Erster Teil
 
 
Göttliche Gerechtigkeit, göttliche Barmherzigkeit, Christengeist, der laue Christ in einem Blumengesträuche schlafend.
 
 
Gerechtigkeit
 
 
Die löblich' und gerechte Bitte,
 
 
die du, dem Heil der Sterblichen zu gut
 
 
mitleidend, mir hast vorgebracht,
 
 
ist mir zwar angenehm, doch bin ich nicht bedacht,
 
 
den faulen Knechten zu verschonen.
 
 
Du weißt, mein ist, die Frommen zu belohnen
 
 
und jene abzustrafen, 1Epistola Pauli ad Romanos, cap. 2, v. 6 usque ad 8: "qui reddet unicuique secundum opera eius: iis quidem, qui secundum patientiam boni operis, gloriam, et honorem, et incorruptionem quærunt, vitam æternam: iis autem, qui sunt ex contentione, et qui non acquiescunt veritati, credunt autem iniquitati, ira, et indignatio."Wiedergabe und Zitierweise der biblischen Textstellen richten sich nach folgender kritischer Ausgabe: Michael Hetzenauer (Hrsg.), Biblia Sacra Vulgatae Editionis, 3. Aufl., Regensburg 1929.
 
 
wenn sie durch Büßen und Bereuen
 
 
sich nicht der Schuld befreien.
 
 
Und dies geschieht durch unverdiente Gnade,
 
 
die nur des Höchsten Güte
 
 
allein gewähren kann, so wie es ihr gefällt. 2Epistola Pauli ad Romanos, cap. 9, v. 15 et 16: "Moysi enim dicit: Miserebor cuius misereor: et misericordiam præstabo cuius miserebor. Igitur non volentis, neque currentis, sed miserentis est Dei."
 
 
Christengeist
 
 
Wohlan, so sei mein wiederholtes Flehn
 
 
auf gleiche Weis an dich gestellt,
 
 
o göttliches Erbarmen!
 
 
Barmherzigkeit
 
 
Was je erwartest du –
 
 
Christengeist
 
 
– Ach! alles
 
 
von deiner Huld und deinen Helferarmen.
 
 
Barmherzigkeit
 
 
Und was bekümmert dich so sehr?
 
 
Christengeist
 
 
Ach! der bedauernswerte Stand,
 
 
die Blindheit, die Gefahr der lauen Menschensöhne,
 
 
die kleine Zahl, die sich bemüht, zu gehn
 
 
den schmalen Weg zum wahren Vaterland, 3Evangelium secundum Matthæum, cap. 7, v. 14: "Quam angusta porta, et arcta via est, quæ ducit ad vitam: et pauci sunt, qui inveniunt eam!"
 
 
die Menge, die zum offnen Höllenschlund
 
 
mit dem betörten Haufen
 
 
auf breiter Blumenstraße laufen. 4Evangelium secundum Matthæum, cap. 7, v. 13: "Intrate per angustam portam: quia lata porta, et spatiosa via est, quæ ducit ad perditionem, et multi sunt qui intrant per eam."
 
 
Der schlaue Geist der Welt, der unter Blendewerk
 
 
verhüllt die Sünden und Gefahren,
 
 
entführet ganze Scharen.
 
     
 
    Mit Jammer muss ich schauen
 
 
unzählig' teure Seelen
 
 
in meines Feindes Klauen
 
 
den Untergang erwählen,
 
 
wenn deine Wunderkraft
 
 
nicht Heil, nicht Rettung schafft.
 
     
 
    Ihr zügelfreier Sinn,
 
 
gleich ausgebrochnen Flüssen,
 
 
die schäumend sich ergießen,
 
 
reißt nach dem Tausend hin,
 
 
wenn deine etc.
 
