Fünfter Auftritt
 
 
Die Vorigen. Thamos. Pheron.
 
 
(Der König und Pheron kommen aus der königlichen Burg.)
 
 
Thamos
 
 
(zu dem Phanes)
 
 
Es ist mir lieb, dass ich dich antreffe. Ich hatte nach dir geschickt! – Phanes, Sethos, Pheron, alle meine Freunde beisammen! – (zu dem Sethos) Was sagst du, ehrwürdiges Oberhaupt der Diener der Gottheit! zu dem Kunstgriffe der Aufrührer? Ohne Zweifel hast du von den Zetteln gehört, die diese Nacht angeheftet worden sind?
 
 
Sethos
 
 
Ja, Herr! – Auch die Türen des Tempels haben die Boshaften damit zu entheiligen keine Scheu getragen.
 
 
Phanes
 
 
Finsternis bedeckt noch ihr schwarzes Gewebe. Doch oft zündet ein Funken Licht an. Die Erdichtung von des Menes Tochter verrät den Plan des Aufruhrs, vielleicht auch bald den Aufrührer.
 
 
Thamos
 
 
Wohl sagst du: die Erdichtung. Denn lebte sie wirklich, die Erbin des Reichs, ganz Ägypten würde ihr zurufen: "Gegen den Thamos braucht die Tochter des Menes keine andern Waffen als die Beweise ihrer Geburt." Bekannte ich nicht freimütig bei der Verteidigung meines Vaters vor dem schrecklichen Totengerichte2Wem ist unbekannt, was Diodor von der Anklage und Verteidigung der Verstorbenen bei ihrer Beerdigung erzählet. das dem Menes zugefügte Unrecht? Unverstellte Tränen begleiteten den Wunsch, seiner Nachkommenschaft Ägyptens Szepter zurückstellen zu können. – Noch jetzt denkt Thamos so. Seine Gesinnung wird sich nie ändern, solange ihm die Götter ihr kostbarstes Geschenk, ein edles Herz, lassen. (lebhaft) Doch, meine Freunde! beschuldiget mich darum nicht einer Zaghaftigkeit. Nein! Thamos wird das Recht, das ihm nach Erlöschung des Stammes des Menes Geburt und Einstimmung des Volkes gab, bis auf den letzten Blutstropfen zu behaupten wissen.
 
 
 
 
 
Pheron
 
 
Und deine Freunde werden dir ebenso beistehen. – Lebte auch Tharsis noch, nie gäben wir zu, dass du den Thron verließest. Besteigen sollte sie ihn, aber als Gemahlin des Thamos.
 
 
Thamos
 
 
Kann es sein, Pheron? Ist dir schon entfallen, was ich dir vertraute? – Nein! Tharsis, wenn sie lebt, wähle dich, wähle einen andern, ist es nur einer aus unsern Fürsten. Thamos wird ebenso wenig ihrer Wahl als ihrem Rechte sich widersetzen.
 
 
Sethos
 
 
Vergeblicher Streit! Nur zu gewiss ist Tharsis tot. Ich werde den Priestern auftragen, das Volk vor dem Betruge zu warnen, es zur Treue gegen dich anzuweisen.
 
 
Phanes
 
 
Und von mir haben schon die Kriegsobersten Befehl erhalten, mit ihren Völkern auf den ersten Wink fertig zu stehen.
 
 
Thamos
 
 
Ich und die Fürsten eilen augenblicklich dorthin, wo sich Gefahr zeigt.
 
 
 
 
 
Pheron
 
 
Herr! setzest du Misstrauen in uns, so versichere dich unserer Personen. Meiner am ersten, weil ich nach dir der Nächste zum Throne bin. Mit Freuden opfert Pheron der Ruhe seines Königs auch die Freiheit auf.
 
