SZENE V
 
 
Giunia allein.
 
 
Accompagnato
 
 
Giunia
 
 
Mein Bräutigam… mein Leben… Ach, wohin…
 
 
wohin gehst du?
 
 
Ich folge nicht? Und wer hält
 
 
meinen Schritt zurück? Wer kann mir sagen?…
 
 
Nichts ist um mich
 
 
als Schreck und Stille hier! Der Himmel selbst
 
 
hört mich nicht mehr, hat mich verlassen.
 
 
Vielleicht entflieht die Seele meines Liebsten schon,
 
 
fließt das Blut aus offenen Adern
 
 
und verströmt sein Leben…
 
 
Eh' er stirbt,
 
 
will ich mein Leben aushauchen
 
 
auf der bleichen Hülle… Was zögere ich?
 
 
Warum bleib ich noch hier, verzweifelt?
 
 
Ich höre − oder scheint es mir nur so? −
 
 
den matten Klang der schwachen Stimme,
 
 
die mich zu sich ruft. Ach, Liebster!
 
 
Wenn dies die letzten Seufzer
 
 
deiner Lippen sind,
 
 
so laufe ich und fliege, dort zu fallen, wo du fielst.
 
 
Nr. 22 Arie
 
 
Giunia
 
     
 
    In den düstersten Gedanken an den Tod
 
 
glaub ich den Gefährten schon entseelt zu sehen,
 
 
wie er mit eisiger Hand auf seine Wunde weist,
 
 
rauchend noch vom Blut,
 
 
und zu mir sagt: "Was zögerst du zu sterben?"
 
     
 
    Ich wanke schon, verlösche, sterbe.
 
 
Und eilig folge ich dem Schatten
 
 
des angebeteten, dahingeschiedenen Bräutigams.
 
 
(Ab.)
 
 

Halle.
 
 
SZENE VI
 
 
Silla, Cinna, Celia, Senatoren, Volk und Wachen.
 
 
Rezitativ
 
 
Silla
 
 
Genug, Celia und Cinna. Rom und der Senat
 
 
sollen Richter sein
 
 
über meine Rechte und die Verbrechen anderer.
 
 
Cinna
 
 
Cecilios Leben
 
 
kann dir nützlich sein,
 
 
mehr als du denkst.
 
 
Celia
 
 
Deine Lebenstage…
 
 
Giunia in Verzweiflung…
 
 
ihr Gefährte tot geglaubt und ihren Armen nun gegeben…
 
 
Silla
 
 
Ich weiß, dass man mich immer mehr dem allgemeinen Hasse ausgeliefert hat.
 
 
Doch ein Diktator, der betrogen wurde,
 
 
will Rache, und er wird sie haben. Müde bin ich,
 
 
stets zu fürchten und zu zittern.
 
 
Das ungewisse und bewegte Leben,
 
 
voll von bitteren Schrecken,
 
 
ist ein Leben, um in jedem Augenblick zu sterben.
 
 
Celia
 
 
Ach, du hoffst vergeblich, wenn du hoffst,
 
 
Sicherheit und Ruhe
 
 
durch blutige Zerstörung zu finden.
 
 
Cinna
 
 
Die wutentbrannte Giunia
 
 
wirst du mit ihren Tränen und Klagen
 
 
die Straßen füllen sehen.
 
 
In der Brust der Feinde,
 
 
könnten diese Tränen,
 
 
die an ihren Wimpern hängen, wecken…
 
 
Silla
 
 
Besser, als du denkst, erkenn ich die Gefahr.
 
 
Wie Liebe, Rache, Ruhm,
 
 
Zorn und Furcht mein Herz bestürmen, fühle ich.
 
 
Sie kämpfen
 
 
um die Vorherrschaft. Liebe lockt
 
 
und schadet meinem Ruhm. Zorn entflammt mich,
 
 
eisig fasst mich kalte Furcht.
 
 
Die Rache spornt mich an und droht mir auch.
 
 
Wilden Empfindungen zur Beute
 
 
und zur Verteidigung bereit,
 
 
ist Sillas Herz besiegt nun oder Sieger?
 
