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No 9
Wien 16 Nov. 1800.
Lieber
Herr André,
es wird Ihnen noch erinnerlich seyn, daß sich unter
Mozarts Nachlasse
6. Sonaten in Kopie vorfanden, die ich für
seine Arbeit hielt, und von denen ich Ihnen sagte, daß ich sie
an
Breitkopf und Härtel verkauft hätte, die sie für
sehr schlecht erklärt hätten, so wie Sie selbst sie auch
erklärten. Sie baten mich inständig um die Abschrift
und ich gab sie Ihnen auf Ihr Ehrenwort, daß Sie, die um
den geschehenen Verkauf durch mich wußten, keinen Misbrauch
davon machen würden.
Izt kömt mir ein gar gewaltiger Skrupel, daß sie
nicht von
Mozart sind. Da ich sie aber immer an
B. & H.
verkauft habe, die sie ohne
Mozarts Namen herausgeben
können, wenn sie es wollen (ich habe mit ihnen darüber cor-
respondirt und
ihnen meinen Skrupel mitgetheilt)

so thut das
nichts und Ihre Verbindlichkeit, mein Freund, bleibt dieselbe.
Ich thue Ihnen auch nur hauptsächlich diese Anzeige, damit
Sie die Themen durchaus nicht in
Mozarts thematischem Katalog

anführen; ich kann sie izt nicht für seine Arbeit erkennen, und
würde wiedersprechen, wenn sie ganz oder auch nur die Themen
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als
Mozartisch bekanntgemacht würden.
Breitkopf und
Härtel habe ich indessen überlassen, sie nochmals zu
beurtheilen und nach ihren innern Criterien zu schäzen.
Ich habe mich gänzlich von aller Bürgschaft, daß sie
von
Mozart sind, losgesagt – das ist die Hauptsache,
um die es mir zu thun ist.
Bey dieser Gelegenheit entsteht noch ein Skrupel bey mir,
der nämlich: ob die bewußte
Oper ohne Namen mit Melodram
statt Recitativ, die nicht vollendet zu seyn
scheint, oder die ich
wenigstens nicht für vollendet gehalten habe, wirklich von
Mozart ist. Es scheint mir, aber wiederum habe ich Zweifel.
Die Handschrift des Texts ist entweder
Mozarts oder hat
eine
täuschende Aehnlichkeit mit derselben. Sie müssen die
Handschrift der Noten am beßten beurtheilen können. Freilich
ist auch diese unter sich nach den Jahren verschieden. Sie werden
aber andre Manuscripte haben, die dieser Handschrift ähnlich
sind. Am Ende jeder Composition, wenigstens jeder Hauptcomposition
machte
Mozart ein Zeichen, was ich, so nett und
leicht
gemacht, nie gesehen habe, etwa so
Nein, ich
kann es nicht machen, aber Sie werden es schon kennen und erkennen.
Sind in dieser Oper diese Zeichen ächt mozartisch, so wird es freilich auch
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die Oper seyn. Aber kein Mensch, kein Mensch kennt sie,
und die Handschrift des Texts und der Noten hat eine
täuschende Aehnlichkeit mit
Michael Haydn's oder seines
beständigen Kopisten.
Auf meinen Antrag wegen der Themen aller Fragmente
antworten Sie mir leider nichts! Diese Ausgabe würde mir eine
erstaunliche Freude machen,
sie wäre am Ende Ihres Catalogs
am rechten Orte, ich suche ja keinen Vortheil dabey. Niemand kann
dieses Verzeichniß so vollständig herausgeben als just Sie, da Sie
noch einige nicht ganz vollendete Sachen haben, die ich nicht notirt
habe. Ferner wäre es möglich, dass in diesem meinem Verzeichnisse
der Fragmente ein Paar Sachen angeführt wären, die
späterhin vollendet worden sind und also nicht unter
die Fragmente gerechnet werden können. Kurz, in allem
betracht wäre Niemand so geschikt als Sie, dieses Ver-
zeichniß herauszugeben, welches allen Kennern gewiß sehr
willkommen seyn wird, und auch Ihnen selbst
dadurch angenehm seyn muß, daß künftig Niemand diese Themen
ausarbeiten, für
Mozarts Arbeit herausgeben, Ihnen dadurch
präjudiciren kann, und Sie der einzige authentische Herausgeber bleiben.
Wie ich mich auf Ihre Quintetten und Quartetten, auf den
Don
Juan, kurz auf Alles freue!
Sie haben doch izt von
Berlin die
vollendeten Fragmente erhalten?
Ich bitte mir es zu melden, da sonst die Zeit verstreicht,
innerhalb welcher
ich mich auf der Post melden
muß.
N. empfiehlt sich. Ich bin und bleibe Ihre ergebenste Dienerinn
C. Mozart.
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Wien 1800
d. 16. Nov
24 do
Wb Mozart
Wien
An
den Herrn Johann André
Musikverleger.
Offenbach
am Mayn.