Zehnter Auftritt
 
 
Die Vorigen, Anton Gärtner (ganz rasend mit einem zusammengeschlagenen Nelkenstocke.)
 
 
Anton
 
 
Ach, mein Herr… mein Herr…
 
 
Der Graf
 
 
Was ist denn geschehen?
 
 
Anton
 
 
(mit Angst)
 
 
Welch eine Spitzbüberei! Wer hat es getan! Wer war's!
 
 
Der Graf, die Gräfin, Susanna, Figaro
 
 
So sage, was ist dir? Was ist geschehen?
 
 
Anton
 
 
(wie oben)
 
 
Hören Sie nur.
 
 
Figaro, der Graf
 
 
Nun, so rede doch.
 
 
Anton
 
 
Bei dem Fenster, so gegen den Garten schauet, sehe ich täglich allerhand Sachen hinauswerfen, und kurz vorher sah ich – kann es ärger sein? – einen Menschen hinunterwerfen.
 
 
Der Graf
 
 
(mit Lebhaftigkeit)
 
 
Von dem Fenster?
 
 
Anton
 
 
(weiset ihm den gebrochenen Nelkenstock)
 
 
Sehen Sie die Nelken.
 
 
Der Graf
 
 
In dem Garten?
 
 
Anton
 
 
Ja.
 
 
Susanna, die Gräfin
 
 
(still zu Figaro)
 
 
Figaro, mache dich gefasset.
 
 
Der Graf
 
 
Was höre ich?
 
 
Die Gräfin, Figaro, Susanna
 
 
(still)
 
 
Der Kerl störet uns.
 
 
Die Gräfin, Figaro, Susanna
 
 
(laut)
 
 
Was will der Besoffene da?
 
 
Der Graf
 
 
(in vollem Eifer)
 
 
Also ein Mensch… aber wo, wo ist er hingegangen?
 
 
Anton
 
 
Hurtig floh er davon, und auf einmal sah ich ihn nicht mehr.
 
 
Susanna
 
 
(still zu Figaro)
 
 
Weißt du, dass der Page…
 
 
Figaro
 
 
(still zu Susanna)
 
 
Ich weiß alles, hab ihn gesehen. (lacht laut) Ha, ha, ha!
 
 
Der Graf
 
 
Sei still.
 
 
Anton
 
 
Was lachst du?
 
 
Figaro, Susanna
 
 
Du taumelst im Weine schon bei angehendem Morgen.
 
 
Der Graf
 
 
So sag es mir noch einmal: ein Mensch aus dem Fenster…
 
 
Anton
 
 
Aus dem Fenster…
 
 
Der Graf
 
 
In den Garten…
 
 
Anton
 
 
In den Garten.
 
 
Susanna, die Gräfin, Figaro
 
 
Aber mein Herr! es redet ja der Wein durch ihn.
 
 
Der Graf
 
 
Fahre nur fort: Und hast ihn im Gesichte nicht gesehen?
 
 
Anton
 
 
Nein, das nicht.
 
 
Susanna, die Gräfin
 
 
(still zu Figaro)
 
 
Ei, Figaro, merk auf.
 
 
Figaro
 
 
(berührt die Nelken mit Verachtung)
 
 
Geh, du Dummkopf, sei einmal still, wegen drei Kreuzer einen solchen Lärmen anzufangen! Weil die Tat nicht heimlich bleiben kann: Ich war's, der aus dem Fenster gesprungen ist.
 
 
Der Graf, Anton
 
 
Was? Du? Du selbst?
 
 
Die Gräfin, Susanna
 
 
Wie fein!
 
 
Figaro
 
 
Was Wunder!
 
 
Der Graf
 
 
Nein, ich kann es nicht glauben.
 
 
Anton
 
 
Wie bist du denn itzt so dick geworden? So warst du nach dem Sprunge nicht.
 
 
Figaro
 
 
Wer springt, dem geschiehet es nicht anders.
 
 
Anton
 
 
Wer sollt es glauben?
 
 
Susanna, die Gräfin
 
 
Er will es noch behaupten.
 
 
Der Graf
 
 
Du, was meinest du?
 
 
Anton
 
 
Mich dünkte, es ware der Knabe.
 
 
Der Graf
 
 
(mit Eifer)
 
 
Cherubin!
 
 
Susanna, die Gräfin
 
 
(still)
 
 
Verfluchter Kerl!
 
 
Figaro
 
 
Er ist eben von Sevilien zu Pferde angekommen, (ironisch) von Sevilien, wo er vielleicht itzt schon ist.
 
 
Anton
 
 
(mit plumper Einfältigkeit)
 
 
Das nicht, das nicht, kein Pferd hab ich daraus nicht springen gesehen.
 
 
Der Graf
 
 
Welch große Geduld! Vollende man diesen Spaß.
 
 
Die Gräfin, Susanna
 
 
(still)
 
 
Gerechter Himmel! Wie wird es doch ausgehen?
 
 
Der Graf
 
 
(mit Eifer)
 
 
Also du –
 
 
Figaro
 
 
(mit Gleichgültigkeit)
 
 
Bin hinuntergesprungen.
 
 
Der Graf, die Gräfin, Susanna, Anton
 
 
Und warum?
 
 
Figaro
 
 
Die Furcht –
 
 
Die andern
 
 
Welche Furcht?
 
 
Figaro
 
 
(weiset auf die Zimmer der Dienstmädchen)
 
 
Dort eingesperret, wartete ich auf jenes liebe Gesichtl… tipp tapp ein ungewöhnliches Getöse – – sie schrien – – das geschriebene Billett – vor Schrecken verwirret sprang ich hinunter – (stellt sich, als hätte er sich dadurch Übel getan) und habe mir den Fuß verdrehet.
 