 
Entscheiden möge
 
 
die erhabene Tat am Ende,
 
 
ob des Ruhmes Lorbeer ich verdiene,
 
 
der meine Stirn umkränzt.
 
 
Rom und die Welt will ich als Richter.
 
 
SZENE VII
 
 
Giunia mit Wachen und die Vorigen.
 
 
Rezitativ
 
 
Giunia
 
 
Feige Seele, was forderst du von Giunia?
 
 
Was willst du? Dulden Rom und der Senat
 
 
einen nichtswürdigen Verräter,
 
 
fühllos, stumpf in solchem Maße?
 
 
Patrizier und Senatoren,
 
 
Rache und Mitleid verlange ich von euch! Um Mitleid fleht
 
 
die unglückselige Braut, und Rache will sie
 
 
für den entseelten Schatten eines Bürgers, des Gefährten,
 
 
der noch in seinem Blute liegt.
 
 
Silla
 
 
Beruhige den Zorn und trockne deine schöne Wimper.
 
 
Unnütz sind die Tränen
 
 
und umsonst die Raserei. Zeugin meiner Grausamkeit,
 
 
meiner Verbrechen
 
 
sollst du sein, und Sillas Herz
 
 
wirst du an dieser Stätte kennenlernen.
 
 
LETZTE SZENE
 
 
Cecilio, Aufidio, Wachen und die Vorigen.
 
 
Rezitativ
 
 
Giunia
 
 
(Mein Bräutigam?)
 
 
Cinna
 
 
(Was sehe ich?)
 
 
Celia
 
 
(Was für ein Geheimnis?)
 
 
Cecilio
 
 
(Was ist?)
 
 
Silla
 
 
Rom, Volk und Senat,
 
 
so hört mich an. Ich führe einen Bürger vor,
 
 
der geächtet ist
 
 
und der es heimlich wagte, das Gesetz zu brechen.
 
 
Er, der bewaffnet mit dem Schwert,
 
 
versucht hat, neben meinen Wachen am Kapitol
 
 
den Herrscher zu ermorden,
 
 
sucht keine Gnade, vielmehr fürchtet er mich nicht,
 
 
beschimpft mich und verachtet mich. Dies ist der Augenblick,
 
 
der über ihn entscheidet. Silla übt
 
 
die Macht hier aus, die Rom
 
 
seinen Armen anvertraute. Giunia, höre
 
 
und beschimpfe mich, wenn sie es kann. Der verruchte Silla,
 
 
der hochmütige Tyrann, den alle hassen,
 
 
will, dass Cecilio lebe und dein Gatte sei.
 
 
(Er zeigt ihn Giunia.)
 
 
Giunia
 
 
Und das ist wahr?… Mein Leben…
 
 
Cecilio
 
 
Treue Braut… welch eine Freude…
 
 
welch ein Wandel ist das?
 
 
Aufidio
 
 
(Was ist geschehen?)
 
 
Celia
 
 
(Lob den Göttern!)
 
 
Cinna
 
 
(Voll Staunen steh ich da.)
 
 
Silla
 
 
Patrizier und Senatoren. Ich will, dass alle,
 
 
deren Namen dieses Blatt enthält −
 
 
(Er zeigt einem Senator das Blatt.)
 
 
es sind die Namen
 
 
der verbannten Bürger −
 
 
zur heimatlichen Schwelle wiederkehren.
 
 
Cecilio
 
 
Wie bist du nun des hohen Glanzes würdig,
 
 
der dich umgibt.
 
 
Giunia
 
 
Dich zu bewundern, siehst du endlich mich gezwungen.
 
 
Aufidio
 
 
(Ach, meinen sicheren Untergang
 
 
sehe ich voraus.)
 
 
Silla
 
 
Mitten
 
 
in der allgemeinen Freude und bei so viel Lob,
 
 
das alle Silla ehrlich spenden,
 
 
weshalb ist Cinna nur von mir getrennt?
 
 
Er seufzt und schweigt,
 
 
verstrickt in düstere Gedanken?
 
 
(Will ihn umarmen.)
 