 
Barmherzigkeit
 
 
So vieler Seelen Fall ist zwar mit allem Fug
 
 
beweinenswürdig anzusehn,
 
 
doch ist es selbst ihr Will, dass sie zu Grunde gehn. 5Liber Proverbiorum, cap. 1, v. 24: "Quia vocavi, et renuistis: extendi manum meam, et non fuit qui aspiceret."
 
 
Das erste, größte, ja das wichtigste Gebot:
 
 
Aus ganzer Seel, aus Herz und Kräften
 
 
zu lieben ihren Herrn und Gott, 6Evangelium secundum Marcum, cap. 12, v. 30: "et diliges Dominum Deum tuum ex toto corde tuo, et ex tota anima tua, et ex tota mente tua, et ex tota virtute tua. Hoc est primum mandatum."
 
 
scheint ihrem trägen Sinn gleich einer Last zu sein.
 
 
Gerechtigkeit
 
 
Flößt ihnen der Verstand, ja endlich die Natur
 
 
nicht diese Pflicht als Kindern ein,
 
 
weil er als Vater sie aus Nichts gebildet hat?
 
 
Weil er sie schützet, liebet, nährt
 
 
und ewiglich belohnet? 7Epistola Pauli ad Thessalonicenses II, cap. 2, v. 16: "Ipse autem Dominus noster Iesus Christus, et Deus et Pater noster, qui dilexit nos, et dedit consolationem æternam, et spem bonam in gratia".
Psalmus 135 (136), v. 25: "Qui dat escam omni carni: quoniam in æternum misericordia eius."
Epistola Ioannis I, cap. 2, v. 25: "Et hæc est repromissio, quam ipse pollicitus est nobis, vitam æternam."
 
 
Barmherzigkeit
 
 
Ist er denn nicht das einzig wahre Gut,
 
 
mithin auch höchster Liebe wert?
 
 
Gerechtigkeit
 
 
Pracht, Wollust, Eigennutz und eitler Ehre Schein
 
 
sind die gemeine Götzen,
 
 
die sie dem Schöpfer gleich, ja höher schätzen. 8Epistola Pauli ad Romanos, cap. 1, v. 25: "qui commutaverunt veritatem Dei in mendacium: et coluerunt, et servierunt creaturæ potius quam Creatori, qui est benedictus in sæcula. Amen."
 
 
Barmherzigkeit
 
 
Derselben Ausspruch gilt viel mehr als Gottes Wort.
 
 
Gerechtigkeit
 
 
Sie wenden nur nach deren falschen Schimmer
 
 
die blöden Augenlichter
 
 
und schauen doch sich selber nicht,
 
 
noch Himmel, Hölle, Tod und Richter.
 
 
Barmherzigkeit
 
 
Sie lieben die Unwissenheit
 
 
der Lehre ihres Heils und ihrer Schuldigkeit. 9Liber Iob, cap. 21, v. 14: "Qui dixerunt Deo: Recede a nobis, et scientiam viarum tuarum nolumus."
 
 
Gerechtigkeit
 
 
Wenn sie auf solche Weise
 
 
noch Beispiel der Belohnten,
 
 
noch der Bestraften wollen sehen,
 
 
Barmherzigkeit
 
 
wenn sie mein Rufen, mein Ermahnen
 
 
nicht wollen hören, noch verstehen,
 
 
Gerechtigkeit
 
 
so kann Gerechtigkeit sie nicht der Schuld entbünden,
 
 
Barmherzigkeit
 
 
so kann Barmherzigkeit für sie kein Mittel finden. 10Liber Deuteronomii, cap. 30, v. 17 et 18: "Si autem aversum fuerit cor tuum, et audire nolueris, atque errore deceptus adoraveris deos alienos, et servieris eis: prædico tibi hodie quod pereas, et parvo tempore moreris in Terra, ad quam, Iordane transmisso, ingredieris possidendam".
 
