ERSTER AUFZUG
 
 
Weite und anmutige Landschaft mit Sicht auf die Stadt Sidon in der Ferne.
 
 
ERSTE SZENE
 
 
Amintas singt auf einem Stein sitzend; dann Elisa.
 
 
Amintas
 
     
 
    Ich verstehe, mein Freund Bach,
 
 
dies leises Murmeln;
 
 
du fragst in deiner Sprache:
 
 
„Wo ist unsere Liebste“?
 
     
 
    Ich verstehe, freundlicher Bach …
 
 
Rezitativ
 
 
Amintas
 
 
(sieht Elisa und läuft ihr entgegen.)
 
 
Schöne Elisa? Meine Angebetete?
 
 
Wohin?
 
 
Elisa
 
 
(fröhlich und eilig)
 
 
Zu dir, mein lieber Amintas.
 
 
Amintas
 
 
O Götter! Weißt du nicht,
 
 
dass Alexanders Lager
 
 
sich nicht weit von hier befindet? Dass
 
 
der bewaffnete Mazedonier
 
 
all diese lieblichen Gegenden heimgesucht hat?
 
 
Elisa
 
 
Ich weiß es.
 
 
Amintas
 
 
Warum denn
 
 
setzt du dich allein der frechen
 
 
Willkür der Soldaten aus?
 
 
Elisa
 
 
Liebe fürchtet kein Wagnis,
 
 
und hört auf keinen Rat.
 
 
Dich nicht zu sehen, ist für mich die größte Gefahr.
 
 
Amintas
 
 
Und das wegen mir?
 
 
Elisa
 
 
Ach, höre mir zu. Mein Herz ist voll
 
 
von seligen Hoffnungen, und ich finde keine Ruhe,
 
 
bis ich sie mit dir teilen kann.
 
 
Amintas
 
 
Woanders
 
 
könntest du in größerer Sicherheit …
 
 
Elisa
 
 
Aber du tust Alexanders Tugend
 
 
Unrecht. Bewacher
 
 
unserer Sicherheit sind
 
 
jene Scharen, die du fürchtest. Er ist hergekommen,
 
 
um Sidon von einem Tyrannen zu befreien, und doch will er
 
 
für seine Gaben keinen Lohn:
 
 
Das Joch hat er zerbrochen, den Thron jedoch weist er zurück.
 
 
Amintas
 
 
Wer wird also unser König sein?
 
 
Elisa
 
 
Man glaubt,
 
 
dass im Verborgenen und ohne sich dessen bewusst zu sein
 
 
der rechtmäßige Erbe lebt.
 
 
Amintas
 
 
Und wo …
 
 
Elisa
 
 
Ach lass
 
 
Alexander ihn suchen. Höre. Meine
 
 
mitfühlende Mutter (oh, die liebe Mutter!) willigt endlich
 
 
in meine Liebe zu dir ein.
 
 
Amintas
 
 
Ach!
 
 
Elisa
 
 
Du seufzt, Amintas!
 
 
Was soll dieser Seufzer bedeuten?
 
 
Amintas
 
 
Dem Schicksal grolle ich,
 
 
das mich so wenig
 
 
deiner würdig machte, Elisa. Du kannst dich des reinen
 
 
Blutes von Kadmos rühmen, ich unbekannter Schäfer
 
 
kenne meines nicht. Du musst
 
 
meinetwegen die elterlichen Annehmlichkeiten aufgeben, ich kann dir stattdessen
 
 
wegen meines bescheidenen Loses
 
 
nur eine ärmliche Herde bieten, einen primitiven Stall.
 
 
Elisa
 
 
Hadere nicht mit dem Himmel: Generös genug
 
 
ist er dir mit seinen Gaben gewesen. Wenn er dir Purpur und Gold
 
 
verwehrte, hat er dir doch diese Sprache, dies Antlitz,
 
 
dieses Herz gegeben. Nicht Reichtum oder Ahnen,
 
 
sondern Amintas suche ich in Amintas; und ich liebe an ihm
 
 
sogar seine Armut. Vom ersten Tag an,
 
 
als ich, ein Kind noch, ihn erblickte, schienen mir
 
 
dieser Hirte, diese Herde und dieser Stall
 
 
liebenswert und freundlich;
 
 
und im Herzen sind mir
 
 
dieser Stall, diese Herde und dieser Hirte immer geblieben.
 
 
Amintas
 
 
O mein einziges, o mein wahres
 
 
Glück! Diese lieben Worte …
 
 
Elisa
 
 
Leb wohl.
 
