ZWEITER AUFZUG
|
||
Das große und kostbare Königszelt Alexanders auf der einen Seite, antike Ruinen auf der anderen. Das Lager der Griechen in der Ferne. Wachen des Lagers an verschiedenen Plätzen.
|
||
ERSTE SZENE
|
||
Elisa, dann Agenor.
|
||
Rezitativ
|
||
Elisa
|
||
Dieses ist das größte Zelt
|
||
im griechischen Lager. Hier finde ich meinen Liebsten
|
||
sicher wieder.
|
||
Agenor
|
||
(hält sie auf.)
|
||
Wohin so eilig,
|
||
liebliche Nymphe?
|
||
Elisa
|
||
(will durch.)
|
||
Ich gehe zum König.
|
||
Agenor
|
||
(hält sie auf.)
|
||
Verzeih,
|
||
du darfst ihn nicht sehen.
|
||
Elisa
|
||
Aus welchem Grund?
|
||
Agenor
|
||
Er sitzt gerade
|
||
beim Rat mit seinen Griechen.
|
||
Elisa
|
||
Mit seinen Griechen?
|
||
Agenor
|
||
Ja.
|
||
Elisa
|
||
(macht sich auf den Weg.)
|
||
Dann kann ich gehen:
|
||
Er ist nicht mein König.
|
||
Agenor
|
||
(hält sie auf.)
|
||
Halt. Auch zu deinem König
|
||
darfst du nicht gehen.
|
||
Elisa
|
||
Warum?
|
||
Agenor
|
||
Er muss
|
||
auf Alexander warten.
|
||
Elisa
|
||
Er soll auf ihn warten. Ich möchte
|
||
ihn nur sehen.
|
||
Agenor
|
||
(hält sie auf.)
|
||
Nein, soweit zu gehen
|
||
ist dir nicht erlaubt.
|
||
Elisa
|
||
Dann gibt ihm Bescheid:
|
||
Er soll zu mir kommen.
|
||
Agenor
|
||
Dies wiederum
|
||
ist ihm nicht erlaubt.
|
||
Elisa
|
||
Es wird mir aber wohl erlaubt sein,
|
||
hier auf ihn zu warten.
|
||
(Sie setzt sich.)
|
||
Agenor
|
||
Elisa, Freundin,
|
||
gehe, glaube mir. Störe uns
|
||
bitte jetzt nicht. Ich komme mit deinem König
|
||
bald zu dir.
|
||
Elisa
|
||
Nein, ich verlasse mich nicht darauf:
|
||
Du denkst nicht an Tamiris,
|
||
und an mich solltest du dann denken?
|
||
Agenor
|
||
Du irrst. Gerade jetzt
|
||
will ich mit Alexander
|
||
über sie sprechen. Ich hatte schon begonnen, aber ich wurde
|
||
dabei unterbrochen. Ach, geh! Wenn er kommt,
|
||
könntest du mir den günstigen Augenblick
|
||
rauben.
|
||
Elisa
|
||
(steht auf.)
|
||
Ich tue, was du willst. Doch höre:
|
||
Wenn du säumst, komme ich wieder.
|
||
Agenor
|
||
Gut so.
|
||
Elisa
|
||
(macht sich auf den Weg., dann wendet sie sich um.)
|
||
Lebe wohl. Inzwischen
|
||
verbirg vor Amintas nicht
|
||
meine Unruhe.
|
||
Agenor
|
||
Nein.
|
||
Elisa
|
||
(wie oben)
|
||
Sage ihm,
|
||
dass ich mir seine vorstellen kann.
|
||
Agenor
|
||
Ja.
|
||
Elisa
|
||
(zu Agenor, aber von Weitem)
|
||
Fern von mir, ach, wie sehr
|
||
wird der Unglückliche leiden!
|
||
Agenor
|
||
Sehr.
|
||
Elisa
|
||
(von Weitem)
|
||
Spricht er von mir?
|
||
Agenor
|
||
Immer.
