Sechster Auftritt
 
 
Thamos. Mirza.
 
 
Mirza
 
 
Diesen Augenblick höre ich, dass du hier seiest. – Aber wie! Thamos ohne den Pheron?
 
 
Thamos
 
 
Weil ich dir etwas zu eröffnen habe, wovon dein Neffe noch nichts weiß.
 
 
Mirza
 
 
Mirza erwartet ihres Königs Befehle.
 
 
Thamos
 
 
Du hast wahrgenommen, dass unter den edlen Jungfrauen, die deiner Aufsicht anvertrauet sind, Myris und Sais von mir ihren Gespielinnen vorgezogen werden.
 
 
Mirza
 
 
Ja, Herr! und wenn Mirza Mutmaßungen wagen darf, so wird eine aus beiden Ägyptens Königin.
 
 
Thamos
 
 
Und die andere die Gemahlin des Pherons.
 
 
Mirza
 
 
(lebhaft)
 
 
Welche? – Herr! verzeihe der Kühnheit.
 
 
Thamos
 
 
Erteile mir deinen Rat.
 
 
Mirza
 
 
Wenn du vielleicht schon beschlossen hast?
 
 
Thamos
 
 
Setze voraus, es sei noch nicht geschehen. Niemand kennt beide genauer als du.
 
 
Mirza
 
 
Sais wurde mir von deinem Vater im zweiten Jahre ihres Alters übergeben. Der ihrige, ein eifriger Anhänger des Menes, war in dem Treffen geblieben, das den Ramesses auf Ägyptens Thron befestigte.
 
 
Thamos
 
 
Ein Glück, dass sie die Abneigung gegen mein Haus nicht erbte!
 
 
Mirza
 
 
Ich habe mir alle Mühe gegeben, das Vorurteil bei ihr auszurotten. Ob es mir ganz glückte –
 
 
Thamos
 
 
Wie! Sais hasste mich?
 
 
Mirza
 
 
Nein, dessen beschuldige ich sie nicht. Begnügt sich aber Thamos damit, dass man ihn nicht hasst? Verlangt er nicht auch Gegenliebe?
 
 
Thamos
 
 
Ja, Mirza! Diejenige, die an meiner Seite auf dem Throne sitzt, soll ihre Blicke nicht hinab, sondern neben sich, nicht auf den König, sondern auf den Thamos wenden; ebenso freudig mit ihm den Thron wieder verlassen, als sie dessen Staffeln besteigt.
 
 
Mirza
 
 
Bei der Myris findest du diese Gesinnungen.
 
 
Thamos
 
 
(schnell)
 
 
Nicht auch bei der Sais?
 
 
Mirza
 
 
Herr! ich hätte schweigen sollen. –
 
 
Thamos
 
 
Wäre Sais für einen andern eingenommen! – Pheron allein begleitet mich hieher.
 
 
Mirza
 
 
Ich habe ihr Geheimnis noch nicht erforscht. Wenn aber mein Urteil mich nicht betrügt, so hat Pheron auf ihr junges Herz Eindruck gemacht. Sie und wir alle hielten Myris für die Glückliche, der Thamos seine Hand bestimme.
 
 
Thamos
 
 
Liebt Pheron die Sais?
 
 
Mirza
 
 
Er sprach nie mit mir davon. Wenn aber auch schon seine Augen scharfsichtig gewesen wären, wenn ihn selbst der Sais Reizungen gerühret hätten, so weiß er doch, was er seinem Könige schuldig ist.
 
 
Thamos
 
 
Noch glaube ich, Mirza! dass du irrest; so, wie du wegen meiner Neigung zu der Myris dich betrogen hast. – Sais war es, die beim ersten Anblick mich fesselte. Ihre edle Gestalt, ihr hoher Geist, der aus ihrem ganzen Wesen hervorstrahlt, schienen sie für den Thron zu bestimmen. Von jener Stunde an war meine Wahl entschieden; ich wollte aber vorher der Sais Gesinnungen versichert sein. – Ich gestehe dir es, Mirza! Ich glaubte, in ihren Augen Gegenliebe zu lesen. So oft ich mit ihrer Gespielin sprach, nahm ich eine Unruhe bei ihr wahr. Um sie noch mehr auf die Probe zu stellen, verdoppelte ich meine Unterredungen mit der Myris. Ihr alle glaubtet, meine Wahl wäre auf diese gefallen. Heut wollte ich meine Neigung entdecken, und eben heut höre ich von dir, dass Sais den Pheron liebt. – Ist es so, liebt auch Pheron die Sais, so opfere ich meine Neigung auf, so knüpfe ich selbst das Band.
 
 
Mirza
 
 
Wie edel, Herr! wie deiner würdig!
 
 
Thamos
 
 
Rede du mit der Sais. Verschweige aber, dass es auf mein Geheiß geschiehet. Ist ihr Herz für einen andern eingenommen, so soll sie aus meinem Munde nie das Wort „Liebe“ hören. Wählet es den Thamos – als Thamos, nicht als König –, so wird dieser selbst ihr Hand und Thron anbieten.
 
 
Siebenter Auftritt
 
 
Die Vorigen. Phanes.
 
 
Phanes
 
 
Du erlaubtest mir, dir hieher zu folgen.
 
 
Thamos
 
 
Geh, Mirza! und richte meinen Auftrag aus.
 
 
(Mirza geht ab.)
 
