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Paris 16.
Maij 1766.
Monsieur!
Sie werden sich unfehlbar ganz erstaun=
lich verwunderen, daß sie so lange Zeit
von mir keinen Brief erhalten haben. Ich
wurde sie auch nicht ohne einige Nachricht
von unsern Umständen gelassen haben;
Wenn ich nicht versichert wäre, daß sie
nun wenigst zweÿmahl durch herrn
Kulman
aus Amsterdam von uns Nachricht wer=
den erhalten haben. Daß ich ihnen und
meinen Freunden keine so genaue Beschrei=
bung von Holland bisher gemacht habe, als
ich sonst von Franckreich und Engelland
zu thun gewohnet war, war die Kranckheit
meiner Kinder die einzige Ursache. Wir
sind von Amsterdam zu dem Fest des Prin=
zen von
Oranien |: so den 11.
tς Merz war,
und einige Zeit dauerte :| wieder nach dem
Haag gegangen; wo man unsern kleinen
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Compositeur ersuchte 6.
Sonaten für das
Clavier mit dem
Accompagnement einer
Violin für die Schwester des Prinzen, näm=
lich für die Princesse von Nassau
Weil=
burg zu verfertigen, die auch gleich
gra=
viert worden. Über diess muste er
zum
Concert des Prinzen etwas machen,
auch für die
Princesse arien
componiren
&c.
Welches beÿ unserer Ankunft alles wird
zum Vorscheine kommen. Den Herrn
Kul=
man habe gebetten eine kleine Küste an sie
nach Salzburg zu schicken. So bald selbe
ankommt, bitte solche zu eröffnen, und al=
da das kleine breitte
Paquet zu suchen,
darauf
Musica stehet, welches nicht ver=
siegelt ist. Darinne werden sie 2.
Exemplarien von den im
Haag gravirten
Sonaten finden; davon nehmen sie eine
sammt der dazu gehörigen
Violin Stim=
me, und lassen sowohl den
Clavier Theil,
als den
Violin theil besonders einbinden,
und alsdann S:
r Hochfürstlichen Gnaden
p p
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in unserem Nahmen unterhänigst
presen=
tieren. Es sind noch zweÿerleÿ
Varia=
tionen auch in dem nämlichen
Paquet,
die der Wolfgang
ς: über eine
Arie |: die
zur
Majorennitet und
Installation des
Prinzen gemacht worden :| hat verferti=
gen müssen: und die er über eine an=
dere
Melodie, die in Holland durch aus
von jedermann gesungen, geblasen und
gepfiffen wird, in der Geschwindigkeit
hingeschrieben. – – Es sind Kleinigkei=
ten! Wollen sie von ieden ein Stück beÿ=
legen; so mag es der Seltenheit willen
geschehen. Ich werde die Ehre haben ih=
nen meine
Violin Schule in Holländischer
Sprache vorzulegen. Dieß Buch haben
die H
ς: H
ς: Holländer in dem nämlichen
format in meinem Angesicht in das Hol=
ländische übersetzt dem Printzen
dedicirt
und zu seinen
Installations-Fest
presen=
tirt. Die
Edition ist ungemein schön,
und noch schöner als meine eigene. Der
Verleger |:
der Buchdrucker in harlem :|
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kamm mit einer Ehrfurchtsvollen Mine
zu mir und überreichte mir das Buch
in Begleitung des Organisten, der un=
seren Wolfgang
ς: einlude auf der so
berühmten grossen
Orgel in
Harlem zu
spillen, welches auch den Morgen dar=
auf von 10. bis 11. Uhr geschache.
Es ist ein trefflich schönes Werck von 68.
Register.
NB: alles zünn, dann holz
dauert nicht in diesen feuchten Land.
Es würde zu weitläufig seÿn unsere Rei=
se aus Holland über Amsterdam,
Ut=
recht,
Rotterdam, über die Maas, dann
über einen Arm von Meer beÿ der
Mor=
dyck, nach
Antwerpen zu beschreiben.