     
 
    Ein ergrimmter Löwe brüllet,
 
 
der den Wald mit Forcht erfüllet,
 
 
ringsherum nach Raube sicht. 11Epistola Petri I, cap. 5, v. 8: "Sobrii estote, et vigilate: quia adversarius vester diabolus tamquam leo rugiens circuit, quærens quem devoret".
 
 
Doch der Jäger will noch schlafen,
 
 
leget hin die Wehr, die Waffen,
 
 
achtet Schutz und Helfer nicht.
 
     
 
    Ein ergrimmter etc.
 
 
Was glaubst du, wird man wohl mit vielen Trauren
 
 
desselben schnöden Tod bedauren?
 
 
Gerechtigkeit
 
 
Anstatt ihn zu beklagen,
 
 
wird man von ihm ja billig sagen,
 
 
sein Eigensinn sei schuld daran.
 
 
Christengeist
 
 
Dass sie zu sorgenlos und wie betäubet sind,
 
 
ist, leider! allzu wahr. Doch ist denn keine Art
 
 
von Mitteln zu ergründen?
 
 
Es würde des Verstandes Licht
 
 
vielleicht sich bald in seiner Helle finden
 
 
und der verkehrte Will sich bald ergeben,
 
 
wenn ihnen sichtbar sollte
 
 
vor ihren Augen schweben
 
 
das Pein- und Schreckenbild des offnen Höllengrund:
 
 
Wenn aus so vieler Tausend Mund
 
 
das gräusliche Geheul erschallte,
 
 
wenn ein Verdammter sich aus seinem Grab erhebte,
 
 
sie durch sein' unbeglückten Fall
 
 
des großen Hauptgebot gemessne Schuldigkeit,
 
 
den Eifer, die Beflissenheit,
 
 
die Wissenschaft des Heils zu lehren. 12Evangelium secundum Lucam, cap. 16, v. 30: "At ille dixit: Non, pater Abraham: sed si quis ex mortuis ierit ad eos, pœnitentiam agent."
 
 
Barmherzigkeit
 
 
Sie können dich, dein Beispiel und dein Wort
 
 
durch ihrer Lehrer Stimme
 
 
genug beschauen, kennen, hören. 13Evangelium secundum Lucam, cap. 16, v. 29: "Et ait illi Abraham: Habent Moysen, et prophetas: audiant illos."
 
 
Christengeist
 
 
Ach! wenigst lass ein förchtliches Ermahnen
 
 
in ihre laue Herzen gehen.
 
 
Barmherzigkeit
 
 
Wohlan, es soll nach deinem Wunsch geschehen.
 
 
Gerechtigkeit
 
 
Gerechtigkeit will dich hierin gewähren,
 
 
doch muss der Menschen Will mit mir beflissen sein,
 
 
der Auserwählten Zahl zu mehren:
 
 
Denn, dass ich ihren Willen zwinge,
 
 
das kannst du nicht von mir begehren.
 
 
Es bleibe ihnen freigestellt,
 
 
zu folgen meinem Ruf, zu fliehen jenen Weg,
 
 
der führt zum weiten Höllenrachen.
 
 
Sieh! Hier will ich die Probe machen
 
 
an diesem Sterblichen, den falsche Sicherheit
 
 
in tiefen Schlaf versenket hat.
 
 
Christengeist
 
 
O dass doch jeden trägen Sinn
 
 
dein heilsames Erschrecken
 
 
aus seinem Schlummer möcht erwecken!
 
 
Gerechtigkeit
 
     
 
    Erwache, fauler Knecht! 14Epistola Pauli ad Ephesios, cap. 5, v. 14: "Propter quod dicit: Surge qui dormis, et exurge a mortuis, et illuminabit te Christus", id est: a morte peccati.
 
 
der du den edlen Preis
 
 
so vieler Zeit verloren
 
 
und doch zu Müh und Fleiß,
 
 
zur Arbeit bist geboren, 15Liber Iob, cap. 5, v. 7: "Homo nascitur ad laborem, et avis ad volatum."
 
 
erwarte strenges Recht!
 
