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Paris 9.t Juin 1766.
Monsieur!
Hat nicht etwa beÿ ihnen im Hause ie=
mand die
Ischiatica oder einen
Revmatis=
mum?
Über 2. bis 2
1⁄2. Jahr habe ich nicht
den mindesten Anstoss gehabt; Und
eben da ich den 7.
tς diss ihr Schreiben vom
29.
tς Maij erhalte, so überfällt mich auch
zugleich ein
Revmatismus am obern
Schenckl des rechten Fusses, daß für Schmer=
zen die wunderlichsten Gesichter schneide.
Ich hoffe nicht, daß es lange anhalten,
oder etwa gar schlimmer werden wird, in=
dem wir künftige Woche wieder nach
Ver=
sailles gehen sollen; wo wir erst vor
12. Tagen, auf 4. Täge waren. Ich fange
diesen Brief den 9.
tς Juin zu schreiben an
als an dem Tage, an welchem wir vor
3. Jahren aus Salzburg abgereiset sind.
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Wenn ich
ihnen enden werde, wird der
Schlus des Briefes lehren.
Bishieher habe ich schreiben können, und
nicht weiter, ich wurde verhindert, und bis
heute den 13.
tς da ich dieses schreibe; hat=
te ich 4. schlafloose und schmerzhafte Näch=
te, und keine bessere Täge; wie es halt
schon der gebrauch ist. Ein krancker
Mann, ein armer Mann! – – Dero
werth
ς: vom 29.
tς habe den 6.
tς Junij mittags
richtig erhalten. Ich zweifle nicht, daß
gegenwärtiges den 22.
tς in ihren Händen
seÿn wird, an welchem Tage, allem an=
sehen nach, wir in
Versailles seÿn werden.
Wenn sie nun den 23.
tς darauf schrei=
ben, so erhalte den Brief den 1.
tς Julij,
schreiben sie den
26. Junij, so werde solchen
ohnfehlbar den 4.
tς Julij haben, welches
noch Zeit genug ist; indem wir vor dem
6.
tς oder 7.
tς Julij von hier nicht abreisen
können: um diese Zeit hingegen
absolute
fort, oder unser Wohnung abermahl für 15.
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Täge anfangen, und folglich, wieder für
15. Täge mit 3.
Louis d'or und 3.
livres
bezahlen müssen, welches aber nicht geschieht,
ausser es müste uns was ausserordent=
liches dazu zwingen; so nicht hoffe.
Mir ist sehr angenehm zu vernehmen, daß
sie sich alle in bestem Wohlstand befin=
den. Gott wird uns hoffentlich das Ver=
gnügen geben, einander gesund zu seh=
en. Mein allerliebster Herr Hagen=
auer ich weis nicht wie ich die Sache an=
stellen werde; dencken sie doch der Sache
ein wenig nach. Ich habe auch einen be=
dienten mit mir. Es ist aber kein S=
Magen oder etwa ein schlechter kerl, son=
dern den ich anders nicht von mir zu las=
sen gedencke, ausgenohmen es will ihn
ein
Cavellier zum Ca
merdiener nehmen.
Ich werde ihm ausser dem Hause ein
Wohnzimmer besorgen müssen: und
das thut mir darum leid, weil ich nicht
möchte, daß er etwa von ungefähr in üb=
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le Gesellschaft gerathen sollte. Er ist zwar
kein Kind: doch wissen sie auch, daß
die Versuchung, und die Gelegenheit selbst
Engel in Teufel verwandelt; Sie lieben
schöne und Brave Leute. Er wird ihnen
beÿm ersten Anblicke schon gefahlen.
Wo wir von hier aus hingehen, schreibe
ich ihnen nicht. Mir kommt vor es wird
artiger herauskommen, wenn es ihnen die
ersten Buchstaben des kommenden Briefes
selbst lehren. Unterdessen hatten wir
die Gnade S:
e Durchleucht den Erbprinzen
von
Braunsweig beÿ uns zu sehen. Er
ist ein sehr angenehmer, schöner, freund=
licher Herr; und beÿ seinem Eintritte
fragte er mich: ob ich der
Author des
Buches über die
Violin wäre
&c. Er wird
bald weg reisen, und
en passant die Ve=
stungen
Mez &c: Strasburg &c: besehen,
und dann über
Geneve nach
Turin und
durch
Italien gehen.
Man sagt immer der Regierende
Herzog
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Herzog von Zweÿbrücken soll auch zu
uns kommen, ob es wahr wird eine
wenige Zeit lehren.
Sie schreiben mir weiter nichts mehr
vom neuen Thor? – und vielleicht von
einer neuen Vorstatt; und gar nichts
von dem Beschlacht oder eigentlich den
neuen steinernen Wasserwehren? der=
jenige, der in dem Zimmer und Ge=
genwart S:
r Excellenz des Herrn Gra=
fen von
Spaur dies letztere ihm von
mir vorgetragene
Proiect als unmög=
lich verworffen, sieht nun, daß nicht die
Erde, wo man das Beschlächt machen
sollte, sondern sein Wiederspruch und
Einsicht grundlos war.
