SZENE XI
 
 
Giunia allein.
 
 
Accompagnato
 
 
Giunia
 
 
Oh, wie ist die Angst gewachsen
 
 
in einem Augenblick!
 
 
Ist es meines Unglücks
 
 
düstere Ahnung? Der Bräutigam ist, unbedacht,
 
 
dem Blick des niederträchtigen Tyrannen
 
 
vielleicht nicht mehr verborgen.
 
 
Zum Tod
 
 
hat er ihn schon verurteilt. Was soll ich tun in meiner Angst,
 
 
in meinem Schmerz?
 
 
Was denke ich?… Ich Elende! Ich zittere.
 
 
Ach nein, kein Zögern mehr.
 
 
Ich will vor den Senat. Zu seinen Füßen
 
 
will ich für den Liebsten
 
 
um Gnade und um Mitleid flehen. Verweigert er sie,
 
 
dann muss man den Himmel anrufen. Wenn der Himmel heute
 
 
das Ende des Geliebten vorgezeichnet hat,
 
 
so soll, wer ihn durchbohrt, auch mich durchbohren.
 
 
Nr. 16 Arie
 
 
Giunia
 
     
 
    Ich gehe, ich eile;
 
 
doch bricht mein Herz dabei, die Seele schwindet hin.
 
 
Nah fühl ich den Tod und kann nicht sterben;
 
 
ich tobe und erstarre, weine und quäle mich.
 
 
Ach, wenn ich doch
 
 
in solcher Qual nur sterben könnte!
 
     
 
    Doch mein tiefer Schmerz,
 
 
der um den Liebsten mich bedrückt,
 
 
macht an einem solchen Tag
 
 
barmherzig selbst den Tod.
 
 
(Ab.)
 
 

Kapitol.
 
 
SZENE XII
 
 
Silla und Aufidio treten auf, gefolgt von Senatoren, Volk und Bewaffneten unter dem freudigen Singen des nun folgenden Chores.
 
 
Nr. 17 Chor
 
 
Chor
 
     
 
    Wie Ruhm dein Haupt umkränzt,
 
 
tausend Heeren gegenüber,
 
 
so kröne jetzt die Liebe
 
 
deine Stirn, die Furcht gebietet.
 
 
Teil des Chors
 
     
 
    Der unbesiegte Arm umfange
 
 
sie, die du verehrst.
 
 
Der ganze Chor
 
     
 
    Und Myrthe sei geflochten
 
 
in den Lorbeerkranz des Kriegers.
 
 
Giunia tritt auf zwischen den Senatoren.
 
 
Rezitativ
 
 
Silla
 
 
Patrizier und Senatoren! Ich, der sich für Rom geschlagen hat,
 
 
ich, der für Rom gesiegt,
 
 
ich, der des Bürgerzwistes Fackel
 
 
durch seinen Ruhm erstickte, ich, der durch sein Verdienst den Frieden
 
 
nun regieren sieht am Tiber,
 
 
verlange einen Preis für meine Mühen.
 
 
Giunia
 
 
(Ewige Götter, steht mir bei!)
 
 
Silla
 
 
Nicht vergessen ist
 
 
der alte, unheilvolle Hass
 
 
zwischen Marius und Silla. An diesem Tage
 
 
streiche ich ihn ganz aus der Erinnerung. Ein heiliges Band
 
 
vereine mich mit seiner Tochter. Das süße Band
 
 
besänftige des Vaters Schatten. Ein Herrscher
 
 
und ein Bürger sucht keinen andern Preis für seine Mühen,
 
 
trotz des Lorbeers und des Ruhms.
 
 
Giunia
 
 
(Der Senat, er schweigt und stimmt mit seinem Schweigen
 
 
dem Willen des Tyrannen zu.)
 
 
Silla
 
 
Senatoren,
 
 
das allgemeine Einverständnis
 
 
sehe ich schon in den Gesichtern ausgedrückt.
 
 
Die frohen Rufe, die ich ringsum schallen höre,
 
 
sind ein sicheres Zeichen für die öffentliche Meinung.
 
 
Folge mir nun zum Traualtar…
 
 
Giunia
 
 
Nichtswürdiger! Hinweg!
 
 
Zu solcher Feigheit lässt sich
 
 
Rom und der Senat herbei? Törichte, beleidigende
 
 
Angst zwingt ihn, der schändlichen Gewalt
 
 
des Frevlers zu willfahren? Dass hier
 
 
auch nicht einer ist, dessen Brust
 
 
ein Römerherz umschließt…
 
 
Silla
 
 
Schweig. Sei klüger, reich mir deine Hand.
 
 
Aufidio
 
 
Durch meinen Mund
 
 
verlangt es so das ganze Volk von dir.
 
 
Silla
 
 
Also folge mir…
 
 
Giunia
 
 
(Sie will sich erdolchen.)
 
 
Komm mir nicht zu nahe!
 
 
Sonst stoße ich mir dieses Eisen in die Brust.
 
 
Silla
 
 
Der Stolzen
 
 
nehme man den Stahl. Und meinem Willen soll sie folgen.
 
 
SZENE XIII
 
 
Cecilio, mit bloßem Schwert, und die Vorigen.
 