 
Zur Mutter laufe ich und komme bald wieder zu dir.
 
 
Ich werde dich niemals mehr verlassen. Zusammen
 
 
wird uns die Sonne stets sehen, im Sinken wie im Wiederkehren.
 
 
O süßes Leben! O glückliche Tage!
 
 
Nr. 2 Arie
 
 
Elisa
 
     
 
    Zum Wald, zur Wiese und zur Quelle
 
 
werde ich mit der geliebten Herde gehen;
 
 
zum Wald, zur Quelle und zur Wiese
 
 
wird mein Geliebter dann mit mir kommen.
 
     
 
    Unter dem rohen, engen Dach,
 
 
das uns behüten wird,
 
 
wird die Unschuld mit der Freude und dem Entzücken
 
 
wohnen.
 
 
(Sie geht ab.)
 
 
ZWEITE SZENE
 
 
Amintas, dann Alexander, Agenor mit einem kleinen Gefolge.
 
 
Rezitativ [Fassung A]
 
 
Amintas
 
 
Verzeihung, gütige Götter. Ich war zu ungerecht,
 
 
als ich mit euch haderte. Es glänzt am Himmel
 
 
kein schönerer Stern als der Stern, der mich leitet.
 
 
Wenn jemand auf Erden glücklich ist, so ist es Amintas.
 
 
Agenor
 
 
(leise zu Alexander)
 
 
(Das ist der Hirte.)
 
 
Amintas
 
 
(will weggehen.)
 
 
Bei aller Freude vergesse ich
 
 
meine arme Herde.
 
 
Alexander
 
 
(zu Amintas)
 
 
Höre, Freund.
 
 
Amintas
 
 
(Ein Krieger!) Was begehrst du?
 
 
Alexander
 
 
Nur mit dir zu sprechen.
 
 
Amintas
 
 
Herr, verzeih
 
 
(wer auch immer du bist): Es ist höchste Zeit,
 
 
die Herde zu tränken.
 
 
Alexander
 
 
Gehe nur, doch schenke mir
 
 
einen kurzen Augenblick.
 
 
(zu Agenor)
 
 
(Was für ein edles Antlitz!)
 
 
Amintas
 
 
(Was wird er wohl von mir wollen?)
 
 
Alexander
 
 
Wie nennst du dich?
 
 
Amintas
 
 
Amintas.
 
 
Alexander
 
 
Und der Vater?
 
 
Amintas
 
 
Alceos.
 
 
Alexander
 
 
Lebt er noch?
 
 
Amintas
 
 
Nein, es schon fünf Jahre her,
 
 
dass ich ihn verloren habe.
 
 
Alexander
 
 
Was hattest du
 
 
als väterliches Erbe?
 
 
Amintas
 
 
Einen schmalen Gemüsegarten,
 
 
von dem ich meine Nahrung beziehe,
 
 
ein paar Schafe, eine Hütte und ein zufriedenes Herz.
 
 
Alexander
 
 
In bescheidenen Umständen lebst du.
 
 
Amintas
 
 
Sehr günstig
 
 
scheint mir mein Stern zu sein:
 
 
Ich begehre kein schöneres Los als das meine.
 
 
Alexander
 
 
Aber mit so geringen Gütern …
 
 
Amintas
 
 
Noch viel geringer
 
 
sind meine Wünsche.
 
 
Alexander
 
 
In saurem Schweiß bereitest du
 
 
dein schlichtes Mahl.
 
 
Amintas
 
 
Er würzt es aber.
 
 
Alexander
 
 
Du kennst
 
 
Ruhm und Ehre nicht.
 
 
Amintas
 
 
Und ich fürchte keine Widersacher,
 
 
und mich plagen keine Gewissenbisse.
 
 
Alexander
 
 
Dein Schafstall bietet dir
 
 
unbequemen und harten Schlaf.
 
 
Amintas
 
 
Doch ruhigen und sicheren.
 
 
Alexander
 
 
Und wer kann dich vor diesen
 
 
umherstreifenden bewaffneten Truppen,
 
 
schützen?
 
 
Amintas
 
 
Was ich so sehr
 
 
lobe, du verachtest und der Himmel schützt:
 
 
Ein armes Dasein im Verborgenen.
 
 
Agenor
 
 
(leise zu Alexander)
 
 
(Hast du noch Zweifel?)
 
 
Alexander
 
 
(Diese Rede erstaunt und bezaubert mich.)
 