Ich vernehme, das Plätze zur Erbauung
der Häuser ausser dem Neuen Thore
vergeben werden; allein ich hoffe auch,
daß man ein
Dessin entwerffen wird,
nach welchem die neuen Häuser müs=
sen verfertiget werden, um eine schö=
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ne Gleichheit, wenigst in der Höche des
Hauses und der Stockwercke zu erhal=
ten. Der Augenschein kann auch
zeigen, ob man nicht, da oder dort
ein
Alleé vom Bäumen anlegen soll=
te. Ich wollte nun gleich den Ofen=
lochberg hinweg wünschen, um die schöne
Ebne zu gewinnen. Nach der mir
gemachten Beschreibung muß der Eingang
von der Statt aus, in das neue Thor,
nicht gross seÿn, weil die ganze Mauer
an der Schwemme, daran die Pferde ge=
mahlt sind, stehen geblieben. Ich hab mir
eine ganz andere Vorstellung davon ge=
macht: ich habe nämlich mir eingebildet,
man habe die ganze Mauer weg ge=
nommen; das Thor so einzurichten ge=
sucht, daß man beÿm Eintritte in
die Statt schnur gerad die Schwemme
im Gesicht hat, und so dan rechts und
lincks um die Schwemme herum sich wen=
den mag. So schien es mir mehr freÿ,
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offen und zum ausweichen bequemmer,
ansehnlicher und prächtiger. Viel=
leicht ist es aber so besser; ich sage nur,
wie meine Vorstellung, die ich mir
zum voraus machte, war.
Ich bedaure den Todt des ehrlichen
verdienstvollen Herrn
Doctoris Agliardi.
hat nicht kürzlich den herrn Edlkna=
ben Hofmeister der Schlag getroffen?
Der
Fagotist Roth muß ein alter
Mann geworden seÿn.
Des Camerd
ς: Allmayrs Staats=
Perucken, die er
pro festis Pallij hatte,
soll man in einem
Antiquario auf=
zubehalten, nicht vergessen.
Der Rossenegger ist zu bedauren.
der arme Man hat doch auch seine
lebsTage manches hundert gulden ver=
dient, und ins Land gebracht; und war
überhaupts ein geschickter Mann.
Und die
Madame Muralt ist also
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auch gestorben? haben denn die
Me=
dicinen keinen
Effect mehr gethan?
Die lieben Kinder werden wenig
Blessur
an diesem Umstande gehabt haben.
Was macht dan der Herr Sohn; hat er
nicht etwa unterdessen einige Länder
pausiert? Nun wird er wohl bald
haÿrathen: es wird aber auch ein Zwei=
fel seÿn, ob er in Salzburg eine fin=
den wird, die nach seiner
gealousie ist.
Noch eins! die
Madame Brexin ist
auch todt; und die alte
Madame Jolÿ
hat also vielle Verdriesslichkeiten über=
leben müssen. Ich habe zu meiner
Verwunderung den
D:r Brex hier in
Pa=
ris gefunden, aber auch zu meiner Freu=
de, da er mir die Ursach seines Auf=
enthalts sagte. wieder einmahl ein
guter Gedanke ins werck gebracht |: dach=
te ich mir :| worüber ich mir auch man=
che Jahr her zimmlich das Maul zer=
rissen. Aber ich muß ihnen zugleich
aufrichtig gestehen, daß ich in ein hel=
les
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les Lachen ausgebrochen, da er mir
seinen Gehalt sagte: nämlich von der
Landschaft 300 f: und vom
Magistrat,
wenn nicht irre, 150 f:, folgl: 450 f:
Liebster Herr Hagenauer, wenn ich
die Gedult hätte ihnen eine Beschreibung
über die nothwendigsten Ausgaaben,
die dieser Mann
absolute machen muß,
herzusetzen, so würden sie sehen, daß
er zum allerwenigsten monatlich 50. bis
60 f: ausgeben muß. Und nun
fangen erst recht seine Ausgaaben
an, da es auf die Handgriffe losgehet.
So oft er beÿ einer Geburt gegenwär=
tig ist,
à l'Hôtel de Dieu, muß er
das Kind zur Taufe halten, und folg=
lich eine schon
taxierte Ausgaabe ma=
chen. Genug, ich möchte nicht anfangen
zu erzehlen! die Landschaft, und der
Magistrat haben niemals in
Paris ge=
lebt. Der gute
Dr: Brex muß
täglich um 7. Uhr Morgens aus und etwa
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bis in Frohnburgerhof, von da bis
10. Uhr nach Milln, und dan wieder
bis Mittag zu den
Caietanern lau=
fen. So gross sind seine Um=
wege. das Geld braucht er für die
Suppe nicht für einen
Fiacre oder
Wagen. Er wird sich dann erhit=
zen, sich die
Consumption an hals
lauffen, und dann hat man einige
hundert Gulden zu ersparen, alles
auf einmal verlohren. Glauben
sie mir, ich rede die Wahrheit.
Und wenn ich Erzbischof wäre, so mü=
ste er mir aus dem
gr: Van=Eycki=
schen Hause weg. Das ist kein Platz
für ihn! Meine Frau und Kinder
empfehlen sich und erwarten baldige
Antwort. Leben sie alle wohl, ich
bin der alte.
Wie heist dann der neue
Violoncellist?
der
Violonspieler ist, höre ich, wieder ab=
gezogen.