 
Treuer Freund…
 
 
Cinna
 
 
Ach, lass es doch,
 
 
mich so zu nennen. Du sollst wissen, dass ich allzeit
 
 
den wildesten Hass gegen dich
 
 
in meinem Herzen verborgen habe. Durch mein Werk
 
 
ist Cecilio zurückgekehrt nach Rom. Ich lief zum Kapitol,
 
 
dich zu durchbohren, und bewaffnete, nicht fern,
 
 
die Hand von hundert Wagemutigen.
 
 
Den Zwist entfachte ich allein.
 
 
Ich war die Gefahr für dich…
 
 
Silla
 
 
Genug hast du gesagt, und alles habe ich verstanden.
 
 
Celia
 
 
(Süße Hoffnung, lebe wohl.)
 
 
Silla
 
 
Nun fühlst du die Strafe
 
 
jedes versteckten Ränkespiels:
 
 
Celia, meine Schwester, werde deine Frau.
 
 
Giunia
 
 
(Welche Tugend!)
 
 
Cecilio
 
 
(Welch großmütiges Herz!)
 
 
Cinna
 
 
Gerechter Himmel,
 
 
Schamröte brennt auf meinem Angesicht.
 
 
Wie kann ich…
 
 
Silla
 
 
Die Gewissensqual ist mir genug. Ich vergesse alles.
 
 
Celia
 
 
(Wie froh bin ich!)
 
 
(Zu Cinna.)
 
 
Ach, belohne nun
 
 
meine beständige Liebe. Zeige dich
 
 
der Gnade, der Tugend
 
 
und seines menschlichen Herzens würdig…
 
 
Cinna
 
 
Meine Hand.
 
 
Silla
 
 
Welcher meiner Siege
 
 
könnte diesem gleichen, ewige Götter?
 
 
Aufidio
 
 
Lass mich zu deinen Füßen
 
 
Gnade von dir erflehen. Meinen Rat,
 
 
das schmeichlerische Lob
 
 
bereue ich nun…
 
 
Silla
 
 
Erhebe dich, Aufidio. Ich verzeihe dir.
 
 
So werde nun das hohe Werk
 
 
von mir gekrönt. Freunde, Römer!
 
 
Von meinem Haupte nehme ich
 
 
den sieggewohnten, ehrenvollen Lorbeer:
 
 
Nicht Herrscher bin ich mehr, ich bin euresgleichen.
 
 
(Er legt den Lorbeerkranz nieder.)
 
 
Die Freiheit sei dem Vaterlande
 
 
hier gegeben. Der Bürger Tränen
 
 
sollen nun getrocknet sein. Ach nein. Das höchste Gut
 
 
ist nicht die irdische Größe. Mutter ist sie nur
 
 
von Kummer, Angst,
 
 
Betrug, Verrat. Führt sie doch
 
 
den blinden Sterblichen eher ab vom Weg
 
 
des Mitleids und des Rechts.
 
 
Aus eigener Erfahrung weiß ich es,
 
 
dass Unschuld und des Herzens Tugend
 
 
der Seele willkommener sind
 
 
als trügerischer Glanz.
 
 
Nr. 23 Finale mit Chor [Ciaccona]
 
 
Chor
 
     
 
    Der große Silla.
 
 
Rom schöpft neuen Atem nun durch ihn.
 
 
Jeden Ruhm und jedes Lob
 
 
hat er heute übertroffen.
 
 
Giunia, Cecilio
 
     
 
    Was für ihn ein herbes Los,
 
 
ist für mich Glückseligkeit.
 
 
Cinna, Silla
 
     
 
    Die Freiheit Roms
 
 
zerreißt die Fesseln.
 
 
Chor
 
     
 
    Der große Silla.
 
 
Jeden Ruhm und jedes Lob hat er heute übertroffen.
 
 
Giunia, Cecilio, [Celia], Cinna, Silla, [Aufidio]
 
     
 
    Tugend und Barmherzigkeit
 
 
siegten über niedere Triebe.
 
 
Silla, [Aufidio]
 
     
 
    Das eigene Herz zu überwinden,
 
 
welcher Sieg kommt diesem gleich?
 
 
Chor
 
     
 
    Es jubelt Rom am Kapitol
 
 
froh und freudig Silla zu.
 
 
Jeden Ruhm und jedes Lob
 
 
hat er heute übertroffen.
 
 
Ende der Oper.