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Haag den 19.
tς Septς:
1765.
Monsieur!
Sie erhalten hier ein Schreiben aus
dem
Haag; nicht aber aus dem Haag
beÿ München, noch aus dem Haag
so beÿ Lambach in Oesterreich liegt.
nein! sondern aus dem
Haag in
Holland. Das wird ihnen freÿlich
sehr wunderlich vorkommen, um so mehr,
als sie uns vielleicht nicht so ferne, son=
deren ihnen bereits näher zu seÿn, et=
wa, wo nicht geglaubet, doch gewunschen
haben. Wir würden auch, zwar noch
nicht nahe, doch bereits wieder aus Hol=
land weg seÿn, wenn uns nicht eine
Unbässlichkeit, die erstens meinen Wolf=
gäng
ς: und dann mich selbst in
Lille über=
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fallen 4. Wochen zurück gehalten hätte.
Sie sollen nun aber gleich alles wissen,
was für ein Zufahl uns nach Holland
gebracht: da ich niemals nach Hol=
land, wohl aber nach Maÿland und über
Venedig nach Hauszugehen beschlossen hat=
te. Der Holländische Gesandte in
London lag uns vielmahls an nach
dem
Haag zu dem Prinz von
Orani=
en zu gehen. Allein ich ließ es beÿ
einem Ohre hinein, beÿ dem anderen
wieder hinaus passieren. Wir schickten
uns zur Abreiße, und ich dachte so
wenig nach Holland zu gehen, daß ich
alle unsere Belze nebst anderen Sachen
in einen
Coffre nach Paris schickte. Al=
lein, da wir würcklich abgereißet wa=
ren und wircklich den 24.
Julij aus
London abgefahren, so blieben wir ei=
nen Tag in
Canterburg und bis zu Ende
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des Monats auf einem Landgut eines
Englischen
Cavalliers um das Pferd=
lauffen zu sehen. Der Holländische
Gesandte fuhr den nämlichen Tag un=
serer Abreise in unser
Quartier, und
erfuhr, daß wir nach
Canterbury zum
Pferd rennen abgegangen und so dann
Engelland verlassen werden. Stracks
war er beÿ uns, und bath mich um al=
les nach dem
Haag zu gehen, indem
die Prinzessin von
Weilburg die Schwe=
ster des Prinzen von
Oranien eine so
ausserordentliche Begirde hätte, dieses
Kind zu sehen von dem sie so gar vieles
gehört und gelesen. Kurz! er
und alle sagten mir so vieles, und die
Proposition war so gut, daß ich mich
um so eher entschlüssen muste, als sie
wissen, daß man einer Schwangeren
Frauen nichts abschlagen
solle.
NB: Der Herr Gesandte war nicht,
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Schwanger, aber die Prinzessin. Ich
verließ demnach den 1.
tς august Engel=
land und wir fuhren nach 10. Uhr mor=
gens von
Dover ab, hatten das schönste
Wetter, und so guten Wind, daß
wir in 3
1⁄2 Stund in
Calais im Port
ans Land stiegen, und mit gesunden Ma=
gen unser Mittag mahl einbrachten, weil
wir gar nicht beÿ der Überfahrt krank
waren. Nun war unser Antrag
den Monat August in Holland zuzu=
bringen, gegen dem Ende des
Septembς:
in Paris einzutreffen, und dan nach und
nach so fort zu rücken, bis wir gleichwohl
den Untersperg ins Gesicht bekommen.
In
Calais war die
Duchesse de Mont=
morancÿ und der
Prince de Croÿ un=
sere Bekanntschaft; und ich gieng von da
nach
Dünkürchen, welchen Platz ich
wegen dem
Port und wegen dem ewigen
streitten zwischen Engelland und Franck=
reich
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reich in betreff der
demolition der
Vestungswerker sehen wollte. Der
Platz ist sehr schön, die Gassen sind mei=
stens gross und die meisten Häuser
sauber. Eine
hüpsche Börse, starcke
Handelschaft, und leÿder, die schönsten
Vestungswercker bereits niedergerissen.
Ich
sache: leÿder! weil es schmerzet so schöne
Werker, die so viel Geld gekostet
demo=
lieren zu sehen. Beÿ allem dem, wa=
ren die Engelländer noch nicht zu frie=
den, und man beschwerte sich in Engel=
land immer, daß man die Wercker
nicht alle
demoliert hätte, so wie es in
den FriedensPuncten wäre ausgemacht
worden. Es würde demnach eine
Com=
ission beliebt, wo der
Duc de choisel
von Franckreich und der
Duc de Bedfort
in
Dünkürchen zu sammen kommen, und
die sache untersuchen solten. Wir
fuhren nach
Lille, dahin uns der
Cheval=
lier de Mezzier Commendant in
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Dunkürchen zu gehen beredete. Wir
fanden auch da eine schöne wohlgebaute
Statt, sehr bevöllkeret, mit zimlichen
Co=
mercio versehen, und wir sahen beÿ Ge=
legenheit der durchreise des
Duc de
Choisel 5.
