Erste Abhandlung
 
 
Einsamer Ort mit Bäumen und Stücken von verfallenen Gebäuden. Der Tiberstrom. In der Ferne der Berg Quirinal, auf dessen Spitze ein kleiner Tempel.
 
 
Erster Auftritt
 
 
Cecil, hernach Cinna.
 
 
Cecil
 
 
Ach Himmel! Mein Freund Cinna kommt noch nicht. Sein Ausbleiben bekümmert mich sehr. Wie ängstlich sind einem Augenblicke, in welchen man zwischen Furcht und Hoffnung schwebet! Ich zweifle… Doch nein… eben sehe ich ihn dort. Wie froh!
 
 
Cinna
 
 
Wie freuet mich, Cecil! dein Wiedersehen. Ich werde dir nun würklich Proben aufrichtiger Freundschaft geben können.
 
 
Cecil
 
 
Wie sehnlich erwartete ich deine Ankunft! Wie ängstlich fiel mir dein Verweilen! Traurige Gedanken setzten mich ganz in Verwirrung.
 
 
Cinna
 
 
Ich konnte ohnmöglich geschwinder wiederkommen. Du sollst alles erfahren.
 
 
Cecil
 
 
Zürne nur nicht. Du weißt, wie schmerzlich… Junia, ach meine geliebte Junia, darf ich sie noch so nennen? Erinnert sie sich noch ihres teuern Schwurs, mich ewig zu lieben?
 
 
Cinna
 
 
Sie beweinetwürklich deinen vermeintlichen Tod…
 
 
Cecil
 
 
Meinen Tod? Was hör ich? Wer unterstehet sich, solche Lügen auszustreuen?
 
 
Cinna
 
 
Silla, um dir ihr Herz zu entziehen.
 
 
Cecil
 
 
Auf, ich muss zu ihr.
 
 
Cinna
 
 
Um des Himmels Willen, nein! Weißt du nicht, dass ein Verwiesener bei Wiederbetreten der Todesstrafe schuldig seie?
 
 
Cecil
 
 
Wie soll ich aber Junia einem Ungerechten, einem Grausamen überlassen, um ein Leben, das mir ohne ihren Besitz verhasst ist, zu erhalten?
 
 
Cinna
 
 
Da, wo sie sich befindet, kannst du ohnmöglich zu ihr. Silla selbst hat sie bei sich.
 
 
Cecil
 
 
O Cinna! du hast wenig für mich getan.
 
 
Cinna
 
 
Was konnte ich allein ausrichten gegen einen, welcher die Gewalt in Händen hat?
 
 
Cecil
 
 
So ist dann alle Hoffnung verloren.
 
 
Cinna
 
 
Noch nicht alle. Ohnweit von hier befinden sich die Begräbnisse unserer Helden…
 
 
Cecil
 
 
Nun?
 
 
Cinna
 
 
Dahin begib dich auf diesem verborgenen Weg durch jene verfallene Gebäude.
 
 
Cecil
 
 
Und was darinnen machen?
 
 
Cinna
 
 
Solche stoßen an den Palast des Silla. Junia, in Gefolg ihrer Getreuen, pfleget sie oft zu besuchen, um der Asche ihres verstorbenen Vaters die letzte Pflicht und stille Tränen zu weihen. Dort wirst du heimlich mit ihr reden und deine beinahe erstorbene Hoffnung von Neuem wieder beleben können.
 
 
Cecil
 
 
O welch ein Glück!
 
 
Cinna
 
 
Ich indessen nebst noch einigen getreuen Freunden will anderswo für dich Wache halten. Verzage nicht. Vielleicht schenket heut der Himmel Rom die erwünschte Freiheit und dir deine geliebte Braut wieder.
 
     
 
    Eil, Junia winkt dir,
 
 
versäume keine Zeit:
 
 
Mein Herz weissaget mir
 
 
von deiner nahen Freud.
 
     
 
    Das Meer tobt auch nicht immer,
 
 
der Sturm lässt endlich nach:
 
 
Dann folgen Sonnenschimmer
 
 
und Stille auf den Schlag.
 
 
(geht ab)
 
 
Zweiter Auftritt
 
 
Cecil.
 