 
Amintas
 
 
Wenn du nichts weiter willst, so lebe wohl.
 
 
Alexander
 
 
Höre. Ich werde dich
 
 
zu Alexander führen, wenn du willst.
 
 
Amintas
 
 
Nein.
 
 
Alexander
 
 
Warum?
 
 
Amintas
 
 
Er würde mich
 
 
von meinen Pflichten abhalten, ich würde der Welt
 
 
einige Augenblicke seines kostbaren,
 
 
wertvollen Einflusses stehlen. Jeder schuldet seinem
 
 
Stand das seine. Amintas hat andere Pflichten
 
 
als Alexander. Zu klein ist für ihn
 
 
die ganze Erde, eine Hütte für mich
 
 
ist groß genug. Ich gehöre meinen Schafen,
 
 
er ist Feldherr seiner Krieger:
 
 
Ein kleines Feld bestelle ich, er gründet Reiche.
 
 
Alexander
 
 
Der Himmel kann jedoch mit einem Schlag
 
 
den Lauf deines Schicksals verändern.
 
 
Amintas
 
 
Gewiss, aber der Himmel bestimmt mich bislang zum Hirten.
 
 
Rezitativ [Fassung B]
 
 
Amintas
 
 
Liebliche Landschaften,
 
 
einsame Wälder, was hab ich euch zu verdanken!
 
 
Meinen Frieden, die Ruhe und die heiteren Tage,
 
 
übervoll der Wonnen
 
 
und der wahren Freude, wofür ich dankbar
 
 
die Pracht eines Thrones jederzeit zurückweisen würde,
 
 
all dies, ich erkenne es an, ist eure Gabe.
 
 
Wenn ich ganz allein unter euch
 
 
den Weg meiner lieben Herde beobachte,
 
 
versüße ich die Weide mit den schlichten Tönen
 
 
meiner bescheidenen Schalmei, und inzwischen
 
 
vertreibe ich die Trübsal von meinem Herzen und singe froh.
 
 
Ich singe von der süßen Liebe meiner Nymphe,
 
 
die, wenn sie nicht bei mir ist, nach mir seufzt;
 
 
sie strahlt volle Liebe aus,
 
 
sie steht ganz in Flammen für mich, und auch ich gehe in ihren Flammen
 
 
wie ein Phönix unter und erstehe wieder auf.
 
 
Sagt ihr es, Hirten,
 
 
ob sich einer unter euch befindet,
 
 
der seliger und glücklicher ist als ich. Dass die schöne Elisa
 
 
dem treuen Amintas treu ist, sagt jedes geschwätzige
 
 
Bächlein allen, der hohle Berg
 
 
ruft es fröhlich weiter, jeder Zweig
 
 
bestätigt es nickend, und sogar die Vöglein
 
 
eifern unserer Liebe nach
 
 
und künden unter Küssen und Liebkosungen,
 
 
am bekannten Beispiel
 
 
der Schäfer Elisa und Amintas,
 
 
als wahrhaftige Zeugen von Pol zu Pol:
 
 
dass die Ruhe, der Friede und die wahre Liebe
 
 
in des Hirten Leben wohnen.
 
 
Nr. 3 Arie
 
 
Amintas
 
     
 
    Sanfte Lüfte und heitere Tage,
 
 
frische Quellen und grüne Wiesen
 
 
sind das allerhöchste Glück
 
 
für Herde und Hirten.
 
     
 
    Sollte es einmal dem Schicksal gefallen,
 
 
meine Pflichten zu ändern,
 
 
mögen die Götter Sorge tragen,
 
 
mir Sinn und Herz zu wandeln.
 
 
(Er geht ab.)
 
 
DRITTE SZENE
 
 
Alexander und Agenor.
 
 
Rezitativ
 
 
Agenor
 
 
Was sagst du nun, Alexander?
 
 
Alexander
 
 
Ach, gewiss verbirgt sich
 
 
hinter jenem Hirten der unbekannte Erbe
 
 
des Throns von Sidon! Deine Beweise waren
 
 
schon gewichtig; doch diese Worte, dieses Antlitz
 
 
sind es noch mehr. Was für ein edles Herz! Was für eine sanfte,
 
 
heitere Tugend! Folge mir: Wir wollen nun
 
 
das große Werk vollenden. Dieses wird
 
 
mein größter Triumph sein. Mauern einzureißen,
 
 
Heere in die Flucht zu schlagen, Reiche
 
 
im Kriegsgetümmel zu erschüttern,
 
 
das ist das Vergnügen, das die Helden auf Erden empfinden.
 