|
||
Elisa
|
||
(kehrt zurück zu Agenor.)
|
||
Und was sagt er?
|
||
Agenor
|
||
(heftig)
|
||
Du willst aber nicht gehen. Wenn ich dir alle
|
||
seine Klagen wiederholen soll …
|
||
Elisa
|
||
Ich gehe, zürne nicht. Du bist so grausam!
|
||
Nr. 8 Arie
|
||
Elisa
|
||
Grausamer! O Gott, du siehst mich
|
||
von meinem Geliebten getrennt,
|
||
Barbar, und lässt nicht zu,
|
||
dass ich nach ihm verlange.
|
||
Wie kann dich so große Liebe
|
||
nicht zu Mitleid rühren?
|
||
Du hast doch ein Herz in der Brust,
|
||
hast doch eine Seele im Busen!
|
||
(Sie geht ab.)
|
||
ZWEITE SZENE
|
||
Agenor, Amintas.
|
||
Rezitativ
|
||
Agenor
|
||
Rührt, o gnädige Götter, das großmütige Herz Alexanders
|
||
durch meine Worte
|
||
zum Besten von Tamiris. Ach, ihre Tugend,
|
||
ihre Schönheit verdienen es … Doch wohin,
|
||
wohin eilst du, mein König?
|
||
Amintas
|
||
Die schöne Elisa
|
||
habe ich von ferne erblickt: Warum verbirgt sie sich?
|
||
Wo ist sie?
|
||
Agenor
|
||
Sie ist weggegangen.
|
||
Amintas
|
||
Ohne mich zu sehen? Undankbare!
|
||
Ach, ich will zu ihr.
|
||
(Er macht sich auf den Weg.)
|
||
Agenor
|
||
(hält ihn auf.)
|
||
Bleib, Herr.
|
||
Amintas
|
||
Warum?
|
||
Agenor
|
||
Du darfst nicht.
|
||
Amintas
|
||
Ich darf nicht?
|
||
Wer gebietet einem König?
|
||
Agenor
|
||
Seine Größe,
|
||
die Gerechtigkeit, das Ansehen, das Gemeinwohl,
|
||
die Vernunft, die Pflicht.
|
||
Amintas
|
||
So war ich also als Hirte
|
||
weniger Knecht. Was nützt mir dann die Herrschaft?
|
||
Agenor
|
||
Wenn schon die Herrschaft dir nicht nützt,
|
||
musst du ihr nützen.
|
||
Wenn du nicht über dich selbst herrschen kannst,
|
||
wie willst du dann über andere herrschen? Wie … Ach, ich vergesse,
|
||
dass Amintas König ist, und dass ich sein Vasall bin.
|
||
(Er will niederknien.)
|
||
Ich habe durch allzu großen Eifer geirrt: Verzeihung, Herr.
|
||
Amintas
|
||
(hebt ihn auf.)
|
||
Was tust du! Stehe auf. Ach, wenn du mich liebst,
|
||
sprich immer so zu mir. So schön scheint mir
|
||
die Wahrheit, dass ich mich in sie verliebe,
|
||
auch wenn sie schmerzt.
|
||
Agenor
|
||
Ach, dich bestimmt das Schicksal
|
||
wahrhaftig zum Regenten!
|
||
Amintas
|
||
Doch sage mir, Freund:
|
||
Darf ich nicht die lieben, die mich liebt? Ist Elisa
|
||
der Liebe denn so wenig würdig?
|
||
Wer könnte
|
||
unter den Menschen und den Göttern, auf Erden und im Himmel,
|
||
meine Zärtlichkeit verurteilen?
|
||
Agenor
|
||
Niemand. Sie ist gerechtfertigt.
|
||
Aber vor allem …
|
||
Amintas
|
||
Ach, vor allem gehen wir,
|
||
Freund, um sie zu trösten, und dann …
|
||
Agenor
|
||
Bleibe.
