Zweiter Teil
 
 
Der laue Christ mit dem von dem Christengeist vorhin ihme behändigten Blatt in der Hand. Beiseits der Christengeist als ein Gärtner, welcher die Bäume besorget.
 
 
Christ
 
     
 
    Himmel! Hölle! Mordgeschicke!
 
 
haltet euren Gram zurücke,
 
 
doch – erfüllet eure Lust:
 
 
Schlagt mit Donner, Hagel, Flammen
 
 
meines Leibes Bau zusammen,
 
 
teilt in Stücke meine Brust.
 
     
 
    Himmel etc.
 
 
Christengeist
 
 
(abseits)
 
 
(Hilf mir, o Gott! doch hier bewerken
 
 
als Gärtner, was ich dort zu enden als ein Arzt
 
 
verhindert war von dem Verführergeist,
 
 
der nur die Sterblichen der Seelenruh beraubt
 
 
und statt versprochner Lust mit Unvergnügen speist, 26Liber Proverbiorum, cap. 14, v. 13: "Risus dolore miscebitur, et extrema gaudii luctus occupat."
 
 
der annoch laue Mensch erfuhr es in der Tat.
 
 
Du kennest seine Schwäche,
 
 
du weißt, dass er verwirrt des Trostes nötig hat:
 
 
Mich rühren seine Klagen.
 
 
Mein Sinn! befleiße dich, zu heben seine Plagen!)
 
 
Christ
 
 
(für sich)
 
 
(Verfluchter Rat! umsonst gesuchter Menschen Trost,
 
 
der meinen Schrecken tilgen
 
 
und auf das Neu mein Herze sollt erquicken!
 
 
War dieses nur vorhin von Forcht allein beschwert,
 
 
so wollen jetzt Verdruss, Gram, Hass und Eifersucht
 
 
dasselbe gar erdrücken.
 
 
Ach! Ehre, Liebste, Geld, Freund, alles ist dahin.)
 
 
Christengeist
 
 
(für sich)
 
 
(Ich hoffe, der Verlurst erzeuge den Gewinn,
 
 
denn solche Fälle lässt der Himmel
 
 
dem Menschen nur zu gut geschehn,
 
 
damit er so, der Torheit überzeuget,
 
 
den Weg der Weisheit sollte gehn.) 27Liber Iob, cap. 5, v. 18: "Quia ipse vulnerat, et medetur: percutit, et manus eius sanabunt."
 
 
Christ
 
 
(Sogar das schnöde Blatt, worauf ich noch gehofft,
 
 
ist nur ein Wachstum meiner Sorgen,
 
 
ein Schimpf und ein Betrug gewesen.
 
 
Ich glaubte ganz gewiss, zu meiner Lebensruh
 
 
und der Gesundheit Wert die Wunderkraft zu lesen,
 
 
so da ein Auszug sollte sein
 
 
von dem, was die Natur Geheim' und Seltnes hat
 
 
an köstlichen Metall, an Wurzel, Kraut und Stein,
 
 
stattdessen find ich nur geschrieben:
 
 
"Du sollst Gott, / deinen Herrn, aus ganzem Herzen, /
 
 
aus ganzer Seel, / aus allen Kräften lieben."
 
 
Was wollen diese Worte? – – –)
 
 
Christengeist
 
 
(O Blindheit dieser Welt, die nicht erkennt
 
 
des Geistes Licht, so von dem Öl der Liebe brennt!) 28Epistola Pauli ad Corinthios I, cap. 2, v. 14: "Animalis autem homo non percipit ea, quæ sunt Spiritus Dei: stultitia enim est illi, et non potest intelligere: quia spiritualiter examinatur."
 
 
Christ
 
 
(Doch wo befind ich mich, und wen gewahr ich hier?
 
 
Da ich aus aller Menschen Augen
 
 
in Einsamkeit verhüllt zu sein vermeine,
 
 
seh ich mich annoch nicht alleine.)
 
 
Christengeist
 
 
(welcher als ein Gärtner die Bäume beschneidet, begießet etc.)
 
     
 
    Gut ist, einem Herren fronen,
 
 
der mich seiner Huld verg'wisst,
 
 
der die Treue zu belohnen
 
 
willig und vermögend ist. 29Epistola Pauli ad Romanos, cap. 4, v. 21: "plenissime sciens quia quæcumque promisit, potens est et facere."
 
     
 
    Gut etc.
 