 
Cecil
 
 
So darf ich dann würklich hoffen, meine Junia wieder zu finden! Wie wird sie erstaunen und sich freuen. Mir dünkt, ich höre schon die süßen, die gewohnten Namen: Geliebter! Mein Leben! Welch angenehme Empfindungen, Vorboten größern Vergnügens! Fort, fort, dass ich zu ihr komme. Aller Hoffnung, alles Trostes beraubet, weinet sie vielleicht so eben über meinen ihr fälschlich berichteten Tod…
 
     
 
    Den süßen Augenblick,
 
 
getreuer Liebe Lohn,
 
 
malt mir, o welch ein Glück!
 
 
die innre Regung schon.
 
     
 
    Wie reizend, o wie groß,
 
 
muss solch Vergnügen sein,
 
 
wann der Gedanke bloß
 
 
davon schon kann erfreun.
 
 
(geht ab)
 
 

Zimmer der Junia mit Standbildern der berühmtesten römischen Frauen.
 
 
Dritter Auftritt
 
 
Silla, Celia, Aufid, Wache.
 
 
Silla
 
 
Dir, Celia! überlasse ich die Sorge für meine Ruhe. Bemühe dich, die eigensinnige Tochter des Marius zur Liebe gegen mich zu bewegen.
 
 
Celia
 
 
Ich war deswegen schon etliche mal an ihr. Sie wird auch wohl noch nachgeben.
 
 
Aufid
 
 
Mit guten Worten richtet man nichts bei dieser Spröden aus. Ein Diktator, den der ganze Erdkreis bewundert, – sollte dieser nicht andere Mittel haben?
 
 
Silla
 
 
Ja, man wird sich der Strenge bedienen müssen. Dann meiner Gütigkeit begegnet sie nur stets mit Undank und Verachtung. Sie soll und muss demnach noch heute mit mir vor den Altar; im widrigen Fall wird die morgende Sonne nicht mehr für sie scheinen.
 
 
Celia
 
 
Ach, mein Bruder! Welch eine unmenschliche Entschließung! Gewalt ist oftmals die verhasste Mutter schimpflichster Handlungen.
 
 
Silla
 
 
Und Undank allzeit das gröbste Laster.
 
 
Celia
 
 
Gebrauche die Mittel der Verstellung und Nachsicht. Die Liebe leidet keinen Zwang. Junia wird vor dich treten. Höre sie an. Vielleicht ändert sie ihren spröden Sinn.
 
 
Silla
 
 
Nun dann noch einmal den Weg der Güte. Sie komme; bezeige sich aber sanftmütiger, gelassener, den Wünschen des Silla gemäß, sonst wird ein beleidigter Diktator mit ihr sprechen.
 
 
Celia
 
 
Verlasse dich darauf, mein Bruder! Junia wird schon noch klüger werden. Eine heimliche Hoffnung unterhielt vielleicht bisher noch ihre eingewurzelte Liebe gegen Cecil. Diese wird mit jener verschwinden, wann ihr Liebster tot ist. Fahre indessen nur fort, ihr liebreich zu begegnen.
 
     
 
    Wann schmeichelhaftes Hoffen
 
 
den Liebenden gebricht,
 
 
dann steht das Herze offen,
 
 
man hält die Treue nicht.
 
     
 
    So wird's auch der ergehen,
 
 
die sich so spröd erzeigt:
 
 
Man wird in kurzem sehen,
 
 
wie sich ihr Herz erweicht.
 
 
(geht ab)
 
 
Vierter Auftritt
 
 
Silla, Aufid, Wache.
 
 
Aufid
 
 
Wie kann man, höchster Gebieter! dich noch größern Beleidigungen ausgesetzet sehen? Nur niedern Seelen ist dergleichen schimpfliches Bitten eigen. Silla, der Schrecken Asiens, der Überwinder des Hellesponts, der Schiedsrichter des Senats, dem ein Mithridat sich unterworfen, dieser große Silla wird so sich nicht herablassen?
 
 
Silla
 
 
Wann die Liebe dem Ruhme der Helden nachteilig ist, gewiss so bin ich der erste nicht, dem sie zur Schande gereichet. Aufid! ich habe mir die schöne Junia zur Gemahlin erwählet.
 
 
Aufid
 
 
Dort kommt sie. Auf ihrem Angesicht sind Eigensinn, Hass und Verzweiflung zu lesen.
 