 
Thamos
 
 
Ich – einer eingebildeten Gefahr durch Ungerechtigkeit vorkommen? – Nein, Pheron! Dem Könige, der es nicht wagen darf, in jedes Untertanen Schoß sein Haupt zu legen, verschaffen auch zehnfache Mauern keine Sicherheit. Sieh! Eben dir trage ich heut, an dem Tage, den vielleicht die Aufrührer sich ausersehen haben, die Anstalten zur Erhaltung der Ruhe auf. Phanes wird die Hauptleute des Kriegsvolks an dich weisen.
 
 
Pheron
 
 
(betroffen)
 
 
Herr! ich erstaune! –
 
 
Thamos
 
 
(unterbricht ihn)
 
 
Dies sei deine Strafe, dass du von mir anders denken konntest. (zu dem Sethos und Phanes) Ihr, Freunde! folget mir.
 
 
 
 
 
Pheron
 
 
Ich bleibe noch in dem Tempel, um die Gottheit für das Wohl des besten Königs anzurufen.
 
 
(Der König geht mit dem Sethos und Phanes in die königliche Burg zurück.)
 
 
Sechster Auftritt
 
 
Pheron allein.
 
 
(sieht sich um, ob noch jemand im Tempel ist; geht hernach zu der Türe, welche in das Haus der Sonnenjungfrauen führt, und klopft dreimal an)
 
 
 
 
 
Mirza wird auf das Zeichen gewartet haben. (nachdenkend) Doch Thamos ist mein Freund! Er vertraut sich mir an! – War nicht auch sein Vater, Ramesses, der Freund des Menes? Stieß er diesen darum weniger vom Throne?
 
 
 
 
 
Siebenter Auftritt
 
 
Pheron. Mirza.
 
 
Mirza
 
 
(aus dem Hause der Sonnenjungfrauen)
 
 
So spät, Pheron?
 
 
Pheron
 
 
Ich konnte den Thamos nicht früher verlassen. – Höre, Mirza! Ich hin heut Befehlshaber über die Stadt. Der Bürger, der Soldat gehorcht mir.
 
 
Mirza
 
 
(freudig
 
 
Welch unerwartetes Glück! Thamos liefert sich dir selbst in die Hände!
 
 
 
 
 
Pheron
 
 
Du weißt, wie leicht er durch verstellte Offenherzigkeit zu gewinnen ist. Wir redeten von den angeschlagenen Zetteln. Phanes und Sethos waren dabei. Ihr Auge ist scharfsichtig. Ob sie schon die Nachricht von Menes' Tochter für eine Erdichtung hielten, so errieten sie doch die Absicht des Erfinders. Natürlich fiel ihr Argwohn auf einen der Fürsten. Vielleicht traf er mich. Thamos hätte ebenso denken können. – Was tat ich? Ich bat ihn, sich unserer Personen, meiner am ersten, zu versichern. – Der Leichtgläubige! Zur Strafe, dass ich so von ihm dächte, trug er mir die Anstalten zur Erhaltung der Ruhe auf.
 
 
Mirza
 
 
Die Götter sind auf unserer Seite! – Stehen aber auch deine Anhänger bereit?
 
 
Pheron
 
 
Sie erwarten meinen Wink. Diesen Abend, in dem Augenblicke, wenn Thamos das Diadem aufsetzt, soll die Tochter des Menes erscheinen.
 
 
Mirza
 
 
Versuche noch den Feldherrn und den Oberpriester zu gewinnen.
 
 
Pheron
 
 
Mit dem Sethos darf ich es wagen. Beide zwar, Sethos und Phanes, sind eifrige Anhänger des Menes; beide, ich weiß es, erklären sich für die Sais, sobald sie in ihr die Tochter ihres geliebten Königs erkennen. Allein Phanes, der Feldherr, ist nicht mein Freund. Er wird zu verhindern suchen, dass Sais mir ihre Hand reiche.
 
