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Hochwohledelgebohrne gnädige
Frau!
Deroselben sehr angenehmes Schreiben

traff mich nicht
in Salzburg, sondern in der Ha
mmerau an, wo ich eben
mei-
nem
Sohne dortigen Mitbeamten beÿm Obverwesamt, auf
einen Besuch war; aus meiner sonstigen Willfährigkeit ge-
gen Jederma
n, und vorzüglich gegen das
Mozartische Haus, kö
nς
Sie schliessen, wie sehr leid mir war, daß ich nicht auf der Stelle
ihren Auftrag befriedigen ko
nte. zur Sache also! auf ihre
erste Frage: was Ihr seel. Herr
Brudς in seiner Kindheit,
NB: ausser der Beschäftigung in dς Musik für Lieblingsspiele hatte:
Auf diese Frage ist nichts zu beantwortς: de
n so bald er
mit der Musik sich abzugeben anfieng, waren alle seine Si
ne
für alle übrige Geschäfte, so viel als todt, und selbst die Kinde-
reÿen und Tändelspiele mussten, we
n sie für ihn
interessant seÿn
sollten, von dς Musik begleitet werden. we
n wir, Er und Ich, Spiel-
zeuge zum Tändeln von einem Zi
mer ins andere trugen, musste
allemal derjenige aus uns, so leer gieng, einen
Marsch dazu
singς, odς geigς. Vor dieser Zeit aber, eh er die Musik an-
fieng, war er für jede Kindereÿ, die mit ein bischen Witz ge-
würzt war, so empfänglich, daß er darüber Essen und Trincken, und
alles andere vergessen ko
nte. Ich ward ihm daher, weil ich, wie Sie
wissen, mich mit ihm abgab, so äusserst lieb, daß er mich oft zehnmal
an einem Tage fragte, ob ich ihn lieb hätte, und we
n ich es zuweilς,
auch nur zum Spasse verneinte, stunden ihm gleich die hellichten zähren
im Auge, so zärtlich und so wohlwollend war sein gutes Herzchen.
2te Frage. wie er sich als Kind gegen die Grossen Benahm, we
n
sie sein Talent und Kunst in dς Musik bewunderten?
wahrhaftig da verrieth er nichts weniger als Stolz odς Ehrsucht: de
n
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diese hätte er nie besser befriedigen kö
nen, als we
n er Leuten,
die die Musik wenig odς gar
nicht verstanden, vorgespielt hätte,
aber er wollte nie spielen, ausser seine zuhörer waren grosse
MusikKe
ner, odς man musste ihn wenigst betrügen, und sie dafür
angeben.
3te Frage. welche wissenschaftliche Beschäftigung liebte er am meistς?
Antw
ς: hierinfalls ließ er sich leiten, es war ihm fast Einerleÿ,
was man ihm zu lernen gab, er wollte nur lernen, und ließ die
Wahl seinem i
nigst geliebten
Papa, welches Feld er ihm zu bear-
weiten auftrug, es schien, als hätte er es verstanden, daß er
in der Welt keinen Lehrmeister noch mindς Erzieher, wie seinς un-
vergesslichς Herrn
Vater, hätte finden kö
nen.
4
te Frage. was er für Eigenschaften, Maximen, Tagesordnung,
Eigenheitς, Neigungς zum gutς und Bösen hatte?
Antw
ς. Er war voll Feuer, seine Neigung hieng jedem Gegenstand
sehr leicht an; ich denke, daß er im Ermangelungs Falle einer so
vortheilhaft guten Erziehung, wie er hatte, der ruchloseste Böse-
wicht hätte werden kö
nen, so empfänglich war er für jedς Reitz,
dessen Güte odς Schädlichkeit er zu prüfen noch nicht im Stande war.
Einige sonderbare Wunderwürdigkeitς
von seinem 4 bis 5Jährigς Alter, auf deren
Wahrhaftigkeit ich schwören kö
nte.
Einsmals gieng ich mit h
ς. Papa nach dem Do
nerstag=
amte zu ihnen nach hause, wir traffς den 4jährigen
Wolfgängerl in der Beschäftigung mit dς Fedς an.
Papa: was machst du?
Wolfg
ς: ein
Concert fürs
Calwier, dς erste theil ist bald
fertig.
Papa: laß sehen. Wolfg: ist noch nicht fertig.
Papa: laß sehen, daß muß was saubers seÿn.
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Der
Papa nahm ihms weg, und zeigte mir ein Geschmire
von Noten, die meistentheils über ausgewischte dintendolken

geschrieben waren |:
NB. der kleine
Wolfgangerl tauchte die Feder,
aus Unverstand, allemal bis auf den Grund des Dintenfasses ein,
daher musste ihm, so bald er damit aufs Papier ka
m, ein dinten=
dolken entfallen, aber er war gleich entschlossen, fuhr mit der
flachς Hand drüberhin, und wischte es auseinandς und schrieb
wieder drauf fort :| wir lachten anfänglich über dieses scheinbare
galimathias, aber der Papa fieng hernach seine Betrachtungς
über die Hauptsache, über die Noten, über die
Composition
an, er hieng lange zeit steif mit seiner Betrachtung an dem
Blate, endlich fielen seine Thränen, Thränen dς Bewunderung und
Freude aus seinς Augen. sehen
sie,
hς. Schachtner, sagte, wie alles richtig
und regelmässig gesetzt ist, nur ists nicht zu brauchen, weil es so
ausserordentlich schwer ist, daß es kein Mensch zu spielς im Stande
ware. dς
Wolfgangerl fiel ein: drum ists ein
Concert, man muß
so lang exercieren, bis man es treffen kann, sehen Sie, so muß
es gehn. er spielte, ko
nte aber auch just so viel herauswirgen,
daß wir ke
nen ko
nten, wo er aus wollte. Er hatte damals den
Begrief, das,
Concert spielen und Mirakel