|
||
Der Rat hat sich nun aufgelöst, die Feldherren treten heraus, zu uns
|
||
kommt Alexander.
|
||
Amintas
|
||
Wo ist er?
|
||
Agenor
|
||
Erkennst du nicht
|
||
seine Wachen an ihrer königlichen Uniform?
|
||
Amintas
|
||
Also …
|
||
Agenor
|
||
… musst du warten.
|
||
Amintas
|
||
Arme Elisa!
|
||
DRITTE SZENE
|
||
Alexander und Amintas.
|
||
Rezitativ
|
||
Alexander
|
||
Aus welchem Grund
|
||
hüllt sich der König von Sidon
|
||
noch immer in sein wollenes Gewand?
|
||
Amintas
|
||
Weil er
|
||
auf diese Hand, die ihn zum Thron erhebt,
|
||
noch keinen Kuss als Pfand dankbarer Verehrung drücken konnte.
|
||
(Er will niederknien.)
|
||
Erlaube, dass ich zuvor zu Füßen
|
||
meines Wohltäters …
|
||
Alexander
|
||
Nein, komm in des Freundes
|
||
Arme und, statt Ehrfurcht,
|
||
gib ihm Liebe. Ich führe nur
|
||
die Beschlüsse des Himmels aus. Dir verdanke ich nur die Freude,
|
||
die ich bei ihrer Ausführung empfinde.
|
||
Als meinen Lohn
|
||
verlange ich deinen Ruhm.
|
||
Amintas
|
||
Jenen Ruhm, o Götter,
|
||
werde ich ihn zu verdienen wissen, wenn ich bisher nur lernte,
|
||
eine Herde zu leiten?
|
||
Alexander
|
||
Du wirst ein guter König sein, wenn du ein guter Hirte sein wirst.
|
||
Amintas
|
||
Ja. Ich sehe mich jedoch in einem Meer,
|
||
das unbekannt und stürmisch ist. Wenn du nun gehst,
|
||
wer wird mein Leitstern sein? Von wem
|
||
kann ich mir dann Rat holen?
|
||
Alexander
|
||
Schon dieser Zweifel allein
|
||
verspricht mir einen großen König.
|
||
Amintas
|
||
Aber woher kann ein Hirte hoffen,
|
||
so hohe Erleuchtung zu erhalten?
|
||
Alexander
|
||
Vom Himmel, der jene erleuchtet,
|
||
die er zum Herrschen ausersehen hat.
|
||
Geh jetzt, lege
|
||
dein bäuerliches Gewand ab, nimm ein anderes
|
||
und kehre zu mir zurück. Es ist nun Zeit,
|
||
sich den treuen Untertanen zu zeigen.
|
||
Amintas
|
||
Ach, gebt, o Götter,
|
||
dass Amintas auf dem Thron
|
||
sich selbst, dem Spender und der Gabe Ehre erweist!
|
||
(Er geht ab.)
|
||
VIERTE SZENE
|
||
Alexander, Agenor.
|
||
Rezitativ
|
||
Agenor
|
||
(Nun ist es Zeit,
|
||
für meine Tamiris zu sprechen.)
|
||
Alexander
|
||
Mein Ruhm
|
||
duldet nun kein längeres Verweilen mehr,
|
||
o Agenor. Noch heute gebe ich Sidon
|
||
seinen König. Mit dem neuen Tag
|
||
will ich dann aufbrechen. Aber, ich gestehe es dir, nicht voll
|
||
zufrieden geh ich von hier fort. Euer Joch
|
||
habe ich zerbrochen, das ist wahr; ich habe das Zepter
|
||
dem königlichen Stamm zurückgegeben; mit dem weisen Amintas
|
||
überlasse ich dem Reich einen guten König, und mit Agenor
|
||
dem König einen wahren Freund. Mein Name
|
||
wäre wohl lange in ehrender Erinnerung
|
||
bei euch. Doch Tamiris, o Götter,
|
||
nur Tamiris trübt ihn. Dort, wo sie ankommt,
|
||
auf der Flucht und umherirrend,
|
||
was wird man dort von mir sagen? Dass ich ein Schurke bin,
|
||
ein grausamer Barbar.