     
 
    Es rufet Höll und Tod.
 
 
Du wirst von deinem Leben
 
 
genaue Rechnung geben
 
 
dem Richter, deinem Gott. 16Evangelium secundum Lucam, cap. 16, v. 2: "Et vocavit illum, et ait illi: Quid hoc audio de te? redde rationem villicationis tuæ: iam enim non poteris villicare."
 
 
Erwache, fauler Knecht!
 
 
Christengeist
 
 
Er reget sich –
 
 
Barmherzigkeit
 
 
– Er scheinet zu erwachen.
 
 
Gerechtigkeit
 
 
Nun kannst du hier verborgen sehn,
 
 
ob meine Wort erwünschte Würkung machen.
 
 
(Barmherzigkeit und Gerechtigkeit begeben sich auf den Wolken von hinnen.)
 
 
Christengeist
 
 
Ich will das Beste hoffen.
 
 
(Er verbirgt sich.)
 
 
Christ
 
 
Wie, wer erwecket mich? – Ich sehe niemand hier.
 
 
War dieses Blendewerk? – die Wahrheit oder Scherz?
 
 
Tod – – Hölle – – Rechenschaft – – ihr Sinne! saget mir – –
 
 
Weltgeist
 
 
Was Rechenschaft? was Tod? was Hölle?
 
 
Was sollen diese Grillen seyn?
 
 
Christ
 
 
Freund! wie erwünschlichDas nicht mehr gebräuchliche, hier adverbial verwendete Adjektiv "erwünschlich" bedeutet im vorliegenden Kontext "gelegen, zeitlich günstig". triffst du ein!
 
 
Christengeist
 
 
(Nun hört er meinen Feind, o Ungelücke!)
 
 
Christ
 
 
Ach! Trost, ach! Rat in meiner Seelennot!
 
 
Weltgeist
 
 
Was ist geschehn? –
 
 
Christ
 
 
– Ein ungewohnter Ruf,
 
 
der meinen Schlaf gestört und Höllenstrafe droht,
 
 
hat mich so gar erschreckt, dass ich vor banger Forcht – –
 
 
Weltgeist
 
 
Ich hab genug verstanden:
 
 
Ist dies nicht ein Betrug von unser beeden Feind,
 
 
so war es nur ein eitler Traum,
 
 
ein Irrwisch, der erlöscht, kaum da er uns erscheint;
 
 
ein buntes Nichts, ein Schattenwerk.
 
 
Darum beruhe dich, leg alle Sorge hin.
 
 
Christ
 
 
Es klingen aber noch in meinem Sinn
 
 
die Wort
 
 
"Erwache, fauler Knecht!
 
 
Du wirst von deinem Leben – – –
 
 
genaue Rechnung geben – – –"
 
 
Weltgeist
 
 
Ich weiß nicht, was ich nun von dir gedenken soll,
 
 
verlässt dich deine Witz"Witz" ist hier mit "Vernunft, Verstand" gleichzusetzen, einer veralteten Bedeutung dieses Substantivs. Das maskuline Genus konnte sich erst zu Beginn des 18. Jhdts. vollständig gegenüber dem femininen durchsetzen. Vgl. Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 30, Leipzig 1960, Sp. 861-888 (Art. "WITZ"); Dudenredaktion, Deutsches Universalwörterbuch, 7. Aufl., Mannheim/Zürich 2011, S. 2022 (Art. "Witz").? Bist du denn außer dir?
 
 
Gewiss, du bist Verwirrung voll.
 
 
Ein Traum, ein elende Geburt
 
 
des wallenden Geblüte
 
 
erschröcket dich, betöret dein Gemüte.
 
 
Ein Glückessohn wie du, der sonst so wohl belebt,
 
 
bisher von klugen Geist, von Umgang edel war,
 
 
von jedermann geehrt, verlieret sich so gar,
 
 
dass er, ich weiß nicht was, auf Träumebilder hält.
 