Regimenter im Fluer
exerci=
ren und die schönsten KriegsÜbungen ma=
chen. Ich habe als etwas besonderes
anzumercken, daß nun auch die Herrn
Franzosen besser
excercieren, als sie
vormahls gethann: allein den 2. teut=
schen Regimentern, den Schweitzern und
Nassau kammen sie nicht beÿ. Übri=
gens war die tägliche
Parade eine der
schönsten die ich noch gesehen. Nun ko
mt
wieder eine Probe, daß unser menschliches
Vornehmen ein pures nichts ist. In
Lille überfülle den
Wolfgangς: ein sehr
starcker Catharr, und da
dieser
noch
ein paar – Wochen etwas besser wurde,
kam die Rheihe an mich; ich wurde von
einem Schwindel befallen, der ganz be=
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sonder war. Wenn ich ausgestreckt
im Bette lag, so war es gut um mich;
so bald ich mich aufrecht hielt, so gieng
alles unter und über: und ich konnte
nicht 3 Schritte alleine über die Stube
gehen; so, daß wenn ich es zwingen
wollte aufrecht zu bleiben, so muste ich
mich erbrechen. Da ich nun nicht wuste,
ob es vom Kopfe oder vom Magen her=
rührte, so laxierte ich, nahm dan Fuß=
waser &c. und mit einem Worte wehr=
te mich gegen 2. Feinde zu gleich: Allein
dieß
Schulg uns um 4. Wochen zurück;
und ich verließ halb gesund und halb krank
Lille und kamm noch nicht viel besser
nach
Gent, wo wir nur einen Tag blieben.
Gent ist ein grosser aber nicht vollkreicher
Ort. Der
Wolfgς: spielte nachmittags
auf der grossen neuen Orgel beÿ den
P: P: Bernardinern
p In
Antwerpen
blieben wir 2. Täge, wegen dem Sontage.
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Der
Wolfgangς: spielt in der
Cathetral
Kirche auf der grossen Orgel.
NB:
man findet in Flandern und
Braband
durchaus gute Orgelwerke. Hauptsäch=
lich aber wäre hier vieles von den aus=
erlesnsten Mahlereÿen zu sprechen.
Ant=
werpen ist sonderlich der Ort dazu. Wir
sind alle Kirchen abgelaufen. Ich habe
niemals mehr Schwarz und weisen Mar=
mor und ein überfluß von trefflichen
Mahlereÿen, sonderlich von
Rubens ge=
sehen, als hier, und in
Brüssel. vor
allem ist die
Abnehmung Christi vom Kreuz
in der grossen Kirche in
Antwerpen ein
Stück von
Rubens, so alle Einbildung
übertrifft: In
Antwerpen ließ ich mei=
nen Wagen, und nahm einen Wagen
vom Postmeister bis nach
Mordick. da
fuhren wir über einen kleinen Arm von
Meer, und auf der anderen
Seÿte sind
schon Kutschen bereitet bis
Rotterdam,
wo man dann in ein klein Schiff sitzet,
und
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und bis
respectivè an das wirtshauß
geführt wird. Daß war nun eine
schöne Tagreise von
Antwerpen bis
Rotterdam: nämlich von halbe 7. Uhr
morgens bis 8. Uhr abends. In
Rot=
terdam waren wir nur einen halben
Tag, indem wir nachmittags auf ei=
nem
Trek Schuÿt nach dem
Haag ab=
fuhren und um 7. Uhr schon da waren.
Nun muß ich ihnen bekennen, daß es
mir sehr Leÿd wäre, wenn ich
Holland
nicht gesehen hätte: dann in allen
Stätten von
Europa, was ich gesehen
hatte, siehet doch das meiste einander gleich.
Allein so wohl die Holländischen Dörffer,
als die Holländischen Stätte sind von
allen anderen Stätten
Europens gänz=
lich unterschieden. Es würde zu lange
seÿn solche zu beschreiben, genug, daß
ihre Reinlichkeit |: die vielen von uns
als zu übertrieben scheinet :| mir sehr
wohl gefällt, und ich will nur anmerken,
daß ich die
Statue des berühmten
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Erasmi Rotterdami in Rotterdam auf
dem Platze mit Vergnügen betrachtet
habe. Im
Haag sind wir nun 8.
Täge, wir waren 2. mahl beÿ der
Prinzesin und 1. mahl beÿ dem Prinz
von
Oranien, der uns mit seiner
Equi=
page abholen und nach Hauße führen
lassen: Allein meine Tochter ware
nicht mit uns; denn nun kam die
Reihe an Sie, und sie hat einen sehr
starken Brust Cartharr, der nun an=
fangt loos zu werden. So bald sie
besser ist, müssen wir wieder zum Prinz
von
Oranien und zu der Prinzessin von
Weilburg und dem Herzog von
Wolfen=
büttl: – – die Reise ist bezahlt; – –
wer nun aber die Ruckreise bezahlen
wird, muß ich erst sehen. dann meine
Gelder in
Amsterdam möchte ich gerne
unberühret lassen. – – Aus dem
ganzen Hergang der Sache werden sie
nun sehen, daß ihre 2. Briefe von
Mr:
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Joseph und ihnen nach unserer Abreiße
erst nach
London gekommen sind. ihren
3.