     
 
    Sein Befehl ist voll der Güte,
 
 
seiner Dienste Joch ist leicht, 30Evangelium secundum Matthæum, cap. 11, v. 30: "Iugum enim meum suave est, et onus meum leve."
 
 
er gewähret, was ich bitte,
 
 
wenn es mir zu Nutz gereicht. 31Evangelium secundum Lucam, cap. 11, v. 9: "Et ego dico vobis: Petite, et dabitur vobis: quærite, et invenietis: pulsate, et aperietur vobis."
 
     
 
    Sein etc.
 
     
 
    O wie sollte mich beneiden,
 
 
wer in falscher Freiheit lebt!
 
 
Wo anstatt verhoffter Freuden
 
 
nur der Geist in Trauer schwebt. 32Liber Ecclesiastes, cap. 1, v. 17: "Dedique cor meum ut scirem prudentiam, atque doctrinam, erroresque et stultitiam: et agnovi quod in his quoque esset labor, et afflictio spiritus".
 
     
 
    O wie etc.
 
 
Christ
 
 
(Mein Herze findet sich getroffen:
 
 
Wie lebt er so getrost, wie unvergnügt leb ich!
 
 
Ach! könnt ich doch ein gleiches Glücke hoffen!
 
 
Mein widriges Geschicke,
 
 
mein notbedrängter Stand, Betrübnüs und Verdruss
 
 
verleiten mich – – – zu einem harten Schluss.)
 
 
Vergnügter Gärtner, sage mir:
 
 
Lässt dieser Herr, wo man so glücklich leben kann,
 
 
auch seine Gütigkeit mehr andern angedeihn,
 
 
und nähm er etwan mich in seine Dienste an?
 
 
Christengeist
 
 
Ohn allen Zweifel, doch wirst du dich wohl bequemen,
 
 
ihm nur allein zu dienen? 33Evangelium secundum Lucam, cap. 4, v. 8: "Et respondens Iesus, dixit illi: Scriptum est: Dominum Deum tuum adorabis, et illi soli servies."
 
 
Christ
 
 
O dies gelob ich ohn bedenken.
 
 
Christengeist
 
 
Und bist du wohl von andern Diensten frei?
 
 
Christ
 
 
Ich war bisher mein eigner Herr.
 
 
Christengeist
 
 
O du betrügest dich, ich weiß, wem du gedient,
 
 
und wem zuliebe du der Plagen mancherlei
 
 
schon oft erduldet hast und zwar für schlechten Lohn.
 
 
Der Spieler, welcher dir die Liebste und dein Geld
 
 
zugleich entführt, ja dich sogar beschimpfet hat,
 
 
ist mir bekannt und wer dir gab den bösen Rat –
 
 
Christ
 
 
Dies alles muss ich dir gestehn.
 
 
Christengeist
 
 
Ach! ein geheimer Schmerz, den ich so lange schon
 
 
ob deinen Ketten fühle,
 
 
mein Wünschen, dich in Ruh, in Glückestand zu sehn,
 
 
die Forcht, dir nicht den Unmut neu zu regen,
 
 
wenn ich dein Schicksal dir vor Augen sollte legen,
 
 
lässt mir nicht mehr zu sprechen zu
 
 
als dieses: Freund! ich liebe dich.
 
 
Christ
 
 
(Erstaunung und zugleich der Freundschaft Gegentrieb
 
 
belebet meine Brust, erheitert meinen Sinn,
 
 
und ihre sanfte Kraft nimmt allgemach
 
 
sehr großen Teil von meinem Kummer hin.)
 
 
Wie? Ich bin dir bekannt? Du weißt um meine Not!Der Satz könnte im Kontext auch als Frage interpretiert werden:
Du weißt um meine Not?
 
 
Du liebest, du bedaurest mich?
 
 
So find ich denn in stiller Gegend hier,
 
 
was ich umsonst dort in Gesellschaft suchte,
 
 
ein treugesinnten Freund an dir?
 
 
Christengeist
 
 
Dass ich ein solcher sei, magst du, wenn dir beliebt,
 
 
dir eine Prob erwählen.
 
 
Hingegen kann ich eine Bitte
 
 
dir länger nicht verhehlen.
 
 
Christ
 
 
Begehre, Freund! was dir gefällt,
 
 
denn was mir möglich ist, das geh ich willig ein.
 
 
Christengeist
 
 
Dass dein vermeinter Freund, vielmehr dein harter Herr,
 
 
dem du so oft unglücklich hast gefolgt,
 
 
forthin von dir geflohen möge sein.
 
 
Dann will ich dir versprechen,
 
 
dass nichts an deinem wahren Glücke
 
 
und an der Seelenruh dir soll gebrechen. 34Evangelium secundum Matthæum, cap. 11, v. 29: "Tollite iugum meum super vos, et discite a me, quia mitis sum, et humilis corde: et invenietis requiem animabus vestris."
 
