SZENE VI
 
 
Silla und Wachen.
 
 
Rezitativ
 
 
Silla
 
 
Kann ich
 
 
so vermessene Beschimpfungen erdulden? So viel Beleidigung
 
 
erschüttert diese Seele nicht? Wodurch ist sie
 
 
in solcher Weise töricht? Ein Herrscher,
 
 
der so sehr beleidigt und verachtet wird
 
 
von einer verwegenen, tollkühnen Frau?…
 
 
Und doch… o, ich erröte… und doch gefällt sie mir!
 
 
Accompagnato
 
 
Gefällt sie mir?
 
 
Errötet Silla in seinem Herzen
 
 
nicht ob seiner Schwäche?
 
 
Gefühle sollen schweigen und die Stolze sterben!
 
 
Wer mich nicht lieben will,
 
 
der fürchte meinen Zorn.
 
 
Soll sie mich grausam nennen, missachten
 
 
meine Hand, mein Herz, mein Fühlen!
 
 
Von heute an
 
 
bin ich für sie Tyrann.
 
 
Nr. 5 Arie
 
 
Silla
 
     
 
    Der Wunsch nach Rache und nach Tod
 
 
entflammt mich und erregt die Brust,
 
 
so dass in dieser Seele jede Neigung,
 
 
die verschmäht wird, sich in Wut verwandelt.
 
     
 
    Zuletzt vielleicht
 
 
in diesem unheilvollen Ringen
 
 
wirst du um dein Leben flehen;
 
 
vergeblich wird dein Weinen dann
 
 
und umsonst wird dein Kummer sein.
 
 
(Er geht mit den Wachen ab.)
 
 

Begräbnisstätte, sehr dunkel, mit prächtigen Monumenten der Helden Roms.
 
 
SZENE VII
 
 
Cecilio allein.
 
 
Accompagnato
 
 
Cecilio
 
 
Tod, unheilvoller Tod. Die Taten deiner Hand
 
 
liegen hier in diesen
 
 
eisigen Grüften. Helden, Fürsten, Herrscher,
 
 
die Länder einst verwüstet haben,
 
 
bedeckt der enge Marmor, schließt sie ein.
 
 
Im Widerhall von aberhundert Kehlen
 
 
setzten ihre Taten einst die Welt in Staunen.
 
 
Nun umhüllt sie schweigend tiefer Schauer.
 
 
Götter!… Doch wer naht sich hier?
 
 
Giunia?… Die liebe Braut?… Doch nicht allein;
 
 
ich werde mich verstecken… aber wo? O Himmel!
 
 
Welch ein Pochen in der Brust!… O welche Freude!…
 
 
Was soll ich tun?
 
 
Gehen… oder bleiben?… Himmel!
 
 
Hinter dieser Urne versteck ich mich und schöpfe Atem.
 
 
(Er versteckt sich hinter der Urne des Marius.)
 
 
SZENE VIII
 
 
Zum folgenden Trauergesang naht Giunia, gefolgt von Mädchen und Edelleuten.
 
 
Nr. 6 Chor
 
 
Chor
 
     
 
    Aus diesen düsteren Urnen
 
 
tretet nun hervor, ehrwürdige Seelen,
 
 
und rächt voll Zorn
 
 
die Freiheit Roms.
 
 
Giunia
 
     
 
    Bist du um mich,
 
 
o teurer Schatten meines Vaters,
 
 
dann sollen meine Seufzer, meine Tränen
 
 
dich zu Mitleid rühren.
 
 
Chor
 
     
 
    Der Stolze, der am Kapitol
 
 
die Zügel Roms an sich gerissen hat,
 
 
sei heute noch vom Thron gestürzt,
 
 
als Beispiel allen Zeiten.
 
 
Accompagnato
 
 
Giunia
 
 
Da dem verruchten Silla
 
 
stets dein Hass gegolten hat, als du noch lebtest, Vater,
 
 
und Giunia deine Tochter ist,
 
 
da Römerblut in ihren Adern fließt,
 
 
kommt sie zu deinem Grab und fleht.
 
 
Auch du, verehrter Schatten
 
 
des verlorenen Geliebten, komm,
 
 
um deiner treuen Braut zu helfen. Fern von dir,
 
 
hasst sie die trübe Luft
 
 
des bitteren Lebens…
 
 
SZENE IX
 
 
Cecilio und die Vorige.
 
 
Cecilio
 
 
Hier bin ich, o Geliebte.
 
 
Giunia
 
 
Himmel!… Ich zittere!… Was sehe ich?
 
 
Du?… Phantasiere ich vielleicht?…
 
 
Ein Schatten vielleicht, oder doch du selber?… O Götter!
 
 
Täuschst du mich, mein Augenlicht?…
 
 
Ach, noch weiß ich nicht, ob ich mich dieser süßen
 
 
Illusion hingeben kann!…
 
 
Also… bist du es?…
 
 
Cecilio
 
 
Dein Treuer bin ich.
 
 
Nr. 7 Duett
 
 
Giunia
 
     
 
    Im Elysium erwarte mich,
 
 
Schatten des Geliebten,
 
 
dass, o Gott, der Himmel mich bald
 
 
mit dir vereine.
 
 
Cecilio
 
     
 
    Innig geliebte, treue Braut,
 
 
in deinem lieben Antlitz nur
 
 
findet diese treue Seele
 
 
das süße Elysium wieder.
 
 
Giunia
 
     
 
    Mein Bräutigam… O Götter! Und du atmest noch?
 
 
Cecilio
 
 
Ganz in Treue, ganz in Liebe.
 
 
Giunia, Cecilio
 
 
Glücklich meine Seufzer,
 
 
glücklich meine Leiden.
 
 
(Sie fassen sich an den Händen.)
 
 
Giunia
 
     
 
    Meine Hoffnung!
 
 
Cecilio
 
 
Meine Liebste!
 
 
Giunia, Cecilio
 
     
 
    Nun, an deinem Herzen,
 
 
Liebster|Liebste,
 
 
lehrt mich das Nass
 
 
in meinen Augen,
 
 
dass auch die Freude
 
 
ihre Tränen hat.
 
 
(Sie gehen ab.)
 
 
Ende des ersten Aktes.