tς Brief |: ohne
dato :| erhielt ich in
Lille, dahin ihm
Mr: Carpentier mir
nachsande. da sie mir in demselben von 2.
anderen Briefen Meldung machten,
argwohnte ich gleich, daß
Mr Tessier
solche wird nach
Amsterdam geschickt
haben. So bald ich ins Haag kam schrieb
ich an meinen
Banquier in
Amster=
dam und erhielt beÿde Briefe samt ei=
nem Schreiben von
Mr Tessier den Tag
darauf. Was in einem Zeitungsblat
mir
communicieret worden, ist die Wahr=
heit. Dem Herrn Joseph dancke für
seine höfliche Zuschrift und erfreue mich
über seine glückliche Zurückkonft.
Bitte an alle gute Freunde 1000.
compς:
zurück. – – daß mein Brief eröf=
net und wieder zugeschlossen in ihre Hän=
de gekommen, ist mir verwunderlich ge=
nug. Ich habe ihn in
London selbst
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auf die Post gegeben: in
London ist es
einmahl nicht geschechen. – – das noth=
wendigste nun, was ich ihnen zu sagen
habe ist, daß ich durch
Mr Teissier
eine sehr grosse
Küste oder Verschlag
über
Hamburg an sie habe abgehen lassen.
Sig: L. M. Wenn sie nun Anlangen
wird |: wenn sie noch nicht angelanget ist :|
das weis ich nicht.
Mr: Tessier giebt
mir Nachricht, daß solches auf dem Schiff
Wilhelmus mit
Capitain Adrian Janssen
nach Hamburg abgegangen. Es wäre
mir lieber er hätte mir geschrieben an
wem er es in Hamburg
addressiret hat.
Es sind Sachen von allen Gattungen
darinne, lassen sie solche nur uneröf=
net bis zu unserer Ankunft, und sehen
sie gleichwohl, daß es an kein gar zu
feuchtes Ort kommt; Obwohl, was von
polirten Stahl darinne ist, ist gut ein=
gemacht. – – Nun ist auch nothwendig,
daß
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daß sie mir einen guten
Schreib Com=
mot Kasten kauffen. Ich verstehe, wie
der ihrige, mit guten grossen Schubla=
den. Kurz! einen schönen und guten
Kasten: wenn er auch Theuer ist; wo
werde ich sonst allen den Plunder hin=
bringen? – – Nach Erhaltung dieses
Briefes bitte mir nach
Amsterdam
zu antworten und beÿzusetzen.
Chez
Mrs Jean Néel et Fils à Amsterdam.
Bin ich nicht mehr da, so wird er mir
den Brief nachsenden. Das Wort
Néel ist oben zusammen geflossen.
desswegen setze es wieder her. ich em=
pfehle mich ihnen und ganz Salzburg
und bin der alte.
P: S: Meine Frau lässt sie bitten
6. heilige Messen lesen zu lassen.
nämlich, 3. beÿ den heiligen Johann von
Nepomuck in der Pfarr. dann 1. zu
Maria Plain. 1. zu
Loreto beÿm heil:
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Kindl, und 1. zu Ehren der heiligen
Walburgis, wo sie solche wollen lesen
lassen.
Den Todt des Kaÿsers haben wir
in
Lille den 26.
tς august erfahren. Ehe
wir aus
London sind habe ich in der Zei=
tung gelesen, daß der
general Platz ge=
storben seÿe. ich finde aber in der
Lista
des Herrn Johannes nichts davon.
Ferner sagt Herr
Novellista Joannes
am 2.
tς Capitl, daß Herr Franz Gschwend=
ner, Herr Joseph Hagenauer &c. aus
Italien angekommen. allein er thut
keine Meldung von der
Mads:me Fese=
maÿrin. ist sie noch in venedig? – – –
tanto meglio! – –
Machen Sie doch Herrn HofRath
Gilows=
kÿ von uns allen das schönste
Compli=
ment und unseren Glückwunsch. Es
wird uns unendlich vergnügen ihn wie=
der wohl zu sehen.
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Es ist sehr gut, daß wir noch nicht nahe
an Salzburg sind, weil es so viel Diebs=
Gesindl im Land giebt, machen Sie nur
daß es sicher wird, sonst bleiben wir noch
länger aussen. – Und wie stehet es mit dem
neuen Thor? – – ich dachte immer beÿ
dem neuen Thor einzufahren.
Warum hat doch Herr
Estlinger nicht
gewartet bis wir angekommen, um auf
seiner Hochzeit danzen zu können? – –
wir
gratuliren ihm. Alte lieb rostet
nicht! Er hatte seine alte
Bass-Geige
auch immer noch in Ehren, obwohl er eine
neuere hatte. Ò wie oft hat er sie ge=
flicket! – – – – Wenn mein alter
ehrlicher Raißwagen mich
glück nach Hause
bringt, dann hat er auch daß seinige ge=
than. Es macht ein bischen nachdencken,
wenn ich auf unsre Reise gedencke.
ma foi,
Es ist ein zimmlicher spaziergang.
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[vacat]