 
Achter Auftritt
 
 
Thamos. Phanes.
 
 
Phanes
 
 
(nachdem Mirza sich entfernet hat)
 
 
In der Mirza Gegenwart durfte ich nicht reden. Die Sache betrifft ihren Neffen. – Herr! dieser Pheron, dem du heute die Stadt und deine Person anvertrauest, ist vielleicht selbst der Aufrührer oder weiß um den Verrat.
 
 
Thamos
 
 
Was sagst du? – Pheron, der mit mir aufwuchs! mein Freund! mein Vertrauter!
 
 
Phanes
 
 
Noch will ich ihn nicht für schuldig erklären; aber verdächtig machen ihn seine Schritte.
 
 
Thamos
 
 
Wie, Phanes! ein bloßer Schein ist dir genug, um die Ruhe deines Königs, das Vertrauen, das er in einen Freund setzt, zu stören? – Wenn ich nun durch deine Übereilung mich hinreißen ließe, wenn ich zu schnell gegen den Pheron etwas beschlösse; und Pheron zeigte dann seine Unschuld: was hättest du getan! Wie könnte ich das Unrecht ersetzen!
 
 
Phanes
 
 
Höre meine Gründe und tue alsdann, was du willst. Man hat Briefe des Pheron nach Memphis aufgefangen, mit unbekannten Charaktern geschrieben und an Missvergnügte gerichtet.
 
 
Thamos
 
 
Weiß man gewiss, dass sie von ihm kamen? Können nicht Boshafte sich seines Zeichens bedient haben?
 
 
Phanes
 
 
Diese Nacht ist bei ihm eine geheime Versammlung gehalten worden.
 
 
Thamos
 
 
Wer war dabei?
 
 
Phanes
 
 
Man hat nach Mitternacht vermummte Leute aus seinem Palaste herausgehen sehen.
 
 
Thamos
 
 
Man kennet also die Personen nicht? Pheron ist jung und liebt jugendliche Ergötzungen. – Willst du allen Handlungen deiner Mitbürger nachspähen? Da Verbrechen suchen, wo vielleicht nur unschuldige Freuden sind?
 
 
 
 
 
Phanes
 
 
Herr! dein Zutrauen führt dich zu weit. Weil dein edles Herz auch nicht den Schatten der Arglist kennt, urteilst du nach dir von allen andern. Auch Phanes dachte einst so, aber schmerzliche Erfahrungen haben ihn argwöhnisch gemacht. Nur zu oft fand er Menschen, die gütigen Dämonen glichen und Herzen nubischer Tiger im Busen verbargen.
 
 
Thamos
 
 
Möchten die Götter des Thamos Tage verkürzen, ehe seine Augen dergleichen Ungeheuer erblicken!
 
 
Phanes
 
 
Glaube mir, Herr! Pheron geht mit großen Absichten schwanger. Man hat aus seinem Munde gehört, dein Thron wanke. Die Worte entfuhren ihm. Er erschrak darüber, er suchte, ihnen eine unschuldige Auslegung zu geben, und eben dadurch machte er sich verdächtig.
 
 
Thamos
 
 
Können sie nicht auch einen unschuldigen Verstand gehabt haben? Der Same des Aufruhrs keimt an vielen Orten des Reichs.
 
 
Phanes
 
 
Achtest du deine eigene Sicherheit wenig, so denke daran, was du Ägypten schuldig bist. Soll ein neuer Bürgerkrieg entstehen? – Herr! einen Thamos darf man frei an Zeiten erinnern, die bei andern Fürsten der Schmeichler in Dunkelheit verhüllen würde. Hätte Menes dem Ramesses weniger getrauet, so wäre er auf dem Throne geblieben.
 
 
 
 
 
Thamos
 
 
Was soll ich also tun?
 
 
Phanes
 
 
Wenn du dich der Person des Pherons nicht gleich jetzt versichern willst – dies wäre mein Rat –, ihn unvermerkt von Personen umgeben zu lassen, die seine Tritte beobachten.
 
 
Thamos
 
 
Werden nicht diese Personen allem, was sie sehen, eine schwarze Ausdeutung geben und eben dadurch ihre Pflicht zu erfüllen glauben? – Nein! ich selbst will dem Pheron die Anzeige eröffnen. Ich will ihm dabei sagen, dass ich keinen Argwohn schöpfe; ich will von ihm weder Rechtfertigung fordern, noch annehmen. – Ist Pheron, wie ich hoffe, unschuldig, so wird ihn mein Zutrauen rühren. Hegt er in seiner Brust, ihr Götter verhütet es! treulose Anschläge, so wird ihn die Nachricht, dass er entdeckt ist, schrecken, von der Ausführung abhalten.
 
 
Phanes
 
 
Herr! dein Plan ist gefährlich.
 
 
Thamos
 
 
Sei er es! Um einen Freund zu retten, wagt Thamos alles.
 
 
(geht mit dem Phanes ab)
 
 
Ende des zweiten Aufzugs
 
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Nr. 3Eintrag von der Hand Leopold Mozarts zu Beginn der Nummer in der autographen Partitur:
Thamos guter Charakter zeigt sich am Ende des zweiten Aufzugs. Der dritte Aufzug fängt sich mit Thamos und dem Verräter Pheron an.

Weitere Einträge von der Hand Leopold Mozarts im Laufe der Nummer:
Pherons falcher Charakter (T. 8)
Thamos Ehrlichkeit (T. 11)