|
||
Agenor
|
||
Es ist ihr zu verzeihen,
|
||
wenn sie als Tochter eines Tyrannen fürchtete …
|
||
Alexander
|
||
Das war ihr Fehler. Was hatte sie zu fürchten?
|
||
Wenn Alexander
|
||
die Schuld des einen bestraft, ehrt er des anderen Tugenden.
|
||
Agenor
|
||
Asien hat noch nie einen wie Alexander gesehen.
|
||
Alexander
|
||
Wie viel Ruhm raubt sie mir! Ich möchte
|
||
alle glücklich machen. Ach, durch sie allein
|
||
befleckt nun ein Makel meine Ehre!
|
||
Agenor
|
||
(Nur Mut!)
|
||
Alexander
|
||
Wäre Tamiris nicht geflohen,
|
||
hätte ich allen zeigen können,
|
||
dass ich Unschuldige von Schuldigen zu unterscheiden weiß.
|
||
Agenor
|
||
Hadere nicht: Du wirst es können.
|
||
Alexander
|
||
Wie?
|
||
Agenor
|
||
Sie ist hier.
|
||
Alexander
|
||
Wer?
|
||
Agenor
|
||
Tamiris.
|
||
Alexander
|
||
Und du hast es mir verschwiegen?
|
||
Agenor
|
||
Ich erfuhr es eben,
|
||
als ich zu dir kam, und jetzt wollte ich …
|
||
Alexander
|
||
Laufe, beeile dich,
|
||
bringe sie zu mir.
|
||
Agenor
|
||
(will weggehen.)
|
||
Ich gehe und komme wieder.
|
||
Alexander
|
||
(denkt nach.)
|
||
Warte.
|
||
(Entschlossen für sich)
|
||
(Ach ja, ein schöneres Band
|
||
hat die Liebe noch nie geschlungen.) Nun kann ich ganz zufrieden
|
||
von hier gehen. Eile zu Tamiris und sag ihr,
|
||
dass ich heute dem neuen Herrscher
|
||
die Krone reichen werde, und sie ihm ihre Hand.
|
||
Agenor
|
||
Die Hand?
|
||
Alexander
|
||
Ja, Freund. Mit einem einzigen Diadem
|
||
kröne ich die Tugend zweier schöner Seelen!
|
||
Er wird den Thron besteigen,
|
||
ohne dass sie von ihm herabsteige; so gebe ich euch den Frieden,
|
||
meinem Namen Ruhm
|
||
und allen Sicherheit.
|
||
Agenor
|
||
(O Gott!)
|
||
Alexander
|
||
Du erbleichst! Und du schweigst?
|
||
Missbilligst du meinen Plan? Tamiris ist doch …
|
||
Agenor
|
||
… für den Thron die Würdigste.
|
||
Alexander
|
||
Und dieser Gedanke ist …
|
||
Agenor
|
||
… deiner sehr würdig.
|
||
Alexander
|
||
Welche Empfindungen
|
||
deuten dann dieses Schweigen und dein Erbleichen an?
|
||
Agenor
|
||
Freude, Ehrfurcht und Erstaunen.
|
||
Nr. 9 Arie
|
||
Alexander
|
||
Wenn mein Sieg euch glücklich macht,
|
||
wenn ich beim Abschied keinen Feind zurücklasse,
|
||
was für ein schöner Tag ist das für mich!
|
||
Für allen Schweiß, den ich im Kampf vergieße,
|
||
verlang ich keinen schöneren Lohn.
|
||
(Alexander geht mit Agenor ab.)
|
||
Garten mit Wasserspielen. |
||
FÜNFTE SZENE
|
||
Amintas allein.
|
||
Rezitativ
|
||
Amintas
|
||
Weh mir! Die Sonne geht unter. Die Zeit ist schon um,
|
||
die Agenor mir für meine quälenden Zweifel
|
||
zugestanden hat.