 
Doch Unterdrückte aufzurichten,
 
 
den Königreichen Glück zu bringen,
 
 
Tugend zu krönen und den schimpflichen Schleier zu entreißen,
 
 
der sie trübt,
 
 
das ist das Vergnügen, das die Götter im Himmel empfinden.
 
 
Nr. 4 Arie
 
 
Alexander
 
     
 
    Vor der Sonne Angesicht zieht
 
 
manchmal eine Wolke auf
 
 
und blitzt und dräut
 
 
hinab zur dürren Erde.
 
     
 
    Doch nachdem sie sich auf diese Weise
 
 
zu einem Gewitter zusammengebraut hat,
 
 
löst sie sich ganz in Regen auf
 
 
und macht ihren Schoß fruchtbar.
 
 
(Er geht ab.)
 
 
VIERTE SZENE
 
 
Tamiris in Schäferkleidung und Agenor.
 
 
Rezitativ
 
 
Tamiris
 
 
Agenor? Halt.
 
 
Höre …
 
 
Agenor
 
 
Verzeihe,
 
 
anmutige Hirtin: Ich muss Alexanders
 
 
Schritten folgen … (O Götter! Tamiris ist es.)
 
 
Prinzessin …
 
 
Tamiris
 
 
Ach, mein Liebster!
 
 
Agenor
 
 
Bist du es?
 
 
Tamiris
 
 
Ich bin's.
 
 
Agenor
 
 
Du hier? Du in diesen Kleidern?
 
 
Tamiris
 
 
Ihnen verdanke ich
 
 
das einzige Gut, das mir geblieben ist,
 
 
das heißt meine Freiheit, da Alexander
 
 
mir den Vater und das Reich genommen hat.
 
 
Agenor
 
 
Oh, wie habe ich
 
 
um dich geweint und dich gesucht! Aber wo hast du
 
 
dich bisher verborgen gehalten?
 
 
Tamiris
 
 
Die schöne Elisa
 
 
nahm mich als Flüchtling auf.
 
 
Agenor
 
 
Und welche Absicht …
 
 
Ach, mich erwartete Alexander.
 
 
Lebe wohl: Ich komme wieder.
 
 
Tamiris
 
 
Höre. Du musst mir einen Weg zur Flucht
 
 
verschaffen, mein Liebster:
 
 
Woanders kann ich dann wenigstens in Sicherheit weinen.
 
 
Agenor
 
 
Willst du, Prinzessin,
 
 
einem weiseren Rat folgen? Zu Alexander
 
 
komm mit mir.
 
 
Tamiris
 
 
Zum Mörder meines Vaters!
 
 
Agenor
 
 
Straton hat sich selbst getötet: Er kam damit der Gnade
 
 
des Siegers zuvor.
 
 
Tamiris
 
 
Ich selbst soll meine Hand
 
 
in Bande legen? Ich soll mich
 
 
den Beleidigungen der griechischen Weiber aussetzen?
 
 
Agenor
 
 
Du täuschst dich:
 
 
Du kennst Alexander nicht. Und ich kann
 
 
dich jetzt nicht aufklären.
 
 
(Er will weggehen.)
 
 
Lebewohl. Bald
 
 
komme ich zu dir.
 
 
Tamiris
 
 
Sieh: Elisas Haus
 
 
dort …
 
 
Agenor
 
 
(wie zuvor)
 
 
Es ist mir schon bekannt.
 
 
Tamiris
 
 
Höre.
 
 
Agenor
 
 
Was willst du?
 
 
Tamiris
 
 
Welchen Platz habe ich in deinem Herzen?
 
 
Agenor
 
 
Ach, siehst du es nicht?
 
 
Frag deine schönen Augen, Prinzessin.
 
 
Nr. 5 Arie
 
 
Agenor
 
     
 
    Gebt mir Antwort,
 
 
schöne Sterne der Liebe:
 
 
Wenn ihr es nicht wisst,
 
 
wer sollte es dann wissen?
 
     
 
    Ihr habt alle Wege
 
 
meines Herzens erkundet,
 
 
als ihr den Sieg
 
 
über meine Freiheit errungen habt.
 
 
(Er geht ab.)
 
 
FÜNFTE SZENE
 
 
Tamiris allein.
 