 
Dein Sinnen-Aug wird in die Ferne schauen,
 
 
wen du zu fliehn und wem du hast zu trauen:
 
 
Dein' aufgeklärte Witz"Witz" ist hier mit "Vernunft, Verstand" gleichzusetzen, einer veralteten Bedeutung dieses Substantivs. Das maskuline Genus konnte sich erst zu Beginn des 18. Jhdts. vollständig gegenüber dem femininen durchsetzen. Vgl. Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 30, Leipzig 1960, Sp. 861-888 (Art. "WITZ"); Dudenredaktion, Deutsches Universalwörterbuch, 7. Aufl., Mannheim/Zürich 2011, S. 2022 (Art. "Witz"). wird dir entdecken
 
 
des Glückes Eigenschaften,
 
 
das falsch' und wahre Gut, was jetzt ein Rätsel war,
 
 
wird dir alsdann erst offenbar. 35Psalmus 18 (19), v. 9: "Iustitiæ Domini rectæ, lætificantes corda: præceptum Domini lucidum; illuminans oculos."
 
 
Christ
 
 
Du machest mich nun mehr und mehr
 
 
dein bestgeneigtes Herz und des vermeinten Freundes
 
 
geheime List erkennen:
 
 
Er sei forthin von mir verbannt;
 
 
hingegen solle sich mit dir
 
 
das Band der Freundschaft niemal trennen.
 
 
Jedoch verziehe länger nicht,
 
 
die Weise, recht zu dienen,
 
 
die Wege zur Vergnügenheit
 
 
vollkommen mich zu lehren.
 
 
Christengeist
 
 
Ich will noch diese Stunde
 
 
des Wunsches dich gewähren.
 
 
Indessen lass ich dich auf kleine Zeit allein.
 
 
Christ
 
 
Wie? Du verlässest mich? Was hab ich wohl zu tuen,
 
 
wenn der Verführer kömmt und mir von Neuem spricht?
 
 
Christengeist
 
 
Als ein getreuer Knecht glaub seinen Worten nicht. 36Liber Ecclesiastici, cap. 12, v. 10: "Non credas inimico tuo in æternum: sicut enim æramentum, æruginat nequitia illius".
 
 
Christ
 
 
Und wenn er mich mit Ungestime
 
 
auf seine Wege wollte ziehen?
 
 
Christengeist
 
 
So kannst du ihn ja fliehen. 37Prophetia Ieremiæ, cap. 48, v. 6: "Fugite, salvate animas vestras: et eritis quasi myricæ in deserto."
 
 
 
 
Christengeist, Christ
 
     
 
    Ich will von dir|Du willst von mir die Werke schauen,
 
 
Christengeist, Christ
 
 
ob sie mit deinem|ob sie mit meinem Wort bestehn. 38Evangelium secundum Matthæum, cap. 7, v. 21: "Non omnis, qui dicit mihi, Domine, Domine, intrabit in regnum cælorum: sed qui facit voluntatem Patris mei, qui in cælis est, ipse intrabit in regnum cælorum."
 
 
Christengeist, Christ
 
 
Setz auf den Himmel dein|Wohlan, ich hoffe mit Vertrauen, 39Prophetia Danielis, cap. 3, v. 40: "Sicut in holocausto arietum, et taurorum, et sicut in millibus agnorum pinguium: sic fiat sacrificium nostrum in conspectu tuo hodie, ut placeat tibi: quoniam non est confusio confidentibus in te" Domine.
 
 
Christengeist, Christ
 
 
er lässt dich nicht|ich werde nicht zugrunde gehn.
 
 
Christengeist, Christ
 
     
 
    Ich will|Du willst etc.
 
 
 
 
(Christengeist gehet ab.)
 
 

Weltgeist und Christ.
 
 
Weltgeist
 
 
Gut, dass ich dich doch endlich einmal finde,
 
 
nachdem ich dich in Eil fast überall gesucht.
 
 
Geschwinde, nur geschwinde!
 
 
In wenig Augenblicken,
 
 
und zwar hier in dem nächsten Wald,
 
 
hat der Betrüger durchzureisen
 
 
mit deiner Liebsten und dem Gelde,
 
 
so er mit List dir abgenommen:
 
 
Nun kannst du sie durch seinen Tod
 
 
noch beide leichtlich überkommen,
 
 
und zwar mit Fug und Recht. Hier ist Gewehr,
 
 
und ich bin dein Gehilf. Doch säume dich nicht lang,
 
 
Gelegenheit entflieht und kommt so bald nicht mehr.
 