|
||
(Er setzt sich.)
|
||
Im Zwiespalt, feige zu erscheinen
|
||
oder mich als untreu zu erweisen,
|
||
zittere, wanke ich, bin voll Kummer und kann mich nicht entscheiden.
|
||
Ist das das Herrschen? So gut lebt man
|
||
in Purpur und in Gold?
|
||
Ach, ich Unglücklicher!
|
||
Agenor kommt schon.
|
||
(Er steht auf.)
|
||
Was soll ich ihm sagen? O Gott!
|
||
SECHSTE SZENE
|
||
Agenor und der Vorige.
|
||
Rezitativ
|
||
Agenor
|
||
Und noch entschlossen
|
||
finde ich dich, o mein König?
|
||
Amintas
|
||
Nein.
|
||
Agenor
|
||
Hast du dich entschieden?
|
||
Amintas
|
||
Ja.
|
||
Agenor
|
||
Wie?
|
||
Amintas
|
||
Ich bin bereit,
|
||
meine Pflichten zu erfüllen.
|
||
Agenor
|
||
Du lehnst es also nicht mehr ab,
|
||
Alexander aufzusuchen?
|
||
Amintas
|
||
Zu ihm
|
||
bin ich bereits auf dem Weg.
|
||
Agenor
|
||
Dass Elisa und der Thron
|
||
nicht zu vereinen sind, siehst du.
|
||
Amintas
|
||
Es ist wahr.
|
||
Den wohltätigen Plänen eines Helden
|
||
soll sich nicht widersetzen, wer einen Thron von ihm erhält.
|
||
Agenor
|
||
O glücklicher Amintas! O welche Gefährtin
|
||
bestimmen dir die Sterne! Liebe sie: Sie ist
|
||
der Liebe eines Königs wert.
|
||
Amintas
|
||
Ich verstehe, Freund,
|
||
mein ganzes Glück. Du brauchst mir nicht zu sagen,
|
||
dass ich meine Gattin lieben soll. Schon liebe ich sie so,
|
||
dass mir der Thron ohne sie missfällt.
|
||
Nr. 10 Rondo
|
||
Amintas
|
||
Ich werde sie lieben, ich werde treu sein:
|
||
Als treuer Gatte und treuer Geliebter
|
||
werde ich um sie allein seufzen.
|
||
In einem so lieben und holden Wesen
|
||
werde ich meine Freude, meine Wonne,
|
||
meinen Frieden finden.
|
||
(Er geht ab.)
|
||
SIEBENTE SZENE
|
||
Agenor allein.
|
||
Rezitativ
|
||
Agenor
|
||
Kommt endlich hervor, kommt hervor,
|
||
unterdrückte Seufzer.
|
||
O Gott, schöne Tamiris, o Gott …
|
||
ACHTE SZENE
|
||
Elisa und der Vorige.
|
||
Elisa
|
||
Höre doch,
|
||
Agenor, welchen Unsinn
|
||
man erfindet, um mich zu quälen. Es geht das Gerücht,
|
||
dass Amintas noch heute Tamiris
|
||
die Hand als Gatte reichen wird.
|
||
Agenor
|
||
Erwache aus der Illusion. Niemand versucht dich zu täuschen.
|
||
Elisa
|
||
Bist auch du
|
||
so leichtgläubig?
|
||
Agenor
|
||
Ich wüsste nicht,
|
||
weshalb ich daran zweifeln sollte.
|
||
Elisa
|
||
Und so verlässt mich
|
||
also Amintas? …
|
||
Woher hast du
|
||
diese so liebenswürdige Nachricht?
|
||
Agenor
|
||
Von ihm.
|
||
Elisa
|
||
Von ihm?
|
||
Agenor
|
||
Ja, von Amintas selbst.
|
||
Elisa
|
||
Wo?
|
||
Agenor
|
||
Hier.