 
Rezitativ
 
 
Tamiris
 
 
Nein, ihr seid nicht, o Götter,
 
 
so unbarmherzig mit mir,
 
 
wie ich bisher glaubte. Gewiss, ihr habt
 
 
meinen Thron in eine Hütte verwandelt, in ein grobes Fell
 
 
das königliche Gewand; aber ich habe
 
 
meinen Liebsten weiterhin treu gefunden:
 
 
Barmherzige Götter, ihr habt mir viel gelassen.
 
 
Nr. 6 Arie
 
 
Tamiris
 
     
 
    All die vielen Stürme
 
 
hat diese Seele nun vergessen,
 
 
ihre Ruhe hat sie
 
 
in des Geliebten Blick wiedergefunden.
 
     
 
    Wenn es unter dem Zorn der Sterne
 
 
auch vor Schreck gebebt hat,
 
 
so bebt nun das Herz vor Freude
 
 
in der Brust.
 
 
(Sie geht ab.)
 
 


Garten.
 
 
SECHSTE SZENE
 
 
Elisa äußerst heiter und eilig, dann Amintas.
 
 
Rezitativ
 
 
Elisa
 
 
O froher Tag! Ach ich Glückliche! O mein lieber
 
 
Vater! Aber … wo ist er hingegangen?
 
 
Hier habe ich ihn doch vorher
 
 
zurückgelassen. Er wird drinnen sein. Amintas!
 
 
Amintas! … Oh, ich Törichte! Nun fällt mir ein: Es ist die Stunde,
 
 
die Herde zu tränken. An der Quelle
 
 
und nicht hier muss ich ihn suchen.
 
 
Amintas
 
 
Wohin eilst du, Elisa?
 
 
Elisa
 
 
Ach, du bist endlich zurück! Gehen wir.
 
 
Amintas
 
 
Und wohin?
 
 
Elisa
 
 
Zum Vater.
 
 
Amintas
 
 
Also stimmt er zu …
 
 
Elisa
 
 
Das Herz
 
 
hat mich nicht getäuscht. Du wirst mein Gatte sein, und zwar noch ehe
 
 
die Sonne sinkt. Der Vater ist ungeduldig
 
 
so wie wir. Stolz und glücklich
 
 
über einen so liebenswerten Sohn … Er wird es dir sagen. Du wirst es
 
 
an seinem Empfang merken … Komm.
 
 
Amintas
 
 
Ach, meine Liebe,
 
 
lass mich doch zu Atem kommen! Hab Mitleid mit einem Herzen,
 
 
das in seinem höchsten Glück …
 
 
Elisa
 
 
(will weggehen.)
 
 
Ach, zaudern wir nicht: Zu Atem können wir gemeinsam kommen.
 
 
SIEBENTE SZENE
 
 
Agenor, gefolgt von königlichen Wachen, die in Goldschalen die Insignien des Königs tragen; die Vorigen.
 
 
Rezitativ
 
 
Agenor
 
 
Vom treuesten Vasallen
 
 
empfange, erhabener König, diese erste Huldigung.
 
 
Elisa
 
 
(zu Amintas)
 
 
Was sagt er?
 
 
Amintas
 
 
(zu Agenor)
 
 
Zu wem sprichst du?
 
 
Agenor
 
 
Zu dir, mein Herr.
 
 
Amintas
 
 
(mit verächtlichem Gesichtsausdruck)
 
 
Lass mich in Ruhe und treibe
 
 
mit anderen deinen Spott. Ich bin frei geboren,
 
 
auch wenn ich kein König bin;
 
 
(mit wachsendem Groll)
 
 
und wenn ich auch keine Huldigungen verdiene,
 
 
so habe ich doch ein Herz, das keine Beleidigungen duldet.
 
 
Agenor
 
 
Der edle Zorn
 
 
zeigt, wer du bist, und entschuldigt mich. Höre mich an und lass
 
 
meine Worte dir offenbaren, wer du bist.
 
 
Elisa
 
 
(zu Agenor)
 
 
Wie! Ist er nicht Amintas?
 
 
Agenor
 
 
Nein.
 
 
Amintas
 
 
Und wer bin ich?
 
 
Agenor
 
 
Du bist Abdolonimus: der einzige Erbe
 
 
des Thrones von Sidon.
 
 
Amintas
 
 
Ich!
 
 
Agenor
 
 
Ja. Verjagt
 
 
vom perfiden Straton, übergab dich dein Vater als Kind
 
 
dem meinen. Dieser vertraute dich im Sterben
 
 
mir an,
 
 
dein Geheimnis und auch die Beweise.
 