 
Christ
 
 
(für sich)
 
 
(Durch seinen Tod? – – – mein Geld – – und meine Liebste? – – –
 
 
Ist dieses wohl erlaubt? – –)
 
 
Weltgeist
 
 
Wie? Du verweilest noch?
 
 
Christ
 
 
(Was soll ich wohl beginnen?)
 
 
Weltgeist
 
 
Wirst du noch länger dich besinnen,
 
 
so geht die Zeit vorbei –
 
 
Christ
 
 
(Der Freund ermahnte mich,
 
 
ich soll nicht dem Verführer glauben.)
 
 
Weltgeist
 
 
Was tust du doch, wo hast du deine Witz"Witz" ist hier mit "Vernunft, Verstand" gleichzusetzen, einer veralteten Bedeutung dieses Substantivs. Das maskuline Genus konnte sich erst zu Beginn des 18. Jhdts. vollständig gegenüber dem femininen durchsetzen. Vgl. Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 30, Leipzig 1960, Sp. 861-888 (Art. "WITZ"); Dudenredaktion, Deutsches Universalwörterbuch, 7. Aufl., Mannheim/Zürich 2011, S. 2022 (Art. "Witz").?
 
 
Willst du dir selbst dein Glücke rauben?
 
 
Willst du verhöhnt, verlachet sein?
 
 
Willst du dich in die Zahl der Toren schreiben?
 
 
Willst du in derber Armut bleiben?
 
 
Was immer, sag, was machet dich verziehen?
 
 
Christ
 
 
Nichts. Weißt du was, Erfahrung lehret mich,
 
 
dass mir dein Rat gefährlich sei: 40Liber Proverbiorum, cap. 12, v. 5: "Cogitationes iustorum iudicia: et consilia impiorum fraudulenta".
 
 
Erspare denn nur künftig dein Bemühen.
 
 
Weltgeist
 
 
Wie? Dieses mir im Ernste?
 
 
Christ
 
 
Ja, dir. Geh, lasse mich an diesem stillen Orte
 
 
der angefangnen Ruh genießen.
 
 
Weltgeist
 
 
Ich möchte wenigst wissen – – –
 
 
Christ
 
 
Ein Mehrers nicht, für allzeit lebe wohl!
 
 
(Er begibet sich zurück in den Garten.)
 
 

Weltgeist allein.
 
 
Ich weiß nicht, wie ich dies verstehen soll.
 
 
Ist er verwirrt? – Doch nein, mein alter Feind
 
 
hat im verstellten Kleide
 
 
ihn wider mich verhetzet.
 
 
Allein dies werde ihm mit gleicher Münz ersetzet.
 
     
 
    Was die Waffen nicht vermögen,
 
 
bringt zuwegen
 
 
schlauer Krieger weise List:
 
 
Heilig halt ich mein Versprechen,
 
 
mich zu rächen,
 
 
eh der Tag zu Ende fließt.
 
     
 
    Was die etc.
 
 
(Er gehet ab.)
 
 

Christ, hinnach Christengeist.
 
 
Christ
 
 
Nunmehr erhol ich mich,
 
 
der Feind ist nicht mehr hier,
 
 
der mich mit windegleichen Trost
 
 
bisher so lange hat betört,
 
 
dort, wo man bei Geschöpfen,
 
 
die mit Vernunft begabt, doch wenig Kluges hört,
 
 
als nur, was etwan heißt die Klugheit dieser Welt. 41Psalmus 143 (144), v. 11: "eripe me. Et erue me de manu filiorum alienorum, quorum os locutum est vanitatem: et dextera eorum, dextera iniquitatis".
 
 
Da mir hingegen hier sich vor die Augen stellt
 
 
das große Buch der lehrenden Natur,
 
 
wo jeder Pflanze Art, wo unbeseeltes Laub
 
 
mich auf die Hand des Schöpfers weist, 42Epistola Pauli ad Romanos, cap. 1, v. 20: "Invisibilia" Dei "enim ipsius, a creatura mundi, per ea quæ facta sunt, intellecta, conspiciuntur: sempiterna quoque eius virtus, et divinitas: ita ut sint inexcusabiles."
 
 
so, dass nun allgemach mein ungestörter Geist
 
 
sich selber zu erkennen – – – –
 
 
Christengeist
 
 
Freund! ich verkünde dir mit Freude
 
 
das große Wohlgefallen,
 
 
so erst ab deiner Treu der Herr erzeiget hat. 43Liber Proverbiorum, cap. 12, v. 22: "Abominatio est Domino labia mendacia: qui autem fideliter agunt, placent ei."
 