 
Anton
 
 
Diese verlorne Schriften werden also vermutlich dein sein –
 
 
(reicht einige Schriften dem Figaro, der Graf nimmt sie hinweg)
 
 
Der Graf
 
 
Hola, reiche sie mir.
 
 
Figaro
 
 
(still zu Susanna und der Gräfin)
 
 
(Jetzt bin ich gefangen.)
 
 
Susanna, die Gräfin
 
 
Figaro, zur List.
 
 
Der Graf
 
 
(öffnet die Schrift und biegt sie gleich wieder zusammen)
 
 
Sage mir nun, was ist das für eine Schrift?
 
 
Figaro
 
 
(nimmt aus dem Sacke Schriften und stellt sich, als ob er untersuchte)
 
 
Gleich… itzt gleich… ich habe deren so viele.
 
 
Anton
 
 
Es wird vielleicht die Rechnung der Schulden sein.
 
 
Figaro
 
 
Nein, das Verzeichnis der Wirte.
 
 
Der Graf
 
 
Rede, und du lass ihn gehen.
 
 
Die Gräfin, Susanna, Figaro
 
 
Lass ihn| gehen. Geh dich von hier.
 
 
Anton
 
 
Ich gehe ja, aber wenn ich dich wieder ertappe…
 
 
(gehet ab)
 
 
Figaro
 
 
Geh nur, ich fürchte dich nicht.
 
 
Der Graf
 
 
(zu Figaro)
 
 
Also…
 
 
(Der Graf öffnet die Schrift und biegt sie wieder zusammen.)
 
 
Die Gräfin
 
 
(still zu Susanna)
 
 
O Himmel! das Patent des Pagen!
 
 
Susanna
 
 
(still zu Figaro)
 
 
O Gott, das Patent!
 
 
Der Graf
 
 
Nun wohlan!
 
 
Figaro
 
 
(als ob ihm einfiel)
 
 
O ich Dummer! das ist das Patent, so mir kurz vorher der Knabe gegeben.
 
 
Der Graf
 
 
Wozu?
 
 
Figaro
 
 
(verwirret)
 
 
Es fehlt…
 
 
Der Graf
 
 
Was fehlt denn?
 
 
Die Gräfin
 
 
(still zu Susanna)
 
 
Das Insiegel.
 
 
Susanna
 
 
(still zu Figaro)
 
 
Das Insiegel.
 
 
Der Graf
 
 
(zu Figaro, der sich stellt, als ob er nachdenken wollte)
 
 
Antworte.
 
 
Figaro
 
 
Man pflegt…
 
 
Der Graf
 
 
(schauet die Schrift an und sieht, dass das Insiegel fehlt: zerreißet das Papier)
 
 
Weiter! Gerätst du in Verwirrung?
 
 
Figaro
 
 
Man pflegt, ein Insiegel darauf zu setzen.
 
 
Der Graf
 
 
(in äußerstem Zorn)
 
 
Der Schelm macht mich wahnsinnig, alles ist für mich ein Geheimnis.
 
 
 
 
Die Gräfin, Susanna
 
 
Wenn ich unbeschadet aus diesem Sturme komme, so fürchte ich keinen Schiffbruch mehr.
 
 
Figaro
 
 
Er schnaufet und stampfet umsonst, der Arme weiß weniger als ich.
 
 
 
 
Letzter Auftritt
 
 
Die Vorigen, Marzellina, Bartholo und Basilio.
 
 
Marzellina, Bartholo, Basilio
 
 
Sie, gnädiger Herr, weil Sie gerecht sind, müssen uns itzt anhören.
 
 
 
 
Der Graf
 
 
Sie sind gekommen, mich zu rächen.
 
 
Die Gräfin
 
 
Nun fühle ich ein Vergnügen.
 
 
Figaro
 
 
Sie sind gekommen, mich zu stören.
 
 
Susanna
 
 
Wie sollte man dem allen abhelfen?
 
 
 
 
Figaro
 
 
Diese sind drei Dummköpfe, drei Narren; was wollen sie denn haben?
 
 
Der Graf
 
 
Sachte und ohne Getümmel sage jeder sein Begehren.
 
 
Marzellina
 
 
Dieser da hat sich verpflichtet, mich zu heuraten, und fordere, dass er den Vertrag vollzuziehen angehalten werde.
 
 
Die Gräfin, Figaro, Susanna
 
 
Wie denn! wie denn!
 
 
Der Graf
 
 
Ei, still: Ich muss hier das Urteil sprechen.
 
 
Bartholo
 
 
Ich, von ihr erwählter Rechtsfreund, komme her, ihre rechtmäßige Forderung kundzumachen und sie zu verteidigen.
 
 
Figaro, die Gräfin, Susanna
 
 
Ein Schelm…
 
 
Der Graf
 
 
Ei, still: Ich muss hier das Urteil sprechen.
 
 
Basilio
 
 
Ich, als ein der Welt bekannter Mann, komme, um Zeugenschaft für die mittelst geborgten Geldes versprochene Ehe abzulegen.
 
 

Alle.
 
 
Der Graf, Marzellina, Basilio, Bartholo
 
 
Welch ein schöner Streich, welch schöner Zufall!Allen ist die Nase gewachsen.Ein uns wohlwollender Gotthat uns|sie hieher geschicket.
 
 
Die andern
 
 
Ich bin verwirret, ich bin betrübt, bin verzweifelt; gewiss welcher Teufel von der Hölle hat sie hier geschicket.
 
 
Figaro, Susanna, die Gräfin
 
 
Sie sind drei Narren.
 
 
Der Graf
 
 
Wir werden es sehen:Man wird den Vertrag lesen,alles muss ordentlich abgehandelt werden.
 
 
(Alle wie oben.)
 
 
Ende des zweiten Aufzuges.