Noch unmöglicher wäre den ietzigen be=
trübten Stand der ehemals grösten Han=
delsStatt
Antwerpen zu beschreiben, und
die Ursachen davon anzuführen; Wir
werden seiner Zeit mündlich davon spre=
chen. Wir giengen über
Meheln, wo
wir unsern alten bekannten den dasigen
Titς:
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Tit
ς. Herrn Erzbischofen besuchten, nach
Brüssel: wo wir nur einen Tag ausruhe=
ten und von da um 9. Uhr Morgens mit
der Post abgiengen, und um halb 8. Uhr Abends
in
Valenciennes anlangten. In
Brussel
nahmen wir für unsere Nothwendigkeit et=
was von Spitzen, und in
Valencienes zu
unserm Gebrauch etwas
Battist oder
Camb=
raÿ Leinwandt mit, nämlich ein Stuck gla=
ten und ein Stuck geblumten. In
Valen=
cienes habe das künstliche Uhrwerck am
Rathhause besehen, und in
Cambraÿ das
Grabmahl des grossen
Fénelons, und
seine marmorne Brustbild-Säule be=
trachtet, der sich durch seinen
Telemach,
durch das Buch von der Erziechung
der Töchter, durch seine Gespräche der
Todten, seine
Fabeln und andere Geist=
liche und weltliche Schriften unsterblich
gemacht hat. Dann sind wir ohne
Aufenthalt nach
Paris fortgerückt, wo
wir das von unserm Freunde
Mr Griim
für uns bestellte
Quartier bezohen haben.
Wie wir
logiert sind, und was es kostet,
erspare mündlich zu sagen. – – –
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Ich bitte sie nach Empfang dieses Schreiben
mir gleich zu antworten. damit ich ihr
Schreiben noch vor meiner Abreise er=
halte. Sie belieben nur beÿ zu setzen.
À Mr: Mozart, chez Mr: Grimm
Secretaire des commandements du
Msgr
le Duc d'Orleans Rue neuve Luxembourg.
à
Paris.
Wir haben, Gott lob, unsere
Bagage
hier in gutem Stande gefunden; und da
wir nun wieder hier schwarz gekleidet geh=
en müssen; so sieht man, um wie viel
meine Kinder gewachsen sind. Wir be=
finden uns Gott seÿ unendlichen Danck
gesagt, alle wohl, und empfehlen uns ih=
nen dero Frauen liebsten und sa
mtlich
angehörigen und guten Freunden von
Herzen. Vom ersten Anblicke wird
der Wolfgangerl wohl niemand mehr in
Salzburg können; es ist eine schöne Zeit, daß
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wir abwesend sind, und unterdessen hat er
viel 1000. Menschen gesehen und kennen ge=
lernet. Von hier aus werde einen gros=
sen
Coffre, dann einen etwas kleineren
und glaublich noch eine kleine Küste absen=
den. Das ist auch nebst meinem Ver=
richtungen noch eine Plage, diese Sachen
alle in Ordnung zu bringen; das kann
niemand wissen, der es nicht erfahren
hat. Wir führen über all dieses
noch unsern grossen
Coffre, noch einen
kleinen, dann ein grossen Mantlsack,
und 2. Sitztrüchel nebst dem Magazinn
voll mit
Bagage mit. Wir sind einen
Tag nach der Enthauptung des
Mr de
Lallÿ, ehemaligen
Vice Ré in
Pondicherÿ,
hier angelangt; sie werden die ganze
Sache wohl bereits in den Zeitungen ge=
lesen haben. Mein liebster Herr
Ha=
genauer! wir haben einen Salzburger
in
Amsterdam angetroffen, welcher we=
gen gewissen Umständen
calvinisch
geworden. Ich wünschte nichts mehr=
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ers, als ihn wieder auf einen bessern weg
zu bringen. Ich gab mir alle Mühe.
Das zog mich wieder nach
Amsterdam.
das hielt mich länger in Holland auf.
Und vielleicht hätte ich meinen Zweck er=
reichet; stünde nicht eine einzige Sache im
weg. Dencken sie nur nicht nach; sie
können ihn nicht errathen; obwohl sie ihn
seiner Zeit gekennt haben, und alle seine
Verwandten noch kennen. Es ist eine zu
lange Zeit! ich nenne ihn nicht, so lange
mir ein Funken einiger Hofnung übrig
bleibt. Grosser Gott! mit was für ei=
ner Verwirrung verließ er uns! das
bitterste weinen verhinderte ihn zu sprechen.
Wie viel unruhige und Gedancken volle
Stunden verursachte mir nicht dieser
Mensch! Dieß sind die Früchten, wenn
man die Jugend zu der Erwählung eines
Standes beredet, die wieder ihren Beruff
sind. Betrübte Folgen! – – ich bin durch
so
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so viele Beÿspiele die ich auf meinen
Reisen erfahren in meiner iederzeit ge=
fasten Meinung bestättiget worden,
daß es sehr übl, ja recht Seelenverkäuf=
ferisch gehandlet ist, junge leute vor
ihren 25.
tς Jahre zur ablegung eines Or=
densgelübt zu lassen. Sollte das höch=
ste Kirchen Oberhaupt und alle Prälaten
der Kirche |: ich verstehe nicht die Präla=
ten der Klöster :| Engelland, Holland,
und die Schweitz &c: durchwanderen und
umständlich von allem benachrichtiget
seÿn, so würden sie keinen Tag ver=
saumen die Ablegung der klösterlichen
Ordens Gelübdte auf das 25.
