihre Mutter
hat mit Recht bisher, das heißt bis zum 7. Febr. 1810. inclusive, die Zinsen erhoben. Nun
wird sie sie aber nicht mehr erheben. Seit dem Augenblik, da Sie mündig sind, hängt es von
Ihnen ab, Ihren Theil zu haben, allein izt noch nur gar sehr geschmälert. Für die Ausfuhr
einer Erbschaft in das Ausland wird eine Steuer erlegt: Obligationen zu 4 pC. gehen izt
bey weitem nicht für voll, und werden, noch dazu, von dem Käufer (denn dem Kaiser können noch keine
aufgekündigt werden,) natürlicher Weise nur in Bankzetteln bezahlt, welche vermöge des Stands des Courses
viel verlieren. Der Cours kann besser werden, die Obligationen können al pari zu stehen kommen. Also
schon aus dieser Ursache ist es nicht räthlich, izt sich das Geld bezahlen zu lassen; und, um die ober-
wähnte Steuer zu ersparen, ist es vollends vernünftig damit zu warten, bis Sie einmal auf
kürzere oder längere Zeit, wieder hier sind. Alsdann kann Ihr Vormund eine Eingabe von
Ihrer Majorennität machen, worauf Sie Ihren Antheil an Capital und an den Zinsen vom
7. Febr. 1810. exclusive an erhalten. – Ihre Mutter hat durch ihre Reisen, durch die Aufführung
von Concerten, so wie durch den Verkauf der Originalpartituren Ihres seligen Vaters (von dessen
Handschrift sie nur eine Menge schäzbarer Fragmente und Entwürfe hat) das Glük gehabt,
nicht nur die Schulden zu bezahlen, sondern sich auch ein kleines Capital zu sammlen. Dieses wird
mit der Hülfe des Himmels nicht geschmälert werden, und die Hälfte erwartet Sie in dem Zeit-
puncte, von dem Sie und ich wünschen, daß er auf das weiteste entfernt seyn möge. Sie wird fortfahren,
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davon die Zinsen oder Einkünfte zu beziehen; aber die Papiere für dieses Vermögen bleiben hier bis weiter
deponirt bey dem Kaufmann Johann Georg von Scheidlin. – Unsre Adresse ist künftig diese:
                                                                    N.
                   Chevalier de l'Ordre du Dannebrog, Conseiller de légation
                   de S. M. Danoise, Son ancien Chargé d'affaires près la Cour
                   Impériale d'Autriche.

                   Chez M. M. les frères Tutein,

              oder: bey den Herrn Gebrüder Tutein.       Copenhague.

