Wolfgang Amadé Mozart


Thamos, König in Ägypten

Ein heroisches Drama in fünf Aufzügen


KV 345


Text von Tobias Philipp von Gebler

Erste Fassung Salzburg 1773, endgültige Fassung wahrscheinlich Salzburg März-Dezember 1779.

 
 

Vorrede


Die Namen Menes, Ramesses, Thetmos (wegen der bequemern Aussprache hier Thamos) folgen zwar in keiner Dynastie der ägyptischen Könige unmittelbar aufeinander. Man weiß aber, welche Ungewissheit und Dunkelheit überhaupt in der ältesten Geschichte dieses Reiches herrschet und wie verschiedentlich nach dem Julius Africanus, Eusebius, Josephus, Eratosthenes und andern Chronologisten die Folgenreihe der Regenten Ägyptens angegeben wird. Von den meisten derselben sind die bloßen Namen, und bei mehr als einer Dynastie auch diese nicht einmal, auf uns gekommen. Der Dichter hatte also ein offenes Feld, Namen und Zeitpunkt nach Belieben zu wählen. Er setzte diesen seinem Plane gemäß in das entfernteste Alter zurück: In jene Zeiten, wo der Aberglaube die Vernunft noch nicht so weit erniedriget hatte, dass Krokodille, Katzen, ja eine Meerzwiebel Gegenstände der Verehrung ganzer Völkerschaften geworden waren, sondern der Götzendienst, seinem ersten Ursprunge näher und gewissermaßen reiner, sich auf wohltätige Gestirne oder Helden beschränkte. Er konnte daher Priester ohne geschorne Häupter und Augenbraunen, die auf der Schaubühne eine sehr wunderliche Figur machen würden, aufführen. Er konnte heilige Gelübde und ganze Versammlungen geheiligter Jungfrauen erdichten; er konnte in den Tempeln Hymnen absingen lassen, ob er schon gelesen hatte, dass die ägyptischen Priester vermutlich erst in spätern Zeiten auf eine so außerordentliche Art sich getragen1Herodotus im zweiten Buche, Kap. 33, 34. und dass bei ihrem Gottesdienste keine Musik gewesen. Wenn hier der Ort dazu wäre, könnte er insonderheit gegen diesen letzten Punkt nicht ungegründete Zweifel aufwerfen. Doch es ist ihm genug, die Beschuldigung der Verletzung des Costume wenigstens einigermaßen abzulehnen. Wer hat auch noch bei theatralischen Vorstellungen dessen strengste Beobachtung gefordert? Eben so beruhiget er sich wegen des Orts der Handlung damit, dass von dem Syncellus einer Reihe Könige, die zu Heliopolis ihre Residenz gehabt, Meldung geschieht, obschon andere Schriftsteller bloß die Taniter, Memphiter, Dispoliter oder Thebäer und Saiter kennen.
     Möchte sonst der gegenwärtige Versuch, worin er verschiedenes Neues gewaget hat, von dem Publikum mit Nachsicht aufgenommen werden!

     Noch ein Wort insonderheit wegen der Chöre des ersten und fünften Akts. Vermisset man darinnen den hohen Schwung der Gedanken, die Richtigkeit und Schönheit des poetischen Ausdrucks, die der Gegenstand erfordert hätte, so mildere des Verfassers Absicht, Dichtern, die mit den Alten in genauer Bekanntschaft stehen, zu glücklichern Versuchen einen Wink zu geben, die Strenge der Kunstrichter.

 
 

Personen

Thamos, König in Ägypten.
Pheron, ein Fürst des königlichen Hauses.
Mirza, Vorsteherin der Sonnenjungfrauen.
Sethos, Oberpriester des Sonnentempels.
Sais, Myris, edle Ägyptierinnen, die bei den Sonnenjungfrauen erzogen werden.
Phanes, Feldherr.
Hammon, ein Sonnenpriester.
 
 
Chor der Priester.
Chor der Sonnenjungfrauen.
Große des Reichs und andere Ägyptier.
Kriegsleute.

     Der Ort der Handlung ist die Sonnenstadt (Heliopolis). Die Schaubühne stellt im ersten, dritten, vierten und fünften Aufzug den Sonnentempel und im zweiten eine Galerie des Hauses der Sonnenjungfrauen vor. Der Dichter setzt den Sonnentempel in die Mitte, hinter denselben die Wohnungen der Priester; auf der einen Seite das Haus der Sonnenjungfrauen und auf der andern die königliche Burg, welche zwei Gebäude mit dem Sonnentempel zusammenhängen. Die Handlung dauert vom Morgen bis auf den Abend.