wirkς einerleÿ seÿn
müsse. Noch Eins:
Gnädige
Frau! sie wissen sich zu eri
nern, daß ich eine sehr
gute Geige habe, die weiland
ς Wolfgangerl, wegen seinem
sanften und vollen Ton i
mer Buttergeige na
nte. Einsmals,
bald nachdem sie von Wien zurückka
men geigte er darauf, und
ko
nte meine Geige nicht genug loben, nach ein odς zween Tagς
kam ich wiedς ihn zu besuchen, und traf ihn, als er sich eben
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mit seiner eigenen Geige unterhielt an, so gleich sprach er:
Was macht Ihre Buttergeige? geigte da
n wieder in seiner
phantasie fort, endlich dacht er ein bischen nach, und sagte zu
mir:
Hr. Schachtner, Ihre Geige ist um einen halben 4
tel ton
tieffer gesti
mt als meine da, we
n Sie sie doch so gesti
mt liessen,
wie sie war, als ich das letzte mal darauf spielte. ich lachte
darüber, aber
Papa, der das ausserordentliche Tönegefühl und
Gedächtniß dieses Kinds ka
nte, bath mich meine Geige zu hohlen,
und zu sehen, ob er recht hätte, ich thats, und richtig wars.
Einige Zeit vor diesem, die nächsten Tage, als sie von Wien
zurückka
mς, und
Wolfgang eine kleine Geige, die er als Geschenk
zu Wien kriegte, mit brachte, ka
m unser ehemalige sehr gute Geiger
hς: Wenzl seel. dς ein Anfänger in dς
Composition war, er brachte
6
Trio 
mit, die er in Abwesenheit des h
ς: Papa verfertigt hatte,
und bath h
ς: Papa um seine Eri
nerung hierüber, wir spieltς diese
Trio, der Papa spielte mit dς
Viola den
Bass, dς
Wenzl
das erste
Violin, und ich sollte das 2
te spielen,
Wolfgangerl
bath,
dß er das 2
te Violin spielen dörfte, dς
Papa aber verwieß
ihm seine närrische bitte, weil er noch nicht die geringste Anweisung
in dς
Violin hatte, und Papa glaubte, daß er nicht mindeste zu
leisten im Stand wäre.
Wolfgς sagte, um ein 2
tes Violin zu
spielen braucht es ia wohl nicht, erst Gelernt zu habς und als
Papa darauf bestand, daß er gleich fortgehen, und uns nicht
weiter beunruhigen sollte, fieng
Wolfgς an bitterlich zu weinen
und trollte sich mit seinem Geigerl weg. Ich bath, daß man ihn
mit mir möchte spielen lassen, endlich sagte
Papa, geig mit
hς: Schachtner, aber so still, daß man dich nicht hört, sonst musst du
fort, das geschah.
Wolfgang geigte mit mir, bald bemerkte ich
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mit Erstaunen, daß ich da ganz überflüssig seÿe, ich legte
still meine Geige weg, und sah ihren
hς. Papa an, dem bey
dieser
Scene die Thränen dς Bewundςung und des Trostes über die Wangς
rollten, und so spielte er alle 6 Trio. Als wir fertig waren
wurde
Wolfgς durch unsern Beÿfall so kühn, daß er behauptete
auch das 1
Violin spielen zu kö
nen, Wir machtς zum Spaße einς
Versuch, und wir mussten uns fast zu Tode lachς, als er auch dieß,
wie wohl mit lauter unrechtς und unregelmässigen
Applicaturς 
doch
so spielte, daß doch nie ganz stecken blieb.
Zum Beschluß. Von Zärtlichkeit, und Feinheit
seines Gehöres.
Fast bis in sein 10
tes Jahr hatte er eine unbezwingliche
Furcht vor der Trompete, we
n sie allein, ohne andςe Musik geblasς
wurde, we
n man ihm eine Trompete nur vorhielt, war es eben so
viel, als we
n man ihm eine geladene Pistolle aufs Herz setzte,
Papa wollte ihm diese kindische Furcht benehmς, und befahl mir
einmal trotz seines Weigerns ihm entgegen zu blasen, aber mein
Gott! hätte ich mich nicht dazu verleiten lassen, Wolfgangerl hörte
kaum den schmetterndς Ton, ward er bleich und began zur Erde
zu sinken, und hatte ich länger angehaltς, er hätte sicher das
Fraise beko
men.
Dieses ist beÿläuffig, womit ich auf die gestelltς Fragen
dienen ka
n, verzeihen Sie mir mein schlechtes Geschmier, ich
bin geschlagen genug, daß ichs nicht besser ka
n. Ich bin mit
geziemend schuldigster Hochschatzung, und
Ehrfurcht
Euer Gnaden
Salzburg Ergebenster D
r
den 24
tς April
Andre Schachtner
1792. Hochfrstl. Hoftrompeter
mp
Meinς gehorsamstς
Respect an S
r Gnadς
Dero gnädigς
Herrn
Gemahl.
[S. 5]


A
Madame
Madame Marie Ann
De Sonnenburg.
St. Gilgen
abzugeben
in der Pfleg.
N 4.
[S. 6]


Zur dritten Frage.
Was man ihm i
mer zu lernen gab, dem hieng er
so ganz an, daß er alles Uebrige, auch so gar die Musik,
auf die Seite setzte, z. B. als er Rechnen lernte, war
Tisch, Sessel, Wände, ia sogar der Fußboden voll
Ziffer mit der Kreide, überschrieben.