te Jahr hin=
auszusetzen. Engelland, und sonderlich
Holland wimmelt von solchen unglücklichen
Menschen, ich werde ihnen eine Menge
an den Fingern herzehlen: und Sie darf=
fen nicht glauben, daß es eben alle lie=
derliche Pursche sind. Ò ich kenne viele,
die im ledigen Stande sind; die gar
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die
Religion nicht verändert haben, und
die überhaupts eine höchst auferbauliche
Lebensart führen. Es ist unmöglich
die Sache so zu schreiben, wie sie ist. ich
muß es auf unsere mündliche Unter=
redung ersparen: mir blüttet das Herz,
so oft ich auf dergleichen Sachen dencke.
Warum denn nicht auf das 25.
te Jahr
setzen? weil vielleicht mancher reicher
Candidat oder manches gutes
Subiectum
entzwischen seinen Beruff besser untersuchen
und erkennen, der aine mit seinem Geld
und der andere mit seinem geschickten Kopf,
so dann nicht einem todten Cörper, son=
dern einem lebenden allgemeinen Staat
nützen, und seinem Beruff besser nach=
kommen würde. Nehmen sie mir
mein Eÿfer nicht übl:; Ich liebe die
Menschen und ihre Ruhe: und mein Herz
ist beklemmet, wenn ich einen Menschen sehe,
der auf seine ganze Lebenszeit soll elend
und geplagt seÿn, und noch überdaß eine
unglückselige Ewigkeit zu erwarten hat.
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Sprechen wir von etwas anders!
Hat herr Otto in Franckfurt durch
herrn Wallner niemals etwas bezahlet?
ich muß nun alles nach und nach einzu=
treiben suchen, von Franckfurt, von
Nürnberg, von Augspurg,
London, Paris
p
damit ich alles in Ordnung bekomme.
à propos! hat Herr Gevatter P: das halbe
dutzet silberne Messer, Löffel und gabl
nicht auch unterdessen etwa schon einge=
schicket. Nein! Nein! allein er wird
es nun wohl in bereitschaft haben, uns beÿ
unserer Ankunft damit zu
compli=
mentiren: Er kann nicht anders, als
sehr gerühret seÿn, solche Kinder zur hei=
ligen Tauf gehalten zu haben, die so
viel aufsehen in der Welt machen. Ich
habe verschiedene Sachen für unsern gebrauch
eingekauft, allein wegen des obbemelten,
habe mich auf das versprechen des Herrn
Gevatter verlassen. Machen sie ihm
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unser
Compliment! Sie sind ganz ver=
wundert über diesen meinem Caracteur
sonst ganz und gar nicht ähnlichen Vortrag!
nicht wahr? Allein, dencken sie doch:
ich komme Schnurgerad aus Holland! Man
nimmt von jedem Lande etwas mit:
und in Holland lernet man nichts bessers,
als eigennützig zu seÿn. Nun möchten
sie wohl auch gerne wissen, wenn wir in
Salzburg einzutreffen gedencken? Wenn
es nach unserer Meinung gegangen wäre,
so wären wir längst zu Hause; und
da wir nun in Paris sind, so scheinet es
uns nach der
proportion unsrer vorigen
Reisen, als wären wir schon halb zu hau=
se. Daß wir hier eine kurze zeit
verbleiben ist richtig; und desswegen bit=
te mir bald zu schreiben, damit mich der
Brief noch hier antrifft. Sollte ich aber
in allem falle schon weg seÿn, so wird
unser Freund
Mr: Grimm mir den
Brief schon zusenden. daß wir nun
aber nicht gerade zu aufsitzen, und schnur
gerade
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gerade nach Salzburg fahren können,
ist leicht zu begreiffen. Es würde
meinen Kindern, und meinem GeldBeu=
tel zu beschwerlich fallen. Es wird
mancher noch etwas zu dieser Reise be=
zahlen, der ietzt noch nichts davon weis.
Genug! wir werden thun was möglich
ist, um bald nach hause zu kommen. Le=
gen sie uns entzwischen S:
r Hochfürstlichen
Gnaden zu Füssen
p p empfehlen sie uns
unsern Freunden, und sind sie versicheret,
daß wir dem Augenblicke mit Unge=
dult entgegen sehen, ihnen mündlich zu
sagen, das ich unabänderlich bin.
In Eÿll sage ihnen, daß Herr
Kulmann
ein Mann ist der wohl stehet; das übrige
mündlich.
Wir wollen halt sehen, wie es in Salz=
burg für uns ausfallen wird.
Wenn wir näher kommen, werde et=
was mehrers berichten.
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[vacat]