 
Rezitativ
 
 
Cecilio
 
 
Liebste, fürchte nichts.
 
 
Silla
 
 
(Wen sehe ich?)
 
 
Giunia
 
 
(O Gott!)
 
 
Aufidio
 
 
(Cecilio?)
 
 
Silla
 
 
Auf diese Weise
 
 
wurde ich von euch betrogen? Gegen mein Verbot
 
 
und dem Gesetz zum Trotz
 
 
kehrt Cecilio zurück und wagt es nun, mit Giunia vereint,
 
 
zu trachten nach dem Leben des Diktators?
 
 
Man binde den Verwegenen!
 
 
Giunia
 
 
(Unbesonnener!)
 
 
Herr…
 
 
Silla
 
 
Schweig! Nichtswürdige!
 
 
Ich fühle nur noch meinen Zorn.
 
 
(Zu Cecilio.)
 
 
Mit der neuen Sonne,
 
 
o Verräter, wirst du sterben.
 
 
SZENE XIV
 
 
Cinna, mit bloßem Schwert, und die Vorigen.
 
 
Rezitativ
 
 
Silla
 
 
Wie? Bewaffnet mit dem Schwert,
 
 
verwirrt und unentschlossen,
 
 
Cinna, du?…
 
 
Cinna
 
 
(O Himmel! Alles ist verloren.
 
 
Irgendeinen Ausweg muss ich suchen
 
 
aus der verhängnisvollen Lage.) Zu meiner Überraschung
 
 
habe ich gesehen, wie Cecilio, mit bloßem Schwerte,
 
 
durch die Scharen
 
 
einen Weg sich bahnte. Die drohenden
 
 
und stolzen Augen, seine Wut
 
 
ließen mich Verrat befürchten.
 
 
Dich vor dieser Mörderhand zu schützen und zu retten,
 
 
kam ich her.
 
 
Silla
 
 
Ach geh, mein Freund, um aufzudecken,
 
 
ob auch noch andere Verräter…
 
 
Cinna
 
 
Verlass dich nur auf meine Treue,
 
 
Herr, und fürchte nichts.
 
 
(Fast habe ich die Fassung bei dem Aufeinanderprall verloren.)
 
 
(Ab.)
 
 
Silla
 
 
Den Verräter hier
 
 
entwaffne man, Aufidio!
 
 
Giunia
 
 
Haltet ein, o Gott!
 
 
Cecilio
 
 
Solang der Stahl mir bleibt,
 
 
weiß ich, wie ich dich zittern lassen kann.
 
 
Silla
 
 
So weit reicht
 
 
dein Übermut?
 
 
Giunia
 
 
(O Götter!)
 
 
Silla
 
 
Übergib die Waffe,
 
 
oder ich…
 
 
Cecilio
 
 
Vergeblich hoffst du das.
 
 
Giunia
 
 
Übergib sie, Teurer.
 
 
Cecilio
 
 
Feig zu sein lehrt mich
 
 
meine Braut?
 
 
Giunia
 
 
Widersetze dich doch nicht!
 
 
Cecilio
 
 
Und das willst du?…
 
 
Giunia
 
 
Die Beweise für dein zartes Fühlen
 
 
will ich.
 
 
Cecilio
 
 
Muss ich?…
 
 
Giunia
 
 
Du musst dich
 
 
meiner Treue und der Gunst des Himmels
 
 
anvertrauen und hoffen. Wenn du Zweifel zeigst, mein Liebster,
 
 
beleidigst du die Braut
 
 
und die gerechten Götter.
 
 
Cecilio
 
 
(Ich zittere vor Wut.)
 
 
(Zu Giunia.)
 
 
Du sollst zufrieden sein.
 
 
(Er wirft das Schwert weg.)
 
 
Nimm! − Barbar!
 
 
Silla
 
 
In das finsterste Gefängnis
 
 
werfe man den Schuldigen.
 
 
Ein wenig noch
 
 
werde ich die verbotene Luft
 
 
dich atmen lassen.
 
 
In Fesseln
 
 
wirst auch du, lügnerische Frau,
 
 
den Betrug bereuen.
 
 
Nr. 18 Terzett
 
 
Silla
 
     
 
    Demütigen kann ich heute
 
 
diesen wilden Stolz.
 
 
Cecilio
 
     
 
    Hoffe das nicht, Nichtswürdiger!
 
 
Ich werde stets derselbe sein.
 
 
Giunia
 
     
 
    Hier, mein Bräutigam, ein Pfand,
 
 
dass ich an deiner Seite sterben werde.
 
 
Silla
 
     
 
    Eure frevlerische Hand
 
 
verdient nur Ketten.
 
 
Giunia, Cecilio
 
     
 
    Wenn mich der|die Geliebte liebt,
 
 
geh ich froh ans Sterben.
 
 
a tre
 
 
Silla
 
     
 
    Diese unerschrockene Beständigkeit,
 
 
diese treue Liebe
 
 
zerreißen und verbrennen
 
 
mir das Herz.
 
 
Giunia, Cecilio,
 
     
 
    Meine unerschrockene Beständigkeit,
 
 
meine treue Liebe
 
 
trösten süß das Herz,
 
 
lassen mich nichts fürchten.
 
 
 
 
Ende des zweiten Aktes.