 
Christ
 
 
Durch diesen Trost vergess ich Forcht und Leide.
 
 
War dann der Herr zugegen?
 
 
Christengeist
 
 
Er sahe neben mir ohn Unterlass auf dich
 
 
und hörte dein Entschließen: 44Liber II. Machabæorum, cap. 12, v. 22: "Cumque cohors Iudæ prima apparuisset, timor hostibus incussus est, ex præsentia Dei, qui universa conspicit, et in fugam versi sunt alius ab alio, ita ut magis a suis deiicerentur, et gladiorum suorum ictibus debilitarentur."
 
 
Nun kannst du seiner Gnade,
 
 
wenn du nur ernstlich willst, genießen.
 
 
Christ
 
 
Ich bleibe, glaube mir, von nun an ihm getreu.
 
 

(Gerechtigkeit und Barmherzigkeit begeben sich von den Wolken auf die Erde, ohne beobachtet zu sein, und betrachten die in dem Garten herumstehenden Bäume.)
 
 
Christengeist
 
 
Zum Zeugnis seiner Huld sind seiner Töchter zwei
 
 
dich zu belehren hier, wie man ihm dienen soll.
 
 
Denn eben diesen beiden
 
 
ist über seinen Garten
 
 
der völlige Gewalt von ihme anvertraut.
 
 
Von ihnen werden alle Stämme
 
 
an Wachstum, Art und Zahl beschaut: 45Liber Proverbiorum, cap. 5, v. 21: "Respicit Dominus vias hominis, et omnes gressus eius considerat."
 
 
Die Mängel werden untersucht,
 
 
und auf des Herren Tafel
 
 
kommt nur der guten Bäume Frucht.
 
 
Bereite dich, ihr Tun hier schweigend anzusehn
 
 
und sie von nun an zu verehren;
 
 
hinnach bin ich bedacht, was annoch mangeln soll,
 
 
dir deutlich zu erklären.
 
 
Christ
 
 
Ich danke, ich gehorche dir.
 
 
(Er stellet sich an die Seite.)
 
 
Gerechtigkeit
 
 
Ist mein Befehl getan? was bös und unfruchtbar,
 
 
getilget, ausgerottet?
 
 
Christengeist
 
 
Es ist geschehn, was dörr und ohne Hoffnung war,
 
 
ist aus dem Grund genommen.
 
 
Gerechtigkeit
 
 
Und dennoch seh ich dort noch einen schlechten Baum,
 
 
der deinen Händen ist entkommen. 46Evangelium secundum Lucam, cap. 13, v. 6: "Dicebat autem et hanc similitudinem: Arborem fici habebat quidam plantatam in vinea sua, et venit quærens fructum in illa, et non invenit."
 
 
Christengeist
 
 
Er lässt doch gute Früchte hoffen.
 
 
Barmherzigkeit
 
 
Die Blätter sind ja schön und grün.
 
 
Gerechtigkeit
 
 
Was nutzen doch die Blätter,
 
 
er trägt ja keine Frucht, und du beschützest ihn?
 
 
Barmherzigkeit
 
 
So dulde wenigst noch – –
 
 
Gerechtigkeit
 
 
Es ist schon lang genug,
 
 
dass ich geduldet hab, nun ist die Zeit bestimmt,
 
 
dass man so wildes Holz, so nichts hervor gebracht
 
 
als leeres Blatt und keine Früchte,
 
 
bis in den Grund vernichte. 47Evangelium secundum Matthæum, cap. 3, v. 10: "Iam enim securis ad radicem arborum posita est. Omnis ergo arbor, quæ non facit fructum bonum, excidetur, et in ignem mittetur".
 
 
(Der Christengeist sucht indessen an dem Baum eine Blühe, die er auch findet und der Barmherzigkeit überreicht, welche selbige der Gerechtigkeit vorweiset.)
 
     
 
    Haut in Stücke, schlagt zusammen
 
 
Äste, Zweige samt dem Stammen:
 
 
Alles werde hin verwendet,
 
 
wo sie Flamm und Rauch verzehrt.
 
 
Ich hab lang genug gewartet:
 
 
Als ein Baum so bös geartet,
 
 
der den schönsten Garten schändet, 48Evangelium secundum Lucam, cap. 13, v. 7: "Dixit autem ad cultorem vineæ: Ecce anni tres sunt ex quo venio quærens fructum in ficulnea hac, et non invenio: succide ergo illam: ut quid etiam terram occupat?"
 
 
ist er nicht der Erde wert.
 
     
 
    Haut in etc.
 