 
Hätt ich so manchen Träumen
 
 
geringsten Glauben zugestelltDas Verb "zustellen" trägt in Verbindung mit dem Substativ "Glauben" die sonst nicht mehr gebräuchliche Bedeutung "schenken". Vgl. Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 32, Leipzig 1954, Sp. 851-853 (Art. "ZUSTELLEN").,
 
 
so hätt ich mir vor Angst und Sorgen
 
 
schon längst das Leben müssen rauben;
 
 
du wirst nun besser mir als Träumen glauben.
 
 
Weltgeist
 
     
 
    Hat der Schöpfer dieses Leben
 
 
samt der Erde uns gegeben, 17Psalmus 113 (115), v. 16: "Cælum cæli Domino: terram autem dedit filiis hominum."
 
 
o so jauchze, lache, scherze,
 
 
lasse Träume Träume sein:
 
 
Dein Ergetzen, deine Freude
 
 
geh durch Büsche, Feld und Heide,
 
 
und dein so beklemmtes Herze
 
 
räume sich der Wollust ein. 18Liber Sapientiæ, cap. 2, v. 8: "Coronemus nos rosis, antequam marcescant: nullum pratum sit, quod non pertranseat luxuria nostra."
 
     
 
    Hat der etc.
 
 
Christ
 
 
Dass Träume Träume sind, gesteh ich willig ein,
 
 
doch war es eine Stimme,
 
 
die mich hat mit Gewalt aus meiner Ruh gebracht
 
 
und die ein bloßer Traum ohnmöglich könnte sein.
 
 
Ich weiß noch deutlich alle Worte,
 
 
denn sie noch hörend wacht ich auf;
 
 
ich fühle noch des matten Herzen Schläge,
 
 
das kalte Blut hemmt annoch seinen Lauf
 
 
und macht die zagen Glieder beben:
 
 
Ich spüre fast nur halbes Leben.
 
     
 
    Jener Donnerworte Kraft,
 
 
die mir in die Seele dringen,
 
 
fordert meine Rechenschaft.
 
 
Ja mit ihrem Widerhall
 
 
hört mein banges Ohr erklingen
 
 
annoch den Posaunenschall.
 
     
 
    Jener etc.
 
 
Weltgeist
 
 
Ist dieses, o so zweifle nimmermehr,
 
 
dass diesen Streich hat jener Feind getan,
 
 
der dich und mich zu quälen
 
 
zu keiner Zeit vergessen kann.
 
 
Christ
 
 
Wer ist wohl, der mich hasst, und zwar ohn meiner Schuld,
 
 
da ich noch ihn, noch seinen Namen kenne?
 
 
Weltgeist
 
 
Er hasst dich meinetwegen,
 
 
jedoch verlange nicht, dass ich ihn nenne:
 
 
Dir sei genug, dass ich dir seine Lebensgröße
 
 
mit wenig Worten zeige.
 
 
Christengeist
 
 
(beiseits)
 
 
(Ist's möglich, dass ich länger schweige?)
 
 
Weltgeist
 
 
Er ist ein Mückenfänger,
 
 
der andern wie ihm selbst fast keine Freude gönnt,
 
 
der allen Unterhalt und das Gespräche flieht
 
 
der weltbelebten Leute,
 
 
der jede Grille des Gewissen
 
 
mässt nach der Länge, Tiefe, Breite,
 
 
der seine Sittenlehre
 
 
sucht allen aufzudringen,
 
 
die voll der dummen Einfalt ist,
 
 
dabei sehr unbequem und hart;
 
 
sein Reden, Denken, Tun ist eitel Pfaffenwerk:
 
 
Mit einem Wort, er ist von ganz besondrer Art.
 
 
Christengeist
 
 
(beiseits)
 
 
(O unverschämtes Lügen!
 