 
Elisa
 
 
Und der alte Alceos …
 
 
Agenor
 
 
… zog dich unerkannt auf.
 
 
Amintas
 
 
Und du hast bisher ...
 
 
Agenor
 
 
Und ich habe schweigend
 
 
dem Gebot des Vaters gehorcht. Das Reden war mir verboten,
 
 
bis dir die Hilfe der Götter irgendeinen Weg zum Thron
 
 
eröffnen sollte. Ich suchte Hilfe
 
 
im großmütigen Herzen Alexanders, und ich fand sie.
 
 
Elisa
 
 
O Jubel! O Freude!
 
 
Mein Liebster ist mein König!
 
 
Amintas
 
 
(zu Agenor)
 
 
Alexander also …
 
 
Agenor
 
 
… erwartet dich und will mit eigner Hand
 
 
dein Haupt krönen. Das ist das königliche Gewand,
 
 
das er dir schickt. Jene, die du siehst,
 
 
sind deine Diener und Wachen. Ach, komm endlich;
 
 
ach, lange habe ich diesen Tag herbeigesehnt!
 
 
(Er geht ab.)
 
 
ACHTE SZENE
 
 
Elisa heiter, Amintas erstaunt.
 
 
Rezitativ
 
 
Amintas
 
 
Elisa!
 
 
Elisa
 
 
Amintas!
 
 
Amintas
 
 
Träume ich?
 
 
Elisa
 
 
Ach nein!
 
 
Amintas
 
 
Du glaubst
 
 
also …
 
 
Elisa
 
 
Ja. Für mich ist diese Wendung
 
 
nicht seltsam, wenn auch unvermutet.
 
 
Ein königliches Herz habe ich in deinem Antlitz stets gesehen.
 
 
Amintas
 
 
Mag sein. Doch jetzt lass uns
 
 
zu deinem Vater gehen.
 
 
(Er macht sich auf den Weg.)
 
 
Elisa
 
 
(Sie hält ihn auf.)
 
 
Nein, höhere Pflichten verlangen die Götter
 
 
nun von dir. Geh, herrsche, und dann …
 
 
Amintas
 
 
Wie? Du drängst mich, dich zu verlassen? Denkst du nicht,
 
 
dass der Vater, der Vater, o Götter!
 
 
dem du dein Glück verdankst,
 
 
und ich das meine, an dieser neuen
 
 
unvermuteten Freude gleich teilhaben soll?
 
 
Verzeihe, Elisa, ich kann dir nicht gehorchen;
 
 
das verbieten mir die Liebe zu dir, die große Freude,
 
 
der Respekt, die Pflicht.
 
 
Ach, ehe er es von anderen erfährt,
 
 
soll er aus meinem Munde die frohe Kunde hören,
 
 
dann werde ich zu Alexander gehen und den Thron besteigen;
 
 
darauf wird dein treuer Hirte
 
 
bald als König zu dir zurückkommen.
 
 
Dulde, dass ich gehe … Ach, wenn du nur wüsstest,
 
 
meine Liebste, wie ein einziger Augenblick fern von dir
 
 
mein liebendes Herz betrübt!
 
 
Elisa
 
 
Ach, wenn du nur sehen könntest,
 
 
wie es diesem Herzen geht! Vor Freude jubelt es.
 
 
Und doch … Nein, nein, so schweigt,
 
 
ihr lästigen Ängste. Nun soll man an nichts anderes denken,
 
 
als dass Amintas König ist. Ach geh:
 
 
Alexander könnte zürnen.
 
 
Amintas
 
 
Gütige Götter,
 
 
ich bin für eure Gabe dankbar;
 
 
doch allzu hoch ist dieser Preis für einen Thron.
 
 
Nr. 7 Duett
 
 
Elisa
 
     
 
    Gehe hin und herrsche, mein Geliebter;
 
 
bewahre aber in deinem Herzen, wenn du
 
 
kannst, Treue für die, die dich anbetet.
 
 
Amintas
 
     
 
    Wenn ich herrschen muss, meine Geliebte,
 
 
werde ich auch auf dem Thron
 
 
dein treuer Hirte sein.
 
 
Elisa
 
     
 
    Ach, dass du mein König bist!
 
 
Amintas
 
 
Ach, was für grausame Ängste!
 
 
Beide
 
     
 
    Ach, schützt, o Götter,
 
 
diese unschuldige Liebe.
 
 

Ende des ersten Aufzugs.