 
Barmherzigkeit
 
 
Halt inn mit deinem Schluss, o Schwester! Siehe hier 49Evangelium secundum Lucam, cap. 13, v. 8: "At ille respondens, dicit illi: Domine dimitte illam et hoc anno, usque dum fodiam circa illam, et mittam stercora".
 
 
den allerersten Trieb, ein wunderschön Geschoss.
 
 
Gerechtigkeit
 
 
Wie kann es sein, er war ja immer früchtenlos?
 
 
Christengeist
 
 
Erlaube mir, zu sagen
 
 
die Weise, wie ich ihn zurechte hab gebracht:
 
 
Ich fand ihn an sich gut, doch etwas zart und jung, 50Von Natur schwach; und leicht zu verführen.
 
 
darum erfolgte auch, dass der zu kalte Nord 51Der laue Weltgeist.
 
 
hat an der Fruchtbarkeit die Hindernis gemacht.
 
 
Ich hab ihn dann von rauher Luft verwahrt,
 
 
seit deme fängt er nun gemach zu blühen an:
 
 
Er ist an Ästen weich, die Wurzel gehet tief,
 
 
aus diesem nehm ich ab, dass man in kurzer Zeit
 
 
noch reichen Segen hoffen kann.
 
 
Gerechtigkeit
 
 
Ob aber nicht der Baum von innen – – – –
 
 
Barmherzigkeit
 
 
O Schwester! sorge nicht und lasse einmal nach,
 
 
so strenge nachzusinnen.
 
 
Gerechtigkeit
 
 
Der Vater wird gewiss – – – –
 
 
Barmherzigkeit
 
 
Der Vater höre mich,
 
 
ich will die Rede führen;
 
 
vielleicht wird eine Frucht bald seine Tafel zieren.
 
     
 
    Diesen Stammen zu vernichten
 
 
halte man den Ausspruch ein.
 
 
(zu dem Christengeist)
 
 
Nimm hinweg die alten Zweige, 52Der bösen Gewohnheiten.
 
 
dass er neue Triebe zeuge:
 
 
Denn so wird er reich an Früchten, 53Prophetia Ieremiæ, cap. 17, v. 8: "Et erit quasi lignum quod transplantatur super aquas, quod ad humorem mittit radices suas: et non timebit cum venerit æstus. Et erit folium eius viride, et in tempore siccitatis non erit solicitum, nec aliquando desinet facere fructum."
 
 
würdig dieses Garten sein.
 
     
 
    Diesen Stammen etc.
 
 
Christengeist
 
 
Freund! endlich ist es Zeit, wie ich versprochen hab,
 
 
die Zweifel-Knoten aufzulösen:
 
 
Es wird, ich zweifle nicht, das meiste
 
 
durch deine kluge Witz"Witz" ist hier mit "Vernunft, Verstand" gleichzusetzen, einer veralteten Bedeutung dieses Substantivs. Das maskuline Genus konnte sich erst zu Beginn des 18. Jhdts. vollständig gegenüber dem femininen durchsetzen. Vgl. Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 30, Leipzig 1960, Sp. 861-888 (Art. "WITZ"); Dudenredaktion, Deutsches Universalwörterbuch, 7. Aufl., Mannheim/Zürich 2011, S. 2022 (Art. "Witz"). dir schon entdecket sein.
 
 
Dass du der Baum gewesen,
 
 
kannst du von selbsten leicht erraten.
 
 
Der laue Geist der Welt und seine Lehrgesetze
 
 
sind jene kalte Lüfte,
 
 
die alle Frucht so lang verhindert hatten.
 
 
Nun hast du ihn verbannt; nach diesem edlen Schluss
 
 
erzeugtest du die erste Blühe,
 
 
die erste Tugendprob und zwar aus hohem Ziel,
 
 
so dir verdienstlich ist: All' andre deine Werke,
 
 
sie seien noch so groß und viel,
 
 
weil selbe bloß natürlich waren,
 
 
sind keine Frucht bei Gott, der als der beste Herr
 
 
so gütig als gerecht verwaltet
 
 
den großen Garten dieser Welt,
 
 
da er uns nähret und erhält, 54Psalmus 114 (116), v. 5: "misericors Dominus, et iustus, et Deus noster miseretur."
Psalmus 23 (24), v. 1: "Prima sabbati, Psalmus David. XXIII. Domini est terra, et plenitudo eius: orbis terrarum, et universi, qui habitant in eo."
Psalmus 94 (95), v. 7: "Quia ipse est Dominus Deus noster: et nos populus pascuæ eius, et oves manus eius."
 
 
auch jeden nach Verdienst belohnet oder straft. 55Liber Ecclesiastes, cap. 3, v. 17: "Et dixi in corde meo: Iustum, et impium iudicabit Deus, et tempus omnis rei tunc erit."
 