 
Silla
 
 
Lass mich allein.
 
 
(Aufid geht ab.)
 
 
Fünfter Auftritt
 
 
Silla, Junia, Wache.
 
 
Silla
 
 
Noch immer traurig, Junia! Nicht einmal lustig? Seufzer anstatt der Antwort! Nachdenkend, bestürzt? Ach, entdecke die Ursache davon. Warum fliehest du meine Blicke?
 
 
Junia
 
 
Unmensch, weil du mir zuwider bist.
 
 
Silla
 
 
Dir zuwider? Es ist unglaublich, dass das schönste Herz von solchem hässlichen Eigensinn beherrschet werden könne. Hass und Liebe haben ihre Grenzen.
 
 
Junia
 
 
Die meinigen aber nicht. Ich werde den Cecil ewig lieben und den Silla ewig hassen, ja ewig, wann's möglich ist, auch im andern Leben.
 
 
Silla
 
 
Wüsste ich nur die geringste dir zugefügte Beleidigung, welche diesen Hass verdienen könnte! Junia, nachdem der Tod dir deinen Vater entrissen, nehme ich dich in meinen Schutz und erfülle an dir die heiligsten Pflichten der von uns so hochgeschätzten Gastfreiheit. Ist Silla ein Barbar?
 
 
Junia
 
 
Kann ich aber einem Todfeind von meinem Vater die eheliche Hand geben? Darf ich einen lieben, welcher meinen Cecil mit mehrern der würdigsten Römern im Elende sterben und verderben lassen? Nein. Ich muss vielmehr den teuern Schwur wiederholen, demselben auch im Tod getreu zu bleiben. In ihm verehre ich die Wahl meines Vaters. Hat das missgünstige Schicksal sein Leben verkürzet, um deine hässliche Liebe zu begünstigen, so wisse: Hier, hier in dieser Brust lebt er noch.
 
 
Silla
 
 
Liebe ihn nur, Übermütige! und verfluche mich als einen Tyrannen; aber vernimm auch, dass, wofern du deinen Eigensinn, deine alte Liebe und den Hass gegen mich nicht fallen lassen wirst, du dich nur gelassen bereiten könnest, deinem Vater und Bräutigam in das finstere Reich der Toden nachzufolgen. Ich lasse dir Zeit zu dieser Wahl.
 
 
Junia
 
 
Glaubst du durch dergleichen Drohungen die Tochter des großen Marius zu deinen niedern Absichten zu bewegen? Unmensch! so kennest du noch kein wahres römisches Herz: Gewiss so wird deine mich beleidigende Hoffnung am allerwenigsten erfüllet werden.
 
 
Silla
 
 
Weg mit solchen Gedanken, Junia! Überlege besser, was dir nützlich sein könne.
 
 
Junia
 
 
Mein Vorsatz ist unveränderlich, dem letzten Willen meines Vaters zu gehorchen. Er befahl mir, dich ewig zu verabscheuen, meinem Geliebten beständig getreu zu bleiben und dann getrost zu sterben.
 
     
 
    Aus dem finstern Todestal
 
 
kommt alsdann im schnellem Flug,
 
 
liebster Vater und Gemahl!
 
 
nehmt den letzten Atemzug.
 
 
    Ha, Barbar! Du rasest, fluchest:
 
 
Nur Gedult, noch größre Pein,
 
 
die, Tyrann! du selbsten suchest,
 
 
wird stets deine Folter sein.
 
     
 
    Mich von dir getrennt zu wissen
 
 
ist hernach mein größtes Glück,
 
 
da du in Gewissensbissen
 
 
bleibst indessen hier zurück.
 
 
(geht ab)
 
 
Sechster Auftritt
 
 
Silla, Wache.
 
 
Silla
 
 
Wie konnte ich diese verwegene Reden so gedultig anhören? Welche Verachtung, welche Beleidigung von einem tollkühnen Frauenzimmer! Erröte, Silla, über deine Schwachheit. Aus dir sei nun alle Liebe verbannet. Die Strafbare soll meinen Zorn empfinden. An ihr will ich die erste Grausamkeit heut ausüben.
 
 
Silla
 
     
 
    Ja, mich verlanget nun nach Tod und Rach,
 
 
entflammt ist meine Brust von Zorn und Wut.
 