Daß Ihre Brife, so häufig sie auch seyn mögten, uns herzliches Vergnügen machen werden, brauche ich wohl
nicht auszudrükken. Damit aber eine gewisse Ordnung bestehe, so macht Ihre Mutter es Ihnen zur Pflicht,
wenigstens gleich bey dem Anfange jedes zweyten Monats zu schreiben. Bedenken Sie, daß wir, wenn Sie
dieses nicht thun, uns Unruhe und Kummer machen. Es versteht sich, daß Sie uns ausserdem jedes Mal
sogleich melden, wenn sich irgend eine Veränderung mit Ihnen zuträgt, und uns bey gewechseltem
Aufenthalte die genaue Zeit und eine genaue Adresse anzeigen. Sie schreiben uns in der That viel
zu wenig von Sich selbst. Machen Sie es allenfalls wie ich. Ich habe immer Papiere zu Briefen an
meine gewöhnlichsten Correspondenten liegen. So bald mir etwas in den Sinn kömmt, was diesem oder
jenem angenehm, interessant oder nüzlich seyn kann, schreibe oder notire ich es auf dem für ihn
bestimmten Papier. Sie denken gewiß oft an uns, wie wir an Sie. Schreiben Sie Ihre Gefühle nieder.
Fragen Sie Sich von dem, was Sie hören, sehen oder empfinden, und was Sie thun und was Ihnen
wiederfährt – was darunter wir wohl gerne von Ihrer Hand lesen mögten, und was Sie uns
mittheilen würden, wenn wir beysammen wären. Die herrliche Erfindung des Briefwechsels
soll die mündliche Unterhaltung ersezen. Ihre Briefe könnten das vollkommner thun als bisher
der Fall ist. Dasselbe was einer Unterredung Werth giebt, giebt auch den
Brifen Werth. – Noch eine Regel für den Brifwechsel in das Ausland. Fahren Sie fort, immer
feines Papier zu brauchen, sorgen Sie für gute Dinte (die Ihrige ist gewöhnlich zu blaß, incom-
modirt die Augen, oder schlägt durch) nehmen Sie keinen Streusand, schreiben Sie enge und
brauchen Sie nur im Nothfalle Couverte. In einigen Ländern werden couvertirte Briefe, wenn
gleich noch so dünne, wie doppelte bezahlt, und allenthalben steigt das Porto. Freylich an
Fremde, denen man Achtung schuldig ist, muß immer couvertirt, und nicht enge, geschriben
werden. Auch zu Couverten ist feines Papier räthlich. Das Postporto richtet sich nach dem Gewicht
der Briefe. – Ich habe immer vergessen Ihnen zu berichten, daß die chymische Drukkerey hieselbst
Ihr und Ihres Bruders vereinigtes Porträt, als ein Tableau brüderlicher Zärtlichkeit, über
einige Zeit in Kupfer stechen lassen wird. Es bleibt nach uns zurük von diesem Porträt eine vortrefliche
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Copie des eignen Meisters, Hansen, bey dem königl. dänischen Legationsrath v. Pilgramm,
wohnhaft im Baron Fellnerschen Hause auf dem hohen Markte, hintere Stiege, im 3ten Stock,
an welchen Sie, wenn Sie einmal herkommen, oder auch schriftlich wenden können und stets
einen willigen und soliden Freund und Rathgeber finden werden. – Das Clavier Ihres seligen
Vaters ist Wolf geschenkt worden und steht izt in der chymischen Drukkerey zu seiner Disposition. Ein
Spinettel, das mozartisch war oder gewesen seyn soll, ist dem Doctor Lichtenthal gegen seinen Schein,
daß er es auf Verlangen wieder hergiebt, anvertraut worden. – Lassen Sie Sich den Inhalt dieses
Briefs nicht abhalten, uns noch einen Brief hieher zu adressiren. Auf einige wenige Tage kann ich
noch immer heute (den 13. Jun) unsre Abreise nicht bestimmen, die aber gewiß kurz nach dem Ende
des gegenwärtigen Monats Statt haben wird. Sollte Ihr Brief uns nicht mehr treffen, so ist
auf der Post die Anstalt getroffen, daß er uns gleich nachgeschikt wird. – Unsre lezten
waren vom 7. Mai und vom 22. Mai. Täglich hatten wir einen von Ihnen erwartet, besonders
seit dem dhς. Generalsecretär uns am 15 Mai mit der Sie betreffenden Nachricht erfreut hat.
Wir müssen glauben, daß einer von Ihnen, gleichen Inhalts, verloren gegangen ist. Tragen Sie
doch ja, wie ich, immer Ihre Correspondenz selbst auf die Post. Wir wünschen Ihnen von
Herzen Glük und freuen uns mit Ihnen. Geben Sie uns bald Nachricht, welches der
eigentliche Name Ihres Amts ist, was Sie nun heissen, worin Ihre Geschäfte bestehen,
und welche Gage und Agremens, z. Ex. ob Wohnung und Tafel, damit verbunden ist. dhς.
Generalsecretär, dem ich Sie bitte unsre beßte Empfehlung und vorläufige Danksagung
zu machen (ich werde die Ehre haben, ihm aus Copenhagen zu schreiben) meldet uns nur folgendes:
Enfin il est au service de la Maison Royale à la Pagerie, et il en paroit content. Je désire
qu'il le soit positivement, pour son mérite personnel, pour la satisfaction de M.e sa mère, etc.
M. le Gouverneur, près duquel il se trouve en qualité de sécrétaire, m'en a déjà fait des
éloges. Je ne manquerai pas de faire quelque chose de plus à son égard à la première cir-
constance favorable.
– Da Ihr Brief, den wir für verloren halten, vielleicht nur
unterwegs ist, so behalten wir uns vor, Ihnen darauf noch von hieraus zu
antworten. Heute muß ich schließen. Wir wünschen, daß das Clavier in gutem
Stande angekommen seyn möge, und sind stets
                                                                          Ihre zärtlichen Eltern
Vergeben Sie mir den Mangel an
Ordnung in meinem Briefe. Ich habe zu                              Constance Nissen note       Nissen
verschiedenen Zeiten geschriben und hatte vorzüglich
im Sinne, ja nichts zu vernachlässigen.
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Vienne.
A Monsieur
Monsieur Charles Mozart.

Italie.       Milan.

IL.L.VRIE