|
||
Elisa
|
||
Wann?
|
||
Agenor
|
||
Soeben.
|
||
Elisa
|
||
Und er sagte?
|
||
Agenor
|
||
Und er sagte,
|
||
dass sich dem Willen Alexanders
|
||
nicht widersetzen soll, wer einen Thron von ihm erhält.
|
||
Elisa
|
||
Heilige Götter im Himmel! Wie! Tamiris
|
||
reicht er seine Hand?
|
||
Agenor
|
||
die Hand und das Herz.
|
||
Elisa
|
||
Dass mich Amintas
|
||
so verraten könnte?
|
||
Agenor
|
||
Ach, ändere, Elisa,
|
||
auch du deine Meinung:
|
||
Ergebe dich dem Schicksal.
|
||
Elisa
|
||
Nein, das soll nie geschehen.
|
||
Agenor
|
||
Doch, wenn er dir nicht mehr gehört, was kannst du mit diesen Klagen
|
||
noch bewirken?
|
||
Elisa
|
||
Was ich bewirken kann? Von Alexander,
|
||
von den Menschen und Göttern werde ich Mitleid, Gnade und
|
||
Gerechtigkeit verlangen. Ich will, dass Amintas
|
||
es vor aller Welt bekennt,
|
||
dass er mir sein Herz geschenkt hat; und ich will,
|
||
wenn der Grausame verlangt, dass er es einer anderen überlässt,
|
||
vor Kummer sterben und dass er es sieht.
|
||
(Sie geht ab.)
|
||
NEUNTE SZENE
|
||
Agenor, dann Tamiris.
|
||
Rezitativ
|
||
Agenor
|
||
Arme Nymphe! Ich habe Mitleid mit dir und verstehe
|
||
in meiner Qual die deine.
|
||
(Er will weggehen.)
|
||
Am besten fliehe
|
||
ich Tamiris, in meiner Schwachheit kann ich sonst keinen
|
||
anderen Ausweg hoffen.
|
||
Tamiris
|
||
Agenor, bleibe hier.
|
||
Agenor
|
||
(O Götter, steht mir bei!)
|
||
Tamiris
|
||
(ironisch)
|
||
Einen Thron verdankt
|
||
Tamiris also
|
||
ihrem so großmütigen Geliebten?
|
||
Agenor
|
||
Der Thron ist Dank schuldig.
|
||
Tamiris
|
||
(ironisch)
|
||
Warum hast du diese überaus wichtige Nachricht
|
||
mir nicht selbst gebracht?
|
||
Agenor
|
||
Es ist wahr, aber vielleicht
|
||
wäre der Begriff von meiner Pflicht
|
||
dir gegenüber … Schöne Königin, lebe wohl.
|
||
Tamiris
|
||
Hör mich an. Wohin läufst du?
|
||
Agenor
|
||
Mich zu erinnern,
|
||
dass du meine Herrin bist.
|
||
Tamiris
|
||
Bei meiner Hochzeit
|
||
will ich dich dabei haben.
|
||
Agenor
|
||
Ach nein, verzeih:
|
||
Das ist das letzte Lebewohl.
|
||
Tamiris
|
||
Gehorsam verlange ich
|
||
von einem treuen Untertanen.
|
||
Agenor
|
||
(O Gott!)
|
||
Tamiris
|
||
Hast du mich gehört?
|
||
Agenor
|
||
Ich werde gehorchen, Grausame.
|
||
Nr. 11 Arie
|
||
Tamiris
|
||
Wenn du mich verschenkst,
|
||
wenn du es willst, dass ich einem anderen gehöre,
|
||
wieso liegt die Schuld dann bei mir?
|
||
Weshalb bin ich grausam?
|
||
Meine Sanftmut soll dein Beispiel sein.
|
||
Ich bin die Verlassene,
|
||
und ich beleidige dich nicht dreist,
|
||
indem ich behaupte, dass du untreu bist.
|
||
(Sie geht ab.)