 
Wie wahr hingegen spricht der göttlich Mund,
 
 
der niemal kann betrügen:
 
 
"Ihr seid nicht von der Welt, deswegen hasst sie euch." 19Evangelium secundum Ioannem, cap. 15, v. 19: "Si de mundo fuissetis: mundus quod suum erat diligeret: quia vero de mundo non estis, sed ego elegi vos de mundo, propterea odit vos mundus."
 
 
Was soll ich tun? – – Will ich mein Ziel erhalten,
 
 
so muss ich mich verstaltenDas nicht mehr gebräuchliche Verb "verstalten" bedeutet "von der Gestalt her verändern". Vgl. Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 25, Leipzig 1956, Sp. 1521 (Art. "VERSTALTEN")..)
 
 
(geht ab)
 
 

Weltgeist und Christ.
 
 
Weltgeist
 
     
 
    Schildre einen Philosophen
 
 
mit betrübten Augenlichtern,
 
 
von Gebärden herb und schüchtern,
 
 
in dem Angesicht erbleicht:
 
 
Dann hast du ein Bild getroffen,
 
 
das nur ihm alleine gleicht.
 
 
Weltgeist
 
 
Wen hör ich nun hier in der Nähe?
 
 
Es ist gewiss nur eben der,
 
 
so dir den Possen spielte
 
 
und, da er dich durch seine Stimm erschreckte,
 
 
hier im Gebüsche sich verhüllte. – –
 
 
(Der Christengeist lässt sich im nächsten Wald als ein Arzt sehen.)
 
 
Doch nein: Es ist jemand, der, wie es scheinet, hier
 
 
bewährte Kräuter sucht.
 
 
Christ
 
 
Ist er ein Arzt,
 
 
so sprech ich ihn um Mittel an,
 
 
wodurch ich mein so liebes Leben
 
 
noch viele Jahr gesund erhalten kann.
 
 
Weltgeist
 
 
Sieh da, er geht bedachtsam hier vorbei.
 
 
Christ
 
 
Erlaube, unbekannter Freund!
 
 
ein nicht unnütze Frage:
 
 
Ist deine Wissenschaft vielleicht die Arzenei?
 
 
Christengeist
 
 
Ja! diese ist mein Tun, die Kranken heile ich,
 
 
Gesunde weiß ich zu erhalten.
 
 
Christ
 
 
Mein Wünschen ist, erst nach sehr späten Jahren
 
 
vergnügt, gesund, gemächlich zu eralten.
 
 
(Ach, dass der Tod nicht gar vermeidlich ist!)
 
 
Doch ist ein Mittel dir bekannt,
 
 
entfernte Fälle zu verhüten?
 
 
Christengeist
 
 
Ich bin dem allergrößten Arzt, 20Actus Apostolorum, cap. 10, v. 38: "Iesum a Nazareth: quomodo unxit eum Deus Spiritu sancto, et virtute, qui pertransiit benefaciendo, et sanando omnes oppressos a diabolo, quoniam Deus erat cum illo."
 
 
den je die Welt gesehn, sehr nahe anverwandt.
 
 
Dies mein besonders Glücke
 
 
gab mir Gelegenheit, in seinem besten Buch 21Die göttliche Schrift.
 
 
das erste und das größte
 
 
aus den Genesungsmitteln 22Das erste und größte Gebot.
 
 
zu finden, zu entdecken.
 
 
Das Mittel, außer dem der andern Geist und Kraft
 
 
zur Heilung nicht erklecken.
 
 
Christ
 
 
Ach! könntest du mir doch für Kummer, Angst und Forcht,
 
 
die mich viel mehr als jede Krankheit quälen,
 
 
erwünschte Hilfe schaffen:
 
 
Wie gerne wollt ich dich belohnen!
 
 
Christengeist
 
 
Es soll an mir nicht fehlen,
 
 
jedoch sehr vieles liegt bei dir.
 