 
Der tiefen Wurzel Gang, der weichen Äste Bild
 
 
zeigt deiner Demut Spur und guten Willen an,
 
 
mich willig anzuhören.
 
 
Wem diese Wurzel fehlt, derselbe wird und kann
 
 
den Grund der Tugend niemal fassen,
 
 
weil aufgeblasnen Geist der Höchste pflegt zu hassen. 56Epistola catholica Iacobi, cap. 4, v. 6: "Maiorem autem dat gratiam. Propter quod dicit: Deus superbis resistit, humilibus autem dat gratiam."
 
 
Gerechtigkeit und Güte
 
 
sind dir nun auch bekannt, die sich für dich bisher
 
 
so viel bemühet haben
 
 
und deinem eitlen Sinn so oft Gelegenheit,
 
 
das Heil zu würken, gaben.
 
 
Christ
 
 
Was doch vernehme ich? O Langmut! O Geduld!
 
 
O unverdiente Gnade!
 
 
Barmherzigkeit
 
 
Mein Sohn! ich war dir stets geneigt,
 
 
Gerechtigkeit
 
 
von mir kam jener Ruf, der dich erschreckte,
 
 
Christengeist
 
 
und ich als jener Geist, der alle Christen sucht
 
 
mit Eifer anzuflammen,
 
 
ich bat für dich, und da es nicht erkleckte,
 
 
bracht ich dir als ein Arzt ein Heilungsmittel bei
 
 
und glaubte, dass für deine laue Brust
 
 
dasselbe wohl das beste sei.
 
 
Es ist das erst' und größte der Geboten,
 
 
Gott, deinen Herrn, zu lieben
 
 
aus ganzer Seele, Herz und Kräften:
 
 
Denn wirst du dies getreulich üben,
 
 
so wird man dich auch wider die Gesetze,
 
 
die er am Horeb dort dem Führer Moses gab, 57Liber Exodus, cap. 34, v. 28: "Fuit ergo ibi cum Domino quadraginta dies et quadraginta noctes: panem non comedit, et aquam non bibit, et scripsit in tabulis verba fœderis decem."
 
 
niemalen handeln sehen,
 
 
weil Ungehorsam nicht bei Liebe kann bestehen. 58Epistola Pauli ad Timotheum I, cap. 1, v. 5: "Finis autem præcepti est charitas de corde puro, et conscientia bona, et fide non ficta."
 
 
Was soll auf solche Weise
 
 
dir annochForcht und Kummer regen?
 
 
Gott liebt dich ja hingegen: 59Liber Proverbiorum, cap. 8, v. 17: "Ego diligentes me diligo: et qui mane vigilant ad me, invenient me."
 
 
Er schenket dir sich selbst und seine Huld,
 
 
er als das einzige vollkommne, höchste Gut,
 
 
wo wahres Glück und unverwesner Schatz,
 
 
wo ungestörter Fried, Lust und Vergnügen ruht. 60Liber Proverbiorum, cap. 8, v. 18: "Mecum sunt divitiæ, et gloria, opes superbæ, et iustitia."
 
 
Wirst du wohl etwan noch ein Nichts, ein Farbengold,
 
 
den armen Tand der Eitelkeit erwählen?
 
 
Wirst du dem schlauen Geist der Welt,
 
 
dem stillen Seelenmörder trauen,
 
 
der auf das Neue dich nur zu betrügen sucht?
 
 
Willst du für dich das Schloss der Ewigkeit
 
 
in weichen Sand, in faule Pfützen bauen? 61Evangelium secundum Matthæum, cap. 7, v. 26: "Et omnis, qui audit verba mea hæc, et non facit ea, similis erit viro stulto, qui ædificavit domum suam super arenam".
 
 
Ach! halte stets genaue Sinnenwacht: 62Evangelium secundum Marcum, cap. 13, v. 33: "Videte, vigilate, et orate: nescitis enim quando tempus sit."
 
 
Gib auf der Seele Schatz und auf das Kleinod acht
 
 
der Zeit und der verliehnen Gaben,
 
 
so wirst du ihn besieget haben.
 
     
 
    Was ist der Geist der Welt?
 
 
Ein Jäger im Gefülde,
 
 
der täglich für das Wilde
 
 
verführte Seelen fällt.
 
     
 
    Was ist der Geist der Welt?
 
 
Ein Feind im Gönnerkleide,
 
 
der mit dem Schild der Freude
 
 
den Dolch verborgen hält:
 
     
 
    Dies ist der Geist der Welt. 63Liber Ecclesiastici, cap. 12, v. 15: "In labiis suis indulcat inimicus, et in corde suo insidiatur ut subvertat te in foveam."
 