|
||
ZEHNTE SZENE
|
||
Agenor allein.
|
||
Rezitativ
|
||
Agenor
|
||
Elendes Herz! Du hast geglaubt,
|
||
alle Qualen der Liebe
|
||
schon durchlitten zu haben. Ach, es ist nicht wahr:
|
||
Die schlimmste,
|
||
armes Herz, musst du noch erdulden.
|
||
Nr. 12 Arie
|
||
Agenor
|
||
Wie sich in dieser Lage
|
||
ein Liebender fühlt,
|
||
das kann nur ein unglücklich Liebender sagen,
|
||
der das so wie ich erlebt hat.
|
||
Ich fühle eine Qual
|
||
grausamer als jeder andere Schmerz,
|
||
Es ist eine Qual voll Verzweiflung,
|
||
die nicht zu ertragen ist.
|
||
(Er geht ab.)
|
||
Tempel des tyrischen Herkules. |
||
ELFTE SZENE
|
||
Unter der lauten Musik einer Militärkapelle tritt Alexander mit Gefolge heraus. Dann Tamiris, schließlich Agenor.
|
||
Nr. 13 Arie
|
||
Alexander
|
||
Ihr, die ihr stets glückverheißend
|
||
neuen Lorbeer für mich sprießen lasst,
|
||
gütige Götter, steht
|
||
auch den Regungen meines Herzens bei.
|
||
Rezitativ
|
||
Alexander
|
||
Nun, weshalb säumt man noch? Die Sonne sinkt:
|
||
Warum ist der König nicht zu sehen?
|
||
Wo ist Tamiris?
|
||
Tamiris
|
||
Sie liegt Alexander zu Füßen.
|
||
Alexander
|
||
Bist du die Prinzessin?
|
||
Tamiris
|
||
Ich bin's.
|
||
Agenor
|
||
Herr, zweifle nicht daran: Sie ist es.
|
||
Tamiris
|
||
Höre. Agenor, mein Geliebter,
|
||
stellt meinen Rang über seine Liebe.
|
||
Ob ich nun meinen Rang höher schätzen soll
|
||
als diese treue Seele,
|
||
mag Alexander prüfen und entscheiden.
|
||
Alexander
|
||
Götter! Welche Tugend! Welche Treue!
|
||
ZWÖLFTE SZENE
|
||
Elisa und die Vorigen.
|
||
Elisa
|
||
Ach, Gerechtigkeit, Herr, Mitleid und Erbarmen!
|
||
Alexander
|
||
Wer bist du? Was begehrst du?
|
||
Elisa
|
||
Ich bin Elisa. Ich flehe
|
||
um die Hilfe Alexanders
|
||
zugunsten eines Herzens, das zu Unrecht unterdrückt wird.
|
||
Alexander
|
||
Gegen wen denn?
|
||
Elisa
|
||
Gegen Alexander selbst.
|
||
Alexander
|
||
Was hat Alexander dir getan?
|
||
Elisa
|
||
Er hat mir
|
||
allen Frieden, alles Glück genommen: Vor Kummer
|
||
will er mich noch sterben sehen.
|
||
Für Amintas lebe ich: Amintas raubt er mir.
|
||
Alexander
|
||
Amintas! Welches Recht
|
||
hast du auf ihn?
|
||
Elisa
|
||
Welches? Von Kindheit an
|
||
besaß ich sein Herz als Geschenk.
|
||
Alexander
|
||
Der dir sein Herz gab, holde Nymphe,
|
||
war der Hirte Amintas: Doch niemals
|
||
gab dir Abdolonimus, der König, sein Herz.
|
||
DREIZEHNTE SZENE
|
||
Amintas im Hirtengewand, gefolgt von einigen Personen, die in zwei Schalen die Königsgewänder bringen, und die Vorigen.
|
||
Amintas
|
||
Herr, ich bin Amintas und bin Hirte.
|
||
Alexander
|
||
Wie!