 
Weltgeist
 
 
Mein Freund! dein Arzenei-Gespräche
 
 
will mir nunmehr zu lange sein,
 
 
denn mir fällt nichts von Tod und Krankheit ein,
 
 
wohl aber die gewohnte Stunde,
 
 
die allgemach zum Fruhstuck ruft:
 
 
Du wirst darauf ja nicht vergessen?
 
 
Christ
 
 
Geh hin, dasselbe zu bereiten.
 
 
Weltgeist
 
 
Dies soll mit aller Eil und besten Fleiß geschehn.
 
 
Ich hab alsdann die Ehre,
 
 
dazu dich zu begleiten.
 
 
(abseits im Hinweggehen)
 
 
(Ich weiß für ihn viel bessre Arzeneien:
 
 
ein holder Blick von seiner Schönen,
 
 
gut Essen, Trinken, Spielen, Jagen
 
 
wird alles Kummers ihn befreien.)
 
 
Christengeist
 
 
(beiseits)
 
 
(Dem Himmel sei gedankt, mein Feind entfernet sich:
 
 
Nun kann ich freier mich erklären.)
 
 
Ich gebe dir mein teures Wort,
 
 
dich meiner Hilfe zu gewähren:
 
 
Du sollst Gesundheit und Vergnügen
 
 
(beiseits)
 
 
(der Seele Heil und Ruh) forthin genießen.
 
 
Allein wirst du dich wohl entschließen,
 
 
zu folgen meinem treuen Rat?
 
 
Zu fliehn die kalte Luft
 
 
(beiseits)
 
 
(den lauen Geist der Welt),
 
 
so dir das Aug verderbt, die Brust erkältet hat?
 
 
Christ
 
 
Wie? Meine Brust, mein Aug erkältet und verderbt?
 
 
Du irrest dich, an beiden fehlt mir nicht:
 
 
Du siehest mir vielleicht in meinem Angesicht
 
 
den ungemein erlittnen Schrecken an,
 
 
der kürzlich mir das Herze machte beben.
 
 
Christengeist
 
 
Glaub mir, je mehr sich die Gefahr
 
 
dem Kranken hält verborgen,
 
 
je mehr hat er zu sorgen.
 
     
 
    Manches Übel will zuweilen,
 
 
eh dies kann der Balsam heilen,
 
 
erstlich Messer, Scher und Glut.
 
 
Jener Ruf, der dich erweckte,
 
 
jene Stimme, die dich schreckte,
 
 
war dir nötig, war dir gut.
 
     
 
    Manches etc.
 
 
Christ
 
 
(Er hält mich einem Kranken gleich – –
 
 
er weiß, was mir gegegnet ist – –
 
 
was soll ich wohl von ihm gedenken?)
 
 
Wer du nun immer bist, erhalte mich gesund,
 
 
wenn ich es bin gewesen;
 
 
und bin ich krank, so mache mich genesen.
 
 
Christengeist
 
 
Nimm dies verschlossne Blatt als eine Schankung hin;
 
 
(Der Christengeist gibt ihm ein verschlossnes Blatt.)
 
 
ich weiß gewiss, du wirst darin
 
 
für dich ein solches Mittel finden,
 
 
dem keines aus all' andern gleicht.
 
 
Christ
 
 
Ist es vielleicht sehr hart zu nehmen?
 
 
Christengeist
 
 
Wer sich dazu mit Ernst entschließt,
 
 
dem ist es lieblich, süß und leicht. 23Epistola Ioannis I, cap. 5, v. 3: "Hæc est enim charitas Dei, ut mandata eius custodiamus: et mandata eius gravia non sunt."
 
 
Christ
 
 
Und was ist dessen Eigenschaft?
 
 
Christengeist
 
 
Es wärmet, muntert auf
 
 
(beiseits)
 
 
(den lau und trägen Geist),
 
 
erheutert den Verstand durch seine Wunderkraft
 
 
(die Christenpflicht zu fassen),
 
 
es schärft das Aug (den schlauen Feind zu sehn),
 
 
verschafft ein gut Gehör (zu hören Gottes Wort),
 
 
es bringet Mut und Stärke
 
 
(der Höllenmacht zu widerstehn).
 