 
Die Seele, die vorhin so weich und schwach,
 
 
wie sehr, wie sehr dürst't solche nun nach Blut.
 
     
 
    Im letzten Augenblick,
 
 
wann sich ihr Ende naht,
 
 
geht sie in sich zurück,
 
 
bitt't sie vielleicht um Gnad:
 
 
Dann will ich auch nicht hören,
 
 
an Tränen mich nicht kehren.
 
 
(geht ab)
 
 

Ein dunkler Begräbnisort mit Denkmalen römischer Helden.
 
 
Siebenter Auftritt
 
 
Cecil allein.
 
 
Cecil
 
 
Tod, schrecklicher Tod! Welch eine Menge Opfer deiner gräulichen Wut hier in diesen kühlen Gräbern! Helden, Regenten, denen der Erdkreis zu klein war, umschließet nun ein enger Marmor. Welch ein Lärmen, welch ein Getös ehdessen bei Bewunderung ihrer Taten; hier nun um sie herum eine schauervolle Stille. Mein Gott! Wer kommt… Junia… meine Geliebte… Ach, nicht allein… Wo verberg ich mich… Wie schlägt mein Herz… Welch ein Vergnügen… Soll ich gehen oder bleiben? Hier hinter diese Urne…
 
 
(Er stellt sich hinter die Urne des Marius.)
 
 
Achter Auftritt
 
 
Junia mit ihrem Gefolg.
 
 
Chor
 
     
 
    Hebt euch, großer Römer Seelen!
 
 
Hebet euch aus diesen Höhlen:
 
 
Rächt die Freiheit unsrer Stadt,
 
 
die man ihr geraubet hat.
 
 
Junia
 
     
 
    Schatten dessen, den ich liebte,
 
 
stets verehrte, nie betrübte
 
 
Vaters-Schatten! Hör mein Klagen,
 
 
hör was diese Seufzer sagen.
 
 
Chor
 
     
 
    Den Tyrann, den Rom verflucht,
 
 
das er zu verderben suchet,
 
 
diesen stürze man vom Thron;
 
 
so empfängt er seinen Lohn.
 
 
Junia
 
 
Ja, dieser grausame Silla, o Vater! war auch jederzeit dein Todfeind. Ich, deine Tochter, werde solches, so lange römisches Blut in meinen Adern wallet, nicht vergessen. Auch dich, geliebten Schatten meines erblassten Cecil! auch dich rufe ich um Hilfe an. Ach, was ist mir ein Leben ohne dich…
 
 
Neunter Auftritt
 
 
Cecil und Vorige.
 
 
Cecil
 
 
Ohne mich, Geliebte!
 
 
Junia
 
 
Himmel! Wen sehe ich? Bist du es? Träume ich, oder täuschen mich meine Augen? Ach, soll ich trauen? Bist du würklich
 
 
Cecil
 
 
…dein Getreuer.
 
 
Junia
 
     
 
    Willst du mich ins Elisäum holen,
 
 
angenehmer Schatten meines Lichts?
 
 
Schon hab ich dem Himmel mich empfohlen.
 
 
Will er – ohne ihn geschiehet nichts.
 
 
Cecil
 
     
 
    Liebstes Leben! Treuer Seelenschatz!
 
 
Nur in deinem Angesicht allein,
 
 
find ich Elisäums schönen Platz,
 
 
wahre Treue, keinen leeren Schein.
 
 
Junia
 
     
 
    So bist du dannwürklich am Leben?
 
 
Cecil
 
 
Ja, Liebste! ganz dir noch ergeben.
 
 
Beide
 
 
Nun mindern sich Trauren und Leid.
 
 
Nun fühl ich Vergnügen und Freud.
 
 
Junia
 
     
 
    Süße Hoffnung!
 
 
Cecil
 
 
Meine Lust!
 
 
Beide
 
     
 
    Hier in dieser treuen Brust,
 
 
ist dein Name eingeschrieben.|wird dich stets mein Herze lieben.
 
 
 
 
Wir weinen beide,
 
 
das zeiget an,
 
 
dass man für Freude
 
 
auch weinen kann.
 
 
(Sie gehen ab.)
 
 
Ende der ersten Abhandlung.