|
||
Amintas
|
||
(Die Schalen werden Alexander zu Füßen gelegt.)
|
||
Das Gewand des Königs
|
||
hier zu deinen Füßen: In meinem wollenen Gewand
|
||
kehre ich zu meiner Herde und zu meinem Frieden zurück.
|
||
Alexander
|
||
Und Tamiris ist nicht …
|
||
Amintas
|
||
Tamiris ist
|
||
dem Herzen eines Königs würdig, Elisa verdient es aber nicht,
|
||
dass ich ihr die Treue breche.
|
||
Herrschen möge der,
|
||
der sich darauf versteht:
|
||
Wenn mir Elisa bleibt, bin ich zufrieden.
|
||
Agenor
|
||
Was höre ich!
|
||
Alexander
|
||
Wo bin ich!
|
||
Elisa
|
||
Agenor, ich habe dir es gesagt: Amintas ist mein.
|
||
Alexander
|
||
So treue Liebende
|
||
trennt Alexander nicht. Hier, Amintas,
|
||
nimm die schöne Elisa. Hier, Tamiris, nimm deinen
|
||
treuen Agenor.
|
||
(zu Amintas und Elisa)
|
||
Über Sidon seid ihr
|
||
nun Herrscher,
|
||
(zu Agenor und Tamiris)
|
||
und ihr sollt nicht Untertanen
|
||
bleiben. Mein Glück setze ich daran,
|
||
euch einen Thron zu errichten,
|
||
und für soviel Tugend wird sich ein Reich finden.
|
||
Elisa, Amintas, Tamiris, Agenor
|
||
O Großer!
|
||
O Gerechter!
|
||
Alexander
|
||
Ach, Sidon soll
|
||
seinen König endlich gekrönt sehen.
|
||
Amintas
|
||
In diesen Hüllen aber …
|
||
Alexander
|
||
In diesen Hüllen führte dich der Himmel
|
||
nicht aus Zufall her. Damit will der Himmel
|
||
vielleicht deinem Reich
|
||
eine sehr glückliche Zukunft verheißen.
|
||
Schönes Los für ein Reich ist ein Hirte als König.
|
||
Nr. 14 Chor
|
||
Alle
|
||
Hoch lebe der unbesiegte Herrscher,
|
||
hoch lebe des Himmels Gabe,
|
||
die unserem Herzen am wertvollsten ist.
|
||
Elisa, Amintas
|
||
Unter guten Vorzeichen
|
||
sollen heute die Sterne
|
||
noch schöner am Himmel strahlen,
|
||
die Liebe soll noch fröhlicher lachen.
|
||
Alle
|
||
Hoch lebe des Himmels Gabe,
|
||
die unserem Herzen am wertvollsten ist.
|
||
Elisa
|
||
Wenn ich dich zu jeder Stunde verehre,
|
||
Geliebter, wird mein Herz
|
||
der Liebe Glück erkennen.
|
||
Amintas
|
||
Liebt mich dein Herz,
|
||
Geliebte,
|
||
gibt es keine süßere Glut, als die, welche die Liebe gibt.
|
||
Alexander
|
||
Das ist Freude für mich.
|
||
Agenor
|
||
Freude fühle ich in meinem Herzen.
|
||
Elisa, Amintas, Tamiris, Agenor
|
||
Nein, der Liebe kann kein Herz
|
||
widerstehen.
|
||
Elisa
|
||
Strahlende Augen, mein Liebster.
|
||
Amintas
|
||
Süße Worte meiner Liebsten.
|
||
Beide
|
||
Wenn ich dich sehe,
|
||
so muss ich süß seufzen.
|
||
Alexander, Tamiris
|
||
Frohe Seelen, liebe Seelen,
|
||
ja, genießt der Liebe Glück.
|
||
Alle
|
||
Hoch lebe der unbesiegte Herrscher,
|
||
hoch lebe des Himmels Gabe,
|
||
die unserem Herzen am wertvollsten ist.
|
||
Ende des Dramas. |