 
Christ
 
 
Freund! allzu wahrer Freund! dich zwar erkenn ich jetzt,
 
 
doch nie genug das, was du mir zugutgetan.
 
 
O Güte! O Gerechtigkeit!
 
 
Ach! dass ich ewig dort euch möge dankbar sein!
 
 
Weil meine Sterblichkeit hier nicht erfüllen kann
 
 
die Schwere meiner Pflicht, die mir nunmehr
 
 
in ihrer Größe sich erweist,
 
 
nachdem sie mir so lang verdunkelt schien.
 
 
Nun kennet allgemach der hell bestrahlte Sinn,
 
 
dass in dem Schöpfer sei allein,
 
 
nicht in gesamten Erdegründen,
 
 
das wahre Gut zu finden, 64Evangelium secundum Lucam, cap. 18, v. 19: "Dixit autem ei Iesus: Quid me dicis bonum? nemo bonus nisi solus Deus."
 
 
und dass niemal die lauen Weltgesetze
 
 
bei heil'ger Liebeshitze stehn, 65Epistola Pauli ad Corinthios II, cap. 6, v. 14 et 15: "Nolite iugum ducere cum infidelibus. Quæ enim participatio iustitiæ cum iniquitate? Aut quæ societas luci ad tenebras? Quæ autem conventio Christi ad Belial? Aut quæ pars fideli cum infideli?"
 
 
doch Welt- und Höllengeist sehr wohl zusammen sehn.
 
 
Christengeist
 
 
Da dein Verstand sich gänzlich hat ergeben,
 
 
wird denn der Will noch länger widerstreben?
 
 
Ach! sei dem Herrn getreu. – 66Apocalypsis Ioannis, cap. 2, v. 10: "Nihil horum timeas quæ passurus es. Ecce missurus est diabolus aliquos ex vobis in carcerem ut tentemini: et habebitis tribulationem diebus decem. Esto fidelis usque ad mortem, et dabo tibi coronam vitæ."
 
 
Christ
 
 
– Dies will die Billigkeit.
 
 
Doch stellt sich mir ein Berg noch zu ersteigen vor,
 
 
der Geist ist zwar dazu bereit – – – 67Evangelium secundum Matthæum, cap. 26, v. 41: "Vigilate, et orate ut non intretis in tentationem. Spiritus quidem promptus est, caro autem infirma."
 
 
Christengeist
 
 
Erwünschter Berg, von dessen Höhe
 
 
des Herren Hilfe wird erscheinen, 68Psalmus 120 (121), v. 1 et 2: "Levavi oculos meos in montes, unde veniet auxilium mihi. Auxilium meum a Domino, qui fecit cælum et terram."
 
 
der unsre Müh und kurzes Weinen
 
 
mit solchem Uberfluss von Seelentrost versüßt,
 
 
dem alle Lust der Welt nicht zu vergleichen ist. 69Evangelium secundum Ioannem, cap. 16, v. 20: "Amen, amen dico vobis: quia plorabitis, et flebitis vos, mundus autem gaudebit: vos autem contristabimini, sed tristitia vestra vertetur in gaudium."
 
 
Darum so höre nicht die blöden Sinne an,
 
 
und räume dein Gemüt der wahren Großmut ein:
 
 
Ich gehe dir voran, ich will dein Führer sein,
 
 
du folge mir und sei allein bedacht,
 
 
auf meinen Schritt zu schauen. 70Evangelium secundum Ioannem, cap. 21, v. 22: "Dicit ei Iesus: Sic eum volo manere donec veniam, quid ad te? tu me sequere."
 
 
Christ
 
 
Freund! auf dein Wort will ich vertrauen.
 
 
 
 
Christ, Christengeist, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit
 
     
 
    Laue Herzen|Zage Sinne, ach! versucht,
 
 
 
 
Alle
 
 
wie ergötzlich sein die Flammen, 71Psalmus 33 (34), v. 9: "Gustate, et videte quoniam suavis est Dominus: beatus vir, qui sperat in eo."
 
 
die aus Gottes Liebe stammen:
 
 
Christengeist, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit
 
 
Andre Liebe sei verflucht,
 
 
die, aus Erdendampf entzündet,
 
 
wie ein Flatterlicht verschwindet.
 
 
 
 
Christ, Christengeist, Barmherzigkeit, Gerechtigkeit
 
 
Laue Herzen|Zage Sinne, ach! versucht.
 
 
 
 
Ende des zweiten Teils.