 
Für Schwindel in dem Haupt –
 
 
Weltgeist
 
 
– Freund! alles ist bereit,
 
 
und eine ganze Reihe
 
 
der fröhlichen Gemüter
 
 
von beiderlei Geschlechte
 
 
erwarten dich. –
 
 
Christ
 
 
(zu dem Christengeist)
 
 
– Verzeihe.
 
 
Der Wohlstand heißt mich eilend gehn.
 
 
Hält dieses Mittel seine Probe,
 
 
so lohn ich dich bei unserm Wiedersehn.
 
 
(Er gehet ab.)
 
 
Weltgeist
 
 
(im Hinweggehn)
 
 
(So end ich ihr Gespräche,
 
 
denn dieser Arzt will mir so wie verdächtig sein.)
 
 
Christengeist
 
 
(allein)
 
 
Ach! also stellt die eitle Lust der Welt
 
 
des Geistes besten Fortgang ein.
 
 
Man eilt, man lauft, wohin? Ach! an die Orte,
 
 
wo nur der Sinnen Freiheit ruft.
 
 
Man höret meine Worte
 
 
von wahrer Tugendlehre nicht 24Prophetia Ieremiæ, cap. 7, v. 24: "Et non audierunt" me! "nec inclinaverunt aurem suam: sed abierunt in voluntatibus, et in pravitate cordis sui mali: factique sunt retrorsum et non in ante", id est: juxta suas concupiscentias.
 
 
und folget lieber meinem Feind,
 
 
der alles Gute unterbricht.
 
 

Barmherzigkeit. Gerechtigkeit. Christengeist.
 
 
Barmherzigkeit
 
 
Hast du nunmehr erfahren,
 
 
was unser beiden Hilf an diesem Menschen nutzt?
 
 
Wenn er verloren geht, wer ist wohl endlich schuld?
 
 
Christengeist
 
 
Ach! er allein, doch habt mit ihm Geduld:
 
 
Wie könnt ein laues Herze,
 
 
das von dem Geist der Welt mit Schnee bedecket ist,
 
 
sogleich von Gottes Liebe brennen?
 
 
Der Anfang gibt mir doch bei ihm
 
 
den Schein der Hoffnung zu erkennen.
 
 
Gerechtigkeit
 
 
Der Mensch bereite sich zu Strafe oder Lohn,
 
 
bleibt doch dem Höchsten Lob und Preis;
 
 
denn hört er dich, o Güte! nicht,
 
 
so dient er wenigst mir zur Ehre.
 
 
Christengeist
 
 
Ich will mich dann dahin bestreben,
 
 
damit er sich bekehre
 
 
und diene so zu beider Ruhm,
 
 
dass ihn Gerechtigkeit belohne,
 
 
Barmherzigkeit verschone.
 
 
Christengeist
 
     
 
    Lasst mir eurer Gnade Schein
 
 
niemal fehlen,
 
 
so erhol ich neuen Mut.
 
 
 
 
Barmherzigkeit, Gerechtigkeit
 
 
Es soll an der Gnade Schein
 
 
niemal fehlen,
 
 
wenn der Mensch das Seine tut. 25Epistola Pauli ad Hebræos, cap. 12, v. 15: "contemplantes nequis desit gratiæ Dei: nequa radix amaritudinis sursum germinans impediat, et per illam inquinentur multi."
 
 
 
 
Christengeist
 
     
 
    Allzeit will ich trachten, sinnen,
 
 
teure Seelen
 
 
meinem Schöpfer zu gewinnen,
 
 
dies soll mein Geschäfte sein.
 
     
 
    Lasst mir etc.
 
 
Ende des ersten Teils.