 
Mirza
 
 
Sei unbesorgt! Einen aus den Fürsten muss sie wählen. Wen sonst als dich? – Den schon vermählten Amosis? – Den Horus, den Athos? – Beide an Jahren ihre Väter! – Etwa den Thamos, den Feind ihres Hauses? der auch schon, wie er dir gestand, andere Fesseln trägt! – Erhebst du sie nicht auf den Thron? Wagst du nicht alles für sie?
 
 
Pheron
 
 
Und ich, Mirza! habe dir alles zu danken.
 
 
Mirza
 
 
Den Sohn meiner Schwester über Ägypten herrschen zu sehen, war mein Plan von dem Tage an, als Ramesses mir die Geburt der Sais und seine Absicht, sie mit dem Thamos zu vermählen, entdeckte. Diese Verbindung sollte das Reich seinem Stamme versichern. Zum Glücke starb er plötzlich.
 
 
Pheron
 
 
Wenn Thamos die Sais gesehen, wenn er sie geliebt, wenn er ihre Gegenliebe gewonnen hätte!
 
 
Mirza
 
 
Beider Jugend hat es verhindert, solange Ramesses lebte. Als König besuchte Thamos das Haus der geheiligten Jungfrauen anfangs nur selten. Auch alsdann verlangte er nicht allzeit, die edlen Töchter Ägyptens, die bei uns erzogen werden, zu sehen. Ich stellte es dabei so an, dass Sais nicht zum Vorschein kam. Noch jetzt würde sie ihm unbekannt sein, wenn ich nicht sie dir hätte zeigen wollen. Dies konnte nicht geschehen, ohne dass auch Thamos sie sah, weil selbst den Fürsten nur im Gefolge des Königs unsere Wohnungen offenstehen. Er schien die Sais kaum zu bemerken. Und ob er schon jetzt fleißiger kömmt, so redet er doch wenig mit ihr; weit mehr mit ihrer Gespielin Myris. – Fast mutmaße ich, dass ihn diese eingenommen habe. – Ließ Thamos sich gegen dich nicht heraus?
 
 
Pheron
 
 
Ich wagte es, ihn zu befragen. Er versprach, meine Neugierde zu befriedigen. Zuvor müsse er die Gesinnung derjenigen erforschen, von der er als Thamos, nicht als König, geliebt sein wolle.
 
 
Mirza
 
 
Und ich werde ihn ausforschen. Er besucht uns diesen Morgen.
 
 
Pheron
 
 
Wenn wirst du der Sais ihre Geburt entdecken?
 
 
Mirza
 
 
Nicht eher, als kurz vor dem Anfange der feierlichen Handlung. Dann soll sie zugleich von mir hören, was du für sie unternimmst. Dir selbst verschaffe ich Gelegenheit, mit ihr zu sprechen. Der entscheidende Augenblick naht heran: Alles sei jetzt gewagt!
 
 
Pheron
 
 
Ich bekenne dir es, Mirza! Nicht ganz ohne Furcht sehe ich diesem Augenblicke entgegen. Ein Schritt, der entweder zum Throne oder zum Untergang führt! …
 
 
Mirza
 
 
(fällt ihm in die Rede)
 
 
Nun aber geschehen ist! – Schon glimmst du den Felsen hinan, bald hast du die Spitze erreicht. Vor dir schweben Szepter und Diadem; unter deinen Füßen ist Abgrund. Aufwärts wende deinen Blick, nicht mehr hinab; sonst bist du verloren. Mirza ist ein Weib und zittert nicht. Du ein Mann: Herrsche oder stirb!
 
 
(Mirza geht in das Haus der Sonnenjungfrauen zurück und Pheron in die Burg ab.)
 
 
Ende des ersten Aufzugs
 
speaker-icon
Nr. 2Eintrag von der Hand Leopold Mozarts in der autographen Partitur:
Der erste Aufzug schließt mit dem genommenen Entschluss zwischen Pheron und Mirza, den Pheron auf den Thron zu setzen.